Kontroversen um die »globalisierungskritische Bewegung« | ende inhalt |
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Simone Buckel und Christopher Vogel | ||
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Die gegenwärtige globalisierungskritische
Bewegung zeichnet sich vor allem durch ihre ungeheure Bandbreite aus.
Aufgrund dieser Vielfalt (oder ›Multitude‹ wie sie Michael
Hardt und Antonio Negri in ihrem Buch ›Empire‹ nennen) von
Organisationen, Parteien, Initiativen, Bewegungen und Einzelpersonen,
die unter diesem Begriff subsumiert werden, ist es notwendig, sich sowohl
die verschiedenen Fraktionen (siehe dazu die anderen Beiträge) als
auch die inhaltlichen Kontroversen zwischen den Gruppen genauer anzuschauen.
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Die Nichtregierungsorganisationen / NGOs | weiter / zurück | |
Der Lobbyismus der NGOs Wie schon angedeutet wäre es verkürzt, allgemeine Aussagen über die globalisierungskritische Bewegung zu treffen. Dasselbe gilt für all jene Organisationen und Gruppen, die wir hier unter dem Label NGOs verhandeln. Der Begriff ›NGO‹ ist nicht geschützt und so tummeln sich hier die verschiedensten Zusammenschlüsse. Die Spannbreite reicht von linken und sehr kritischen Organisationen über kirchliche, karitative und reformorientierte Gruppen bis hin zu Gründungen von Unternehmensverbänden. In der Art und Weise wie Politik verstanden und betrieben wird, herrschen jedoch Gemeinsamkeiten, die wir hier als Lobbyismus beschreiben möchten. Eigentlich war der Begriff Lobby einst negativ besetzt. Man dachte an Unternehmenszusammenschlüsse, die in den Hinterzimmern von Parlamenten versuchten, ihre Interessen durchzusetzen. In den 90er Jahren wurde er aber zunehmend positiv aufgeladen. Entwicklungspolitische NGOs bezeichneten sich selbst als »Lobby für die Armen« oder als »Lobby für die Umwelt«. So versuchte und versucht man durch die Kraft des besseren bzw. richtigen Argumentes die EntscheidungsträgerInnen der »offiziellen« Politik zu überzeugen und durch massenmedial ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit im Diskurs um Globalisierung Begriffe zu besetzen, Meinungen zu prägen und ein neues Bewusstsein in den Bevölkerungen zu verankern. »Der Lobbyismus war und ist für das Politikverständnis der großen Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen zentral.« (buko postionen zu lobbykritik 2002). Um sich besser vorstellen zu können, wie das in der Praxis aussieht, hier einige kurze Beispiele: Die UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 und der lokale Agenda 21-Prozess Die auf der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung (engl.
UNCED) in Rio 1992 verabschiedeten Abkommen und Absichtserklärungen
wurden von allen damaligen Beteiligten als Wendepunkt internationaler
Politik gefeiert. In Bezug auf Globalisierung und Umwelt wurde das Kriterium
»Nachhaltigkeit« eingeführt, ein Containerbegriff, der
sich von allen Seiten vereinnahmen ließ und bis heute in den seltensten
Fällen mit Sinn gefüllt wird. Laut UNCED sollten bis Ende 1996
in allen Kommunen die Beschlüsse der Agenda 21 in Rio lokal umgesetzt
bzw. Fahrpläne, wie dies zu tun sei entwickelt werden. Unter Beteiligung
aller relevanten ProtagonistInnen der sog. Zivilgesellschaft sollte konsensorientiert
Entscheidungen getroffen werden. Gerade NGOs, die an der Konferenz sehr
stark beteiligt waren, feierten ein neues Politikverständnis. Nicht
mehr nur PolitikerInnen sollten über das Schicksal der Menschheit
entscheiden, sondern alle. Nicht mehr nur ökonomische Interessen
sollten die Globalisierung bestimmen, sondern auch ökologische und
soziale Nachhaltigkeit (wie gesagt, was immer das bedeuten mag). So schwärmte
der BUND: »Man hätte es der internationalen Bürokratie
kaum zugetraut, aber sie hat es entworfen: ein Konzept, das einer revolutionären
Umwälzung gleichkommt.« (zitiert nach: Stock 1998, S.7) Zugleich
setzte ein lokales Agenda Fieber in der entwicklungs- und umweltpolitischen
Szene ein. Trotz aller Zuversicht regte sich Kritik an den lokalen runden
Tischen:
Das Scheitern des MAI war kein Verdienst von NGOs, auch
wenn sie sich den Erfolg auf ihre Fahnen schrieben. Le Mond diplomatique
bezeichnete den Abbruch der OECD-Verhandlungen gar als einen »unbestreitbaren
Sieg der Bürgerinitiativen, die in zahlreichen Ländern und insbesondere
in Frankreich die Öffentlichkeit mobilisiert haben.« (Le monde
diplomatique vom 11.12.98) Auch die taz beschrieb das Ende des MAI als
»Erfolg des Widerstands der Intellektuellen und Kulturschaffenden.«
(taz vom 15.19 1998) Doch ähnlich wie bei der WTO-Tagung von Seattle
wurden die unterschiedlichen nationalen Interessen unüberwindbar,
so dass sich kein Abkommen verabschieden ließ.
Ein weitere »Erfolg« der globalisierungskritischen
NGO-Szene soll die exemplarische Darstellung der Lobbyaktivitäten
zunächst abrunden. Auf dem Kölner G8-Treffen 1998 verkündeten
die anwesenden Regierungschefs der führenden Industriestaaten einen
teilweisen Schuldenerlass für die »am höchsten verschuldeten
Länder« der Welt. Damit wurde zumindest teilweise eine Forderung
der internationalen NGO-Kampagne ›Jubilee 2000‹ erfüllt.
In Köln selbst hatten sich am Tag zuvor 20000 Menschen, darunter
auch BMZ-Ministerin Wieczorek-Zeul, die Hand gereicht und eine Menschenkette
um den Tagungsort gebildet, um der Forderung nach einem Schuldenerlass
für 3.Welt Länder Nachdruck zu verleihen. Die Botschaft kam
bei den Adressaten an und Bundeskanzler Schröder bedankte sich im
Anschluss für das bürgerschaftliche Engagement der Kampagne.
Dass der Schuldenerlass an Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank
und an die Beteiligung der ›Zivilgesellschaft‹ geknüpft
worden war, verzeichneten westliche NGOs als Erfolg (auch wenn die damit
einhergehende Stärkung von IWF und Weltbank kritisiert wurde). Dieser
Erfolg sei das Ergebnis von »politischer Hintergrundarbeit«,
dadurch habe die Kampagne die Verschuldung zu »einem Gegenstand
der politischen Debatte« gemacht. Doch regte sich auch innerhalb der Kampagne Kritik an der Vorgehensweise. Die im ›Jubilee South‹-Bündnis organisierten Gruppen aus der 3. Welt, die ein Teil von Jubilee 2000 waren, kritisierten von Anbeginn die Vorgehensweise und Argumentation der Nord-NGOs: »Wir schulden nichts und wollen nichts zahlen.« Jubilee South benannte auch die Ursachen der Verschuldung. Für sie liegen »die Wurzeln der Schulden in der Versklavung und der Kolonisierung unserer Länder.« Während die einen auf Lobbyarbeit bei PolitikerInnen, IWF und Weltbank setzten, forderten die anderen Basisarbeit und eine Bewegung der Massen der Armen weltweit mit eindeutiger Zielrichtung: »Jubilee South will eine Abschaffung des Kapitalismus.« Von der Zusammenarbeit mit den NGOs aus dem Norden zeigte man sich enttäuscht:
»Seit dem Ende des Kalten Krieges konnte man Zeuge werden, wie viele ehemalige Verbündete im Norden, eingeschlossen Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, angesichts des aggressiven Neoliberalismus eine Form der kollektiven und unbewussten Zensur betreiben. (...) Bisweilen sind ihre neuen Diskurse kaum noch von denen ihrer Regierungen zu unterscheiden. (...) Genug der karitativen Annäherungen, des verschwommenen Mitgefühls und der seichten symbolischen Besuche der ›Partner‹ im Süden, um dort Raum einzunehmen und Tagesordnungen zu verabschieden, die vom Norden bestimmt werden. Das ist keine Partnerschaft. (...) Wir fragen nicht nach Vermittlung oder Unterstützung für Lobbyarbeit. Wir fordern Solidarität, und das ist etwas völlig anderes.« (alle Zitate bei Klas 1999, S.9 ff.) Betreibt man Stellvertreterpolitik für Menschen in der 3. Welt macht es sich gut, wenn eben solche ihre Unterschriften unter Resolutionen setzen und bei Kongressen auftreten. Dass deren Forderungen zum Teil radikaler sind als die eigenen, wird dann geflissentlich ignoriert. So finden sich auch die Forderungen und Einschätzungen von Jubilee South nicht in den offiziellen Verlautbarungen von Jubilee 2000 wieder. Doch auch die radikale Linke wurde von Jubilee South kritisiert, weil sie sich absolut desinteressiert an der Entschuldungsforderung zeigte und so das Feld den reformorientierten NGOs überließ, ohne eigene, kritische Positionen in den Diskurs einzubringen. Shake-hands mit den Mächtigen der Welt Um die Zielgruppe von den eigenen Zielen überzeugen
zu können, setzen die NGOs auf die Kraft des besseren Argumentes
und des Vorteils für alle Beteiligten. Zwischen VertreterInnen der
Zielgruppe und den LobbyistInnen »herrscht ein Geben und Nehmen.«
(ebd.) Für die Zielgruppen »muss sich der Kontakt insoweit
lohnen, als seine Informationslücken gefüllt werden, er einen
Informationsvorsprung gewinnt oder seine Position in der Öffentlichkeit
gestärkt wird. Es wird unterstellt, dass VertreterInnen der Zielgruppe
genauso handeln würden wie der/die LobbyistIn, sobald die besseren
Argumente auf dem Tisch sind. In dieser Logik ist es unsinnig, NGOs vorzuwerfen,
sie würden den Kapitalismus nicht grundsätzlich kritisieren.
Wenn ich mich auf Verhandlungen mit einem Manager eines transnationalen
Konzerns an einen Verhandlungstisch setze, will dieser natürlich
nicht hören, dass sein Konzern Teil des großen Übels ist.
Der Staat soll es richten In unseren Augen ist aber das problematischste an
der Lobbypolitik die Legitimierung staatlicher Politik. Durch die eigene
Beteiligung an internationalen Abkommen wird diesen ein Anstrich von Demokratie
verliehen (schließlich war ja auch die ›Zivilgesellschaft‹
daran beteiligt). So wurden im Kosovokrieg die militärische Intervention
der Nato durch »humanitäre« NGOs abgefedert.
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Antikapitalismus oder Antiglobalisierung ? | weiter / zurück | |
Die zweite große Kontroverse, die innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung geführt wird, dreht sich um die Frage der ›richtigen‹ bzw. der ›vollständigen‹ versus ›verkürzter‹ Kapitalismuskritik. Denn die verschiedenen Strömungen innerhalb dieser Bewegung haben durchaus gemeinsam, dass sie Widersprüche im Prozess der kapitalistischen Globalisierung zum Ausgangspunkt ihres Handelns erklären. Allerdings unterscheiden sie sich sehr deutlich in ihrer Analyse und damit auch in den Forderungen, die daraus entwickelt werden. Beides wollen wir im Folgenden genauer skizzieren. Exemplarisch lässt sich dies am Netzwerk Attac verdeutlichen, denn Attac ist nicht nur ein in sich heterogenes Bündnis, indem sich unterschiedliche Strömungen ›streiten‹, sondern es ist auch das Bündnis, das in den öffentlichen Medien die meiste Beachtung findet, und auch in der linken Presse kontrovers diskutiert wird. Zunächst unternehmen wir jedoch den Versuch, die unterschiedlichen Positionen bezüglich des kapitalistischen Systems und was denn daran zu kritisieren sei zu beschreiben. Globalisierungskritisch? Antikapitalistisch Der wohl größere Teil der sogenannten globalisierungskritischen
Bewegung stellt nicht so sehr das kapitalistische System an sich in Frage,
sondern plädiert für eine ›humanere‹ Gestaltung
der ökonomischen Globalisierung. Kritisiert werden in erster Linie
die negativen Folgen der Globalisierung und entsprechend werden Forderungen
vornehmlich an Institutionen, sowohl auf nationaler als auch internationaler
Ebene, gerichtet. Ullrich Brand unterscheidet die anti-neoliberale (nicht
zu verwechseln mit der antikapitalistischen) Bewegung (also die Gruppen
und Einzelpersonen, die ihr Augenmerk und ihre Kritik auf die negativen
Folgen der Globalisierung richten) in drei Typen: - links-keynesianische Gruppierungen, die versuchen, intellektuelle Kritik und soziale Bewegungen aufeinander zu beziehen, das System des Kapitalismus aber kaum hinterfragen; - das Netzwerk Attac, das mit konkreten Vorschlägen
(z.B. Tobintax) das Projekt der neoliberalen Globalisierung zu verbessern
sucht und in seiner Analyse in einem reduzierten Krisenbegriff stecken
bleibt. Gemeinsam ist diesen drei Typen, dass sie sich selbst zwar
jenseits der Realpolitik verorten, ihre Forderungen aber durchaus an realpolitische
Institutionen und nationalstaatliche Regierungen richten. Im Zentrum steht
die Handlungs- und Bündnisfähigkeit sozialer Bewegungen, die
trotz politischer Heterogenität in den jeweiligen Reihen, durch einfache
Formeln und die Benennung gemeinsamer Gegner (wie z.B. Banken, Großkonzerne,
IWF, WTO) erhalten wird. Auf den großen Demonstrationen gegen das
neoliberale Projekt (Seattle, Prag, Göteborg, Genua etc.) stellten
sie die Mehrheit und fanden für manche Forderungen auch die Zustimmung
namhafter Politiker, wie z.B. Oskar Lafontaine oder auch Gerhard Schröder.
Auf der antikapitalistischen Seite der globalisierungskritischen Bewegung finden wir die Gruppen und Einzelpersonen, die den Kapitalismus als System in Frage stellen und seine Überwindung als erklärtes Ziel verfolgen. Hierzu gehören verschiedene linksradikale Gruppierungen, die vom autonomen Spektrum bis zu sozialistischen Organisationen/Parteien reichen. Ebenso wie die antineoliberale Seite verorten sie sich jenseits der Realpolitik. Zielgruppe etwaiger Kampagnen ist jedoch die Bevölkerung und nicht staatliche und überstaatliche Institutionen. Dies trifft vor allem auf die traditionsmarxistischen Gruppen (wie SAV und Linksruck) und die radikalen KapitalismuskritikerInnen (wie etwa die sogenannten Autonomen) zu. Als Forum für die eigenen Inhalte dienen in erster Linie internationale und auch lokale Protestkundgebungen. Mit einfachen Slogans wie »Gegen Privatisierung und Sozialabbau« oder »Brecht die Macht der Banken und Konzerne« und agitatorischen Flugblättern soll medienwirksam die Bevölkerung angesprochen werden. Andere wiederum interessieren sich weniger für die Vermittelbarkeit der eigenen Politik, sondern eher für direkte Aktionen und die Auslebung des eigenen Widerstandes. Die VertreteInnen der postmodernen Theorie suchen eher die Auseinandersetzung mit den AkteurInnen sozialer Bewegungen, die einen emanzipatorischen Anspruch haben. Dies geschieht in Form von Konferenzen und diversen schriftlichen Publikationen, die als Diskussionsforen verstanden werden. Aber auch mit Pink & Silver als Aktionsform hat diese Strömung mittlerweile ihren Platz auf Demonstrationen gefunden. Wer hat die längste Kapitalismuskritik? Das wohl am häufigsten gebrauchte Adjektiv in der Auseinandersetzung um die ›wahre Kapitalismusanalyse‹ ist das Wörtchen ›verkürzt‹. Die Gruppe I.N.K.A.K. aus Hamburg (Institut für nachhaltige Kapitalismuskritik) hat sogar eine Broschüre herausgegeben mit dem Titel »Kritik der verkürzten Kapitalismuskritik«, in der sie neben der Kritik des Verkürzten auch »Perspektiven des Unverkürzten« vorstellen. ›Verkürzt‹ ertönt immer dann, wenn man/frau wichtige Kritikpunkte missachtet, ignoriert oder vereinfacht dargestellt sieht. Der Vorwurf der verkürzten Kritik kommt vornehmlich aus den Reihen, der sich theoretisch mit dem thematischen Komplex der Globalisierung auseinandersetzenden Gruppen und Einzelpersonen. Dabei muss unterschieden werden zwischen der Kritik an eher aktionsorientierten Gruppen wie Attac oder Linksruck, denen häufig Theorielosigkeit und/oder vereinfachte Darstellungen vorgeworfen werden, und der Auseinandersetzung unter Theorielinken, die sich gegenseitig auf ihre analytischen Defizite aufmerksam machen. Kritik an Attac Die bürgerliche Presse sah in dem Netzwerk Attac sehr
schnell das Zentrum der ›neuen Bewegung‹. Die schnell wachsende
Anzahl der Mitglieder sowie die bundesweite Gründung lokaler Attacgruppen,
führte dazu, dass die linke Debatte um die globalisierungskritische
Bewegung von der Auseinandersetzung mit diesem Netzwerk dominiert wurde. Markus Wissen fasst die Kernaussagen von Attac folgendermaßen
zusammen: Wie bereits oben benannt, ist der zweite zentrale Kritikpunkt
die Analyse von Produktion und Spekulation. Laut Attac sind die internationalen
Finanzmärkte massgeblich für die ökonomischen Krisen der
letzten Jahre verantwortlich. Zu ihrer demokratischen Kontrolle macht
Attac eine Reihe von konkreten Vorschlägen: Die Einführung einer
Steuer auf internationale Finanztransaktionen (Tobinsteuer), die Schließung
von Steueroasen, die Regulierung von Derivaten, das Verbot von hochspekulativen
Fonds, die Stabilisierung von Wechselkursen. Kritisiert wird damit in
erster Linie der Abzug von Geld aus der Produktion: »Rund 97% dieses
Betrages [der Devisenumsätze auf den Weltkapitalmärkten] dienen
nicht mehr produktiven, sondern rein spekulativen Zwecken, und haben sich
damit weitgehend von ihrer primären Funktion – der Finanzierung
von Handel und Dienstleistungen – entfernt. [...] Internationale
Finanzmärkte müssen wieder ihrer primären Funktion, der
Finanzierung von Handel und Dienstleistungen, zugeführt und angemessen
besteuert werden, um eine weltweit sozial gerechte und nachhaltige Entwicklung
zu ermöglichen« (Attac zitiert nach I.N.K.A.K.). Auch hier
scheint wieder der keynesianistische Traum einer gerechten Gesellschaft
auf, der fragen lässt, warum eigentlich der Keynesianismus seit den
80er Jahren weltweit auf dem Rückzug begriffen ist. Zusätzlich
wird die Trennung von Kapital in produktives Kapital (schaffend) und spekulatives
Kapital (raffend) aus zwei Gründen kritisiert. Zum einen sind die
internationalen Finanzmärkte von der produktiven Ebene nicht zu trennen.
Globalisierung findet zwar zentral über Finanztransaktionen statt,
diese sind allerdings sind eng verbunden mit der Internationalisierung
der Produktion. Nicht zuletzt existieren Konzerne heute in Form von Aktiengesellschaften,
so dass Spekulation und Produktion zwei Seiten derselben Medaille sind,
die durch die Marktwirtschaft organisiert sind. Zum anderen wird die unterschiedliche
Bewertung von Spekulation als das raffende Kapital (böse) und Produktion
als das schaffende Kapital (gut) kritisiert. Spekulation und Produktion
funktionieren nach der gleichen Effizienzlogik, denn dort wo am meisten
Geld zu verdienen ist wird entweder spekuliert oder produziert. Die Produktion
als etwas prinzipiell Gutes zu bewerten ignoriert einerseits die zerstörerischen
Produktionsbedingungen für Mensch und Natur und andererseits die
Tatsache, dass sehr viele Produktionsgüter sinnlos, schädlich
oder sogar tödlich sind (z.B. Waffen). Ebenso unsinnig ist die Verurteilung
der neoliberalen Globalisierung, wenn gleichzeitig die ›heimische‹
bzw. nationale Ökonomie als das zu schützende und zu verteidigende
gesehen wird. Denn diese arbeitet ebenso profitorientiert, wie überall
auf der Welt und wird nicht etwa von ›außen‹ dazu gezwungen,
z.B. zu rationalisieren, Arbeitsrechte abzubauen oder Reallöhne zu
senken. Ebenso gerät man/frau mit dieser Sichtweise sehr schnell
in die Nähe von rechten Positionen, die die nationale Befreiung von
neoliberaler Ausbeutung propagieren (vgl. etwa Debatte um das MAI). Der Forderungskatalog von Attac hat sich seit seiner
Gründung vor allem in Deutschland stetig erweitert. Hinzugekommen
sind Forderungen nach einer »demokratischen Umgestaltung und politischen
Neuorientierung von IWF, Weltbank und WTO«, einer »Lösung
der Schuldenkrise der Entwicklungsländer«, der »Beendigung
der neoliberalen Strukturanpassung«, einem »System der solidarischen
Alterssicherung« und einer »zivilen und friedlichen Konfliktlösung«.
Ebenso wird »die Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystems
und des öffentlichen Rundfunks« und die »Privatisierung
öffentlicher Güter wie Wasser und genetische Ressourcen«
abgelehnt (alle Zitate aus dem Reader zum letzten Attac Ratschlag, Erklärungsentwurf:
Eine andere Welt ist möglich). Innerhalb von Attac gibt es zu den
unterschiedlichen Punkten durchaus auseinandergehende Meinungen. So gibt
es z.B. auch Gruppen, die die Abschaffung von WTO, IWF und Weltbank fordern
oder sich generell gegen jede Form der Privatisierung aussprechen. Welche
Forderungen sich letztendlich innerhalb Attacs durchsetzen und zur offiziellen
Attac-Position werden, ist nicht vorhersehbar. Dies hängt sicherlich
von der weiteren Entwicklung lokaler Attacgruppen ab, die zum Teil sehr
viel radikalere Positionen vertreten, als der bundesweite Koordinierungskreis.
Verkürzte Kapitalismuskritik im antikapitalistischen Spektrum Neben Attac gilt der Vorwurf der verkürzten Kritik
auch anderen Gruppen, die auf den großen Events der letzten Jahre
präsent waren. Zum einen sind dies sozialistische Gruppierungen wie
die SAV oder Linksruck, aber auch das autonome Spektrum. Kritisiert wird
an beiden die Stilisierung eines Feindes, der von außen angreifbar
ist. Kapitalismus wird nicht als Machtverhältnis verstanden, das
sämtliche gesellschaftliche Verhältnisse durchdringt und entsprechend
vielschichtige Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse hervorbringt.
Die einseitige Benennung von Gegnern wie Nationalstaaten oder übernationale
Institutionen wie IWF, WTO oder Weltbank simplifiziert Macht- und Herrschaftsverhältnisse
(vgl. auch Kapitel 5). Denn »wie der Staat (...) nicht einfach ein
Instrument der Wirtschaftsbosse ist, ist auch das internationale Institutionensystem
kein ›Instrument‹ der herrschenden Länder oder Büttel
des Kapitals. Vielmehr verdichten sich in staatlichen und internationalen
Institutionen weltweite bürgerlich-kapitalistische und imperialistische
Kräfteverhältnisse. Sie sind Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen
, an denen alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt sind« (Brand
2001, S.10). |
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Die Gewaltfrage | weiter / zurück | |
Gerade nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen beim G 8 Gipfel in Genua wurde innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung über Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung gestritten. Zwar wurde in den Massenmedien gerade wegen der tödlichen Schüsse auf einen italienischen Demonstranten und der brutalen Stürmung des Pressezentrums des Protestbündnisses auch über Polizeigewalt breit berichtet. Doch die Gewaltbereitschaft eines Teils der Bewegung nahm breiten Raum sowohl in der Berichterstattung, als auch in den anschließenden Diskussionen innerhalb der Bewegung ein. Wie schon zuvor beim EU-Gipfel, in Göteborg fast ausschließlich über die Auseinandersetzungen auf der Straße berichtet wurde, schien es auch nach Genua, als ob die Gipfelverhandlungen selbst in der Berichterstattung in den Hintergrund traten. War noch in Göteborg nie »von der Legitimität der Protestziele der großen Mehrheit (der DemonstrantInnen) die Rede« (Kraushaar), so änderte sich dies nach Genua. Nun entdeckten die beteiligten Regierungschefs auch die negativen Seiten der Globalisierung (bzw. ihrer eigenen Politik). Egal wie man zur Gewaltfrage steht, so läßt sich nicht bestreiten, dass ohne die gewaltsamen Auseinandersetzungen es erstens nicht zu einer solch breiten Berichterstattung gekommen wäre und dass zweitens sich die Regierungschefs nicht zu milden kritischen Kommentaren hätten bewegen lassen. Dass die Proteste sogleich politisch instrumentalisiert wurden, sei hier nur am Rande erwähnt. So versprach sich der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Ludger Volmer, »Rückenwind« für eine aktiverere Rolle der Bundesregierung auf dem Globus. Doch auch in der Linken wurde fleißig instrumentalisiert. So stilisierte die junge welt mit einem ganzseitigen Titelfoto, Carlo Guiliani, zu einem Märtyrer der Bewegung, nicht ohne Widersprüchlichkeiten: »Denn auf den folgenden Seiten werden die nihilistischen Anarchisten (denen Guiliani wohl zuzurechnen war) und ihre »unpolitische« Militanz gegeißelt.« (Stock 2001 (1), S.7) Doch zurück zur Gewaltfrage: Die Distanzierung von Attac »übersieht«
dabei andere Gewaltverhältnisse. Kritisiert wird nicht das Gewaltmonopol
des Staates, sondern lediglich »Auswüchse« wie brutale
Polizeiaktionen. »Die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols
liegt durchaus in der Logik des Politikverständnisses von Attac,
ist der Staat doch auch der zentrale Ansprechpartner für Forderungen
und Alternativvorschläge.« (AG Konfliktprävention 2001,
S.6)
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Outro | weiter / zurück | |
Die hier behandelten Kontroversen stellen unserer Meinung nach die Hauptkonfliktlinien in der globalisierungskritischen Bewegung dar. Diese haben wir allerdings nur exemplarisch benannt und nicht unter Beteiligung aller AkteurInnen, weil das den Rahmen dieser Ausführungen gesprengt hätte. Natürlich haben wir das Hauptaugenmerk auf die Debatte in Deutschland gerichtet, nicht nur weil wir uns hier am »Besten« auskennen, sondern auch wegen der Fülle des Materials (bzw. des Mangels an anderem geschuldet). Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass die globalisierungskritische Bewegung selbst global ist und einige Debatten deswegen andernorts mit einem anderen Hintergrund bzw. zum Teil gar nicht geführt werden (man denke etwa an die hiesigen Antisemitismusstreitigkeiten bzw. den Vorwurf der Bevormundung und Instrumentalisierung, der von Organisationen aus der 3.Welt zum Teil erhoben wird). Bei aller gegenseitiger kritischer Betrachtung sollte dennoch nicht vergessen werden, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Strömungen doch größer sind als die Differenzen. |
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Literatur | weiter / zurück | |
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AG Konfliktprävention im iz3w: Gegen-steuern. In: iz3w Nr.255, Freiburg 2001 Ak – analyse und kritik, Nr. 453/2001 alaska – Tatort Globalisierung, Heft 240; Bremen 2002 Attac – Grundsatzpapier: Erklärung zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte. www.share-online.de Attac - Reader zum letzten Ratschlag 2002 (Literaturangabe über U.Brand) Brand, Ulrich: Il popolo di Genova. In: iz3w Nr.255, Freiburg 2001 buko positionen zur nachhaltigkeitskritik Hamburg 2002 Fritz, Thomas: Militanz als Strategie. In: iz3w Nr.255, freiburg 20012 Gruppe I.N.K.A.K. (Institut für nachhaltige Kapitalismuskritik, Hamburg): Kritik der verkürzten Kapitalismuskritik. (Broschüre zu bestellen unter: i.n.ka.k.@gmx.de) Hierlemeyer, Moe/Ramminger, Michael: Der vorauseilende Gehorsam der Erlassjahr-Kampagne. In: iz3w Nr.254, Freiburg 2001 iz3w – blätter des informationszentrums 3. Welt, Freiburg/Br. Jahrgänge 1997-2002 dies. (Hg): Gegenverkehr – Soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus. Freiburg/Br. 2001 Klas, Gerhard: Streit um Jubilee. In: iz3w Nr.239, Freiburg 1999 Koordinierungskreis Attac Deutschland:Strategie statt Militanz. In: iz3w Nr.255, Freiburg 2001 Kraushaar, Wolfgang: Die Grenzen der Anti-Globalisierungsbewegung. In: Mittelweg 36, 10. Jg. 2002 Le monde diplomatique vom 11.12.98 Memorandum ‹98: Die Chance der Globalisierung. In: iz3w Nr.231, Freiburg 1998 Overkamp, Christiane: Entschuldung zum Thema gemacht. In: iz3w Nr.254, Freiburg 2001 Stock, Christian: Wider das Agenda-Fieber. In: iz3w Nr.230, Freiburg 1998 Ders.: Déja Vu. In: iz3w Nr.257, Freiburg 2001 Ders.. Tränengas im Rückenwind. In: iz3w Nr.255, Freiburg 2001 (1) taz – die tageszeitung vom 15.19 1998 Wahl, Peter: Diskursive Mimikry. In: iz3w Nr.247, Freiburg 2000 Wissen, Markus: Die Fesselungskünstler. In: iz3w Nr.258, Freiburg 2002 WEED und GermanWatch (Hg.): Alles neu macht das MAI? Broschüre von
1997 |
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Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||
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