Vom Hühnerdieb zum Revolutionär. Zu James C. Scotts »Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts.«(1) |
ende inhalt |
|||||||||||||||||
Stefan Trenkel | ||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||
weiter | ||||||||||||||||||
Intro | ||||||||||||||||||
Mit diesem Referat möchte
ich in das Buch von James C. Scott »Domination and the Arts of Resistance:
Hidden Transcripts« einführen. Abschnitt 2 und 3 führen
in die Begrifflichkeiten ein. Anschließend diskutiere ich drei zentrale
Thesen des Buches. Abschnitt 4 diskutiert die Entstehung und die Funktion
der von Scott sogenannten Hidden Transcripts. Abschnitt 5 behandelt die
Zurückweisung hegemonialer Theorien durch Scott. Und in Abschnitt
6 wird der Zusammenhang zwischen verstecktem und offenem Widerstand beleuchtet. |
(1)
James C. Scott: Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts.
New Haven, London 1990. |
|||||||||||||||||
Was sind öffentliche und versteckte Protokolle? | weiter / zurück | |||||||||||||||||
Zentraler Ausgangspunkt der Analyse von Scott ist die Unterscheidung von »öffentlichen Protokollen« (Public Transcripts) und »versteckten Protokollen« (Hidden Transcripts). Unter öffentlichen Protokollen werden alle Äußerungen (Sprachhandlungen, Gesten usw.) verstanden, die öffentlich beobachtet werden können oder als öffentlich gelten. Unter versteckten Protokollen werden Äußerungen verstanden, die einem gewissen Personenkreis verschlossen bleiben oder als verschlossen gelten.(2) Scott stützt sich primär auf ein duales Gesellschaftssystem. Es gibt Herrschende und es gibt Beherrschte. Beide Gruppen machen Äußerungen öffentlich oder versteckt. Öffentliche Äußerungen werden von beiden Gruppen, versteckte Äußerungen nur von der eigenen Gruppe wahrgenommen. Öffentliche Äußerungen der Herrschenden sind z.B. korrektes, selbstbewusstes Auftreten, repräsentative Auftritte, Reden, Befehle und Bestrafungen. Versteckte Äußerungen der Herrschenden finden in deren »Clubs« oder innerhalb der Familie statt. Dort können sie schon mal »die Hosen runter lassen«. Öffentliche Äußerungen der Beherrschten sind Gesten der Ergebenheit und Befehlsausführungen. Versteckte Äußerungen der Beherrschten sind z.B. Verteufelungen der Herrschenden, Steuerhinterziehung und der Glauben an Volksreligionen. Öffentliche Äußerungen geben (potentiell) nicht die wahren Intentionen der Akteure wieder. Man tut das, was von einem erwartet wird. Diese Äußerungen spiegeln Machtverhältnisse wieder. Versteckte Äußerungen sind authentisch. Sie finden unter herrschaftsfreien Verhältnissen statt.(3) Es kann vorkommen, dass Herrschende einen »Verbrecher« verurteilen müssen, obwohl sie das garnicht wollen. Sie müssen lediglich ihren Ruf als entschlossene Herrscher wahren.(4) Beherrschte bezeugen öffentlich ihre Loyalität gegenüber den Herrschenden, privat verteufeln sie sie. Es gibt also drei Protokolle: das öffentliche Protokoll, das versteckte Protokoll der Beherrschten und das versteckte Protokoll der Herrschenden. Scotts Analyse konzentriert sich auf das versteckte Protokoll der Beherrschten. Entsprechend seiner Ausgangsvoraussetzung einer dualen Gesellschaft stützt sich Scott historisch auf alle Formen von Sklaverei, Leibeigenschaft und Tyrannei.(5) (6) Sein Ziel ist es, »Familienähnlichkeiten« dieser Formen von Herrschaft und entsprechenden Widerstandsformen herauszuarbeiten.(7) Dabei betont er, keine essentialistische Annahmen über unveränderliche Eigenschaften von Beherrschten zu machen.(8) (9) |
(2)
Man kann öffentliche Protokolle von versteckten dadurch unterscheiden,
dass sie von der jeweils anderen Gruppe nicht wahrgenommen werden, oder
dadurch, dass öffentliche Äußerungen als öffentliche
Äußerungen und private Äußerungen als private Äußerungen
gelten. So werden die Herrschenden in ihren Clubs i.d.R. von einer Reihe
von Dienern wahrgenommen. Dennoch können die dort gemachten Äußerungen
als versteckt gelten. Umgekehrt könnte ein Herrscher (z.B. durch
Denunziation) von im familiären Kreis geäußerten Verunglimpfungen
hören. Er könnte darüber hinwegsehen, da diese Verunglimpfung
privat und nicht öffentlich gemacht wurde.
|
|||||||||||||||||
Verschiedene Äußerungen in öffentlichen und versteckten Protokollen | weiter / zurück | |||||||||||||||||
Teilt man Herrschaft in die drei Kategorien »materielle Herrschaft«, »Status-Herrschaft« und »ideologische Herrschaft« so erhält man folgende Tabelle.(10)
Offene Herrschaft und offener Widerstand sind Teil des öffentlichen Protokolls, versteckter Widerstand ist Teil des versteckten Protokolls.
|
(10)Siehe S. 198 |
|||||||||||||||||
Entstehung und Funktion des versteckten Protokolls | weiter / zurück | |||||||||||||||||
Es stellt sich die Frage, wie versteckte Protokolle entstehen und was in ihnen Ausdruck findet. Man kann folgende Schritte unterscheiden:(11) (i) Ausgangspunkt für die Entstehung des versteckten Protokolls ist die Demütigung der Beherrschten. Die Würde der Beherrschten wird verletzt. Scott weist ausdrücklich Ausbeutung als Quelle für versteckte Protokolle zurück. Ausbeutung ist zwar das Ziel von Herrschaft, doch nicht die Ausbeutung selbst, sondern die mit der Ausbeutung notwendig verknüpfte Demütigung ist Ausgangspunkt für das versteckte Protokoll.(12) (13) (ii) Die Demütigung produziert Wut, Frustration und Aggression.(14) (iii) Die Frustration kann nicht öffentlich geäußert werden. Es ist verboten, die Herrscher (öffentlich) zu kritisieren. (iv) Es gibt soziale Orte, an dem die Beherrschten ihre Frustration frei äußern können. Diese Orte dürfen nicht der Kontrolle der Herrscher unterliegen. Diese Orte können die Familie, die Kneipe und Märkte sein. (v) Die geäußerte Frustration muss verallgemeinerungsfähig sein. Dazu müssen verschiedene Subjekte ähnliche Erfahrungen der Demütigung machen. Die sozialen Orte haben so eine doppelte Funktion. Zum einen sind sie die Orte, an denen Frustrationen geäußert werden können, zum anderen werden die Äußerungen »diszipliniert«.(15) (vi) Die so disziplinierten Äußerungen bilden das versteckte Protokoll. Das versteckte Protokoll bildet im Kern die Negation des öffentlichen Protokolls. Es ist ein Ersatz für die Unmöglichkeit, bestimmte Äußerungen öffentlich zu tun.(16) Hierzu möchte ich folgende Anmerkungen machen: (a) Obwohl Scott explizit diskutiert, dass auch der soziale Ort des versteckten Protokolls von Machtverhältnissen durchzogen ist, scheint er mir diesen Aspekt systematisch zu vernachlässigen. Deutlich zeigt sich diese Vernachlässigung daran, die Familie als einen Ort freier Meinungsäußerung aufzufassen. Gleichberechtigte (d.h. herrschaftsfreie) Beziehungen sind sowohl im öffentlichen Diskurs als auch im Diskurs zwischen Beherrschten das Produkt einer langen Geschichte. (b) Scott betont, dass das versteckte Protokoll noch andere Aufgaben hat, als die Herrschenden anzugreifen. Dennoch ist die primäre Funktion des versteckten Protokolls die Negation der Herrschaft. Dies ist mir nicht plausibel. Viele versteckte Äußerungen können (primär) eine andere Funktion haben, als das öffentliche Protokoll zu negieren. Ein Volkstanz könnte an erster Stelle Tanz sein oder sich auf soziale Beziehungen innerhalb der Gruppe der Beherrschten beziehen. So ist das versteckte Protokoll nicht ein Derivat des öffentlichen Protokolls, sondern kann als ein eigenständiger sozialer Raum verstanden werden. (c) Der Ausschluss ökonomischer Interessen als
primäre Quelle von versteckten Protokollen ist unplausibel. Es ist
vorstellbar, dass ein Arbeiter würdevoll behandelt wird, aber dennoch
ausgebeutet wird. In seinem versteckten Protokoll würde er sich dann
beschweren, dass er zuwenig für seine Arbeit verdient. Allgemein
gesagt halte ich jedes Interesse, dass nicht öffentlich geäußert
werden kann, für eine mögliche Quelle eines versteckten Protokolls.
|
(11)
Diese Schritte finden sich im Wesentlichen im fünften Kapitel.
|
|||||||||||||||||
Hegemoniale Herrschaft | weiter / zurück | |||||||||||||||||
Im vierten Kapitel stellt Scott die These auf, dass die Beherrschten sich ihrer Beherrschung bewusst sind und sie ihre Beherrschung nicht akzeptieren. Diese These wird als Gegenthese zur hegemonialen These vom falschen Bewusstsein verstanden.(17) Danach nehmen die Beherrschten die Ideologie der Beherrschten an. Mit diesem falschen Bewusstsein akzeptieren sie ihre Beherrschung. Ausgangspunkt für alle hegemonialen Theorien ist der
Befund, dass die Beherrschten sich ihrer Beherrschung nicht widersetzen,
dass sie benachteiligt sind, und dass sie keiner direkter Gewalt ausgeliefert
sind.(18) Hegemoniale Theorien erklären
diesen Befund in einer starken und in einer schwachen Variante. Scott führt gegen beide Varianten drei Gegenargumente an: (i) Die Beherrschten sind nicht ruhig. Herrschaft ist, wie die Historie zeigt, immer mit offenem Widerstand verbunden. »[A]grarien revolt is as natural to the seigneurial regime as strikes [...] are to large scale capitalism.« (79) Es wird die empirische Voraussetzung bestritten, nach dem die Beherrschten sich ruhig verhalten. Revolten zeigen, dass die Beherrschten weder das Bewusstsein der Herrschenden annehmen, noch, dass sie ihre Beherrschung als naturgegeben hinnehmen. Es ist im Gegenteil zu erklären, warum die Beherrschten in objektiv aussichtslosen Situationen so häufig revoltierten.(21) (ii) Unzählige utopische Mythen, Erzählungen und Lieder belegen, dass die Beherrschten ihre Beherrschung weder akzeptieren noch naturalisieren. »Given their [the subordinate group] position at the bottom of the heap, it is little wonder they should have a class interest in utopian prophesies, in imagining a radically different social order from the painful one they experience.« (81) (iii) Hegemoniale Theorien können sozialen Wandel und Emanzipation von unten nicht erklären. »The problem with the hegemonic thesis [...] is that it is difficult to explain how social change could ever originate from below.« (78) Scott geht also davon aus, das Herrschaft wesentlich durch Gewalt ausgeübt wird. Diese Argumente möchte ich im Folgenden diskutieren. (a) Hegemoniale Ideologien müssen nicht von allen Gesellschaftsmitgliedern bzw. allen gesellschaftlichen Gruppen geteilt werden. So könnte es sein, dass in einer hierarchischen Gesellschaft lediglich die unterste Gruppe die Herrschaftsideologie nicht teilt. D.h. hegemoniale Theorien sind nicht grundsätzlich verfehlt, sondern sie können nicht alles erklären. Soziale Systeme sind aus hegemonialen und widerständigen Teilen zusammengesetzt. An den Extremen liegen Herrschaftssysteme, die entweder vollständig auf Hegemonie oder vollständig auf Gewalt beruhen. Während ich vollständige Hegemonie für denkbar halte, kann ich mir vollständige Gewaltherrschaft nur schwer vorstellen. Zumindest der Zahl nach müssen diejenigen, die sich der herrschenden Ideologie verpflichtet fühlen, eine hinreichende Größe bilden. (b) Sozialer Wandel ist in vielen Gesellschaften eine empirische Tatsache. Doch benötigt Scott für sein drittes Gegenargument die zusätzliche Tatsache, dass sozialer Wandel von unten vorangetrieben wird. Dies ist nicht klar. Es ist nicht klar, warum der soziale Ort für emanzipatorische Ideen bei den Beherrschten liegt. So wurde z.B. die Aufklärung im 18.Jahrhundert in einem öffentlichen Diskurs von dem aufstrebenden Bürgertum getragen. (c) Sozialer Wandel von unten ist auch in hegemonialen Gesellschaften denkbar. Die Beherrschten müssen nicht die Herrschaft als Ganzes in Frage stellen, um lokale Änderungen durchsetzen. Gerade schrittweiser, reformistischer Wandel von unten ist durch hegemoniale Theorien gut zu erklären. Diese Theorien behaupten ja gerade, dass Hegemonie wesentlich durch gewisse Zugeständnisse zugunsten der Beherrschten gesichert wird. (d) Revolten müssen sich nicht notwendig gegen die Herrschaft richten. Eine Hungerrevolte tastet die herrschende Ideologie möglicherweise in keiner Weise an. Beherrschte können sich mit einem Großteil der hegemonialen Ideologie identifizieren und sich nur einem konkreten Aspekt widersetzen. So ist nicht jede Revolte ein empirischer Beleg dafür, dass hegemoniale Theorien falsch sind. Es bedarf einer je konkreten Analyse, in welcher Weise eine Revolte hegemoniale Herrschaft in Frage stellt. Scott macht plausibel, dass Herrschaft nicht vollständig
auf Hegemonie beruht. Unplausibel ist, hegemoniale Theorien deswegen vollständig
über Bord zu werfen. Scotts Argumente reichen aus, nichthegemonialer
Herrschaft einen Platz in hegemonialen Theorien einzuräumen. Es bleibt
unklar, ob nichthegemoniale Herrschaft und die damit verbundenen versteckten
Protokolle ein weitverbreitetes Phänomen oder nur marginale Randerscheinung
sind.
|
(17)
Das Hegemonie-Konzept geht auf Gramsci zurück. |
|||||||||||||||||
Der Zusammenhang zwischen verstecktem und offenem Widerstand | weiter / zurück | |||||||||||||||||
Es stellt sich die Frage, wie versteckter
und offener Widerstand zusammenhängen. Ist versteckter Widerstand
ein Wegbereiter oder ein Ersatz für offenen Widerstand? Fördert
oder verhindert versteckter Widerstand offenen Widerstand? Scott möchte
zeigen, dass versteckter Widerstand Wegbereiter für offenen Widerstand
ist.(22) Jeder offene Widerstand
hat einen versteckten Widerstand zum Bruder. Dies läßt sich
an obiger Tabelle (siehe 3) verdeutlichen. Wildern ist das versteckte
Äquivalent zur Landbesetzung, Witze sind das versteckte Äquivalent
für offene Beleidigungen und Volksmythen sind das versteckte Äquivalent
zu revolutionären Ideologien.(23)
(i) Die sozialpsychologische These besagt, dass das versteckte Ausleben von Aggressionen diese ableitet und sie sich so nicht mehr offen gegen die wahren Verursacher richten. Die aufgestauten Aggressionen entladen sich am Biertisch, und führen nicht zu praktischem Widerstand. (ii) In der relativen Ruhe und Herrschaftsfreiheit der versteckten
Protokolle erholen sich die Beherrschten. In der Familie, in der Kneipe,
im Karneval und an Feiertagen erholen sich die Beherrschten von ihren
erlittenen physischen und psychischen Verletzungen. (iii) Im Ausleben von verstecktem Widerstand (z.B. Karneval) erkennen die Beherrschten, wie chaotisch es ist, wenn es keine Herrscher gibt. Scott geht in seinem Hauptargument nicht direkt auf diese Einwände ein.(25) Um seine These vom versteckten Widerstand als Wegbereiter offenen Widerstands zu erhärten, verweist er auf den dialektischen Zusammenhang von widerständigenm Handeln und Denken. Zum einen begünstigt das Verfluchen der Ausbeutung (z.B. der zu hohen Steuern) am Biertisch Steuerhinterziehung und Diebstahl, zum anderen führen Steuerhinterziehung und Diebstahl dazu, dass darüber am Biertisch geredet wird. Scott geht davon aus, dass Diebstahl usw. zu einem Gerechtigkeitsdiskurs führt. Der Hühnerdieb ist gezwungen, sein Handeln mit seinem Denken in Übereinstimmung zu bringen. Das kann er nur indem er sein Handeln rechtfertigt. Er kommt nicht umhin die quasirevolutionäre These zu vertreten, dass er sich nur das zurückgeholt hat, was ihm gehört und was die Herrscher ihm zuvor gestohlen haben. Scott geht also davon aus, dass den versteckten Protokollen ein automatischer Prozess der Bewusstseinsmachung innewohnt. Es ist einigermaßen plausibel, dass offener
Widerstand Vorläufer oder Äquivalente im verstecktem Protokoll
hat.(26) Doch die Umkehrung, dass
jeder versteckte Widerstand ein Äquivalent im öffentlichen Protokoll
begünstigt, ist mir nicht plausibel. Hier tritt die zentrale Schwäche
des Buches von Scott zu Tage. Scott behandelt Widerstand nur der Form
und nicht dem Inhalt nach. Er versucht nachzuweisen, dass eine widerständige
Form (die versteckten Protokolle) mehr oder weniger notwendig eine andere
widerständige Form (offener Widerstand) zur Folge hat. Doch kommt
es nicht auf die Form, sondern auf die je historisch situierten Inhalte
des Widerstandes, seien sie versteckt oder offen, an. Man mag historische
Beispiele finden, bei denen Diebstahl eine Vorform zur Landbesetzung ist,
doch ebenso Beispiele, bei denen Diebstahl nichts mit widerständigem
Handeln zu tun hat. Es kommt darauf an, zu verstehen, welche Bedeutung
ein Diebstahl (oder eine andere versteckte Äußerung) in einer
konkreten historischen Situation hat. Erst anhand dieser Bedeutung lässt
sich beurteilen, ob im versteckten Protokoll nur Dampf abgelassen wird,
oder ob es emanzipatorische Wirkungen entfaltet.
|
(22)
»It would be more accurate, in short, to think of the hidden transcript
as a condition of practical resistance rather than a substitute for it.«
(191) |
|||||||||||||||||
Outro | weiter / zurück | |||||||||||||||||
|
Für Scott ist die Geschichte eine Geschichte des Widerstands. Die Beherrschten führen ständig einen versteckten Diskurs des Widerstands, der latent dazu tendiert, ins Licht der Öffentlichkeit zu kommen. Scott kann mit dieser Sicht das Bild einer allzu glatten Geschichte der Herrschaft zurechtrücken, doch viel weiter reicht seine Analyse nicht. Dies hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist selbst für Sklavenhaltergesellschaften das Bild einer dualistischen Ordnung, eine Gliederung in Herrscher und Beherrschte, zu simplifizierend. So stellen weder die Herrscher noch die Beherrschten eine homogene soziale Gruppe dar. Gesellschaften sind in aller Regel wesentlich komplexer strukturiert. Es gibt nicht die Herrscher und die Beherrschten, sondern eine komplexe Hierarchie von herrschen und beherrschen. Dementsprechend geht es bei den (versteckten) Diskursen der »Beherrschten« nicht nur um Widerstand gegen die »Herrscher«, sondern auch um Sicherung bzw. Ausweitung der eigenen Herrschaft. Vereinfacht gesagt: Bürger, die sich (versteckt) gegen die Herrschaft eines Fürsten (oder der Kirche) wehren, tun dies möglicherweise nur, um ihre Herrschaft über das Kapital, und damit über andere Menschen, auszuweiten. Bezeichnende Folge des dualistischen Weltblicks ist es, dass sexistische Herrschaft bei Scott weder vorkommt, noch einen systematischen Platz haben könnte. Zum anderen betrachtet Scott Widerstand nur unter
formalen Gesichtspunkten. An keiner Stelle geht er auf Inhalte des Widerstands
ein. Scott tut so, als ob Widerstand per se befreiende Inhalte hätte.
Nach Scott ist es schon immer klar, was »Freiheit« heißt,
und Widerstand gegen Herrschaft wird immer in Namen eben dieser »Freiheit«
geführt. Doch weder ist klar, was »Befreiung« heißt,
noch ist klar, ob Widerstand emanzipative oder anti-emanzipative Ziele
verfolgt. So kommt es bei der historischen Analyse von Widerstand nicht
so sehr darauf an, wie dieser Widerstand, versteckt oder öffentlich,
geäußert wird, sondern welche Inhalte dieser Widerstand entwickelt.
Mit dem systematischen Ausblenden der Frage nach den Inhalten von Widerstand
trägt Scotts Arbeit antiemanzipatorische Züge. |
|||||||||||||||||
Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||||||||||||||||||
beginn / zurück |