4.4.1. Bestimmung der Techno-Kultur
         als postmoderne Kultur

Die These, daß Techno eine postmoderne Kulturform ist, wird in diesem Abschnitt anhand der von Frederic Jameson gegebenen Darstellung der Kultur in der Postmoderne überprüft. Eine positive Bestimmung würde noch einmal zusätzlich unterstreichen, daß der Bezug poststrukturalistischer Theorieansätze auf den Gegenstand Techno-Kultur angebracht ist.
Indem die bereits vorliegenden Ergebnisse zusammengefaßt werden, läßt sich zeigen, daß die Techno-Kultur die postmodernen Kriterien der Oberflächlichkeit, der emotionalen Grundstimmung und der neuen Technologien erfüllt.

Bezüglich des vierten Jamesonschen Kriteriums, der veränderten Wahrnehmung von Geschichte wurden zwar keine direkten Hinweise gefunden, doch können auch hier gewisse Entsprechungen vermutet werden. Diesbezüglich kann in die darauffolgenden Abschnitte verwiesen werden, in denen auch die Frage nach der Historizität individueller Identität ausführlich untersucht wird.

Am offensichtlichsten stellt sich die Situation sicherlich bezüglich des Kriteriums der "Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie" (ANM; Jameson, Postmoderne, S. 50) dar. Hier kann als erster Faktor die Musik selbst angegeben werden. Zweifellos kann die ausschließlich mit Computern hergestellte Techno-Musik unter dem Aspekt neuer Technologien gefaßt werden. Wie sich insbesondere am Beispiel des Tanzens zeigte, hängen zentrale Alltagspraktiken fundamental von dieser mit neuen Technologien produzierten Musik ab. Neben den Herstellungsbedingungen der Musik kann auch das Setting, innerhalb dessen sie üblicherweise gehört wird, angeführt werden. Auf Techno-Parties spielen moderne Technolgien ein entscheidende Rolle: Die Musik wird über riesige Hifi-Anlagen abgespielt, und es findet sich eine Fülle technologisch produzierter visueller Effekte.

Hinsichtlich des Kriteriums der Oberflächlichkeit und des Verlusts der Tiefendimension kann als erster Hinweis abermals die Musik, die in der Regel ohne Sprache und damit auch ohne konkret enthaltene Aussagen konzipiert ist, gelten. Hinzu kommt, daß sich in der Analyse von Diskursen der Techno-Kultur mehrere Indizien fanden, die die Hypothese der Oberflächlichkeit stützen. Die Abwesenheit der reflexiv verstandenen Kategorie der Bedeutung und der diskursiven Technik der Interpretation können hier genannt werden. Es kann davon ausgegangen werden, daá Tiefenebenen vor allem mittels der interpretatorischen Vorgehensweise begrifflich installiert, hergestellt und abgerufen werden. Darüber hinaus konnte der Diskurstyp der Techno-Kultur in einer Gegenüberstellung zu wissenschaftlichen Diskursformationen entwickelt werden, was ebenfalls belegend gewertet werden kann.

Auch das Faktum, daß die sozialen und psychologischen Aspekte der individuellen Praktiken im Rahmen der Techno-Kultur sich nicht in deren Diskursen thematisiert wiederfanden,(ANM: vgl. Abschnitt 3.5.2.) kann auf das Oberflächenkriterium bezogen werden. Diese fehlenden Aspekte scheinen zunächst am ehesten dem zu entsprechen, das nach Derrida als "Quelle", "Zentrum", "Grund" oder "Prinzip" (ANM: Vgl. Derrida, Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften, S. 433) des diskursiven Gegenstands Techno-Kultur angesehen werden kann. Diese zu diskursivieren hieße nach Derrida, die "absolute Forderung", die durch den "wissenschaftlichen oder philosophischen Diskurs", (ANM: Derrida, ebd, 433) gestellt wird, zu erfüllen.

Das dritte Jamesonsche Merkmal, die "völlig neue emotionale Grundstimmung" (ANM: Jameson, Postmoderne, S. 50) kann gleichfalls auf die Techno-Kultur bezogen werden. Als evidentestes Anzeichen kann die in Abschnitt 4.3.5 entwickelte Dezentrierungs- und Entgrenzungsthese, die sich vor allem auf die zentrale Praktik des Tanzens und den Aspekt des verbreiteten Drogengebrauchs stützt, angeführt werden. "Emotional sind diese Beziehungen überhaupt nicht oberflächlich" (ANM: Nader, Zit. nach Bochsler/Storrer, Talking Technoheads, S. 175), zitierten daher Bochsler/Storrer.

Gleichermaßen auf die skizzierte emotionale Grundstimmung bezieht sich Thomas Haemmerli, wenn er formuliert:

"Die Sinneseindrücke verweben sich zum interaktiven Clip, in dem die eigenen Hände vor der Kulisse der stroboskopzerhackten Bewegungen der Mittänzer auf und ab stottern. (...) Auch ohne eingeworfene Präparate, denn Marathontanz, Licht-Dauerbeschuss und Rambazamba lassen den Körper Endorphine ausschütten. Die beglückenden Erlebnisse ausserhalb tagtäglicher Bewusstseinszustände, die einem ein Rave ermöglicht, machen neugierig auf chemische Selbstexperimente." (ANM: Haemmerli, Das Lebensgefühl, S. 184)

Zusammenfassend kann die Techno-Kultur als postmoderne kulturelle Formation beschrieben werden. Sie erfüllt drei der vier von Jameson angegebenen Kriterien, lediglich der Aspekt des Verlusts von Historizität konnte nicht eindeutig geklärt werden.