garip dünya





»Entleerte Zeit. Das Gehartzer Programm «


Nichts öder als Schröders Reden nur zu lesen. Man muss schon an PHOENIX kleben, um ihre Wucht zu erfahren: Dann – vor der HörerInnenschaft – werden sie Teil einer Inszenierung, eines Unterwerfungsrituals. Wie in Frankreich und Österreich werden majestätisch Forderungen angemeldet – bei bescheidenster persönlicher Ausstattung. Notare der Notwendigkeit treten auf, die sich bei größter Willkür ihrer Setzungen nicht das Geringste abmarkten lassen ... Wenn schon Agent des Kapitals, dann wenigstens als Staatsschauspieler der Macht.

Schröders Reden sind Verkündungen, aber ohne Mitteilungswert. Nicht Neues soll vermittelt, sondern eine Denkform beigebracht, viel eher: eine andere abgewöhnt werden. Keiner verbietet strenger als Schröder, sich bei Begriffen das Herkömmliche zu denken. Etwa Gerechtigkeit: Auf keinen Fall besteht sie in Gleichbehandlung. Von Schröder interpretiert, verliert sie jeden Forderungscharakter. Sie ist lediglich »Teilhabe« manchmal auch »Teilnahme« oder »Anteilnahme«. Sie integriert durch Zwang. Und zwar ausnahmslos alle. Für niemanden soll es Ausschließung geben vom höchsten Gut: der Arbeit. Wo diese sich nicht ohne weiteres findet, wird sie von Staats wegen zugewiesen.


Vom Motivations-Ruck zum Arbeitszwang-Druck

Viele beschwichtigen, es sei mit der »Agenda 2010« materiell gar kein so großer Einschnitt verbunden. Ein entscheidender Paradigmenwechsel liegt auf jeden Fall vor: im Verwerfen des Vertrags. Der Vertrag, die grundlegende bürgerliche Verkehrsform, wird durch gesetzlichen Druck ergänzt – wenn Arbeitslosen oder Auszubildenden eine Stelle aufgezwungen wird. Wie Karl Heinz Roth schon kürzlich bemerkte, verliert Marxens Rede vom »doppelt freien« Lohnarbeiter zunehmend ihr Recht. Richten sich die Arbeitsgerichte – wie zu erwarten – nach den geplanten Gesetzesänderungen, ergibt sich die Zuweisung an einen beliebigen Arbeitsort durch staatlich durchgesetzten Zwang. Herzogs Ruck-Rede hatte – vergeblich – noch auf Schwung, Entflammung, Begeisterung gesetzt. Die entfallen inzwischen zugunsten des nüchtern-beleidigten Appells an die »Gemeinschaft« und der gezielten Zwangsmaßnahme.


Hundertvierzig Jahre ohne Ereignis

Schröder kennt in seinen Reden keine handelnden Subjekte außerhalb der Partei, nur zu behandelnde. Das machte seine Rede zu »140 Jahren SPD« besonders deutlich. Als aktive Wesen durchwandern seine Vorstellungswelt nur Parteiführer und die Partei selbst. Jene, die Gewerkschaften und Partei einmal geschaffen hatten, als Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen, dürfen nicht ins Blickfeld geraten. Für Schröder stellt sich der Gang der Geschichte gerade umgekehrt dar: die Werte (Ziele) sind ewig. Sie bestimmen die Partei. Allerdings mussten andere Instrumente geschaffen werden, um diese Werte zu verwirklichen. Die Werte bleiben – krisensicher im Tresor verstaut. Als Instrument kann Verzicht auf Parität ihnen dann so gut dienen wie ihre Beibehaltung. Kein Wunder, dass bei dieser Betrachtungsweise keine Spaltung die Partei erschütterte, keine Krise sie berührte. Kein einziges Ereignis nennt Schröder, nur die Systeme, welche die Partei durchschritt. Trostlos diese unbewegte Starre! Schröder freilich garantiert sie sekundenlang Glanz der Nachfolge, nahtlose Kontinuität.

Solche wie ihn hat Franz Mehring vorausgesehen, als er im ersten und einzigen Kriegsheft der INTERNATIONALE seinen Aufsatz endete: Die logische Folge des Bruchs 1914 mit der Tradition »wäre eine nationalsoziale Arbeiterpartei, die sich mit dem Militarismus und der Monarchie versöhnt und sich mit demjenigen Maße an Reformen begnügt, das auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft für das Proletariat zu erreichen ist«. Das würde zur Not noch zur SPD bis Bad Godesberg passen. Mehring aber fährt fort: »Dagegen wäre es gleichbedeutend mit einer Vergiftung der Arbeiterbewegung auf unabsehbare Zeit, wenn der klaffende Riss, der die Gegenwart von der Vergangenheit trennt, mit tönenden Schlagworten verkleistert und vertuscht ... wird« (Franz Mehring: Gesammelte Schriften,Bd.15 Berlin 1977, S.666). Es gibt also noch etwas Schlimmeres als den bloßen Reformisten, nämlich den Reformisten, der vorgibt, die Revolution fortzusetzen, deren letzte Erinnerungsspuren er gerade totschlägt. Das ist Schröder. Wer sonst nichts hat, feiert Erinnerung. Nur dass ein solcher Rückgriff die Vergangenheit auslöffelt. Die lebenden Produzenten werden verdrängt. Der Gedanke der Produktion selbst soll nicht vorkommen. Wirtschaft, wie sie in den Parteireden verstanden wird, ist Management, Verkaufen, Zusammenfügen.


Beraubte Zukunft

Kaum eine Rede Schröders, bei der nicht eine Schar verhärmter Kinder über die Rednerbühne humpelt. Unsere enteignete Nachkommenschaft. Ihre schwachen Schultern werden immer eigens betont. Woher der Jammer?

Wenn wir weiter Kredit aufnehmen, fressen wir denen die Butter vom Brot. Wir lassen ihnen kein eigenes Leben. Selbst der herkömmliche volkswirtschaftliche Unterschied zwischen Krediten zum Zweck der Produktion und denen zum Zweck der Konsumtion scheint nie gedacht worden zu sein. Wer über Hypotheken ein Haus baut und das den Kindern hinterlässt, wurde bisher selten auf eine Stufe gestellt mit dem, der per Überziehungskredit sich ein paar lockere Monate auf den Malediven verschafft. Der Fehler ist keiner der Logik, sondern einer des Willens zur Verdrängung. Würde auch nur die Möglichkeit zugelassen, an den potentiellen Reichtum der menschlichen Produktivkraft zu denken, könnte doch die Frage auftauchen bei solchen, die nicht alles vergessen haben: Und wie entfesseln wir diese Produktion? Das wieder würde stören – bei soldatischer Parteibegeisterung und der Verkehrung von Qual in Zwangslust: Es riss die Abgeordneten von ihren Sitzen. Stehend applaudierten sie minutenlang. Trotz all der liebenswürdigen Aufopferung für die Nachkommenden werden die Kindergärten, Schulen, Unis usw., die für die kommenden Generationen, zur Ausbeutung der oft erwähnten »Hirnbergwerke der Jugend« nötig wären, nicht gebaut. Im Selbstwiderspruch zeigt sich: alle Patentrezepte helfen dem Kapitalismus nicht mehr von dem Krankenbett, auf dem ihn am Ende der Weimarer Republik der Gewerkschaftsmann Tarnow schon sah. Der wollte, wie Schröder heute, schon damals nicht sein Totengräber werden, sondern sein Arzt. Man kennt den Ausgang der Erweckungsbemühungen. Und so entspricht die Leere dieser Zukunft der von Schröder stillgestellten Vergangenheit.


Und die Gegenwart?

Die Gegenwart der jetzt Anwesenden, Hörenden und Pflichtjubelnden kam in Schröders Parteitagsrede nicht vor. Für die jetzt Lebenden scheint es nur Sparen für die Zukunft zu geben. Darin enthüllt sich die Schwäche des ganzen Gedankengebäudes. Schröder geht es selbstverständlich ausschließlich um Gegenwart – die seine. Den nächsten Augenblick, die kommende Wahl ... An der Stelle, an der er selbst mit diesem Willen auftauchen sollte, präsentiert sich ein Vakuum. Denjenigen, die das mitbekommen, atomisiert, zerstreut, und weitgehend ohnmächtig, wie siee sind, gibt dieser Anblick zumindest eine Chance: die der Erkenntnis der Wahrheit in der Lüge. Derjenigen nämlich, dass Kapitalismus selbst von seinen Verteidigern nur noch so präsentiert werden kann – als Existenzform, der jeder Schein des Lebens ausgetrieben wurde, alle Aufschwünge, Entfaltungsträume und Überraschungen. Schröder, Chauffeur des Sachzwangs, fährt ein klapperndes Vehikel vor, das vor sich hin ruckelt, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft und vor allem ohne Gegenwart.

Beitrag aus:THEORIE PRAXIS LOKAL, FFM

Einblicke in den offenen Diskussionsprozess: http://sozialistische-studienvereinigung.frankfurt.org




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»Prima leben und sparen«

Im vollen Bewusstsein der Demütigungen des Konsums, wandelte ich mal wieder an den Geschäften vorbei, drückte mir die Nase an den Scheiben platt und wollte all die schönen Dinge dahinter. Ein Stolpern, die Parole »Gegen den Sozialabbau – organisiert den Kaufhausklau!«, Irritation, ja Diebstahl ist doch auch ne Taktik: gegen den Lohnklau, Zeitklau, Lustklau sich das schöne Leben anzueignen. Wow, dachte ich, das hast du dich ja auch schon ewig nicht mehr getraut. Eigentlich war bei mir auch die Luft raus, als ich vor ein paar Jahren im Minimal beim Klau eines Pelikano-Füllers just den jungen Mann beim Einstecken des Markenproduktes so entwaffnend anlächelte [so kam ich doch bisher immer durch], der mir dann Minuten später kurz vor dem Ausgang genauso freundlich lächelnd entgegentrat und seinen Detektivausweis hinhielt. Erwischt. Oh je! War mir das peinlich, mit einem Pelikano-Füller! Aber das Unwohlsein kam eigentlich eher über das Alleinsein – keine »partners in crime« um den Misshergang hinterher in Kritik-Selbstkritik-Runden zu besprechen. Nun, die Sache kostete 300 DM, aber seitdem rechne ich doch vorher immer durch und versuche die schönen Dinge Dinge sein zu lassen.

Meine besseren Erfahrungen gegen das System machte ich, wie so oft, in der Gruppe. Einige Zeit vor meinen Minimal-Schicksal trafen sich einmal die Woche Delegierte mehrer WGs, um in einem Auto durch Frankfurt und Umland zu ziehen – eben in die Viertel, wo wir nicht wohnten – und dort im Team einzuklauen. Da es dort noch Supermärkte gab, die entweder – ganz billig – eine Lichtschranke oder zumindest ein relativ unbeobachtetes Drehkreuz besaßen, über das man leicht einen Einkaufskorb drüber heben konnte, nutzten wir diese Eventualitäten gnadenlos aus. Im Zweifelsfall, gerade im Sommer, gab’s immer noch die Ausrede: »... ich muss noch mal nach draußen, die Orangen von der Auslage mitnehmen«. Doch eigentlich benötigt haben wir diese nie. Besonders die Märkte der Schade-Kette hatten diese Methode nicht auf ihrem Scanner. So ließen wir uns Zeit, auch Zeit alles zu beobachten und wurden darin immer sicherer. Hatten auch die Gewissheit, dass sich im Notfall einEr dazwischen stellt oder halt das Blumenregal umschmeißt. Insgesamt schulte das nicht nur – im Gegensatz zum üblichen Ware-in-aller-Heimlichkeit-verschwindenlassen – die kriminelle Energie, sondern auch den mikrosoziologischen Blick auf das class/race/gender/consumer-Verhalten in HL- oder Tengelmann-Märkten, die Streuung der Klientel über verschiedenen Uhrzeiten: morgens mehr Hausfrauen oder Arbeitslose, mittags SchülerInnen [super, mit denen waren sie beschäftigt] abends war’s dann manchmal auch zu voll: »das Leben nach dem Business kann ganz schön hektisch machen«. Die Märkte im Umland waren zwar sehr betulich und verschlafen, dafür warst du ab 5km hinter der Stadtgrenze oft schon das Alien. Das schulte natürlich auch Techniken wie Verkleidung und Performanz: etwas bessere Klamotten, aber nicht zu dick aufgetragen – oft gab es schon große Lacher, wenn sich einige versuchten, betont bürgerlich zu kleiden, aber als Vorlage wohl eher den 1973 er Neckermann-Katalog benutzten. Natürlich führten auch diese Taktiken früher oder später zum typisch kleinkriminellen Größenwahn – statt Einkaufskörben gleich Einkaufswagen rausschieben: »Lass uns Vokü zum Nulltarif machen«, »Warum hast du die billige Marmelade genommen und nicht die von Mövenpick?« – »Äh, die Vierfrucht schmeckt mir besser« – »Ach so!« Der Spaßfaktor war enorm viel höher als beim individuellen Einkauf – auch konnten wir uns so gleich verbunden fühlen mit den Massen der Welt – »Bildet Banden!« usw. Doch in die Kaufhäuser trauten wir uns nicht, die elektrischen Piepser, auch wenn anfangs oft fake, waren uns suspekt. Zwar war in der radikal immer so eine Sozialrevoluzzer-Serie1 mit tollen Tipps wie der doppelbödigen Tasche – aber allein die Konstruktionsanleitungen trieben mir immer schon den Schweiß auf die Stirn und ich sah mich wochenlang in Papas Heimwerkerkeller am Rumtüfteln, und das war es mir dann doch nicht wert.

Mittlerweile sind Piepser Standardausstattung und auch sonst hat innenarchitektonisch die präventive Aufstandsbekämpfung zugeschlagen. Die luschigen Schade-Märkte (jetzt Tengelmann) haben meist am Drehkreuz noch ne Kleinbäckerei installiert oder irgendein Fuzzi macht dort Produktpräsentation. Die unübersichtlichen Yucca-Palmen zwischen Kasse und Ausgangsbereich werden auch seltener und die teuren Mach3-

Rasierklingen gibt’s sowieso nur hinter Gitter an der Kasse. Ich möchte das jetzt nicht zu sehr zerreden, aber Praxis mit diesen Experimenten habe ich nicht mehr. Außerdem gehe ich auch mehr arbeiten und die Verabredung mit vier WGs erfordert wahrscheinlich eine dreiwöchige Terminplanung ...

Nun jetzt könntet ihr sagen, dass war ja auch ganz schön individuell, auch wenn du das jetzt als kollektive Prozesse verkaufst. Und mit dieser These steht ihr dann ja auch immer auf der sicheren Seite. Auch Hausbesetzen statt Miete zahlen, funktioniert nur für die, die dort wohnen. Wo kämen wir denn dahin, wenn das alle machen würden! Wenn ich – alte Neugier – nur wüsste, was alle machen. Sitz ich heute auf einer linksradikalen Veranstaltung, verbinden mich seltenst rebellische Alltagserfahrungen mit den Leuten. Es geht nicht darum, im Nachhinein tolle linke Stammtisch-Geschichten zu erzählen, sondern viel mehr darum, sich überhaupt Geschichten zu erzählen. Manchmal denke ich, je mehr ich über subversive Alltage theoretisiere, desto unkreativer ist mein eigener geworden.

Donato Lopez


>notes<

>1< »Gegen den Sozialabbau – organisiert den Kaufhausklau!« (radikal Nr. 143, Mai 1991) Wer diese Bauleitung einfach findet, kann sich ja gerne mal dran versuchen – ich komme mit zum Austesten.




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Verfassungsfeindlich wohnen

he Sie ... ! Sie können hier nicht wohnen, das hier ist kein Wohnraum, weder Heim, noch Haus, noch Mietskaserne. Hier können Sie nicht stehen bleiben, packen Sie Ihre Gefährte und fahren Sie weiter; das hier ist kein Campingplatz, keine Landfahrerwiese und keine Kirmes. Wenn Sie keine Schausteller sind und kein Wanderzirkus, dann fahren Sie doch bitteschön woanders hin. Wir sind ja keine Unmenschen, wir gewähren und schützen durchaus jene Sonderrechte, die aus den demokratischen Verhältnissen erwachsen und in der Verfassung festgeschrieben sind; bestimmten ethnischen Minderheiten gestehen wir zu, keinen festen Wohnort zu haben, und manche Berufe erfordern es nun einfach, herum zu reisen. Und jeder kann bis zu drei seiner Wohnsitze angeben. All das ist gemäß unserer FDGO möglich. Wenn Sie aus der gesellschaftlichen Normalität herausfallen, sind Sie selbst schuld.

* wir sind Rhizom, leben, weben und verflechten uns: fahren hier- und dorthin, bereisen Städte, besuchen Freunde, finden neue Orte und Menschen; wir haben genug von Bäumen, von Hierarchien, von linearen Strukturen

* wir sind herausgefallen und geblieben. wir haben genug von der Einsamkeit, vom Alleinsein, von der Unflexibilität enger Wohnungsmauern, vom Zwang, beständig hohe Summen Geldes zu erwirtschaften, um die Grundbedürfnisse zu decken, unsere ungesicherten Existenzen zu sichern. wir haben genug davon, unser Begehren zu kanalisieren, unsere Wünsche in Geldsummen zu fassen, unsere Wohnungen von anderen bauen und verwalten zu lassen ...

Ihr da ...! Mit euch reden wir nicht; ihr seid uns schon viel zu lange ein Dorn im Auge gewesen. Es wird keine Verhandlungen geben, mit einem Kollektiv kann schließlich kein Mensch verhandeln. Und es wird keine Verträge geben; ihr würdet euch doch nicht daran halten. Und ohne Verträge habt ihr hier nichts zu suchen.

Hört zu. Das Gelände hier ist verseucht. Zu eurer eigenen Sicherheit und in 3TeufelsNamen müsst ihr hier weggehen, glaubt uns, es geschieht nur zu eurem Besten. Wohin? Das ist uns egal, aber, bitte, geht jetzt. Löst euch sofort in Luft auf! – sonst ist es aus mit unserer Geduld.

* beim Radio hast du viermal das Wort »Baumschatten« benutzt, sagen meine Mitbewohner und Freunde; vielleicht liegt´s am Sommer, sage ich ...

Wie um Himmels Willen konnte das passieren? Wie kommen Sie plötzlich hierher, wo Sie die Polizei doch seit Wochen überwacht? Wir wussten von nichts. Was wollen Sie hier? Die Eigentümerin, eine Holding der Stadt Frankfurt, hat hier sowieso Anderes vor. Und: das hier ist nicht gut für Sie: es gibt intakte Gas-, Wasser- und Stromleitungen, und damit gefährden Sie sich zutiefst. Das wollen wir nicht. Sie müssen gehen. Und bringen Sie das Kleinkind hier weg – oder haben Sie etwa keine Angst vor der Polizei? Noch besser: wir nehmen Sie fest, um Sie aus dieser Selbstgefährdung zu retten. Dann sind Sie sicher.

* sicher sind wir uns nur in einem: wir bleiben zusammen, denn wir gehören zusammen, wir sind eins, so unterschiedlich wir sind; wir sind Nomaden, wir entziehen uns euren ordnungspolitischen Maßnahmen, manchen der sozialen Konventionen: zu bleiben / zu reisen, frei zu fluten, zu gehen oder zu bleiben, zu reden, zu schweigen, zu liebenhassen oder nicht – manchmal jeden tag woanders zu schlafen, und nie allein, manchmal wochenlang an einem ort zu sein, macht uns aus ... und auch: kollektiv zu wirtschaften, gemeinsam zu entscheiden, uns ökonomischer Puffer zu sein, feste emotionale Stütze und Freundesfamilie. Leben gemeinsam zu organisieren, schweißt zusammen; und das Politische daran: auch Freiraum für andere zu bieten, das eigene Wohnzimmer geöffnet zu halten für weitere Kreise und sozialer Mittelpunkt zu sein, Knoten, Knolle, Knorpel ...


Postscript

Am 22. Juli 2003 verlassen die Bewohnerlinnen »freiwillig« ihren Rödelheimer Wagenplatz, um (zivilrechtlich) den beachtlichen Räumungskosten und (strafrechtlich) Vorwürfen wie »Widerstand gegen die Staatsgewalt« zu entgehen und begeben sich auf eine Karawane durch die Stadt. Vom 2. bis 14. Juli 2003 hatten Innenstadtaktionen den Bekanntheitsgrad des Projektes gesteigert und die breite Anerkennung und Unterstützung von Passanten und Presse aufgezeigt. Unter dem Motto »fantastic to be here« liefen viele kreative Aktionen und Performances von zivil ungehorsam bis kreativ aufmüpfig – und es wurde jene offensive Obdachlosigkeit geprobt, die als politisches Mittel für die Karawane eingesetzt werden sollte. Nur unter dem öffentlichen Druck einer symbolischen Römer-Besetzung mit den drei Gespannen der Karawane akzeptieren die Behörden 1 400 Unterschriften zu Gunsten des Projektes. Zahlreiche Presseartikel nehmen sich der Sache an und begleiten die weiteren Aktionen.

Am 26. Juli 2003 begeben sich einige FreundInnen und Unterstützer zur alten Polizeiwerkstatt in der Ginnheimer Straße 40, um exemplarisch auf deren Leerstand hinzuweisen und die Notwendigkeit von Verhandlungen aufzuzeigen, wohlwissend, dass mit gewaltsamem Widerstand seitens der Stadt zu rechnen ist. Sie beginnen, das Gelände zu beleben. Drei Tage später wird die Utopie zerschlagen. Die Reise geht weiter. Eine Leerstandskarte ist in Planung.

bea blau


[jetzt wird überall gewohnt]

virtuelle wagenplätze auf: http//:freiraum.frankfurt.org und www.copyriot.com/platz und aktionsberichte auf: www.de.indymedia.org /2003/0757043.shtml und www.de.indymedia.org /2003/0/57852.shtml und www.de.indymedia.org /2003/0/57954.shtml , konventionell: www.wagendorf.de




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Die Gefahr seid ihr alle

In Frankfurt wie in vielen anderen Städten stehen Polizei- bzw. Gefahrenabwehrverordnungen für Ausgrenzun und Repression. Die Polizeiverordnung der Stadt Frankfurt soll nun abermals verschärft werden. Doch es besteht Uneinigkeit in den entscheidenden Gremien. Zudem regt sich Protest gegen die stetig repressiver werdende Innenstadtpolitik.

Polizeiverordnung bedeutet Normierung und Ausgrenzung ...

Die Polizeiverordnung der Stadt Frankfurt, die in vielen anderen deutschen Städten Entsprechungen unter dem Namen »Gefahrenabwehrverordnung« findet, dient der offiziellen Sprechweise nach zur Abwehr von Gefahren für die »öffentliche Sicherheit und Ordnung«. Doch der Blick in den Verordnungstext entlarvt die Stoßrichtung derselben: Was hier abgewehrt werden sollen, sind nicht etwa Gefahren für Leib und Leben der Stadtbewohner, sondern die Öffentlichwerdung von Symptomen gesellschaftlicher Disparitäten, verfehlter Wirtschafts-, Sozial- und Stadtpolitik, und das Öffentlichsein nicht der Norm des »braven Bürgers« entsprechender Verhaltensweisen. In diesem Sinne folgt dem Verbot bestimmter Verhaltensweisen bei Verstoß die polizeiliche Repression, die gewaltsame Vertreibung und Unterbindung.


... in Frankfurt und anderswo ...

In der geplanten Verschärfung der Frankfurter Polizeiverordnung geht es darum, Repressionen gegen so genannte soziale Randgruppen auszuweiten. Dazu soll die seit 1994 bestehende – und 1998 und 1999 geänderte – »Polizeiverordnung« ausgeweitet werden. Zusätzlich zu den schon bestehenden Repressionen soll jetzt auch das »Lagern und Verweilen« auf Fußgängerzonen, in Einkaufspassagen etc. verboten werden, außerdem das Nächtigen im Freien, auf Straßen und in Grünanlagen und das Trinken alkoholischer Getränke, wenn hierdurch andere Personen »gefährdet« werden. »Aggressives Betteln« soll nun pauschal untersagt werden. Das Hütchenspielen soll verboten werden. Des weiteren wird der Bereich der Geltung der Polizeiverordnung erweitert auf alle »von Straßen, Grün- und Spielanlagen oder unterirdischen Anlagen einsehbaren und unmittelbar frei zugänglichen Haus- , Geschäfts- und Grundstückseingänge.«

Es ist klar, worum es geht: Soziale Ausgrenzung und Vertreibung soll wieder einmal offensiv voran getrieben werden und somit dem »Zero-Tolerance«-Konzept für Frankfurt das Wort geredet werden. Jeder in der Innenstadt vorhandene öffentliche Raum soll staatlicherseits vollständig kontrollierbar, jede Form »störender« Handlungen sanktionierbar sein. Frankfurt ist in dieser Hinsicht paradigmatisch für Entwicklungen in vielen anderen Städten.


... regt sich Protest dagegen

In Frankfurt hat sich gegen das Vorhaben, die Polizeiverordnung weiter zu verschärfen, ein Bündnis aus mehreren Gruppen und Einzelpersonen gebildet, das neben Kreativaktionen und Flugblattverteilen in der Innenstadt eine Demonstration vor dem Römer organisiert und die Stadtverordnetenversammlung »kritisch begleitet« hat. Weitere kreative Polit-Aktionen von verschiedenen Initiativen sind in Planung. Auf der Ebene der städtischen Gremien hat es auch deswegen einigen Wirbel gegeben. Zudem haben die bisher in die Verhandlungen über die Ausgestaltung der Polizeiverordnung einbezogenen Kirchen Position gegen einen großen Teil der geplanten Verschärfungen bezogen, so dass sich eine Entscheidung über die Verschärfung der Verordnung, die nun wieder vollständig auf die parlamentarische Ebene verlagert ist, bis nach der Sommerpause hinziehen dürfte. Zeit genug, um aus Protest, z.B. in großen Gruppen in Fußgängerzonen oder am Main, bis spät in die Nacht laut Musik zu hören, Stöffsche zu trinken, Hütchen zu spielen und all das zu tun, was verboten werden soll.

Alexander Wagner




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Nicht bestimmungsgemäßes Verweilen

Bahnhof Leipzig, 22. Juni 2003, 18:35 Uhr: Wie von Geisterhand beginnen weit über 400 Menschen gleichzeitig am Leipziger Hauptbahnhof dieselben Gesten auszuführen. Sie zeigen in den Himmel, als seien überall die Anzeigetafeln für die Abfahrt der Züge, hocken sich gleichzeitig nieder, um sich die Schuhe zuzubinden, breiten die Arme aus, als seien sie lebendige Verbotsschilder. Dann beginnen sie bei dieser »Übung in nichtbestimmungs­gemäßem Verweilen« die Hausordnung zu übertreten: Aus der Geste, die Hand zur Begrüßung zu reichen, wird durch eine kleine 90°-Drehung der Hand die Geste des am Bahnhof verbotenen Bettelns.

Die BesucherInnen, die meist, ganz der Funktionalität des Raumes entsprechend, entweder shoppen oder reisen wollen, sind sichtlich irritiert. Nicht wenige fragen die Agierenden, was sie dort tun. Diese nehmen an einem Radioballett der Hamburger Gruppe LIGNA teil, dessen Choreographie auf der Frequenz des freien Radios Radio Blau ausgestrahlt wird. Sie versuchen mit ihrer Teilnahme, den Bahnhof für eine Zeit lang wieder als öffentlichen Raum herzustellen: »Der Raum ist öffentlich, wo er unkontrollierbar wird«, ist aus den Radios zu vernehmen. »Das Radioballett erzeugt eine unkontrollierbare Situation«. Tatsächlich haben die Wachleute für die Zeit des Radioballetts die Situation nicht unter der üblichen Kontrolle. Viele Passanten schließen sich spontan den verbotenen Gesten an: Als am rauchfreien Bahnhof in allen Ecken Zigaretten von den TeilnehmerInnen angezündet werden, ist dies eine willkommene Einladung. Kontrolliertes Verhalten, das an Bahnhöfen inzwischen »normal« ist, erscheint plötzlich wieder als abweichend – normal werden all die verdrängten und vergessenen Gesten und Verhaltensweisen, weil sie massenhaft zerstreut ausgeführt werden.

Die Bahn hatte zwei Tage vorher versucht, das Radioballett zu verbieten: Es sei nicht genehmigt worden. Die Radiogruppe LIGNA vom Freien Sender Kombinat in Hamburg hatte die Bahn jedoch schon lange vorher informiert: Ihrer Ansicht nach musste das Radioballett – anders als eine Versammlung im Bahnhof – nicht genehmigt werden, denn das Radioballett ist eine Zerstreuung. Entsprechend wurde unbeeindruckt dazu aufgefordert, zum Bahnhof zu kommen und gegen die Kontrollierung, Privatisierung und Zonierung öffentlicher Räume gestisch zu protestieren. Die Bahn konnte ihr Verbot nicht durchsetzen. In aller Ruhe setzten und legten sich die fast 500 Leute auf den blankpolierten Boden, spielten Kinderspiele und tanzten selbstvergessen zur Musik.

Für die Dauer des Balletts konnten so Gesten kollektiv eingeübt und erinnert werden, die jeder und jedem allein unmöglich gewesen wären. Nach dem Ende des Balletts, das spontan bejubelt wurde, stellt sich weiterhin die Frage, wie sich die fortschreitende Kontrollierung des Alltags, für die die Situation am Leipziger Bahnhof nur prototypisch ist, aufhalten lässt: Der öffentliche Raum als Ort politischer Artikulation, darauf hatte das Leipziger Bündnis gegen Rechts schon vor drei Jahren in der bundesweiten Kampagne Save the Resistance! aufmerksam gemacht, wird mehr und mehr eingeschränkt. Revolutionen sind nach einem Wort Walter Benjamins Notbremsen gegen die rasante Entwicklung des Kapitals – im Radioballett wurde die Notbremse zumindest gestisch schon einmal gezogen.

Sonja M. Fehler




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Angegriffene Tradition


Inmitten der bayrischen Voralpen, malerisch eingeschlossen zwischen Karwendel- und Wettersteingebirge liegt das stille Örtchen Mittenwald mit seinen beiden großen Kasernen in denen 2000 sogenannte »Gebirgsjäger« stationiert sind. Wie jedes Jahr seit 1952 treffen sich dort zu Pfingsten die alten Nazihelden der in Mittenwald ausgebildeten Divisionen gemeinsam mit Offizieren und Soldaten der Bundeswehr auf dem Bundeswehrgelände hinter der großen Karwendelkaserne um ihrer, in den beiden Weltkriegen gefallenen »Kameraden« zu gedenken.

Die Karwendelkaserne wurde erst 1995 nach großen öffentlichen Protesten umbenannt, nachdem sie jahrzehntelang den Namen des Nazi-Generalmajors und Gebirgsjägers Ludwig Kübler – auch bekannt unter dem Beinamen »Bluthund vom Lemberg« – trug. Noch heute werden dort die »Leistungen« der Vergangenheit gefeiert und voller Stolz erleben die greisen Wehrmachtsveteranen, dass Bundeswehrsoldaten in SFOR- und KFOR-Einheiten jüngst wieder auf dem Balkan kämpfen, wo sie selbst vor 60 Jahren wüteten. Bis heute leugnen sie die von ihnen begangenen Massaker und Zerstörungen während des zweiten Weltkrieges.

Einheiten dieser in Mittenwald ausgebildeten »alpinen Elitetruppe« verübten im 2. Weltkrieg zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten, so z.B. in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und der ehemaligen Sowjetunion.


»An die Gewehre, an die Gewehre, Kamerad, da gibt es kein zurück«
(Gesungen bei einer Gedenkveranstaltung dieses Jahr in Griechenland zu Ehren ihrer toten Kameraden)

Die Militärfeierlichkeiten werden vom »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« organisiert und gelten mit ihren ca. 8.000 ehemaligen und aktiven Soldaten als die größte Soldatenfeier der BRD. Die ermordeten Opfer finden in diesen Heldengedenken selbstverständlich keine Erwähnung.

Stoiber beschrieb die Treffen der Gebirgsjäger als »unangreifbare Traditionspflege«. Diese dient einerseits der nachträglichen Legitimation der in den 40er Jahren verübten Verbrechen, zielt gleichzeitig aber auch ab auf jüngere Gebirgsjägereinsätze der Bundeswehr, u. a. im Kosovo und jüngst in Afghanistan; meint sowohl die historische Seilschaftenpflege der Kameraden als auch den Einsatz von Bundeswehr-Elitetruppen im Ausland. Beim letztjährigen Pfingsttreffen kam es immerhin zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, weil einige ehemalige Tiroler Wehrmachtsveteranen stolz ihre Hakenkreuzorden trugen – das Verfahren wurde jedoch wegen Geringfügigkeit eingestellt. Obwohl die von den Gebirgsjägern verübten Massaker zu den schlimmsten Kriegsverbrechen der Wehrmacht zählen und die Namen der Täter mittlerweile längst bekannt sind, wurden sie bis heute nicht zur Verantwortung gezogen – und dies hat Tradition: Schon in der Entnazifizierungsphase direkt nach ‘45 sollten die Kriegsverbrechen der Wehrmacht aus den Nürnberger Verurteilungen herausgehalten werden; es wurde eine strategische Trennlinie gezogen, zwischen einer »guten Wehrmacht«, die als eine der Kriegsparteien nur ihre Pflicht tat, und einer – wenn sich Verbrechen beim besten Willen nicht mehr leugnen lassen – allein verantwortlichen SS. Ein Grund war die Absicht, mit der Bundeswehr eine neue Armee in der jungen BRD aufzubauen. Die »Sachkenntnis« der alten Wehrmachts-Offiziere wurde hier geschätzt; kaum einer der Nazi-Kommandanten wegen Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen; die meisten konnten ihre Wehrmachtskarriere bruchlos in der Bundeswehr fortsetzen.

Bereits in den 60er Jahren versuchten Überlebende beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Entschädigungsforderungen geltend zu machen und die Täter anzuzeigen. Dies jedoch ohne Erfolg. Auch der Justizapparat war größtenteils noch mit Personen besetzt, die bereits im Nationalsozialismus in ihrem Beruf tätig waren. Nun konnten durch jahrelange Recherchen der VVN neue Beweise zusammengetragen werden, die unter anderem aus der monatlich erscheinenden Gebirgsjägerzeitschrift »Die Gebirgstruppe« herausdestilliert werden konnten. In schöner Regelmäßigkeit brüsten sich dort und auf dem Mittenwalder Pfingsttreffen Veteranen damit, an welchen Orten sie damals ihre »Heldentaten« verübten.

Pfingsten 2002 wurde zum ersten Mal und zur großen Überraschung der »Kameraden unterm Edelweiß« die traditionelle Mittenwaldfeier von AntifaschistInnen gestört, welche inmitten der Feierlichkeiten für die deutschen »Helden« zu einer Gedenkminute für deren Opfer aufforderten. Die Aktion endete im Tumult und mit Tritten und Schlägen für die DemonstrantInnen.


»Da stellen wir eine Bürgerwehr auf und hauen sie raus – die Krüppel«
(O-Ton eines Kameraden einer NDR-Moderatorin gegenüber während der Feier am Hohen Brendten)

Öffentlicher und breiter wurde zum diesjährigen Mittenwalder Pfingsttreffen ein Hearing als Gegenveranstaltung mit anschließender Demo und Mahnwache veranstaltet, gemeinsam organisiert von der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten« (VVN/BdA), dem AK Distomo sowie dem AK Angreifbare Traditionspflege aus Wuppertal. Zum ersten Mal in der Geschichte kamen Opfer der Edelweiß-Gebirgsdivision nach Mittenwald, um die Täter mit ihren Taten zu konfrontieren.

Anlass war vor allem, die noch lebenden Täter rechtskräftig zu bestrafen, ebenso wie den Entschädigungsforderungen der Opfer Nachdruck und Öffentlichkeit zu verleihen. Dies nicht zuletzt auch als Zeichen gegen die nach ’45 in Deutschland hegemonial gewordene Kultur des Vergessens und Tradition der Lüge: Erinnert sei nur daran, wie schwer verdaulich etwa die Wehrmachtsaustellung für die Mehrheitsgesellschaft war und wie bereitwillig der von Walser und anderen angestoßene antisemitisch konnotierte Normalisierungsdiskurs aufgegriffen wurde.

Etwa 300 AntifaschistInnen jeder Altersstufe waren der Gegenveranstaltung ins touristische Mittenwald gefolgt. Schon auf der Anfahrt kam es zu Schikanen der Polizei, welche die Busse akribisch durchforstete und etwa Flugblätter und Transparentstöcke beschlagnahmte, deren Umfang oder Länge nicht der Bayernnorm entsprachen.

Die anschließende Demonstration durch die bayrische Provinzstadt sorgte bei den zum großen Teil vom Alpentourismus und dem Kasernenstandort lebenden BewohnerInnen für einige Irritation: Kleine Scharmützel, Hitlergrüße am Straßenrand, Pöbeleien, dass dieser Aufzug nur Steuergelder verschlucke und die Aufforderung, dass die DemonstrantInnen sich »zum Teufel scheren« sollten, bzw. »vergast gehörten« prägten das Bild. Es gab nur einzelne und leise Stimmen, denen zumindest die Präsenz der Soldaten im Stadtalltag missfiel.


»... es war ein kleines Edelweiß, ein kleines Edelweiß ...«
(Gebirgsjägerhymne, gesungen 2003 am Hohen Brendten)

Auch die Mahnwache auf dem Weg zum Hohen Brendten, eine Kundgebung mit Lautsprecherverweisen auf die Namen der Täter von Kephallonia und Distomo, mit Partisanenmusik untermalt, war für viele der vorbeiziehenden Gebirgsjäger und ihrer Gattinnen Anlass zu spontanen Hitlergrüßen und verbalen Ausbrüchen.

»Die Traditionspflege stellt die Würdigung schwerster Verbrechen dar«, so Ulrich Sander, der Sprecher der VVN-BdA. Derweil klagte der Organisator des Kameradenkreises, Coqui, dass die »Medien kommen, seit linke Demonstranten Krawall machen«. Sie störten die »schöne Veranstaltung,… die größte ihrer Art mit Fahnenabordnungen, Ehrensalut, mit Feldgottesdienst, Ehrenwache und Bayernhymne«. Es sei eine Zumutung, dass die diesjährig sprechenden Pfarrer »so ein Allgemeindenken« daraus machten. Ein Veteran untermauert diesen Ärger mit den Worten: »Wenn ich in Griechenland bin, dann denke ich dort über die Opfer nach. Wir sind hier aber bei uns«.

So wenig Platz am Pfingstsonntag in den Militärgottesdienstreden für die Opfer war, so ergriffen wurde am Pfingstsamstag einem »treuen Kameraden« der »Ehrengruß« gegeben: ein Maulesel-Denkmal wurde vor der Kaserne feierlich eingeweiht.


»Wir haben in den letzten 60 Jahren der Welt genug unsere Reue gezeigt«
(O-Ton eines Reserveoffiziers an Pfingsten auf dem Hohen Brendten)

Überlebende von Distomo fordern seit Jahren Entschädigungszahlungen. Ein griechisches Gericht fällte vor 3 Jahren ein Urteil, welches die BRD als Rechtsnachfolgestaat zu damals 56 Mio. DM verpflichtete. Nach langen Verzögerungen gab es nun im Juni diesen Jahres ein Urteil: Das zuständige deutsche Gericht lehnte jede Zahlung mit dem formalen Verweis auf die »Staatsimmunität« ab, nach der nur Staaten gegen Staaten, nicht aber Privatpersonen gegen Staaten klagen können. Als Voraussetzung für eine Entschädigung und eine Verfolgung der Täter müsste die Tat als Verbrechen anerkannt werden. Aber bereits in einem Brief aus dem Jahr 1995 stellte sich die deutsche Regierung deutlich auf den Standpunkt, dass das Massaker an der Zivilbevölkerung von Distomo kein Verbrechen, sondern vielmehr eine reguläre »Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung« gewesen sei.


nomadenheinzel und streuobstwiese


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Indeterminate!

Dass die bestehende Gesellschaft nicht das natürliche happy end der geschichtlichen Entwicklung ist, sondern aus vielen guten Gründen überwunden werden muss, ist klassischer Bestandteil emanzipatorischer Philosophie und Politik, emanzipatorischen Kunst- und Kulturschaffens. Noch immer, aber anders, gilt die kritische Erkenntnis, dass der Kapitalismus diejenigen Qualitäten zugleich bereitstellt und blockiert, die eine freie und gerechte Gesellschaft virtuell ermöglichen. Gegen die Gewalt der aktuellen Postpolitik wird hier vorgeschlagen, sich dieser Erkenntnis durch eine neue große Geste zu vergegenwärtigen: Verstanden als Überwindung und Negation kapitalistischer Vergesellschaftung bleibt der Kommunismus handlungsanleitender Bezugspunkt kritischer Theorie.

»Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.« (Karl Marx: Deutsche Ideologie)

Ausgehend von einer Analyse der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse eines postmodernen Kapitalismus sollen gegen ein »Ende der Politik« diskursive Freiräume für ein Nachdenken über grundlegende

gesellschaftliche Alternativen eröffnet werden. Ziel ist es, durch theoretische Auseinandersetzungen und vielfältiges künstlerisches Arbeiten mit dem Bezugspunkt »Kommunismus« die »Systemfrage« in postkonventioneller Hinsicht wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, ohne jedoch dabei von der Suche nach emanzipatorischen Eingriffspunkten für eine kapitalismuskritische Praxis auch diesseits einer globalen Überwindung des Kapitalismus zu entlasten. Der Bezug zum Begriff »Kommunismus« wird hierbei in Abgrenzung zu orthodoxen marxistischen Theorietraditionen oder zum real-existierenden Sozialismus in Ermangelung eines besseren Begriffs für eine noch nicht näher definierte fundamental andere gesellschaftliche Assoziation zum Zwecke der Provokation und des Denkanstoßes verstanden. Die zahlreichen Verfehlungen historischer kommunistischer Versuche reflektierend, ist es heute der Kommunismus, der sich zum Platzhalter der Errungenschaften des Liberalismus macht. Die einsame Stunde der letzten Instanz schlägt nie: Die Evidenz der Aktualität des Kommunismus speist sich auch außerhalb der klassischerweise als »Ökonomie« verstandenen Sphäre etwa aus den Topics Geschlechterverhältnisse, Postkolonialismus, Biotechnologie, Gedenkpolitik oder der Demokratietheorie.

Sich von einem agitatorischen, funktionalitischen Verständnis von Kunst und Kultur verabschiedend, benachbart dieser Kongress sowohl diskursive als auch kulturelle Bearbeitungsformen des Themas »Kommunismus«. Stattfinden wird sowohl ein inhaltlich-theoretischer Teil, der in relativ »klassischer« Weise Panels, Foren und Arbeitsgruppen beinhaltet, als auch ein kulturell-künstlerischer Teil, der vielfältige Ausdrucksformen wie Filmvorführungen, Performances, Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen, bildende und Videokunst und Installationen umfasst. Dabei wird die Trennung von »Politik / Theorie« und »Kunst / Kultur« in ihrer Institutionalisierung kritisiert und in ihrem Material korrigiert.

»Indeterminate!« ist ein Aufruf, Determinismen zu zerlegen. Das Unmögliche zu versuchen. Sich alles nochmal genau zu überlegen. Selbst zu entscheiden. Geschichte zu gefährden.


Infos, Anmeldung & Diskussion:

http://www.demopunk.de

http://www.kommunismuskongress.de