4.1.2. Das Subjekt
         bei Michel Foucault

Foucault ist sicher in erster Linie als Theoretiker der Diskurse und Analytiker der Machtbeziehungen bekannt. Im Jahr 1983 skizziert er die Thematiken seiner Untersuchungen jedoch wie folgt: "Zunächst möchte ich darlegen, was das Ziel meiner Arbeit während der letzten 20 Jahre war. Es war nicht die Analyse der Machtphänomene und auch nicht die Ausarbeitung der Grundlagen einer solchen Analyse. Meine Absicht war es vielmehr, eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden. Meine Arbeiten befaßten sich darum mit drei Weisen der Objektivierung, die Menschen in Subjekte verwandeln. (...) Nicht die Macht, sondern das Subjekt ist deshalb das allgemeine Thema meiner Forschung. Aber die Analyse der Macht ist selbstverständlich unumgänglich." (ANM: Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, S, 243)

Wie sich zeigen wird, entwickelt Foucault seine spezifizierende Konzeption des Subjekts jedoch in einem theoretischen Raum, der bereits durch die differenzierte Analyse von Diskursen und insbesondere der Macht vorstrukturiert ist.


Die Situierung des Subjekts im Feld der Macht

Im Hinblick auf eine neue Ökonomie der Machtverhältnisse formuliert Foucault: "Statt die Macht von ihrer inneren Rationalität her zu analysieren, heißt es, die Machtverhältnisse durch den Gegensatz der Strategien zu analysieren. Um zum Beispiel herauszufinden, was unsere Gesellschaft unter vernünftig versteht, sollten wir vielleicht analysieren, was im Feld der Unvernunft vor sich geht." (ANM: Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 245)

Die diesem Gedanken zugrundeliegende Figur ließe sich also wie folgt skizzieren: Um herauszubekommen, wie ein bestimmter Begriff funktioniert, sollte man sich das anschauen, was als dessen Widersacher und Gegenteil codiert ist. Wichtig ist hierbei der Nachdruck auf der Spezifikation, daß es sich jeweils um codierte Gegensätze handelt, deren Codierungen jedoch innerhalb der Machtverhältnisse hergestellt werden. Um auf die Frage des Subjekts zurückzukommen, kann nun hierauf aufbauend formuliert werden, daß in den Analysen zur Macht durchaus das Subjekt hinsichtlich dessen, was als sein Widerpart konstruiert ist, hinterfragt wird. Konkret hieße diese Interpretation, daß Foucault beispielsweise in "Der Wille zum Wissen" primär Diskurse analysiert, die zumeist dem Subjekt gegenüber als opponierend und widerstrebend gedacht werden.

Foucault faßt wie folgt zusammen: "Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht." (ANM: Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 246f)

Die Kategorie des Subjekts wird so nicht als gegeben gesetzt, sondern dieses als stets gemachtes, also historisches, begriffen. Dieses 'Gemacht-Werden' vollzieht sich durch Praktiken im Feld der Machtbeziehungen. "Diese Dimension des Selbst ist keineswegs eine vorweg existierende Bestimmung, die man vollständig ausgearbeitet hätte vorfinden können. Noch dort ist eine Subjektivierungslinie ein Prozeß, eine Produktion von Subjektivität in einem Dispositiv; sie muß, insoweit es das Dispositiv zuläßt oder ermöglicht, geschaffen werden." (ANM: Deleuze, Was ist ein Dispositiv, S. 155)

Nun wird auch klar, weshalb die Analytik des Subjekts in Herleitung und Durchführung in so extremem Maß mit der Analytik der Macht verwoben ist. Da das bereits seiende, existierende und damit gewissermassen fertige Subjekt in der skizzierten Logik allenfalls als Endprodukt beschrieben werden kann, rücken eher die Prozesse der Subjektivierung an die Stelle des Analysegegenstands. Unter Subjektivierungen muß man sich dabei Formen der Subjekt-Werdung vorstellen.


Die drei Subjektivierungsweisen

Für Foucault geht es also nicht um die Klärung der Frage, was ein Subjekt ist. "Alles dreht sich um dieses Paradox, und hier findet sich auch die zentrale, und originellste, These Foucaults: was gemacht wird, der Gegenstand, erklärt sich durch das, was in jedem Moment der Geschichte das Machen war. Fälschlicherweise stellen wir uns vor, daß das Machen, die Praktik, sich vom Gemachten aus erklärt." (ANM: Paul Veyne, Foucault: Die Revolutionierung der Geschichte, S. 36/37)

Anstelle dessen fragt er, wie aus einem Menschen ein Subjekt wird. Das Subjekt interessiert also nur bezüglich seines Entstehungsprozesses. Der Sachverhalt darf sich nicht derart vorgestellt, werden, daß aus einem Menschen irgendwann ein Subjekt gemacht wird und dieser dann im Subjekt-Status verbleibt. Demnach wäre die Unterwerfung zum Subjekt ein substantieller Akt, der die Substanz Mensch auf immer und ewig ein solches bleiben ließe

Wie Lemke zusammenfasst: "Diese Historisierung der Subjektivierungsprozesse erlaubt es Foucault, mit jeder Vorstellung einer souveränen und konstitutiven Subjektivität zu brechen, indem er nicht ein Subjekt-Wesen unterstellt, sondern Subjektivität im Sinne einer Subjekt-Werdung betrachtet. Das Ergebnis dieser methodologischen Wahl ist eine 'Dezentrierung des Subjekts'." (ANM: Thomas Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 266)

Die konkreten Formen der Subjektivierung gruppiert Foucault in drei Weisen, wie aus Menschen Subjekte werden.
Deren Grundzüge werde ich im Folgenden kurz nachskizzieren. Die dritte Subjektivierungsweise wird dabei ausführlicher dargestellt, da ich in einem späteren Teil auf sie zurückkommen werde.
Im Einzelnen sind dies: