4.2.2. Erste Überlegungen
         zur Autorfunktion in der Technokultur

Die Foucaultschen Vorgaben

Vorab muß sich eines zentralen Problems vergegenwärtigt werden: Michel Foucaults Analysen zur Kategorie des Autors beziehen sich auf Untersuchungen der Philosophie-, Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Insofern ist auch das theoretische Konzept der Autorfunktion aus denselben abgeleitet und entwickelt worden. Das zugrundeliegende textliche Material ist demzufolge wissenschaftlicher Art.

Foucault schränkt seine Arbeit selbst ein: Er "möchte (...) die historisch-soziologische Analyse der Autor-Person beiseitelassen" und lediglich "den Bezug Text-Autor ins Auge fassen, die Art, in der der Text auf die Figur verweist, die ihm, wenigstens dem Anschein nach, äußerlich ist und ihm vorausgeht." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 10)

Diese Autor-Person wird jedoch in der folgenden Untersuchung durchaus eine Rolle spielen. Es wird zu diskutieren sein, inwiefern der DJ als Musiker, Komponist und damit in Rollen, die potentiell dem Autor vergleichbar sind, inszeniert wird.
Daher wird die Techno-Kultur unter dem Aspekt der Vergleichbarkeit der Kategorie Autor und mit den dort vorliegenden potentiellen Äquivalenten des DJ's in seinen Rollen als Komponist und Musiker diskutiert.

Die theoretische Vorlage Foucaults kann etwa so zusammengefaßt werden: ich gehe davon aus, daß sich die Funktion und auch die soziale Kategorie Autor erst im Diskurs, also durch die Sprachspiele herstellt. Sie ist diesen nicht vorgängig und somit nicht an sich gegeben. Der Autor ist nicht gleich der Produzent der kulturellen Zeichen. Zu untersuchen ist, ob und vor allem wie Funktion und Figur produziert werden. Argumentativ wird sich das weitere Vorgehen an den von Foucault gegebenen vier Erkennungsmerkmalen der Autorfunktion orientieren.

Im Folgenden soll die Figur des DJ's als potentiellem Entwurf des Autor-Künstler-Subjekts in der Techno-Kultur anhand der mit Foucault erarbeiteten Begrifflichkeiten analysiert werden. Dabei werde ich zwischen dem Produzenten von Techno-Musik, verstanden als Plattenproduzent, und dem quasi live Platten auflegenden DJ unterscheiden. Es wird zu klären sein, inwieweit in der Techno-Kultur Organisationsweisen und Phänomene vorliegen, die die Gültigkeit der Autor-Funktion infragestellen, suspendieren oder zu einer Neu-Definition dieser zwingen.

Weiter ist gleichfalls zu fragen, welche Mechanismen andererseits wirken, um der Autorfunktion zur Gültigkeit zu verhelfen.
Es soll also diskutiert werden, wie sich die Autorfunktion konkret in der Techno-Kultur entfaltet. Von besonderem Interesse sind dabei die Modifikationen und Verschiebungen, die sie im Vergleich zu ihrer Existenz in anderen kulturellen Formationen erfährt.


Der Autor und die fehlende Stimme

Im Kontext der Frage nach dem Autor kann zunächst die bereits in Abschnitt 3.2. analysierte Tatsache, daß in Techno-Musik in der Regel weder gesungen noch gesprochen wird, noch einmal aufgegriffen werden. Die Existenz von Gesang und eine dominante Rolle der menschlichen Stimme stellen fraglos ein weitgehend übereinstimmendes Spezifikum von Popmusiken der letzten Jahrzehnte dar. Diesbezüglich unterscheidet sich Techno-Musik substantiell von fast allen anderen popmusikalischen Stilen. (ANM: Sicherlich gibt es auch hier Ausnahmen. ...)

Es kann formuliert werden, daß die Abwesenheit der menschlichen Stimme sicherlich einen wesentlichen Einschnitt darstellt, mittels dessen sich die Techno-Musik auch hinsichtlich der Existenz eines sich in der Musik ausdrückenden schöpferischen Subjekts, deutlich von anderen Popmusiken unterscheidet. Die Verwendung der menschlichen Stimme, deren Gesang zudem meist eine Geschichte erzählt, kann als eine der wichtigsten Techniken bezeichnet werden, mittels der in der Popmusik das Thema des Autors, des schöpferischen Künstlers und des Subjekts installiert und somit erst produziert wird. Wie in 3.2. gezeigt, kann diese Bewegung, die Techno-Musik gegenüber anderen Popmusiken vollzieht, mit Roland Barthes als Dekonstruktion des Zuhörens beschrieben werden.