editorial



[intro]

das kommunistische ideal, dass ein jeder mensch morgens fischen, mittags viehzucht und abends philosophie betreiben können sollte, ist von der kapitalistischen wirklichkeit eingeholt worden. das gefängnis einer arbeitsteilung auf lebenszeit, welches die lohnarbeiterInnen lebenslang in die zelle eines berufes zwang, wurde durch die praktische kritik feministischer und antiautoritärer bewegungen geknackt. damit gerät nun auch die stabilität der über lohnarbeit konstruierten identität, die den beruf als berufung setzt, ins wanken. wer brot backt, kann kein bäcker mehr sein, weil die nächste rationalisierungswelle das backen zur lebensabschnittstätigeit erhebt. insofern mit neuer heimarbeit, ›soft skills‹, dem zunehmen weiblicher arbeitskräfte und der vermischung von arbeit und zuhause die strikte trennung von produktions- und reproduktionssphäre morsch wird, erhält auch die konstruktion zweigeschlechtlicher identitäten, die in dieser trennung ihre materielle basis hatte, brüche. dekonstruktivistische feminismen spiegeln als innerfeministische auseinandersetzung diese von der feministischen bewegung forcierte bewegung der kapitalistischen geschichte. wenn die strikte arbeitsteilung der produktivkraftentfaltung disfunktional geworden ist, dann könnte doch der neue mensch morgens programmieren, mittags ehrenamtlich kranke pflegen und abends eine fortbildung besuchen. das kapitalverhältnis etabliert diese möglichkeit dagegen als zwang (ohne dabei die klassenverhältnisse aufzuheben). das schlagwort heißt flexibilität. flexibel ist mensch, wenn jeder job zu jeder zeit und zu jeder bedingung erledigt wird; unflexibel, wer in der sozialen hängematte auf »seinen« beruf wartet. bisher haben die verkrusteten sozialstaatlichen strukturen zu solchem anspruchsdenken eingeladen. somit ist das problem und seine lösung bereits ausgemacht: der verkrustete staat und die unflexiblen subjekte!

[übergang]

dieses mal wurde die redaktionsarbeit zum eigenexperiment: schröders regierungserklärung verschärfte die demontage zu einer kriegserklärung der bessergestellten an die zunehmende zahl der überflüssigen. ihre arbeit ist keine gesellschaftlich notwendige arbeit, bei knappen profiten ist ihre ruhigstellung auf dem minimum zu teuer geworden. nun sind sie auch noch selbst dran schuld. aber die gegenwehr bleibt schwach. über arbeit funktioniert gesellschaftliche wertstellung, wer immer wieder zu sinnlosem rumsitzen auf ämtern gezwungen und in zwangsmaßnahmen wie bewerbungs- und windows/officeschulungen gesteckt wird, wird nicht zur kämpferIn. zwar war die meinung in der redaktion übereinstimmend, dass zum sozialstaatsabbau die radikale linke seltsam schweigsam bleibt, aber auch die eigene begeisterung für das thema blieb mäßig. eine uns plausibel scheinende antwort ist, dass unsere eigenen lebensverhältnisse bereits im doppelten sinne flexibilisiert sind. haben doch viele die emanzipatorischen kritik an den bürgerlichen institutionen verinnerlicht. der stumpfsinn des normalarbeitsverhältnis, die miefige vater-mutter-kind-familie mit ernährer und reproduktionsarbeiterin etc. werden auf dem müllhaufen der geschichte geworfen. als veranstaltungsagentur oder grafikerIn arbeitet mensch, wann er lust hat, mal rund um die uhr, am stück faulenzend, wenn nichts zu tun oder genug kohle da ist. flexibilisierte lebenswege also. nur passt das auch nahtlos in die flexibilisierung von oben. sozialstaatliche arrangements sind aber an kleinfamilie und normalarbeitsverhältnis gebunden, so dass kaum eine(r) von uns überhaupt ansprüche auf arbeitslosengeld erwirbt oder noch an eine zukunft mit einer rente wie die unserer eltern rechnet. hat dieser kampf also wenig mit unserem alltag zu tun? warum intervenieren, wenn das feld von miefigen gewerkschaftern beherrscht wird, denen nicht viel mehr als das co-management der standortsicherung einfällt?

[übergang]

kommunistische kritik kann nicht indifferent bleiben gegen die veränderung der kräfteverhältnisse; sie hat einen zeitkern. was kommunismus heißt, muss in jeder historischen situation neu bestimmt werden. wie sich an die bürgerlichen ideologien der freiheit und gleichheit anknüpfen ließ, um ihr transzendierendes moment gegen ihre strategische intention und herrschaftstabilisierende funktion zu kehren, so können heute die ideologischen produktionen angeeignet und rückangeeignet werden. das geht, weil jede bürgerliche ideologie einen überschuss hat, besser sein muss als die wirklichkeit, sonst wäre sie nicht das, was sie ist, sondern reine beschreibung der realität. wären die leute heute zufrieden, wenn die humanitäre intervention angriffskrieg hieße und die hilfe zur (wieder-)eingliederung in den arbeitsmarkt arbeitszwang, dann könnte auf solche lügen verzichtet werden. flexibilität und eigenverantwortung stehen also nicht per se auf der seite der gegenerInnen. dies gilt umso mehr, als diese begriffe linken kritiken entwendet wurden. eigenverantwortlichkeit ist vernünftig, wenn die subjekte nicht für bedingungen zur verantwortung gezogen werden, die sie weder geschaffen noch gewählt haben. eine vernünftige reaktion auf erhöhten druck durch arbeitsintensivierung wäre also nicht das leisten von überstunden, sondern eigentverantwortliches produktionsdrosseln, blaumachen. flexibilität im emanzipatorischen sinne hieße also nicht, dass sich die subjekte den objektiven erfordernissen anpassen, sondern umgekehrt die gesellschaft den bedürfnissen der sie konstituierenden menschen. die arbeitszeit muss flexibel sein, um sich nach meinen schlafgewohnheiten zu richten, und das kapital muss flexibel sein, um jeden wohnortwechsel mitzuvollziehen. diese realpolitischen forderungen haben die objektiven bedingung ihrer möglichkeit in einer produktivkraftentwicklung, die es den kapitalistischen gesellschaften erlaubt, sich eine gewaltige arbeitslosigkeit zu leisten ohne nennenswerte produktivitätseinbußen. je höher die arbeitslosigkeit, umso mehr eigenverantwortlichkeit ist möglich, umso mehr flexibilität lässt sich von staat und kapital erwarten. dies im sinne einer klassischen angebotsorientierten politik oder einer marktlichen selbstregulierung: wenn das kapital keine nachfrage für seine bad- und sweatjobs findet, dann heißt das nicht, dass die sozialhilfe abgesenkt werden muss, bis die leute bereit sind, auch solche jobs anzunehmen, deren lohn unterhalb des sozialhilfeniveaus liegt. nicht die arbeitsnachfrage ist das problem, sondern: komfortablere arbeitszeiten, luxuriösere löhne – und »the invisible hand« würde sich dem problem schon von selbst annehmen.

[übergang]

gemeinsam standort sichern ist das schlagende argument. dieser wird vom frei fließenden kapital nur genutzt, wenn es entsprechende bedingungen für seine verwertung vorfindet, so die mär der neuen freunde und förderer des standortes. der dann produzierte mehrwert – wohlstand – stehe der gemeinschaft der fleißigen und pflichtschuldigen deutschen zu, genommen werde er uns jedoch von asylbewerberInnen, migrantInnen, arbeitslosen, sozialhilfeempfängern, kranken, obdachlosen und all denen, die nicht zur verwertung taugen. im zentrum steht also mal wieder das ›auf unsere kosten‹-argument, allerdings treibt diese ideologische produktion auf ihren widerspruch zu. die schädlichen anderen liegen der gemeinschaft der guten deutschen so nahe wie selten: droht doch überall für immer mehr menschen (und eben auch den meisten, die im deutschen ›wir‹ zusammengeschweißt werden sollen) immer öfter arbeitslosigkeit und krankheit zum existentiellen risiko zu werden. das falsche bewußtsein der nationalistisch-chauvinistischen ›wir‹-produktion hat keine überschüsse, die weiter getrieben werden könnten und kann deshalb nur bekämpft werden. die materielle stellung – die altmodisch gewordene klassenlage – ist der theoretische und praktische ausgangspunkt für eine emanzipative position: wir, das sind all die menschen in der weltweiten wertvergesellschaftung, denen ein gutes leben verwehrt bleibt.

die red.