Der Beitrag der neogramscianischen Global Political Economy zur Globalisierungsdebatte ende
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Christian Röhrs und Jonas Wolff

 

 

 
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Eine zweifellos zentrale Frage der Globalisierungsdebatte ist, ob das Streitobjekt – die ›Globalisierung‹– denn überhaupt existiert. In ihrer einfachst gestrickten Version wurde diese Diskussion nicht selten darauf zugespitzt, ob ›die Staaten‹ denn wirklich ›objektiv‹ gezwungen sind, den vorgeblichen ›Sachzwängen‹ der Globalisierung zu folgen. Ist die Zinsautonomie des Nationalstaats wirklich verloren? Bleibt ihm tatsächlich keine Alternative als eine Standortpolitik der Lohnkonkurrenz? Wenn solche im schlechtesten Sinne materialistischen Auseinandersetzungen eines gezeigt haben, dann, dass es gleichermaßen unmöglich ist, eine eindimensionale Wirkungskette von ökonomischen Sachzwängen zu alternativlosen politischen Reaktionsmustern abzuleiten, wie es fruchtlos bleibt, die neoliberal angeleitete Standortdiskussion als rein ideologisches Schreckgespenst zu entblößen. Die reale Kraft der neoliberalen Globalisierung lässt sich nicht auf die unbestreitbare Kraft ökonomischer Austauschbeziehungen reduzieren, sondern muss als umfassende Restrukturierung von globalen Machtverhältnissen in ihren materiellen, institutionellen wie ideologischen Dimensionen in den Blick genommen werden.
Dieser Aufgabe versucht sich die neogramscianische Globale Politische Ökonomie (Global Political Economy, im Folgenden: GPE) – auch Transnationaler Historischer Materialismus genannt – zu stellen. Durch die Revitalisierung gramscianischer Konzepte versuchen Politökonomen wie Robert Cox und Stephen Gill, die tiefen weltpolitischen wie weltwirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte als »Umbruch der globalen Hegemonie« analytisch fassbar zu machen (Röttger 1997: 106). So ergibt sich ein spezifischer theoretischer Zugang zum Prozess neoliberaler Globalisierung: Es geht um die Etablierung einer neuen Hegemonie nach dem Ende der hegemonialen Nachkriegs-Weltordnung, der pax americana (Cox 1987:211ff.). Neoliberale Globalisierung kann dabei grundsätzlich zweierlei bedeuten. Auf der einen Seite könnte sie als eine neue historische Konstellation aufgefasst werden, die das Ergebnis der erfolgreichen Etablierung einer neuen transnationalen, hegemonialen Ordnung ist, die sich auf die universalisierte Ideologie des Neoliberalismus und eine spezifische Allianz gesellschaftlicher Kräfte, die die neoliberale Transformation von Staat und Ökonomie als in ihren Interessen wahrnimmt, stützt. Auf der anderen Seite kann die neoliberale Globalisierung aber ebenso als Ausdruck einer nicht-hegemonialen, vorrangig durch Dominanz- und Zwangsverhältnisse gekennzeichneten historischen Formation gelesen werden, die entweder ein Übergangstadium in Richtung einer neuen, wiederum hegemonialen Weltordnung, oder aber selbst als durchaus eine längerfristige – wenn auch im Vergleich zur Nachkriegsordnung weniger ›stabile‹ bzw. kohärente – Konstellation darstellen könnte.
Grundsätzlich beansprucht die GPE, sowohl den Staatszentrismus der herkömmlichen Theorien Internationaler Beziehungen (IB) als auch den kruden Materialismus vieler politökonomischer Ansätze zu überwinden. Zentrales Charakteristikum des Neogramscianismus ist der Versuch, die Dichotomien bzw. Dualismen von Akteur/Struktur und Idealismus/Realismus im Sinne einer umfassenden und differenzierten Sichtweise zu überwinden. Es gilt, die verschiedenen Dimensionen sozialer Realität in ihrem Zusammenspiel zu betrachten, »the social forces of ideas (including ideologies, ethics, intersubjective meanings), institutions (such as state, and market, international organizations) as well as material aspects of social life (production broadly defined, including the means of destruction)« (Gill 1995: 67). An die Stelle der Vereinfachungen strukturalistischer wie akteurszentrierter Ansätze setzt die GPE eine »historisch begründete Konzeption der dialektischen Totalität von Struktur und Akteur« (Overbeck 2000: 169).(1)
Die neogramscianische GPE versteht sich in dem Sinne als kritische Theorie, dass sie die systemischen Gegebenheiten (der jeweiligen Weltordnung) nicht – wie die auf konkrete Problemlösung abzielende Theoriebildung – ahistorisch als gegeben hinnimmt:(2)

»Political economy [...] is concerned with the historically constituted frameworks or structures within which political and economic activity takes place. It stands back from the apparent fixity of the present to ask how the existing structures came into being and how they may be changing, or how they may be induced to change. In this sense, political economy is critical theory.« (Cox 1995: 32)

In diesem allgemeinen Sinne bilden die verschiedenen Ansätze, die hier unter dem Titel der »neogramscianischen Globalen Politischen Ökonomie« subsumiert werden, in der Tat »einen relativ kohärenten Ansatz zur Analyse sozialer Beziehungen auf der internationalen Ebene« (Overbeck 2000:172).
Ausgangspunkt der GPE – und hier zeigt sich ihre historisch materialistische Ausrichtung – ist die Organisation von Produktion und Reproduktion des materiellen Lebens (vgl. Overbeck 2000: 172). Nun wird zwar von verschiedenen Autoren die Zentralität der Produktionsverhältnisse immer wieder betont, das Analyseschema, wie es beispielsweise Robert Cox entwirft, lässt die Frage der Hierarchie zwischen den verschiedenen Dimensionen dagegen offen. In Cox’ Analyse historischer Strukturen geht es um die gegenseitige Beeinflussung der drei Ebenen der sozialen Welt – Staatsformen, sozialer Kräfte und Weltordnungen –, die allesamt materielle, institutionelle und ideologische Dimensionen aufweisen (Cox 1998: 43ff.).

 

(1) Alle Übersetzungen englischsprachiger Zitate wurden von den Autoren besorgt.

(2) Zur Coxschen Gegenüberstellung von kritischer Theorie und Problemlösungstheorie vgl. Cox (1998: 31ff.).

Grundbegriffe 1: Gramsci-Rezeption in der GPE weiter / zurück
 

In diesem ersten Kapitel geht es darum, die begriffliche Basis zu legen, von der der Ansatz der Globalen Politischen Ökonomie ausgeht. Dabei beschränkt sich die folgende Darstellung auf die zentralen Konzepte, wie sie zuerst Robert W. Cox von Gramsci übernommen und für die Analyse internationaler Prozesse fruchtbar gemacht hat. Denn das um den Begriff der Hegemonie kreisende und insofern neogramscianische Grundverständnis ist das vereinigende Merkmal der GPE. Um der Knappheit und Klarheit willen werden andere Begriffs- und Analyserahmen wie Polanyis »Große Transformation«, die beispielsweise in den Beiträgen in »International Political Economy« (Hettne 1995) eine zentrale Rolle spielt, ausgeblendet. Schließlich wird der genannte begriffliche Rahmen in diesem Kapitel zunächst in ihrer ursprünglichen und d.h. auf den nationalstaatlichen Raum bezogenen Anwendung erarbeitet. Auf dieser Basis kann sodann in einem weiteren Schritt die spezifische Leistung der GPE, die Übertragung der gramscianischen Konzepte auf die internationale Ebene, dargestellt werden. Zunächst werden die Konzepte Hegemonie, Staat, Zivilgesellschaft und historischer Block, dann die Begriffe Passive Revolution, Bewegungs- und Stellungskrieg erläutert.

Hegemonie, Staat, Zivilgesellschaft, historischer Block

Das von Gramsci entlehnte Konzept der Hegemonie ist das zentrale Charakteristikum der GPE, das ihren eigenständigen Beitrag zur Analyse internationaler Prozesse prägt. In diesem Begriff fließen, wie sich zeigen wird, die unterschiedlichen Ideen und Begriffe der GPE zusammen. Hegemonie meint dabei im Sinne Gramscis mehr als einfache Dominanz oder Vorherrschaft, sie impliziert politische, geistige und kulturelle Führung sowie »Konzessionen an die untergeordneten Klassen« (Cox 1996: 126). In klarer Abgrenzung zum geläufigen Hegemoniebegriff der IB-Theorien versteht die GPE Hegemonie nicht einfach als Übermacht eines Akteurs, einer Gruppe oder Klasse über andere, sondern es geht um eine »notwendige Kombination von Konsens und Zwang« (ebd.: 127): Zumindest ein wesentlicher Teil der subalternen Akteure bzw. Gruppen anerkennen die Führung sowohl als normativ gerechtfertigt als auch als materiell in ihren Interessen liegend.
Zwar ist die Dimension des Zwangs »stets latent vorhanden«, wie Cox betont; in hegemonialen Verhältnissen stehe allerdings »der konsensuelle Aspekt der Macht im Vordergrund« und Zwang finde »nur in marginalen, abweichenden Fällen« Anwendung (ebd.). Insofern bedarf die Etablierung einer Hegemonie eines »realen, d.h. auch materiell-ökonomisch errichteten Konsenses« (Brand u.a. 2000: 52). In der neogramscianischen Analyse wird ein solcher realer Konsens aber nicht einfach aus den bestehenden »objektiven« Interessen einzelner Gruppen und Klassen abgeleitet. Hegemonie ist hier mehr als ein gesellschaftlicher Kompromiss zwischen pluralistischen Interessengruppen. Ökonomische, politische und ideologische Dimensionen fließen zusammen; in einer hegemonialen Situation werden partikulare Interessen als allgemeine wahrgenommen, spezifische Normen und Werte erscheinen den Akteuren als universal gültig. In einer Hegemonie sind Institutionen und Ideologien »von universeller Form, d.h. sie erscheinen nicht als solche einer partikularen Klassen und ermöglichen den untergeordneten Gruppen eine gewisse Befriedigung, ohne dabei die Führerschaft oder die vitalen Interessen der hegemonialen Klasse zu unterminieren« (Cox 1996: 133; vgl. Cox 1995:43).
Die Stabilität kapitalistischer Gesellschaftsformationen wird aus dieser Perspektive also letztlich mit den ›Leistungen‹ der Hegemonie erklärt. Um diese Vorstellung konkreter zu füllen, verwendet die GPE weitere zentrale Begriffe von Gramsci, insbesondere sein Verständnis von Staat und Zivilgesellschaft sowie den Begriff des historischen Blocks. Der kapitalistische Staat im Sinne der Summe der Staatsapparate ist dabei – das liegt in der ›Natur‹ des gramscianischen Hegemoniebegriffs – weder einfaches Instrument in den Händen der herrschenden Klasse noch eine neutrale, von den sozioökonomischen Verhältnissen separierte Instanz. Der Verwaltungs-, Exekutiv- und Gewaltapparat des Staates wird in seiner Einbettung in die allgemeine Hegemonie gesehen. Der gramscianische Begriff des integralen Staates umfasst deshalb auch den »Unterbau der politischen Struktur« (Cox 1996: 126), und als solche fungiert die Zivilgesellschaft. Damit sind »alle die Institutionen [gemeint], die helfen bestimmte Verhaltens- und Erwartungsmuster der Menschen zu erzeugen, die mit der hegemonialen sozialen Ordnung konsistent sind, konkret Institutionen wie Kirche, Bildungssystem und Medien« (ebd.). Gill (2000: 24) spricht dementsprechend von »Staat-Zivilgesellschaft-Komplexe[n]« bzw. mit Gramsci von »Staat = politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft«, wobei erstere »durch die ›öffentliche‹ Sphäre von Regierung, Verwaltung, Recht und Ordnung sowie Sicherheit abgesteckt« ist, während die Zivilgesellschaft »all jene Elemente mit ein[schließt], die gewöhnlich als ›privat‹ gelten, wie z.B. das freie Unternehmertum, die politischen Parteien, Kirchen, Gewerkschaften etc.« (ebd.:42).(3) Das Konzept der Hegemonie verbindet also die konventionellen Kategorien von Staat und Zivilgesellschaft: Die Hegemonie einer dominanten Klasse bedarf der Verankerung in beiden Sphären, die dann eben keine separierten Einheiten sind (Cox 1996: 127).
Insofern es zur Herausbildung einer Hegemonie kommt, bilden Staat im engeren Sinne und Zivilgesellschaft eine übergreifende »stabile Struktur«, die Gramsci als historischen Block bezeichnet (ebd.: 131). Dieser besteht dabei aus interagierenden Elementen aus den politischen, ethischen und ideologischen Handlungssphären sowie den grundlegenden Strukturen der sozialen Produktionsverhältnisse (ebd.). Der historische Block »kombiniert auf eine organische Art und Weise Struktur und Superstruktur, das Materielle und Ideologische« (Gill 2000: 39). Im Begriff des historischen Blocks zeigt sich für Cox (1996: 132), dass bei Gramsci Ideen und materielle Bedingungen stets zusammen hängen, sich gegenseitig beeinflussen und nicht auf jeweils eine Dimension zu reduzieren sind:

»Ideas have to be understood in relation to material circumstances. Material circumstances include both the social relations and the physical means of production. Superstructures of ideology and political organization shape the development of both aspects of production and are shaped by them.« (ebd.)

Der historische Block ist dabei gebunden an eine hegemoniale soziale Klasse. Wenn sich die dominante Klasse in einer sozialen Formation als hegemoniale etablieren kann, erhält der integrale Staat den Zusammenhalt und die Identität innerhalb des historischen Blocks »durch die Propagierung einer gemeinsamen Kultur« (Cox 1996: 132). Eine zentrale Rolle bei der Herausbildung eines historischen Blocks spielen die Intellektuellen. Diese sind für Gramsci allerdings keine eigenständige, relativ klassenlose soziale Schicht, sondern jeweils »organisch verbunden mit einer sozialen Klasse« (Cox 1996: 132). Die Funktion der Intellektuellen ist es, »mentale Vorstellungen, Technologien und Organisationen« zu entwickeln und zu erhalten, »die die Mitglieder einer Klasse und eines historischen Blocks unter einer gemeinsamen Identität vereinigen« (ebd.). Die Herausbildung von Hegemonie bzw. die Errichtung eines historischen Blocks bedarf dabei eines Bewusstseins, das weder »ökonomisch-korporativ« lediglich auf die spezifischen Interessen einer partikularen sozialen Gruppe noch im Sinne eines »Klassenbewusstseins« nur auf die ökonomischen Interessen einer sozialen Klasse gerichtet ist, sondern das die Interessen der führenden Klassen mit denen untergeordneter Klassen in Harmonie bringt (ebd.: 133). Erst so sei es möglich, die verschiedenen Interessen unter einer in universellen Begriffen ausgedrückten Ideologie zu vereinigen (ebd.).(4)

Passive Revolution, Bewegungs- und Stellungskrieg

Das Konzept der passiven Revolution ist das Gegenstück zum Hegemoniebegriff: Es beschreibt die Situation in einer nicht-hegemonialen Gesellschaft (Cox 1996: 130). Passive Revolution bezieht sich auf die Durchsetzung von Veränderungen ohne die Mobilisierung breiter »Volkskräfte« (ebd.: 129) bzw. auf die Errichtung einer neuen Staatsform, ohne dass eine führende Klasse die Hegemonie übernommen hat (Gill 2000: 32). Cox unterscheidet zwei Formen: So könne erstens in einer Pattsituation zwischen zwei gleichstarken gesellschaftlichen Kräften ein starker Mann den Ausschlag geben (»Cäsarismus«).(5) Die zweite Version passiver Revolution (»trasformismo«) beruht auf der Kooptation potenzieller Führer subalterner sozialer Gruppen; potenziell gefährliche Ideen werden assimiliert und domestiziert, indem sie an die Politik der dominanten Koalition angepasst werden. So wird die Herausbildung einer klassenbasierten, organisierten Opposition gegen die etablierten sozialen und politischen Herrschaftsverhältnisse verhindert (vgl. Cox 1996: 130). Gill bezieht die Formen passiver Revolution dagegen auf die Alternative Bewegungs- versus Stellungskrieg: Ersterer greife in einer »Revolution ohne Beteiligung der Massen, die oft durch externe Kräfte angetrieben wird«, zweiterer bezieht sich auf eine »gesellschaftliche Transformation, die sich [...] langsam und unter der Oberfläche vollzieht« (Gill 2000: 32).
Auch Cox verwendet die gramscianische Unterscheidung der zwei revolutionären Strategien Bewegungs- und Stellungskrieg (vgl. Cox 1996:127ff.). In einer Situation, in der der staatlichen Dominanz die hegemoniale Verankerung in einer starken Zivilgesellschaft fehlt, können die sozialen Herrschaftsverhältnisse über die Besetzung des Staatsapparats in einem Bewegungskrieg umgestürzt werden. Sobald Herrschaftsverhältnisse aber in einer starken Zivilgesellschaft hegemonial abgesichert sind, kann eine solche, auf den Staat im engeren Sinne gerichtete Strategie nicht erfolgreich sein. Gegen solche hegemonialen Staats-Gesellschafts-Komplexe gilt es, in einem Stellungskrieg langsam die sozialen Grundlagen eines neuen Staates – in der Sphäre der Zivilgesellschaft – zu bilden. Es geht also darum, »im Rahmen einer etablierten Hegemonie eine Gegenhegemonie aufzubauen« (ebd.:129). Die Begriffe von Passiver Revolution, Bewegungs- und Stellungskrieg beziehen sich also sowohl auf Situationen in nicht-hegemonialen Gesellschaften wie auf Strategien, die sich gegen eine bestehende Hegemonie richten.
Die Etablierung einer Gegenhegemonie bedeutet dabei die Formierung eines neuen historischen Blocks, in dem eine untergeordnete Klasse ihrerseits eine Hegemonie über andere untergeordnete Gruppen etabliert (Cox 1996: 132). Ein Stellungskrieg verlangt nach einem »intensiven Dialog zwischen Führern und Gefolge innerhalb der potenziell hegemonialen Klasse« (ebd.). Dabei war es für Gramsci die zentrale Rolle einer Partei (hier: der Arbeiterpartei) diesen Dialog innerhalb der eigenen Klasse (hier: der Arbeiterklasse) wie mit anderen subalternen Gruppen zu führen. Für die »organischen Intellektuellen« der gegenhegemonialen Klasse gehe es dementsprechend darum, eine »klar abgegrenzte Kultur, Organisation und Technik« zu entwickeln, und das »in konstanter Interaktion mit den Mitgliedern des entstehenden Blocks« (ebd.).

 

(3) Cox (1995: 37) spricht von ›Staat/Gesellschaft-Komplexen‹, die sich – ganz allgemein – aus »governmental functions« und »societal practices« zusammensetzen.

(4) Vgl. auch Gill (1995:85).
Nach Cox ist das Konzept des historischen Blocks für Gramsci auch eine »intellektuelle Verteidigung gegen die Kooptation durch trasformismo« (Cox 1996:131).

(5) Nach Gill (2000: 37) ist die passive Revolution des (regressiven) Cäsarismus dadurch gekennzeichnet, dass die Institutionen der gesellschaftlichen Produktion nicht der Hegemonie des Kapitals in der Zivilgesellschaft unterliegen, »sondern der Herrschaft ›von oben‹ durch einen autoritären Staatsapparat«.


Grundbegriffe 2: Übertragung auf die internationale Ebene weiter / zurück
 

Im folgenden Kapitel soll nachgezeichnet werden, wie die GPE die gramscianischen Grundbegriffe auf die internationale Ebene überträgt. Auf diese Weise werden die internationalen Beziehungen als internationale Machtbeziehungen analysierbar, ohne diese im Sinne des (Neo-) Realismus auf die rein zwischenstaatliche Frage der ungleichen Verteilung machtpolitischer »capabilities« zu beschränken. Aus der neogramscianischen Perspektive lassen sich grundlegende Veränderungen der Weltordnung auf fundamental geänderte soziale Beziehungen zurückführen (Cox 1996: 133). Obwohl die GPE den Staatszentrismus der herkömmlichen IB-Theorien überwindet, bleibt für sie der Staat dennoch die maßgebliche Einheit der Weltordnung. Auf der Basis des erweiterten Staatsbegriffs geht es allerdings nicht um Staaten im Sinne funktional gleicher Einheiten, wie sie das neorealistische ›Billardkugel-Modell‹ unterstellt. Die Ebene des Nationalstaats bleibt für die GPE in dem Sinne zentral, als die sozialen Konflikte (noch immer) vor allem auf ihr ausgetragen werden: Der Staat-Gesellschafts-Komplex ist und bleibt der primäre Fokus sozialer Auseinandersetzung (vgl. ebd.: 134).
Gleichwohl sind die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften immer nur aus ihrer Einbettung in die Strukturen von Weltpolitik und Weltökonomie zu verstehen. Aus Sicht der GPE sind nationale Prozesse der Staats(trans-)formation, ebenso wie die internationale Politik selbst, letztlich »Momente der transnationalen Dynamiken von Kapitalakkumulation und Klassenbildung« (Overbeck 2000:169). Es geht bei der Übertragung der gramscianischen Begrifflichkeiten auf internationale Verhältnisse also nicht einfach um eine Verdopplung nationaler Strukturen auf globaler Ebene, die man getrennt analysieren könnte. Grundsätzlich beansprucht die GPE, mit der Produktionsorganisation bzw. den sozialen Kräften, den Formen des Staates und den Weltordnungen die drei wesentlichen »Handlungsebenen« der sozialen Welt in ihrer wechselseitigen Beeinflussung in den Blick zu nehmen (vgl. Cox 1998: 47f.).(6)

Hegemonie und Weltordnung

Der von Gramsci für die nationalstaatliche Konstellation entwickelte Hegemoniebegriff wird von der GPE unmittelbar auf die internationale Ebene angewendet. Während der Begriff der Hegemonie in den Theorien der IB in der Regel im Sinne der Dominanz eines Staates über andere gebraucht wird, erweitert das neogramscianische Verständnis diese Beziehung in zweifacher Hinsicht (vgl. Cox 1996: 135). Zum einen differenziert es zwischen Dominanz (als Konstellation, in der die Dimension des Zwangs ein Verhältnis bestimmt) und Hegemonie (als Konstellation, in der Zwang lediglich latent zur Absicherung grundsätzlich konsensualer Beziehungen vorhanden ist). Zum anderen wird der Hegemoniebegriff von seiner strikt zwischenstaatlichen Bedeutung gelöst. Unter Weltordnung versteht Cox die Gesamtheit der sich über die »relevante Totalität, die geographisch durch die Verbreitung wahrscheinlicher Interaktionen begrenzt ist«, erstreckenden allgemeinen Formen, in denen sich »die Dinge gewöhnlich ereignen« (Cox 1998: 31, Fußn. 5).
Auf dieser Basis lassen sich somit hegemoniale und nicht-hegemoniale Weltordnungen unterscheiden. Die nicht-hegemonialen Weltordnungen sind durch die Dominanz eines Staates oder Staatenverbundes gekennzeichnet, sie beruhen vor allem auf direkten Vormachtbeziehungen (vgl. ebd.: 135). Eine hegemoniale Weltordnung ist demgegenüber dadurch charakterisiert, dass sie von einer hinreichenden Anzahl von Staaten als kompatibel mit ihren Interessen und Ideen angesehen wird.(7) Eine hegemoniale internationale Konstellation zeichnet sich deshalb dadurch aus, dass der Staat bzw. die Staatengruppe, der/ die die entsprechende Weltordnung stützt, über materielle Konzessionen und diskursive ›Weltbildproduktion‹ gegenüber subalternen Staaten deren (im Idealfall) konsensuale Anerkennung ermöglicht. Gill (1995: 65) definiert Hegemonie bzw. hegemoniale Weltordnungen im gramscianischen Sinne als:

»[…] the foundation and establishment of a system with relatively universal appeal, with mechanisms which permit the institutionalization of conflict and the weighting of subordinate interests in a transnational political settlement.«

In diesem Zitat wird auch deutlich, dass es bei der Analyse von Weltordnungen keineswegs ausschließlich um zwischenstaatliche Beziehungen geht. Wichtig ist insbesondere die innerhalb der globalen Ökonomie dominierende Produktionsweise. Weltweite Hegemonie drückt sich darüber hinaus in universellen Normen und Institutionen aus. Und ebenso in Mechanismen, über die Verhaltensregeln für Staaten und transnational agierende Teile der Gesellschaften festgelegt werden. In einer hegemonialen Weltordnung ›funktionieren‹ diese Dimensionen grundsätzlich im Sinne der Reproduktion der dominanten Produktionsweise. Da sich Hegemonie auch als ein Komplex aus internationalen Beziehungen zwischen den sozialen Klassen der einzelnen Länder beschreiben lässt, stützt sich eine globale Hegemonie gleichermaßen auf soziale, ökonomische und politische Strukturen:

»Hegemony at the international level [...] is an order within a world economy with a dominant mode of production which penetrates into all countries and links into other subordinate modes of production. It is also a complex of international social relationships which connect the social classes of the different countries. World hegemony can be described as a social structure, an economic structure, and a political structure […]. World hegemony, furthermore, is expressed in universal norms, institutions, and mechanisms which lay down general rules of behavior for states and for those forces of civil society that act across national boundaries, rules which support the dominant mode of production.« (Cox 1996: 137)

Nach Cox liegt der Ausgangspunkt einer globalen Hegemonie in den internen Verhältnissen eines Staates begründet. Eine nationale Hegemonie expandiert auf die internationale Ebene, wo sie von einer dominanten sozialen Klasse etabliert wird (ebd.: 137). Dementsprechend werden die mit der nationalen Hegemonie verknüpften Strukturen zu globalen Mustern (ebd.: 137). Nationale ökonomische und soziale Institutionen, Kultur und Technologie setzen sich international durch und wirken so auf die peripheren, ›Hegemonie empfangenden‹ Nationen zurück.(8) Dieser Prozess lässt sich als international vermittelte »passive Revolution« fassen. Da dabei eine dem ›Ursprungsland‹ der Hegemonie entsprechende, interne Transformation der peripheren Länder ausbleibt, wird die neue internationale Hegemonie dort den bestehenden Verhältnissen aufgesetzt (vgl. ebd.: 137). Es fehlen sozusagen die internen Annahme- und Verarbeitungsstrukturen, um die internationale Hegemonie konsistent zu übernehmen. Einer hegemonialen Weltordnung entsprechen also sowohl die hegemonialen Staat-Gesellschafts-Komplexe der führenden Länder wie die nicht-hegemonialen, vielmehr durch direkte Vormacht- und Gewaltverhältnisse geprägten Konstellationen in den peripheren Ländern. Die international stabile Hegemonialordnung stellt sie sich an ihren ›Rändern‹ als deutlich widerspruchsvoller und inkonsequenter heraus (ebd.: 137).
Mit der Übertragung des Hegemoniebegriffs auf die internationale Ebene, stellt sich unmittelbar die Frage nach den internationalen Korrelaten zu Staat, Zivilgesellschaft und historischem Block. Hier wird die konsistente Übertragung von Begrifflichkeiten allerdings schwierig. Wenn es keinen Weltstaat gibt, kann es im gramscianischen Sinne auch keine Welt-Zivilgesellschaft geben, für historischen Block und Hegemonie würde also jegliche Basis fehlen. Eine mögliche Konzeption könnte die ›internationale Gesellschaft (der Staaten)‹ im Sinne Hedley Bulls als Korrelat der Zivilgesellschaft ansehen, die über Kooperation, Institutionenbildung und Verregelung auf internationaler Ebene quasi-staatliche Strukturen schafft. Ein solcher Versuch fällt allerdings wiederum in den Staatszentrismus herkömmlicher IB-Theorie zurück. Es bleibt somit nur die Alternative, die Konzepte außerordentlich flexibel und offen zu verwenden. Für Gill (2000:39) ist ganz im elastischen Sinne Gramscis, »die Idee des historischen Blocks [zu benutzen], um Staatsformen und politische Vereinigungen in und über die (nationalen) ›Komplexe der Zivilisation‹ hinweg zu analysieren«. So durchdringen sich beispielsweise in der EU »die nationalen Staat-Gesellschafts-Formationen wechselseitig mit den Formationen anderer Nationen bzw. internationaler Organisationen« (ebd.). Konkret konstituierte beispielsweise die pax americana nach dem Zweiten Weltkrieg einen internationalen (transatlantischen) historischen Block, auf den Grundlagen des Fordismus und der partiellen Internationalisierung der Staatsform des amerikanischen New Deal, gestützt durch europäische und transatlantische politische Übereinkünfte und gemeinsame ideologische Leitbilder (ebd.).

Hegemonie und internationale Institutionen

Internationale Organisationen (IO) tragen zu einem großen Teil zum Erhalt einer Welthegemonie bei. Für Cox sind sie ein bedeutender Mechanismus, »durch den die universellen Normen einer Welthegemonie ausgedrückt werden« (Cox 1996: 137f.). Der Zusammenhang zwischen Hegemonie und IO aus Sicht der GPE ist vielschichtig: Sie verkörpern die Regeln zur Expansion der hegemonialen Weltordnung, wie sie ihrerseits Produkt dieser Ordnung sind. Sie legitimieren ideologisch deren Normen und tragen zur Kooptation von Eliten peripherer Länder wie zur Absorption gegenhegemonialer Ideen bei (vgl. ebd.: 138). Dabei erlauben internationale Institutionen auch Anpassungen an untergeordnete Interessen, z.B. in Form von Ausnahmeregelungen im Handelssystem (vgl. ebd.).
Internationale Institutionen werden nach Cox generell von dem hegemonie-bildenden Staat initiiert bzw. müssen zumindest dessen Unterstützung besitzen (vgl. ebd.: 138). Insofern reflektieren sie letztlich die Interessen der dominanten sozialen und ökonomischen Kräfte. Über die »Hierarchie der Mächte« innerhalb der hegemonialen Weltordnung wird die Gültigkeit der Institutionen abgesichert, d.h. sie werden in gewisser Weise von einem internationalen Konsens getragen (ebd.). Als Produkt der Weltordnung verkörpern sie die Regeln, nach denen sich die Expansion der hegemonialen Ordnung vollzieht. Dabei wirken sie bei der Definition politischer Richtlinien für Staaten mit und legitimieren bestimmte Institutionen und Praktiken auf nationaler Ebene.
Eine weitere Wirkungsweise internationaler Institutionen liegt im Sinne des trasformiso (ebd.: 139): Sie unterstützen die Kooptation der Eliten peripherer Länder. Dies hat natürlich Folgen für die Handlungen dieser Gruppen, die nun in ihren Heimatländern im Sinne passiver Revolution wirken (ebd.).(9) Trasformiso bewirkt zudem eine Absorption gegenhegemonialer Ideen und passt diese der hegemonialen Doktrin an (Cox 1996: 139).




(6) Die GPE versucht insofern, die klassische Dichotomie der Theorien Internationaler Beziehungen aufzulösen, in dem sie die beiden dominierenden Analyseeinheiten des (Neo-) Realismus (die Strukturen des internationalen Systems: »3rd image«) und des (Neo-) Liberalismus (die nationalstaatlich verfassten Gesellschaften: »2nd image«) aus einer politökonomischen Perspektive dynamisch zu vermitteln sucht.

(7) Konkret bezeichnet Cox (1996:135f.) die Periode der pax britannica von 1845-75 sowie die der pax americana von 1945-1965 als hegemonial, während die Perioden ›dazwischen‹ (1875-1945 und 1965ff.) als nicht-hegemonial gelten.

(8) So verbindet Cox beispielsweise die Frage der Hegemonie mit der weltweiten Durchsetzung spezifischer Konsum-Modelle: Obwohl die Wirtschaftsmacht der USA einen relativen Rückgang erfahren hat, ist das Modell des »American way of life« mächtiger als ja zuvor. Die amerikanische Pop-Kultur vermittelt die Vorstellung eines »guten Lebens«, dass weltweit seine Nachahmer findet: ein universelles Modell des Konsums (Cox 1995: 43).

(9) Gill führt dazu an, dass viele der heutigen Regierungsmitglieder in Ländern der Dritten Welt ihre Ausbildung (im Ausland) zu einer Zeit bestritten, als an den Universitäten der westlichen Industrienationen eine konservative Grundhaltung vorherrschte und die neoliberale Wirtschaftsform zu einer »heiligen Doktrin« erhoben wurde (Gill 1995: 73). Viele der damaligen Studenten stiegen zu politischen Führern in ihren Heimatländern auf, so z.B. Präsident Salinas in Mexiko (ebd.: 73). Andere bekleiden beispielsweise Positionen bei der Weltbank oder dem IWF. Ihre Anhänger- oder Wählerschaft sind wohlhabende Stadtbewohnern ihrer Heimatländer. Dies erklärt, warum der internationale »nexus« des Neoliberalismus »has been associated the rewarding of concessions and privileges to a very small stratum of the population.« (ebd.: 73). Denn die reichen städtischen Bewohner in der Dritten Welt waren/sind die Hauptempfänger von finanziellen Hilfen und Geldern der Weltbank. So gehen beispielsweise die meisten Aufwendungen für Infrastrukturmaßnahmen an den armen Bevölkerungsteilen vorbei (vgl. ebd.: 73).


GPE und ›Globalisierung‹ weiter / zurück
 

Nachdem in den vorherigen Kapiteln die begrifflichen Grundlagen der GPE geklärt wurden, stellt sich nun die Frage, wie die GPE auf dieser Basis die aktuelle Phase der ›Globalisierung‹ analysiert.
Für Gill ist die konstante weltweite Expansion der Kapitalmacht eine der kausalen Entwicklungen für die heutigen globalen Machtstrukturen (vgl. Gill 2000: 24). Seit dem sechzehnten Jahrhundert werden dadurch alle politischen Formen in immer stärkerem Ausmaß »überdeterminiert« (ebd.). Im Kontext der »neokonservativen Revolution« (Gill 1995: 78) der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam es zu einer schrittweisen Universalisierung des neoliberalen Modells und der neoliberalen Diskurse über Wettbewerbsfähigkeit und Markteffizienz (vgl. ebd.: 82). Aus dieser Tendenz heraus entwickelte sich die »Ausdehnung eines ›neuen Konstitutionalismus des disziplinierenden Neoliberalismus‹ oder etwas allgemeiner, [...] eine weltweite Verallgemeinerung einer liberalen Verfassungsbildung« (Gill 2000: 24). Zudem kam es zu einer Restrukturierung der globalen Produktion und des weltweiten Finanzsystems. Gill fasst diese Veränderungen zusammen:

»Whereas constitutional and legal arrangements have begun to redefine the relationship between state and civil society from a neo-liberal perspective, these developments are supplemented by new organizational and other innovations, backed by coercive as well as consensual mechanisms of power at the micro-level. Both Macro- and micro-levels of power taken together help to explain the political form of disciplinary neo-liberalism.« (Gill 1995: 82).


Mit der Durchsetzung des disziplinierenden Neoliberalismus wird Wettbewerbsfähigkeit zum Schlüsselkriterium von Politik (vgl. Cox 1995: 39).(10) Dies konstituiere, argumentiert Cox, universelle Imperative wie Deregulierung, Privatisierung und die Einschränkung öffentlicher Interventionen in die wirtschaftlichen Prozesse. Der Neoliberalismus transformiert die Staaten von Puffern zwischen externen ökonomischen Kräften und den nationalstaatlichen Ökonomien zu »agencies for adapting domestic economies to the exigencies of the global economy« (ebd.: 39), ein Prozess im Rahmen einer allgemeinen »Internationalisierung des Staates« (Cox 1998: 57ff.). Somit macht sich der Markt frei von den nationalen Gesellschaften, um die globale Gesellschaft seinen Gesetzen zu unterwerfen. Die globalen Ergebnisse sind eine gestiegene Polarisation zwischen Arm und Reich, die Desintegration bestehender Sozialbande und Entfremdung (vgl. Cox 1995: 39).
Im Folgenden sollen die zentralen Begrifflichkeiten, mit denen Gill und Cox die Prozesse neoliberaler Globalisierung zu fassen versuchen, im Einzelnen dargestellt werden.

Disziplinierender Neoliberalismus


Das Konzept des disziplinierenden Neoliberalismus beschreibt die seit den siebziger Jahren voran schreitende Etablierung einer neoliberalen Weltordnung (vgl. Gill 1995: 69).(11) Das grundlegendste Merkmal dieser neuen Weltordnung ist dabei die relativ zu den Faktoren ,Staat‹ und ,Arbeit‹ stark anwachsende strukturale Macht des Kapitals (ebd.). Mit ihr setzen sich auch die entsprechenden Ideen und Ideologien in nationalen wie internationalen Diskursen durch. Dabei finden diese Eingang in die Verfahren und Organisationsformen der sozialen Schlüsselinstitutionen, in Staat, Markt und internationale Organisationen. Gill verweist hier auf die »drei ›C‹ der Macht des Kapitals«, »insofern die Regierungen bestrebt sind, ihre Glaubwürdigkeit (credibility) unter Beweis zu stellen und eine konsequente Politik (consistency) mit den Vertrauensmaßstäben der Investoren (confidence) in Übereinstimmung zu bringen« (Gill 2000: 42f.).(12) In Verbindung mit der »virtuellen Akkumulation« beinhaltet dies »die Rekonfiguration der makro- und mikroökonomischen Akkumulationsmuster« (ebd.: 43). Der Diskurs des disziplinierenden Neoliberalismus zielt darauf, »die Eigentumsrechte und Freiheiten der Investoren zu sichern und den Staat und die Arbeit unter die Disziplin des Marktes zu unterwerfen« (ebd.: 44). Mit anderen Worten werden die traditionell disziplinierenden Autoritäten (wie Staat, Familie oder Kirche) durch den Markt abgelöst, der sowohl direkt (beispielsweise durch die überlegene Verhandlungsmacht des Kapitals gegenüber der Arbeit, oder in Relation zu Staaten, die im Kampf um Investitionen gegeneinander bieten müssen) als auch indirekt (durch disziplinierende Einwirkung auf Unternehmen und/oder deren Arbeiter, oder auf Regierungen im Rahmen der Finanzmärkte) Disziplin ausübt (vgl. Gill 1995: 69). Im Zentrum steht die Glaubwürdigkeit der Politik »z.B. auf den globalen Währungs- und Kapitalmärkten« (Gill 2000: 44).

Restrukturierung der Produktion und des Finanzwesens

Nach Gill haben der Beginn einer dritten industriell-technologischen Revolution und die wachsende Macht des Kapitals seit den siebziger Jahren zu einer Restrukturierung der globalen Produktion geführt (Gill 1995: 75ff.). Zu diesem Zeitpunkt führte das sich verlangsamende ökonomische Wachstum und die einsetzende Rezession zu wachsender internationaler Konkurrenz und »intensivierter Innovation«. Es erhöhte sich also der Druck auf Nationalstaaten wie auf ökonomische Akteure (Individuen, Firmen, Gewerkschaften, Regierungen) (vgl. ebd.: 75). So wurden nationale Systeme, mit deren Hilfe die Ökonomie staatlich reguliert und kontrolliert werden konnten, durch ein integriertes und weit weniger reguliertes, globales Finanzsystem ersetzt (ebd.: 76). Obwohl der weltweite Zugang zu finanziellen Mitteln durch das geschaffene globale Finanzsystem organisatorisch ermöglicht wurde, geschieht dies jedoch auf eine stark diskriminierende und hierarchisch strukturierte Art und Weise, bei der sich kurzfristige gegenüber langfristigen Interessen durchsetzen (ebd.: 77). Auf den deregulierten Märkten setze sich eine »spekulative Kurzfrist-Mentalität« durch (ebd.: 77).

Neuer Konstitutionalismus und Internationalisierung des Staates

Der von Gill geprägte Begriff des ›neuen Konstitutionalismus‹ beschreibt die verschiedenen und komplexen Versuche, besonders von Seiten der politischen Rechten, der Wirtschaft und insbesondere des Finanzkapitals, einen weltweiten politisch-rechtlichen Rahmen im Sinne der Intensivierung marktförmiger Disziplin zu schaffen (vgl. Gill 1995: 78). Insofern kann man den neuen Konstitutionalismus auch als die »politisch-rechtliche Dimension des umfassenden Diskurses des disziplinierenden Neoliberalismus« bezeichnen (Gill 2000: 44). Diese Dimension ist von zentraler Bedeutung, da die Dominanz der neoliberalen Ideologie nicht ausreicht, um Eigentumsrechte und politische Privilegien des Kapitals weltweit zu sichern (vgl. Gill 1995: 78). Konkret beschreibt der Begriff des Neuen Konstitutionalismus dabei einen Prozess, durch den die Politik der Regierungen zunehmend der Verantwortung des internationalen Kapitals und den Bedingungen des globalen Finanzmarktes unterstellt wird (ebd.: 78). Dies geschieht über die Separierung ökonomischer und politischer Prozesse »von einer breiten politischen Verantwortlichkeit« (Gill 2000: 44), wenn beispielsweise über autonome Zentralbanken die Geldpolitik von direkter politischer Kontrolle losgelöst wird (vgl. Gill 1995: 79).
Merkmal des Neuen Konstitutionalismus ist die Neudefinition von Souveränität, politischen Organisationen und Staatsformen (ebd.: 79). Durch die Restrukturierung der globalen Produktion wie der weltweiten Machtstrukturen transformiert sich die Basis von politischer Autorität, Legitimität und Verantwortlichkeit. Dabei entfernt sie sich von der nationalen zu transnationalen bzw. globalen Ebenen. Gleichzeitig werden Verantwortlichkeit und Autorität auch innerstaatlich verändert. Es kommt also auf nationaler und globaler Ebene zu Umstrukturierungen der Staatsformen.(13) Auf der nationalen Ebene lässt sich eine Transformation vom (nationalen) Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat beobachten, dessen Prämissen der Erfolg auf dem Weltmarkt und die Attraktion von mobilem Kapital sind, was durch die Schaffung eines wirtschaftsfreundlichen Klimas mittels Steueranreizen usw. erreicht werden soll (Gill 1995: 81).(14) Damit geht eine Verschiebung der Rangordnung innerhalb der Regierungsapparate einher: Während das Finanzministerium den wichtigsten Stellenwert erringt, müssen sich die Ministerien, die sich mit Arbeit oder sozialer Sicherheit befassen, zunehmend ökonomischen Prinzipien und Kontrollmechanismen aus dem kommerziellen Leben unterwerfen (vgl. ebd.: 82). Robert Cox bezeichnet diese Transformation als »Internationalisierung des Staates« (Cox 1998: 57ff.): Es werden die staatlichen Agenturen aufgewertet, »die für die Anpassung der nationalen an die internationale Wirtschaftspolitik die Schlüsselposition ein[nehmen]«, während gleichzeitig eine »neue Einflussachse [...] die internationalen Politik-Netzwerke mit den zentralen Schlüsselagenturen der Regierung und der großen Geschäftswelt« verbindet (ebd.: 60).
Gill fasst diese Restrukturierung von Staat und Kapital auf globaler Ebene zu einem »globally integrated and competitive market-driven system« unter dem Titel der »Globalisierung der Staates« zusammen (Gill 1995: 85). Beide Dimensionen des erweiterten Staates, Zivilgesellschaft wie die Staatsapparate, werden zunehmend marktorientiert, Gesellschaft und politische Kultur zeigen sich als zunehmend individualistisch, auf Wettbewerb ausgerichtet und marktförmig diszipliniert. Die primären Formen von Disziplin kommen nicht mehr vom Staat, sondern von den Märkten (vgl. ebd.). Diese Veränderungen beinhalten das Wachstum der Kapitalmacht sowohl auf innerstaatlicher als auch internationaler Ebene innerhalb eines transnationalen Klassenbildungsprozesses (ebd.: 85): Mit der Einbindung sowohl staatlicher Strukturen, zivilgesellschaftlicher Elemente (Banken, Universitäten, Unternehmen, die Medien, politische Gruppierungen) als auch privater »international-relations councils« (z.B. Trilateral Commission und World Economic Forum), entsteht ein »transnationaler historischer Block« sozialer Kräfte, welcher zwar die internationalen Elemente der Staaten und Zivilgesellschaften vieler Nationen miteinander verbindet, der jedoch gleichzeitig klar in den führenden G 7-Staaten (insbesondere in den USA) verwurzelt ist. Gill nennt diesen transnationalen historischen Block »G 7-Nexus« (ebd.: 86). Im gramscianischen Sinn integriert dieser G 7-Nexus sowohl staatliche Akteure als auch dominante Kräfte der transnationalen Zivilgesellschaft, z. B. transnationale Unternehmen, Banken und internationale Organisationen. Diese transnationale Natur des Staates und der Politik im modernen Kapitalismus wird von den herkömmlichen Unterscheidungen zwischen »öffentlich« und »privat« und »innerstaatlich« und »international« verschleiert (vgl. ebd.: 86).

Widersprüche der neoliberalen Globalisierung

Die aktuelle Phase neoliberaler Globalisierung, die die GPE mit Begriffen wie »disziplinierendem Neoliberalismus« und »Neuen Konstitutionalismus« beschreibt, basiert also aus neogramscianischer Sicht auf der hegemonialen Durchsetzung des »neoliberalen Projekts« (Brand u.a. 2000: 59ff.) in der diskursiven Dimension, der die institutionelle Verankerung in nationalstaatlichen Transformationsprozessen wie in internationaler Organisation und Verreglung gegenübersteht (»Wettbewerbsstaat«, »Internationalisierung des Staates«, »G 7-Nexus«). Diese Elemente verbinden sich allerdings für Cox wie Gill (noch) nicht zu einer neuen hegemonialen Weltordnung. Zwar sehen sie eine gewisse Universalisierung des partikularen, neoliberalen Denkschemas und Gill spricht von einem etablierten transnationalen historischen Block. Nichtsdestotrotz sehen sie aber die Bedingungen für eine neue Hegemonie nicht erfüllt: Die Folgen der neoliberalen Globalisierung erscheinen in mehrerer Hinsicht als zu widersprüchlich und desintegrierend, als dass diese als Basis einer stabilen, globalen Hegemonie dienen könnte. Zum Abschluss sollen diese Widersprüche, die ihrerseits den Ausgangspunkt für gegenhegemoniale Strategien bilden, aufgelistet werden.
(a) Die neoliberal angeleitete Integration der Welt führt gleichzeitig zu sozialer Desintegration und politischer Fragmentierung. Zwar stützt sich die Dominanz der »Marktdisziplin« auf die weitgehende Universalisierung von laissez faire-Ideen und -Handlungsweisen sowie auf eine politisch aktive Minderheit der Weltbevölkerung (Gill 1995: 69). Die damit einhergehende Zerstörung bisheriger Sets aus sozialen Arrangements und Staatsformen zeitigt allerdings für eine Mehrheit der Menschen hochgradig negative soziale Auswirkungen:

»Für das Gros der Gesellschaft erhöht sich über die mikroökonomische Disziplin des disziplinierenden Neoliberalismus tendenziell der Anpassungsdruck, da die soziale Absicherung [...] zurückgedrängt wird« (Gill 2000: 43).

Da das neoliberale Modell auf Institutionen und Verfahren fußt, die eine sozial-darwinistische Neuordnung von Prioritäten, politischen Handlungsweisen und Konsequenzen fördern (Gill 1995: 70), bedeutet es eine rapide Vertiefung sozialer Ungleichheiten innerhalb sozialer Formationen, sowohl auf innerstaatlicher als auch auf zwischenstaatlicher Ebene. Damit geht eine wachsende Desillusionierung und Enttäuschung über die konventionellen Politikformen einher (ebd.).
(b) Nach Gill sind es gerade die Akteure, die am meisten vom Neoliberalismus profitieren – nämlich die Akteure des Finanzsektors und Kreditwesens –, die den neoliberalen Diskurs de facto in Frage stellen. Es sind insbesondere ihre Praktiken, die zu den weltweiten deflationären/ rezessiven Tendenzen, zur beschleunigten Restrukturierung der Produktion sowie zu Massenarbeitslosigkeit und sozialer Unruhe beitragen (Gill 1995: 93).
(c) Gill spricht von der Unmöglichkeit einer vollständig neoliberalisierten Welt. Denn Neuer Konstitutionalismus und disziplinierender Neoliberalismus untergraben die wirtschaftliche Souveränität der Staaten, auf die der Markt letztlich noch immer angewiesen ist. Die Politik bindet sich selbst die Hände und versagt sich somit auch die Flexibilität, um auf ökonomische Konditionen reagieren zu können (ebd.: 93).
(d) Nach Gill und Cox hat sich (noch) keine spezifische Kapitalismus-Variante als eindeutig für die heutige Weltordnung überlegen durchgesetzt (vgl. Cox 1995: 38). Es ist noch nicht ausgemacht, welches Kapitalismus-Modell den Veränderungen der Weltordnung am besten begegnet. Dabei sieht Gill ein Ringen zwischen der sozialdarwinistischen Konzeption und deren laissez faire-Mentalität auf der einen Seite und anderen Formen »sozialer Strukturen der Akkumulation und industrieller Organisation« (dem kontinentaleuropäisch-»rheinischen« und dem ostasiatisch bürokratisch-autoritären Kapitalismus) (Gill 1995: 94; vgl. Cox 1995: 38).
(e) Besonders markant sind die Probleme der versuchten hegemonialen Verankerung des neoliberalen Modells per »passiver Revolution« in den Ländern der Peripherie. So führt beispielsweise die neoliberalen »marketization« in Osteuropa, Gill zufolge, zu einer Kombination aus weit verbreiteter Desillusionierung und Verdruss, was sich im Aufleben von Populismus, Rassismus, Faschismus und Kriminalität niederschlägt (Gill 1995: 94). Allgemein zerstört die extern forcierte Strukturanpassung in Lateinamerika, Afrika und in der ehemaligen ›Zweiten Welt‹ vorhandene staatliche Kapazitäten, was zur Bildung neuer sozialer Bewegungen und politischen Parteien führt (ebd.: 94). Diese setzen sich u.a. aus Naturschützern, Frauenbewegungen und Arbeiterverbänden/ Gewerkschaften zusammen. Indem sich einige dieser zivilen Kräfte dem Druck der neoliberalen Orthodoxie entgegenstellen, wenden sie sich gegen den neoliberalen trasformismo der peripheren Eliten, der insbesondere über die (Hilfs- und Kredit-) Zahlungen der Internationalen Finanzorganisationen wie der reichen Länder durchgesetzt wird (ebd.: 94f.).
(f) Cox spricht von vielen Rissen in der Weltgesellschaft, aus denen sich Gegenbewegungen entwickeln können (Cox 1995: 39). Dabei hebt er besonders die Restrukturierung der Produktion hervor (ebd.: 40). Durch die Globalisierung der Produktion von Waren und Leistungen wurden nationale Begrenzungen der Rationalität der globalen Produktionsprozesse untergeordnet. Diese Prozesse sind nicht mehr nur innerhalb der Bürokratien multinationaler Unternehmen definiert, sondern sie werden auch zusehends durch flexible Netzwerke bearbeitet (vgl. ebd.). Aus dieser Arbeitsweise ergeben sich für Cox drei Konsequenzen: Erstens lässt sich die Zentrum/Peripherie-Metapher jetzt exakt auf soziale Beziehungen anwenden: Die neuen Organisationsformen der Produktion verfügen nur noch über einen sehr geringen Kernkreis von Angestellten, während die Zahl peripherer Arbeitskräfte (mit nur unsicherer Verbindung zum Produktionsnetzwerk) sehr hoch ist. Ein Ergebnis dieser Auftrennung ist die Schwächung des Zusammenhalts und der Macht der Arbeiterbewegungen, insbesondere, da diese peripheren Arbeitskräfte intern wiederum nach geographischen und ethnischen Merkmalen wie nach Geschlecht fragmentiert sind (vgl. ebd.: 40). Zweitens kommt es zu einer enormen Marginalisierung eines großen Teils der weltweiten Bevölkerung, der nicht effektiv in die globale Ökonomie integriert ist (ebd.: 40). Dadurch könnten große Teile der Weltbevölkerung für den globalen Produktionsprozess überflüssig werden (vgl. ebd.: 40). Es ist mehr als fraglich, ob es dauerhaft gelingen kann, diese Situation – statt sie durch ökonomische Entwicklungsprogramme zu bearbeiten – lediglich über »globale Armutslinderung und Unruhenkontrolle« unter Kontrolle zu halten (vgl. ebd.: 41). Als logische, dritte Konsequenz ergibt sich eine massenhafte Migration von Süd nach Nord, sowie von Ost nach West. So steht heute das Thema Migration in den Ländern, die diese Bevölkerungsmassen aufnehmen müssen, im Zentrum der politischen Agenda. Dabei lassen sich sowohl großzügige Stimmungen als auch aggressives Verhalten beobachten. Letzteres vor allem in der Angst begründet, durch die Aufnahme der Menschen in Rezessionszeiten selbst überdurchschnittliche Belastungen meistern zu müssen (vgl. ebd.: 41).
(g) Ein weiterer Widerspruch ist die durch »die Disziplin des Kapitals« intensivierte Ausbeutung und Zerstörung der Natur (Gill 2000: 44). Cox spricht erstens von einem »environmental« Neo-Kolonialismus, da es durch die globale Dominanz wirtschaftlicher Interessen zu einer aggressiven Suche nach Rohstoffen kommt (Cox 1995: 42). Die dominanten Gesellschaften gehen zu wissensintensiver Produktion über und verlagern verschmutzungs- und energieintensive Prozesse in die newly industrializing countries (NICs). Insgesamt werden die sozialen Verhaltensweisen, v.a. die westlichen Entwicklungs- und Konsum-Modelle, in Frage gestellt (ebd.: 43).




(10) Dabei geht es um eine allgemeine Intensivierung internationaler Konkurrenz, die Unternehmen wie Staaten betrifft. So spricht Gill z.B. von einem Wettbewerb zwischen verschiedenen Staatsformen, »in the sense of their ability to attract and retain flows of mobile capital and investment, and in terms of the appropriateness of their social structure of accumulation for social cohesion and economic growth.« (Gill 1995: 71).

(11) Demnach ist es dem (anglo-amerikanischen) Neoliberalismus gelungen, seit Beginn der globalen ökonomischen Krise Anfang der siebziger Jahre auf globaler Ebene die Oberhand zu gewinnen (Gill 1995: 70).

(12) Gill spricht in diesem Zusammenhang davon, dass »credibility with the financial markets« für die Regierungen vielleicht wichtiger als »credibility with voters« geworden ist (Gill 1995: 79).

(13) Gill nennt zwei zusammenhängende Schlüsselelemente, die die oben genannten Entwicklungen voran treiben. Zum einen die andauernde lokale, regionale und nationale Fiskalkrise der Staaten, zum anderen den sich verändernden strukturellen Druck des globalen Finanzmarktes, welcher den staatlichen Budgets deutliche Zwänge auferlegt (Gill 1995: 80).

(14) Gill spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Wechsel vom merkantilistischen Entwicklungsstaat hin zu zunehmend globalisierten, neoliberalen staatlichen Strukturen (Gill 1995: 84). In diesem Sinne werden nationale Entscheidungen und öffentliche Ziele immer öfter extern ausgerichteten (ökonomischen) Überlegungen untergeordnet – am deutlichsten in Form der Unterordnung der Länder der Peripherie unter die Strukturanpassungsauflagen von IWF und Weltbank (vgl. ebd.).

Offene Fragen und die Perspektiven »Internationalen Protests« weiter / zurück
 

Zum Abschluss dieser Arbeit sollen zunächst ein paar offene Fragen angesprochen werden, die theoretisch-konzeptionelle Unklarheiten der GPE betrifft (a), bevor aus der neogramscianischen Perspektive einige Schlussfolgerungen für die Perspektiven »Internationalen Protests« gezogen werden (b).
(a) Die Übertragung der gramscianischen Konzepte auf die internationale Ebene erscheint als theoretisch durchaus fruchtbar. Der Hegemonie-Begriff macht es möglich, über die eindimensionalen Bahnen der herkömmlichen, staatszentrierten IB-Analysen hinauszugehen, um dabei gleichzeitig eine materialistische Herangehensweise sozialkonstruktivistisch zu unterfüttern und umgekehrt. Ein gramscianischer Begriff der Zivilgesellschaft zwingt dazu, die dominierende Perspektive von (»guter«) Zivilgesellschaft und (»schlechter«) Staatenwelt als einander gegenüberstehenden Sphären zu überwinden und sowohl die vielfältigen Verbindungen zwischen zivilgesellschaftlicher und staatlicher Sphäre sowie die interne Fragmentierung und Hierarchisierung beider Seiten in den Blick zu nehmen. Hier zeigen sich allerdings auch begriffliche Probleme, die aus der Übertragung von für den Nationalstaat entwickelten Konzepten auf die internationale Ebene resultieren und als bisher nicht ausreichend geklärt erscheinen. Diese betreffen die drei zentralen Kategorien Hegemonie, Zivilgesellschaft und Staat.
Zum Ersten ist der auf die gesamte Weltordnung bezogene Hegemoniebegriff konzeptionell außerordentlich allumfassend. Dadurch droht er einiges an analytischer Schärfe zu verlieren. Eine begriffliche Binnendifferenzierung erscheint notwendig, da sich Hegemoniebildung auf verschiedene Dimensionen bezieht, insbesondere auf die Herausbildung hegemonialer Leitbilder und Denkschemata sowie die reale Einbindung subalterner Gruppen durch materielle Konzessionen. Die aktuelle Phase der neoliberalen Globalisierung macht deutlich, dass die einfache Dichotomie von hegemonialen und nicht-hegemonialen Weltordnungen nicht ausreicht. Gleichzeitig setzen sich die Autoren der GPE nicht ausreichend mit den grundsätzlichen theoretischen Problemen auseinander, die die Übertragung des Hegemoniekonzepts auf die internationale Ebene impliziert, auf eine Ebene also, wo an Stelle des nationalstaatlichen Rahmens höchstens ein recht diffuses und heterogenes Netz aus inter- und supranationaler Staatlichkeit und ›internationaler Zivilgesellschaft‹ existiert.
Zum Zweiten bleiben also die Begriffe von Zivilgesellschaft und Staat kaum geklärt. Aus einer gramscianischen Perspektive ist es zunächst überhaupt nicht einleuchtend, von internationaler, transnationaler oder globaler Zivilgesellschaft zu sprechen, wenn man nicht gleichzeitig von einem internationalen, transnationalen oder globalen Staat spricht. Eine einfache Übertragung der Begriffe ist demnach nicht möglich. Es wäre vielmehr unbedingt notwendig, die Strukturen von Staatlichkeit auf supranationaler Ebene theoretisch genauer in den Blick zu nehmen, als dies die GPE (nur sehr allgemein und ohne explizite Staatstheorie) tut. Ebenso nötig erscheint es, die verschiedenen Zivilgesellschaftsbegriffe zu klären. Die ›Transferprobleme‹, die die Übertragung auf die internationale Ebene zwangsläufig erzeugt, müssen offen angesprochen werden, um konzeptionell geklärt werden zu können.
(b) Die Perspektiven für »Internationalen Protest« im Zeitalter der Globalisierung sind aus neogramscianischer Sichtweise zwiespältig. So bildet die Hegemonie neoliberaler Denkschemata eine schwere Hürde, insbesondere da der ›reale Neoliberalismus‹ seine Fähigkeit zur Inkorporation alternativer Vorstellungen wie zum trasformismo von Opponenten in der Vergangenheit eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Dabei muss eine gegenhegemoniale Strategie das Kunststück unternehmen, sich klar außerhalb des neoliberalen Konsenses zu positionieren, mit ihren Alternativen dabei aber gleichzeitig insofern ›anschlussfähig‹ zu sein, dass sie in die hegemonialen Diskurse wirkungsmächtig eingreifen kann. Die wichtigsten Chancen scheinen dabei in den ›realen Konsequenzen‹ der neoliberalen Globalisierung zu liegen, die die Etablierung einer umfassend hegemonialen Weltordnung auf dieser Basis in der Tat als kaum möglich erscheinen lassen. Nicht zufällig sind es die spektakulären Ausdrücke der realen Krisenhaftigkeit wie beispielsweise Finanz- und Währungskrisen, die einen Ansatzpunkt für internationale Protestbewegungen bieten. Der Chance, die in der Stärkung durch internationale Vernetzung und Kooperation liegt, steht dabei allerdings das Problem gegenüber, dass die Aufgabe der Formulierung von einleuchtenden alternativen Weltordnungsentwürfen zwar kaum möglich ist, aber nichtsdestotrotz immer wieder verlangt wird.
Ein hartes Problem ist auch der Umgang mit den Strukturen supranationaler Staatlichkeit, die schon begrifflich für Akteure der »internationalen Zivilgesellschaft« von zentraler Bedeutung sind. Wie soll eine gegenhegemoniale Strategie mit Organisationen wie IWF, Weltbank und WTO umgehen, die die neoliberale Ideologie wie kaum andere verkörpern, ohne die aber – solange die Schaffung völlig neuer internationaler Organisationen ferne Zukunftsmusik ist – entsprechende alternative Gegenentwürfe für die internationale Ebene kaum möglich sein dürften? Dies soll zum Abschluss an einem konkreten Problem erläutert werden:
Der neogramscianische Ansatz und insbesondere Cox macht klar, dass internationale Institutionen eine zentrale Rolle bei der Etablierung und Aufrechterhaltung einer hegemonialen Weltordnung spielen. In diesem Sinn werden diese auch für einen gegenhegemonial ausgerichteten »Internationalen Protest« zu bedeutenden Zielen wie Terrains der Auseinandersetzung. Das Agieren gegen, mit und in den macht- und interessenförmig strukturierten und im Sinne der wirkungsmächtigen Hegemonie ausgerichteten Organisationen stellt sich allerdings als problematisch heraus, wie beispielsweise die Auseinandersetzung innerhalb der ›globalisierungskritischen Bewegung‹ um die Forderung nach Abschaffung bzw. Reform von IWF, Weltbank und WTO zeigt. Aus GPE-Sicht dürfte auch eine gegenhegemoniale Allianz ihrerseits auf internationale Institutionen angewiesen sein. Während die Internationalen Finanz- und Wirtschaftsorganisationen von einer solchen Rolle zu weit entfernt sein dürften, böte sich die UN geradezu an. Allerdings verstärkt der – realpolitisch vollkommen begründete – Fokus der ›Globalisierungskritiker‹ auf IWF & Co. genau im gegenteiligen Sinn die Marginalisierung der UN. Gleichzeitig nimmt sich die UN unter Generalsekretär Annan explizit die Aufgabe vor, sich an der wirklich hegemonialen Verankerung der aktuellen Weltordnung zu beteiligen, wie beispielsweise die Global Compact-Initiative zeigt, die Annan zufolge auf der (durchaus neogramscianischen) Erkenntnis aufbaut, »dass Globalisierung nur gesichert werden könne, wenn sie sich auf einen breiten Konsens stütze, und dass ein solcher Konsens auf den Bemühungen aufbauen müsse, die Wohlfahrt aller zu sichern« (Paul 2001:124). Wäre es nicht eine zentrale, wenn auch mehr als schwierige Aufgabe einer gegenhegemonialen Strategie, den doppelten Trend – der Marginalisierung und Neoliberalisierung der UN umzukehren –, um diese als Terrain und Akteur alternativer Diskurse und Handlungen auf internationaler Ebene zu gewinnen (vgl. Paul 2001: 128)?
Insgesamt zeigt die neogramscianische Analyse eher die Hürden und Hindernisse »Internationalen Protests« auf, als dass sie Lösungsstrategien aufzeigt. Dass liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Perspektive des Hegemoniekonzepts auf die Stabilität kapitalistischer Formationen bzw. der Transformation bei grundsätzlicher Reproduktion richtet. Um die enormen Schwierigkeiten gegen- oder gar anti- bzw. post-hegemonialer (Protest-) Strategien klar zu machen, bietet die GPE allerdings wertvolle Einsichten.


 

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Overbeck, Henk 2000: Transnational historical materialism. Theories of transnational class formation and world order, in: Palan, Ronen (Hg.): Global Political Economy. Contemporary theories, London/New York, S. 168-183.

Paul, James A. 2001: Der Weg zum Global Compact. Zur Annäherung von UNO und multinationalen Unternehmen, in: Brühl, Tanja u.a. (Hg.): Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Bonn, S. 104-129.

Röttger, Bernd 1997: Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation. Die politische Konstitution des Marktes, Münster.

 
     
Protestbewegungen im globalen Kapitalismus.
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