Die These, daß Techno eine postmoderne Kulturform ist, wird in diesem Abschnitt anhand
der von Frederic Jameson gegebenen Darstellung der Kultur in der Postmoderne überprüft.
Eine positive Bestimmung würde noch einmal zusätzlich unterstreichen, daß der Bezug
poststrukturalistischer Theorieansätze auf den Gegenstand Techno-Kultur angebracht ist.
Indem die bereits vorliegenden Ergebnisse zusammengefaßt werden, läßt sich zeigen, daß
die Techno-Kultur die postmodernen Kriterien der Oberflächlichkeit, der emotionalen
Grundstimmung und der neuen Technologien erfüllt.
Bezüglich des vierten Jamesonschen Kriteriums, der veränderten Wahrnehmung von
Geschichte wurden zwar keine direkten Hinweise gefunden, doch können auch hier gewisse
Entsprechungen vermutet werden. Diesbezüglich kann in die darauffolgenden Abschnitte
verwiesen werden, in denen auch die Frage nach der Historizität individueller Identität
ausführlich untersucht wird.
Am offensichtlichsten stellt sich die Situation sicherlich bezüglich des Kriteriums der
"Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie"
(ANM; Jameson, Postmoderne, S. 50) dar. Hier kann als erster Faktor die Musik selbst
angegeben werden. Zweifellos kann die ausschließlich mit Computern hergestellte
Techno-Musik unter dem Aspekt neuer Technologien gefaßt werden. Wie sich insbesondere am
Beispiel des Tanzens zeigte, hängen zentrale Alltagspraktiken fundamental von dieser mit
neuen Technologien produzierten Musik ab. Neben den Herstellungsbedingungen der Musik kann
auch das Setting, innerhalb dessen sie üblicherweise gehört wird, angeführt werden. Auf
Techno-Parties spielen moderne Technolgien ein entscheidende Rolle: Die Musik wird über
riesige Hifi-Anlagen abgespielt, und es findet sich eine Fülle technologisch produzierter
visueller Effekte.
Hinsichtlich des Kriteriums der Oberflächlichkeit und des Verlusts der Tiefendimension
kann als erster Hinweis abermals die Musik, die in der Regel ohne Sprache und damit auch
ohne konkret enthaltene Aussagen konzipiert ist, gelten. Hinzu kommt, daß sich in der
Analyse von Diskursen der Techno-Kultur mehrere Indizien fanden, die die Hypothese der
Oberflächlichkeit stützen. Die Abwesenheit der reflexiv verstandenen Kategorie der
Bedeutung und der diskursiven Technik der Interpretation können hier genannt werden. Es
kann davon ausgegangen werden, daá Tiefenebenen vor allem mittels der interpretatorischen
Vorgehensweise begrifflich installiert, hergestellt und abgerufen werden. Darüber hinaus
konnte der Diskurstyp der Techno-Kultur in einer Gegenüberstellung zu wissenschaftlichen
Diskursformationen entwickelt werden, was ebenfalls belegend gewertet werden kann.
Auch das Faktum, daß die sozialen und psychologischen Aspekte der individuellen Praktiken
im Rahmen der Techno-Kultur sich nicht in deren Diskursen thematisiert wiederfanden,(ANM:
vgl. Abschnitt 3.5.2.) kann auf das Oberflächenkriterium bezogen werden. Diese fehlenden
Aspekte scheinen zunächst am ehesten dem zu entsprechen, das nach Derrida als
"Quelle", "Zentrum", "Grund" oder "Prinzip" (ANM:
Vgl. Derrida, Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften, S.
433) des diskursiven Gegenstands Techno-Kultur angesehen werden kann. Diese zu
diskursivieren hieße nach Derrida, die "absolute Forderung", die durch den
"wissenschaftlichen oder philosophischen Diskurs", (ANM: Derrida, ebd, 433)
gestellt wird, zu erfüllen.
Das dritte Jamesonsche Merkmal, die "völlig neue emotionale Grundstimmung"
(ANM: Jameson, Postmoderne, S. 50) kann gleichfalls auf die Techno-Kultur bezogen werden.
Als evidentestes Anzeichen kann die in Abschnitt 4.3.5 entwickelte Dezentrierungs- und
Entgrenzungsthese, die sich vor allem auf die zentrale Praktik des Tanzens und den Aspekt
des verbreiteten Drogengebrauchs stützt, angeführt werden. "Emotional sind diese
Beziehungen überhaupt nicht oberflächlich" (ANM: Nader, Zit. nach Bochsler/Storrer,
Talking Technoheads, S. 175), zitierten daher Bochsler/Storrer.
Gleichermaßen auf die skizzierte emotionale Grundstimmung bezieht sich Thomas Haemmerli,
wenn er formuliert:
Zusammenfassend kann die Techno-Kultur als postmoderne kulturelle Formation beschrieben
werden. Sie erfüllt drei der vier von Jameson angegebenen Kriterien, lediglich der Aspekt
des Verlusts von Historizität konnte nicht eindeutig geklärt werden.