3.5.3. Zum
         Diskurstyp

Auf Basis der Abwesenheit kann daher der Diskurstyp in einer Gegenüberstellung beschrieben werden. Dabei werde ich auf Jean-Francois Lyotards Unterscheidung von narrativem und wissenschaftlichem Wissen Bezug nehmen. In den Alltagsdiskursen findet sich eine "Pluralität an Sprachspielen" (ANM: Jf Lyotard, Das postmoderne Wissen, S. 68), die "über die Bestimmung und Anwednung des einzigen Wahrheitskriteriums hinausgeht". (ANM: JF Lyotard, Das postmoderne Wissen, S. 64)

Seyla Benhabib fasst die auf Basis dieser Unterscheidung gewonnen Bestimmungen des narrativen Wissens prägnant zusammen:

"In ähnlicher Weise betont Lyotard Narrativität als eine von der Wissenschaft unterdrückte und ins Abseits gedrängte Form des Wissens. (...) Für Lyotard werden in der Pragmatik des narrativen Wissens die Operationen der Infragestellung, des Nachdenkens und des Widersprechens, die die tägliche Kommunikationspraxis ausmachen, von vornerherein ausgeschloßen." (ANM: Seyla Benhabib, Kritik des postmodernen Wissens, S. 110/111)

Genau die von Benhabib zusammengefassten Charakteristika von narrativem Wissen finden sich auch in den untersuchten Diskursen der Techno-Kultur als konstitutiver und wichtiger Teil deren Charakteristika: die diskursiven Techniken Infragestellung, Nachdenken und Widersprechen scheinen hier ebenfalls weitgehend abwesend und suspendiert.

Dies fand sich in evidenter Weise in der thematischen Aufbereitung zweier konkurrierender Diskurse in der "Der Partysan", wo das Fehlen der reflexiven Kategorie der Bedeutung nachgewiesen werden konnte. Dort wurden vorgebliche Positionen und bestehende Diskurse systematisch nicht angetastet. Darüber hinaus konnte in Abschnitt 3.3. festgestellt werden, daß im von Patrick Walder/Philip Anz herausgegebenen Buch gleichfalls die von Benhabib beschriebenen Operationen gänzlich fehlten. Dort findet sich auch die Stellungnahme von Viola, einer Raverin, abgedruckt: "Viele Leute kritisieren die Szene als zu oberflächlich. Ich finde: Wenigstens steht diese Szene zu ihrer Oberflächlichkeit. Wir sind nicht grundsätzlich oberflächlich, aber an den Parties lassen wir es und gut gehen und stellen den Rest ab." (ANM: Viola, zit, nach: Regula Bochsler/Markus Storrer, Talking Technoheads II, S. 175)


Zusammenfassend fanden sich insgesamt vier diskursive Strategien, mittels jener die untersuchten Diskurse gruppiert und beschrieben werden konnten. Diese Strategien organisieren eine gestreute Verteilung der möglichen Subjekt-Positionen, von denen aus gesprochen werden kann. Die Überprüfung der vier Strategien hinsichtlich der jeweils implizierten Wahrheitstypen ergab ein heterogenes Bild. Es war nicht möglich, die Strategien einheitlich einem der dargestellten Wahrheitstypen zuzuordnen. Die Existenz beider Typen, sowohl dessen, der die Wahrheit im Gesagten lokalisiert, als auch desjenigen, der sie als etwas zu Produzierendes begreift, konnte nachgewiesen werden. Insgesamt ergab sich jedoch ein außergewöhnlicher und signifikanter Bezug auf den Wahrheitstypus, der diese als Herzustellende begreift. Als Orientierungspunkt zur Bestimmung des Diskurstyps verdichtete sich daher die mehrfach festgestellte Abwesenheit reflexiv-analytischer und wissenschaftlicher Sprechweisen. Auch die Überlegungen zum jeweiligen Wahrheitstypus korrespondierten hiermit, denn wissenschaftlichen Diskursen kann allgemein jener Wahrheitstypus assoziiert werden, der die Wahrheit in dem, was gesagt wird, lokalisiert.

Wissenschaftliche und analytische Diskurse können daher mit Susan Sontag als Beschreibungsweisen verstanden werden, welche die jeweils von ihnen beschriebenen Erlebnisweisen in diesem Status als Erlebnisweise entwerten und verunmöglichen. Mit dieser strategischen Argumentationsfigur konnte der signifikante Befund, daß sich in den untersuchten Diskursen der Techno-Kultur keine Aussagen zu den psychologischen und sozialen Apekten der Alltagspraktiken der Beteiligten fanden, erklärt werden. Als eine dergestalte Norm kann auch jener Wahrheitstypus bezeichnet werden, der die Wahrheit im Gesagten verortet und der wissenschaftlichen Diskursen zugeordnet werden kann.
Demgegenüber kann in der Techno-Kultur nicht von einer in den Diskursen explizierten ethischen Normativität gesprochen werden. Diskurse haben hier nicht die Funktion, normierend, vorschreibend und juridisch auf die Individuen einzuwirken. Es findet sich kein sprachlich fixiertes ethisches Regelsystem, das eingeklagt werden könnte.