Globalisierung und die Transformation des Staates ende
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Klaus Henning

 

 

 
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Im Zuge der Entwicklung der Anti-Globalisierungsbewegung verließ die Frage nach dem Charakter des kapitalistischen Staates die abstrakte akademische Sphäre und wurde für Millionen von Aktivisten wieder konkret. Diskussionen über »den Staat« tauchen in einer Reihe von ganz unterschiedlichen Diskussionen immer wieder auf: in der Frage, welche gesellschaftliche oder politische Kraft bestimmte Reformen, wie die Devisenumsatzsteuer umsetzen kann, in der Frage wie (oder ob überhaupt!) sich die »globalisierungskritische Bewegung« gegenüber dem Krieg positionieren soll oder die Diskussion nach Genua, warum die Polizei so hart vorgegangen ist.
Die Ideen über das, was der Staat darstellt und was man von ihm erwarten kann, sind innerhalb der Bewegung sehr unterschiedlich. Jedoch meint ein Großteil bedeutender Autoren, daß der Nationalstaat als solcher seine Bedeutung verloren hätte. Die amerikanische Aktivistin Naomi Klein zum Beispiel meint, daß der Staat in den letzten 20 Jahren unter der Globalisierung viel schwächer geworden ist und andersherum die multinationalen Konzerne viel stärker:

»Die Ausgangsfrage war für mich, ›wie sieht die Zukunft politischer Aktivisten im Zeitalter der Globalisierung und weltweiter Konzernmacht aus?« Ich nahm die vereinzelten Aktionen gegen die Konzerne als den Beginn einer Veränderung wahr. Sie schienen die erste Reaktion auf den globalen Markt und den Niedergang des Staates zu sein. Die Frage war, wie sich die Linke in dieser neuen Umgebung verhalten würde?«(1)

Die globalisierungskritische Bewegung sei eine neue Bewegung, die sich in ihrer politischen Ausrichtung gegen die Macht der Konzerne und nicht der Staaten richte. Oskar Lafontaine, Ex –Finanzminister in der Rot – Grünen Regierung und heute Unterstützer von ATTAC bezeichnete sich selbst als Keynesianer. Auf dem ATTAC Kongress in Berlin im vergangenen Jahr bedauerte er, daß die Märkte und damit das internationale Finanzkapital die gesellschaftliche Entwicklung bestimmten und die einzelnen Nationalstaaten als Folge der Globalisierung an Einfluß verloren hätten. Er trat für eine »Rückkehr der Politik« ein, die gleichbedeutend mit einer »Rückkehr des Staates« sei. Der Kapitalverkehr müsse re-reguliert werden, die Renationalisierung der Finanzmärkte sei die Voraussetzung für den Erhalt des Sozialstaats. Auf internationaler Ebene trat er für eine Stärkung der Vereinten Nationen und für die Bildung eines UN-Wirtschaftsrats ein, der auf Weltebene ins wirtschaftliche Geschehen eingreifen könne. Von einem nicht unbedeutendem Teil der Globalisierungskritiker wird der Staat also als Hoffnung gesehen, die Menschen vor den Folgen des Neoliberalismus zu schützen.
Eine wesentlich kritischere Position gegenüber dem Staat nimmt der italienische Aktivist und Autor Antonio Negri ein. Der Staat hätte seine Rolle verändert. Jedoch spricht auch er in seinem Buch Empire vom Niedergang des Nationalstaates. An die Stelle der Konkurrenz von Nationalstaaten trete heute, im Zeitalter der Globalisierung, eine Art internationales »Imperium« das von den wichtigsten Wirtschaftsmächten angeführt würde:

»Was einst der Konflikt oder die Konkurrenz zwischen einigen imperialistischen Mächten war, ist in wesentlicher Hinsicht durch die Idee von einer einzigen Macht ersetzt worden, die über sie alle bestimmt, sie in einer einförmigen Weise strukturiert und sie unter einer gemeinsamen Rechtsvorstellung vereint, die entschieden nachkolonial und nachimperialistisch ist.
...In diesem glatten Raum des Imperiums gibt es keinen Ort der Macht – sie ist überall und nirgendwo.«(2)

Die Frage nach dem Charakter des Staates ist für die globalisierungskritische Bewegung von zentraler Bedeutung und ist verknüpft mit der Praxis der Bewegung. Von der Einschätzung der Rolle des Staates in der Globalisierung wird abhängen, ob sich die Idee einer breiten Bewegung von unten durchsetzt oder die Kraft und Dynamik der Bewegung in institutionelle Bahnen gelenkt wird.

 

(1) Naomi Klein in einem Interview. http://www.heise.de/tp/deutsch/
inhalt/co/7084/1.html

(2) Hardt/Negri, Empire, Cambridge, MA, 2000, S.9, 190




Krise des staatsinterventionistischen Kapitalismus in den 70ern weiter / zurück
 

Um die Veränderungen, die das weltweite kapitalistische System in den 70er Jahren erfahren hat zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den Hintergründen dessen zu beschäftigen was »Globalisierung« bedeutet.

Die »Goldenen Jahre« des Kapitalismus und Staatsinterventionismus

Die wichtigste Aussage, die Marx aus seiner Analyse des Kapitalismus zieht ist, dass der Kapitalismus ein Krisensystem ist. Im Kapital legt er dar, dass Krisen nicht nur regelmäßig auftreten, sondern sie sich auch tendenziell verschärfen.(3)

Die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts stellen eine Zeit dar, in der das von Marx prognostizierte Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate scheinbar aufgehoben war und der Kapitalismus seinen längsten und kontinuierlichsten Aufschwung seiner Geschichte erlebte. Das, was in Deutschland unter dem Begriff »Wirtschaftswunder« bezeichnet wird, war eine »Erfolgsstory«, die nicht auf Deutschland beschränkt war. Der Britische Historiker Eric Hobsbawm bezeichnet die Jahre von 1950 bis 1973 in seinem Werk über das 20. Jahrhundert (»Zeitalter der Extreme«) als die »Goldenen Jahre« des Kapitalismus. Es war eine Zeit, in der nicht nur die Profitraten unvergleichlich hoch waren. In diesen beiden Jahrzehnten stieg auch der Lebensstandart der normalen Arbeiter kontinuierlich an. Real nahmen die Löhne in Deutschland pro Jahr im Durchschnitt um 5,4% zu. Die Arbeitslosigkeit schien überwunden, als sie 1960 einen Tiefstand von 1% erreichte.
Der steuernde, intervenierende Nationalstaat wird bei vielen als die Ursache für den Erfolg des Wirtschaftsaufschwunges und dem Ausbau der sozialen Sicherungssysteme gesehen.

Tatsächlich war ein wichtiges Merkmal dieser Zeit die nationalstaatliche Investitionspolitik. Viele Sozialdemokraten bezeichneten sich selbst als »Linkskeynesianer« Die Reden, Wahlprogramme und sonstigen Veröffentlichungen der SPD aus jener Zeit sind voller Begeisterung über die Machbarkeit und Planbarkeit gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse. Der Keynesianismus war aber nicht nur eine verbreitete Theorie unter Sozialdemokraten, staatliche Investitionsprogramme waren in großem Umfang Realität und staatliche Wirtschaftspläne gab es nicht nur in Osteuropa oder der Sowjetunion sondern auch im Westen. Neben der »mittelfristigen Finanzplanung« gab es nach 1966 in der BRD, dem Jahr des Regierungseintritts der SPD, einen »Finanzplanungsrat«, einen »Sportplan«, einen »Grünen Plan« für die Landwirtschaft, einen »Goldenen Plan«, einen nach dem Verkehrsminister Georg Leber (SPD) genannten »Leber-Plan«, einen Energieplan, und die SPD forderte einen Bildungsplan und einen längerfristigen Sozialplan. Der Durchbruch des Keynesianismus erfolgte in Deutschland mit der Ernennung des gemäßigten Keynesianers Prof. Karl Schiller zum Wirtschaftsminister. 1965 hatte die westdeutsche Inflationsrate fast 4% erreicht und lag damit zum ersten Mal über dem internationalen Durchschnitt. Gleichzeitig mit der Bildung der Großen Koalition erhöhte die Bundesbank die Leitzinsen und bremste damit die Konjunktur ab.

Die Krise der Weltwirtschaft und der Staatswirtschaften in den 70er Jahren

Ein fundamentaler Wandel setzte ;Mitte der 70er Jahre ein. Es zeigte sich, daß sich die Hoffnung auf eine krisenfreie Entwicklung im Kapitalismus nicht erfüllte. Mit der Krise in der ersten Hälfte der 70er Jahre und spätestens nach dem erneuten Konjunktureinbruch zu Beginn der 80er Jahre wurde deutlich, daß die Krisen von denen Marx gesprochen hatte wieder da waren. Es zeigte sich jedoch auch, dass keynesianische Rezepte zur Überwindung der Krise nicht mehr zogen. Das wurde klar als sich die Wirkungslosigkeit der Zentralen Investitionsprogramme (ZIPs) der Schmidt – Regierung Ende der 70er Jahre offenbarte. Die Interventionspolitik führte zu keinem Ende der Krise sondern erhöhten lediglich die Inflation und die Verschuldung. Anfang der 80er Jahre kam es erneut zu einer Krise. In einer Studie fast Fritz W. Scharpf die Erfahrungen von keynesianischer Steuerungspolitik in Großbritannien, Österreich, Schweden und Deutschland wie folgt zusammen:

»Anders als in den ersten drei Nachkriegjahrzehnten gibt es derzeit keine ökonomisch plausible keynesianische Strategie, mit der im nationalen Rahmen die sozialdemokratischen Ziele voll verwirklicht werden könnten, ohne daß dadurch Funktionsbedingungen der kapitalistische Ökonomie verletzt werden.«(4)

Viele der früheren Keynesianer in ganz Europa wechselten ihr theoretisches Paradigma und warfen den Keynesainismus über Bord. An die Stelle des intervenierenden Staates trat die Hoffnung in den Markt. Scharpf fordert die SPD auf, eine »auf den Privatsektor bezogene sozialdemokratische Angebotspolitik« zu entwickeln. Diese müsse auf die Steigerung der Unternehmenserträge gerichtet sein, und sie muß bei den Produktverfahren der Unternehmen ansetzen.(5)

Die Internationalisierung der Weltwirtschaft

Im Wesentlichen gab es zwei Wege, durch die das Kapital versuchte die Krise der siebziger Jahre zu überwinden. Der eine stellt einen Eingriff nach innen dar, der andere nach außen. Zum einen wurde nach innen, legitimiert über die Ideologie des Neoliberalismus, der Abbau von sozialen Errungenschaften der drei Nachkriegsjahrzehnten vorangetrieben. Das betraf die sozialen Sicherungssysteme, Rechte von Arbeitnehmern usw. Zum anderen wandte sich das Kapital nach außen, um die Profitraten wieder zu heben. Nach Sablowski/Becker(6) lassen sich diese Veränderungen durch drei Entwicklungen kennzeichnen:
1. Die Internationalisierung des Warenkapitals, also der verstärkte Warenexport, vor allem zwischen den OECD – Ländern,
2. die Internationalisierung des produktiven Kapitals, also eine Zunahme des Kapitalexportes, welcher ebenfalls vor allen Dingen die OECD – Länder betrifft, und
3. die Internationalisierung des Geldkapitals und damit die Hinwendung zu den internationalen Finanzmärkten und zur Devisenspekulation.
Damit verbunden war die Bemühung, die Profitraten über die verschärfte Ausbeutung der »Dritten Welt« zu heben. Unter dem Schlagwort des Freihandels und der Globalisierung wurden die Märkte der »Dritten Welt« für die Wirtschaftsmächte geöffnet.

(3)Marx, Das Kapital Bd.3, 3. Abschnitt S.221ff

(4)Scharpf 1987, Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa S.332ff

(5) ebd.

(6) Initiativgruppe Regulationstheorie, Globalisierung und Krise des Fordismus. Zur Einführung



Denationalisierung oder Transformation des Staates? weiter / zurück
 

Hat der Nationalstaat im Zeitalter der Globalisierung an Bedeutung verloren? Wenn nicht, wie hat sich der Nationalstaat innerhalb der Veränderungen der Weltwirtschaft verändert? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Die These vom Verschwinden des Nationalstaates

Wie in der Einleitung erwähnt, gehen viele Autoren davon aus, daß der Erfolg der kapitalistischen Ökonomie in der Nachkriegszeit der Intervention des Nationalstaates zuzuschreiben ist, sozusagen der »intelligenten Politik«. Ein Vertreter dieser Theorie ist Michael Zürn. Seiner Meinung nach ist der »demokratische Wohlfahrtsstaat« in den 50/60er Jahren ein Produkt des »Regierens«:

»Das Regieren zielt heute im Wesentlichen auf vier Ziele, die sich in demokratischen Wohlfahrtsstaaten in historischer Abfolge herausgebildet haben: auf den inneren und äußeren Frieden (Sicherheit), auf ein zivil konstituiertes Zusammengehörigkeitsgefühl, das ein politisches Gemeinwesen ermöglicht (Identität), auf demokratische Entscheidungsverfahren (Legitimation) und auf eine für alle Seiten akzeptable Balance von wirtschaftlicher Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit (Wohlfahrt). Wo Regieren ausfällt, da werden diese Ziele, wenn überhaupt, nur unzureichend erreicht, es herrscht dann ein unproduktives Durcheinander und letztlich der Hobbessche Zustand des Krieges aller gegen aller.«(7)

In den 70er Jahren seien mit dem Demokratischen Wohlfahrtsstaat alle vier Ziele des Regierens erreicht worden.

Die Ursache der Krise in den 70er Jahren sieht er in der Unfähigkeit nationaler Regierungen, die Internationale Ökonomie zu »regieren«. Es handelt sich somit vor allem um eine »Krise des Regierens«.

Zürn spricht von einer »Denationalisierung« und vom Niedergang nationalstaatlicher Politik. Darunter versteht er einen Prozeß in einer allgemeinen Entwicklung des Zusammenwachsens gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge. Er vergleicht die Denationalisierung, also das Auflösen des Nationalstaates, mit der Auflösung dörflicher Strukturen im 19. Jahrhundert. Genauso wie sich ländliche Strukturen damals aufgrund der Entwicklung nationaler wirtschaftlicher Räume aufgelöst hätten, würden sich nationalstaatliche Strukturen heute aufgrund der Herausbildung der globalisierten Wirtschaft auflösen.

Die Perspektive, die Krise zu überwinden liegt seiner Meinung nach in der Schaffung neuer Institutionen, die die Fähigkeit besitzen weltweit zu agieren und zu regieren:

»Das Zentrale Problem der Gegenwart besteht darin, Formen der Politischen Regelung zu finden, die den globalen Zusammenhängen gerecht werden. Daraus folgt die Notwendigkeit für ein Projekt globales Weltregieren, das mit Hilfe von internationalen und transnationalen Institutionen politische Regelungen ermöglicht, die die politische Handlungsfähigkeit zurückbringen und gleichzeitig demokratisch legitimiert sind.«(8)


(7) Zürn (1998), S. 13

(8) ebd. S. 28


Regulationstheorie und Transformation des Staates weiter / zurück
 


Eine kritischere Staatstheorie wird von Vertretern der Regulationsschule vertreten. Sie widersprechen der These, daß der Nationalstaat einfach verschwindet. Vielmehr verändert er sich im Zuge der Globalisierung. Sie beziehen sich dabei auf Ideen des griechischen / französischen Marxisten Nicos Poulantzas aus den 70er Jahren.
Für die Vertreter der Regulationsschule ist das wirtschaftliche Wachstum der 50er/60er Jahre nicht das Resultat einer »intelligenten« staatsinterventionistischen Politik der Regierungen. Vielmehr liegt ihrer Meinung nach die Ursache des »Goldenen Zeitalters« in der Etablierung einer neuen kapitalistischen Produktionsformation, die auf der Massenproduktion und dem Massenkonsum basierte (Fordismus). Die Einführung der Massenproduktion führt zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das hat eine Erhöhung des gesamtgesellschaftlichen Mehrwertes zur Folge. Eine Steigerung der Arbeitsproduktivität kann dem tendentiellen Fall der Profitrate entgegenwirken und so zu einem stärkeren wirtschaftlichen Wachstum führen. Der Fordismus stellt eine zeitlich begrenzte Phase dar, wie die andere historische Produktionsphasen die sich historisch untereinander ablösen. Poulantzas bezieht sich auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci, der in diesem Zusammenhang von »historischen Blöcken« spricht, Josef Esser spricht von »Formationsstufen der kapitalistischen Gesellschaft«.(9)

Akkumulationsregime und Regulationsweise

Jeder historische Block besitzt ein spezifisches Akkumulationsregime, eine bestimmte »Struktur des Kapitals« (Aglietta). Jedes Akkumulationsregime benötigt eine bestimmte »Regulationsweise«, um sich voll entfalten zu können. Die Regulationsweise bezeichnet »die Gesamtheit institutioneller Formen, Netze, expliziter oder impliziter Normen« (10).
Krisen sind für die Regulationstheorie immer Krisen des Übergangs von einem Akkumulations- und Regulationszusammenhang zu einem anderen. Sie sind Krisen der Vermittlung zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise. Um eine Krise zu überwinden, muß die herrschende Klasse ein neues Akkumulationsprojekt durchsetzen:

»Die strukturellen Krisen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses können nur mit einer neuen Akkumulationsstrategie überwunden werden, die zugleich einen neuen institutionellen Modus der Regulierung von Klassenbeziehungen, neuer gesellschaftlicher Wertemuster und Weltbilder beinhaltet. Kurz: Gefordert ist ein neues politisch-ideologisches Herrschaftsprojekt, das Akkumulations- und Machtinteresse optimal verknüpft.« (11)

Die Krise in den 70er Jahren stelle den Übergang zwischen zwei verschiedenen kapitalistischen Blöcken dar, zwischen dem Fordismus und dem sogenannten Postfordismus.


(9) Esser S.233

(10) Alain Lipietz: »Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise«, in: PROKLA Nr. 58 (1985), S.121.

(11) Esser S. 232.

(12) Jessop (1997), S. 80.

(13) Chossudovsky, S.401.

Die Transformation des Staates weiter / zurück
 

Der Nationalstaat verschwindet nicht, sondern verändert sich. Der Staat in den 50/60er Jahren entspräche den Anforderungen die das fordistische Akkumulationsregime an den Staat stellt, während der Staat im Zeitalter der Globalisierung mit den Anforderungen des Postfordismus verbunden wäre. Jessop unterscheidet den »Keynesianischen Wohlfahrtsstaat«(KWS) im Fordismus vom »Schumpeterianischen Leistungsstaat«(SLS) im Postfordismus.
In den siebziger Jahren geriet der KWS aufgrund der Veränderung der Produktionsweise in eine Krise. Bisher betriebene staatliche Regulierungspolitik konnte die Krise nicht lösen. Somit mußte sich der Staat selbst ändern und restrukturieren. Die Veränderungen lassen sich nach Jessop in drei Tendenzen zusammenfassen: Entnationalisierung, Entstaatlichung, Internationalisierung
Unter Entnationalisierung versteht der Autor die zunehmende Unfähigkeit des Staates seine Macht im innern und nach außen zu entfalten, um die Akkumulation zu fördern. Er ist zunehmend gezwungen auf die Koordination supranationaler Institutionen zu setzen. Jedoch bedeutet das nicht das Ende des Staates.

»Der Autonomieverlust erzeugt vielmehr einerseits die Notwendigkeit supranationaler Koordination und andererseits für die Aufwertung subnationaler Einheiten. Dadurch erweitert sich der Aufgabenbereich des Nationalstaates auf die Vermittlung zwischen dem Supra- und dem Subnationalen.«

Es finden also zwei Tendenzen statt: Die Bedeutung von überstaatlichen Organisationen nimmt zu, innerhalb des Nationalstaats bekommen subnationale Einheiten (Länder, Bundesstaaten) mehr Kompetenzen lokale, nationale und internationale Verbindungen einzugehen. Unter Entstaatlichung versteht der Autor die Verschiebung von der Government, also einer zentralen Kommandowirtschaft zu eher dezentralen Governance. Als Beispiel für eine »Entstaatlichung« nennt er die Europäische Union, die nicht zentral organisiert ist, sondern auf »Governance« also auf quasi gleichberechtigten Beziehungen beruht.
Die dritte Tendenz ist die Internationalisierung. Die Strategische Orientierung des Staates habe sich geändert. Im Gegensatz zu früher steht heute die Internationale Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund. Diese »strategische Umorientierung« sei an dem Abbau der staatlichen Wohlfahrt zu erkennen.
Wie sieht nach neomarxistischer Sicht nun die Zukunft des Nationalstaates aus? Wenn man sich die eben genannten Punkte anschaut, könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß der Staat langsam verschwindet. Jedoch passiert dies nicht, argumentiert Jessop. Das, was abstirbt ist eine bestimmte Form des Nationalstaates, der »Keynesianische Wohlfahrtsstaat«. Die Bereiche, die man als Kernstaat bezeichnen könnte, Verteidigung, Gesetzgebung, Polizei und Verwaltungsaktivitäten, bleiben weiterhin intakt:

»Das heißt jedoch nicht, daß der Nationalstaat seine Schlüsselposition bei der Sicherung der »globalen« politischen Funktion des Staates verloren hätte. Denn der Nationalstaat bleibt der wichtigste Ort für diese entscheidende allgemeine Funktion, und tatsächlich wachen staatliche Führungskräfte eifersüchtig über diese Aufgabe, auch wenn sie spezifischere Funktionen abgeben oder auf sie verzichten müssen.«(12)

Die These vom Verschwinden des Staates kann nicht aufrecht erhalten werden. Gerade die verschärfte internationale Konkurrenz führt zu einer stärkeren Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung. Als Beispiel sei hier nur erwähnt, wie die USA ihre Stahlindustrie vor ausländischer Konkurrenz durch die Einführung von Schutzzöllen unterstützen will. Staat und Kapital sind voneinander abhängig. So wird aus der internationalen ökonomischen Konkurrenz politische Konkurrenz. Und in zunehmender politische Konkurrenz wird militärische Stärke nach außen und »Stabilität« nach innen immer wichtiger. Die USA sind das beste Beispiel dafür, daß der Staat nicht unbedeutend geworden ist: Zum einen hat Washington in den letzten Jahren sein Waffenarsenal erheblich aufgestockt. Im Streben nach unangefochtener Hegemonie wurden die Verteidigungsausgaben auf über 300 Mrd. Dollar erhöht, eine Summe die dem gesamten Bruttoinlandsprodukt der Russischen Föderation entspricht.(13) Zum anderen wurden allein in den 80er Jahren eine Million neue Gefängnisplätze geschaffen, heute sitzen zwei Millionen Amerikaner hinter Gittern. Beides sind Beispiele für die Ausweitung des Staates.


 

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Entgegen allen Vorhersagen von Medien und Politikern ist die Antiglobalisierungsbewegung nicht zum Stillstand gekommen. In fast allen Ländern (außer in Frankreich) hat sie sich während des Afghanistankrieges klar gegen die USA gestellt und an politischem Verständnis über den Charakter des Staates gewonnen. Sie wächst und erreicht immer breitere Gesellschaftsschichten.
Die Bewegung wird sich in Zukunft einer Frage stellen müssen, der sie bisher ausweicht: der Machtfrage. Von dieser Frage hängt ihr Erfolg ab. Was ist damit gemeint? Sie beansprucht, gegen den Neoliberalismus zu kämpfen. Sie wird sich, wenn sie es damit ernst meinen will, zwangsläufig gegen den Staat stellen müssen, ihn konfrontieren, da der bürgerliche Staat die für den Kapitalismus notwendige Akkumulation und damit die kapitalistische Krisenpolitik verteidigt.
Als ich mit einem argentinischen ATTAC – Mitglied über die Zukunft Argentiniens und die Perspektiven der dortigen Bewegung diskutierte, sagte er mir, er sei begeistert, daß die Menschen sich gegen den Neoliberalismus wehren. Zum anderen war er jedoch davon überzeugt, daß es über kurzer oder lang zu einem »autoritären Staat« kommen müsse. Er hoffe, daß dies keine Militärdiktatur sein würde. Jedoch sah er keine Alternative dazu, selbst wenn man jetzt Reformen durchsetzen könne.
In Argentinien zeigt sich, daß der Neoliberalismus nicht einfach nur eine Idee ist, sondern ein kapitalistisches Krisenlösungsprogramm. Eine Perspektive im Sinne der Mehrheit liegt außerhalb des Kapitalismus. In Argentinien wird die Bewegung gegen den Neoliberalismus sich vielleicht schon bald der Frage nach einer Alternative zum derzeitigen Wirtschaftssystem stellen müssen. Und damit wird sie den Staat selbst herausfordern.

 

 

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Chussodovsky, Michel: Global Brutal – Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, Frankfurt 2002

Deutschmann, Christoph: Der linke Keynesianismus, Frankfurt am Main 1973

Esser, Josef: Staat und Markt. In: Fetscher, Iring und Münkler, Herfried (Hrsg.), Politikwissenschaft. Reinbeck bei Hamburg 1985

Hardt, Michael / Negri Antonio: Empire. Cambridge/Massachusetts 2000

Harman, Chris: Explainig the crisis. London 1999

Hirsch, Joachim / Jessop, Bob / Poulantzas, Nicos: Die Zukunft des Staates. Hamburg 2001.

Initiativgruppe Regulationstheorie: Globalisierung und Krise des Fordismus. In: Becker, Steffen: Jenseits der Nationaloekonomie? Argument-Verlag 1997.

Jessop, Bob: Regulation und Politik. Integrale Ökonomie und Integraler Staat. In: Demirovic, Alex (Hrsg.), Hegemonie und Staat Verlag Westfaelisches Dampfboot 1992.

Jessop, Bop: Die Zukunft des Nationalstaates. Erosion oder Reorganisation? In: Becker, Steffen, Jenseits der Nationalökonomie? Argument-Verlag 1997.

Poulantzas, Nicos: Staatstheorie Hamburg 1978.

Zürn, Michael: Regieren jenseits des Nationalstaates,
Suhrkamp 1998.

Zürn, Michael: Regieren im Zeitalter der Denationalisierung, 2001

 
     
Protestbewegungen im globalen Kapitalismus.
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