Wagenplätze – Reproduktion von Widerstand und Herrschaft | ende inhalt |
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Charly Außerhalb | ||
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Ausgangspunkte Der inhaltliche Zusammenhang der Protest- und Widerstandsbewegungen wird zuvorderst über die Kritik der herrschenden Verhältnisse hergestellt: Antikapitalismus, Antisexismus, Antirassismus usw. – die Menschen, die hier Geschichte machen, müssen aber gleichzeitig zusehen, wie sie ihr eigenes Leben reproduzieren und mit den Widersprüchen darin umgehen. Die Wagenplätze sehe ich dabei als einen Versuch, durch die Politisierung des Privaten die strukturelle Trennung von privatem und öffentlichem Raum aufzubrechen, die Reproduktion der sozialen Beziehungen in Frage zu stellen. Dieser Ansatz nahm seinen Anfang mit den Hausbesetzungen und der Stadtteilarbeit der westeuropäischen Linken Ende der 60er Jahre, ist also nicht neu, dem Inhalt nach aber grundverschieden von den traditionellen Kämpfen der Arbeiterklasse. Der zentrale Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital wird damit jedenfalls nicht mehr unmittelbar in Frage gestellt. Vielmehr geht es darum, emanzipative Gegenentwürfe zu leben und wenigstens Momente einer konkreten Utopie praktisch umzusetzen. Einen Ausgangspunkt der Betrachtung bilden daher Überlegungen zu
einer »konkreten Utopie«, die ich wesentlich durch die Forderung
nach der »Verfügungsgewalt der Produzentinnen über die
Produktionsmittel« bestimmt sehe: Die konkrete Utopie umschreibt so gesellschaftliche Möglichkeiten, die zum einen unerreichbar »utopisch« bleiben, weil sie weit über die bestehenden Verhältnisse hinausweisen, zum andern »konkret« faßbar, weil sie mit gegenwärtigen Denkweisen begriffen werden können. Vorstellungen in dieser Richtung halte ich für grundlegend, weil daran die strukturellen Zwänge dieser Gesellschaft anschaulich werden. Diese betreffen nicht nur den Bereich der Produktion, sondern auch das ganze Feld der gesellschaftlichen Reproduktion, nicht nur den Zwang zur Lohnarbeit, sondern auch die Unmöglichkeit, sich außerhalb dieser zu verwirklichen. Quellen
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Geschichte und Infrastruktur Kurze Geschichte der Wagenplätze Technische Standards Statistik Möglichkeiten und Grenzen: Die materiellen Bedingungen Raumautonomie Zeitsouveränität Möglichkeiten und Grenzen: Die sozialen Beziehungen Platzkollektive Politisch-soziale Zentren Vernetzung unter den Plätzen Kämpfe zur Durchsetzung Als politische Projekte treten die Wagenplätze vor allem in Erscheinung,
wenn es um ihre Durchsetzung geht – die Illegalität der Besetzung
zwingt sie von Anfang an in den Konflikt mit der herrschenden Rechtsform,
dessen Ausgang wesentlich von der Mobilisierung einer Öffentlichkeit
zugunsten des Projekts abhängt. Inhaltlich werden damit u.a. die
Bedingungen der individuellen Reproduktion hinterfragt, die Notwendigkeit,
Lohnarbeit zu verrichten, um ein existentielles Bedürfnis befriedigen
zu können. Dieser Inhalt kann allerdings beim Werben um Sympathien
in der Öffentlichkeit verloren gehen, indem ein bunt jonglierendes
Allerlei präsentiert oder im schlimmsten Fall der Wille zur Arbeit
bekräftigt wird. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Wagenplätze
in ihren Durchsetzungsphasen den lebendigsten und widerständigsten
Ausdruck erlangen – sowohl die kollektiven Momente im innern als
auch die politische Wirkung nach außen sind unter den Bedingungen
der unmittelbaren Repression am stärksten. Allerdings bedeuten diese
Auseinandersetzungen außerordentlichen Streß für die
Beteiligten, und letztlich wird damit der eigene Bauchnabel sehr stark
in den Mittelpunkt gestellt.
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Es stellt sich daher die Frage, was das ganze soll. Wenn
die oben beschriebenen Möglichkeiten formulierte Ansprüche bleiben,
die sich langfristig nicht umsetzen lassen – wieso solche Versuche
überhaupt unternehmen? Ist es nicht sogar kontraproduktiv, wenn der
beabsichtigte Zweck – die Erfahrung kollektiver Prozesse – immer
bestraft wird mit der praktischen Einsicht, daß der bürgerliche
Weg für den Einzelnen doch bequemer ist? Ich halte in diesem Zusammenhang
ein Verständnis für notwendig, das die Ursache für das »Scheitern«
nicht in den einzelnen Menschen oder in den Ansätzen kollektiver Projekte
sucht, sondern in den herrschenden Verhältnissen, die letztlich immer
die Grenzen möglicher Gegenentwürfe bestimmen. Gesellschaft ist
in sich gespalten durch antagonistische Interessen und Lebenslagen, bedeutet
schon dem Begriff nach die permanente Zerstörung nicht-warenförmiger
sozialer Zusammenhänge – Die kollektiven Strukturen in dieser Gesellschaft (Sozialversicherungen, Verwaltungen, Gewerkschaften, ...) sind hochgradig institutionalisiert und vermachtet und funktionieren nur unter der Voraussetzung, daß die darin zusammengeschlossenen Individuen zuvor in abstrakt gleiche StaatsbürgerInnen zerlegt wurden – Vergemeinschaftungen sind in diesem Zwangsverhältnis überhaupt nur möglich durch die Konstruktion von Identitäten, durch die Herstellung eines »wir« über äußere Feindbilder, innere Dogmen oder Wettbewerb – solche Gemeinschaften erfüllen zwar das Bedürfnis nach sozialer Bindung, aber eben nur in einem reaktionären Sinn (Nationalismus, Rassismus, Teamgeist); zudem werden darin bestehende Hierarchien und Antagonismen verdeckt – Linke »Solidarität« kann sich dagegen nur im Prozeß sozialer Kämpfe artikulieren, in Bewegungen, die in den Konflikt mit gesellschaftlichen Strukturen treten, deren Teil sie sind: es gibt kein außerhalb, keine Inseln der Glückseligkeit, nichts Wahres im Falschen. Das legt den Schluß nahe, daß es unter den Bedingungen kapitalistischer
Vergesellschaftung der äußeren Bedrohung, der unmittelbaren
Wahrnehmung von Herrschaft als Unterdrückung bedarf, um emanzipative
Gegenentwürfe zu entwickeln. Repression in diesem Sinne ist nicht
auf den Polizei- oder Behördenknüppel zu reduzieren, sondern
weiter zu fassen, könnte beispielsweise auch in einer gemeinsamen
ökonomischen Lage bestehen, die durch extremen Mangel bestimmt ist.
Zur Unterstützung dieser These ein Beispiel auf ganz anderer Ebene:
Die populäre Musik des 20. Jahrhunderts (von Blues und Jazz bis Hip-Hop
und Soul), die wie keine andere zuvor Marktinteressen unterliegt, entstand
fast ausnahmslos als Reaktion auf die rassistische Diskriminierung der
Schwarzen in den USA – die gemeinsam erfahrene Unterdrückung
schafft in ihrer solidarischen Variante eine ungeheuer schöpferische
Kraft, mit der Verweigerung und Rebellion einen gemeinsamen Ausdruck finden:
The subaltern speak. Allerdings nur sehr kurz. Das Beispiel der Popmusik
zeigt nämlich auch sehr anschaulich den Verlauf des Prozesses vom
Widerstand zur Integration: Eine gegenhegemoniale Bewegung etabliert sich
und verliert ihre Widerständigkeit, sobald sie vermarktet die Massen
ergreift. Sie verkehrt sich in ihr Gegenteil, wird Teil des hegemonialen
Konsens, sympathy for the devil. Umgekehrt ließe sich also formulieren,
daß die Reproduktion kapitalistischer Vergesellschaftung auf solche
Bewegungen angewiesen ist: Die Schulen der Ordnung, Disziplinierung und
Kontrolle allein genügen nicht zur Stabilisierung der Produktionsverhältnisse,
und gerade für die immer wieder notwendigen strukturellen Veränderungen
einer Gesellschaftsformation können gegenhegemoniale Bewegungen einen
wichtigen Anstoß liefern. »Hegemoniekrisen«, die Mobilisierung
staatlicher Zwangsapparate, wären so zu verstehen als das dynamische
Moment kapitalistischer Entwicklung im Gegensatz zur relativen Statik
einer ausgebildeten Hegemonie. |
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Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||
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