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décadence naturelle

rassismus / sexismus / antisemitismus oder die perversen ränder des hegemonialen körpers


01.

Während das verhältnis von rassimus und sexismus seit den interventionen von women of colour häufig diskutiert wurde und politische effekte bis in die theorien des dekonstruktivistischen feminismus und die debatten der antirassitischen grenzcamps gezeitigt hat, sind die geschlechterkonstruktionen antisemitischer diskurse wenig erforscht oder haben zumindest in den linken debatten zu antisemitismus keinerlei relevanz. Während sich die feministische debatte seit anfang der achtziger hauptsächlich auf die täterinnenschaft von frauen konzentriert hat, also eher die geschlechlichkeit der antisemitischen subjekte denn die der antisemitischen bilder untersucht hat, gibt es eine breitere jüdische debatte, die sich hauptsächlich mit dem geschlechterverhältnis im judentum selbst auseinandersetzt. Texte, die an der schnittstelle der beiden debatten operieren, neigen nicht selten dazu, die geschlechterkonstruktion im judentum mit jener antisemitischer diskurse zu vermengen, was häufig die unbeabsichtigte konsequenz zeitigt, dass der antisemitismus an die jüdinnen rückgekoppelt wird. Entgegen solcher erklärungsversuche, beharrt der vorliegende text auf der antirassistischen erkenntnis, dass beide ebenen strikt zu trennen sind: Mit den jüdinnen hat das antisemitische ressentiment nichts zu tun.

Im folgenden soll sich weder vornehmlich mit dem antisemitismus von frauen beschäftigt werden noch mit den geschlechterverhältnissen in »dem« judentum, das im singular sowieso nicht existiert. Thema wird vielmehr sein, welche bilder von geschlecht und sexualität antisemitische diskurse produzieren und zirkulieren lassen und wie diese bilder in beziehung bzw. im kontrast zu jenen stehen, die rassistische diskurse erzeugen. Dabei kann es freilich nicht darum gehen, die diskurse in ihrer widersprüchlichen komplexität und historischen wandelbarkeit umfassend zu rekonstruieren. Der versuch besteht eher darin, mit einer feministisch-perversen taschenlampe die spotlights so zu setzen, dass sich die rassistischen und antisemitischen bilder von geschlecht und sexualität nachzeichnen und ihre logiken entziffern lassen.


02.

Einem ehemaligen anführer der black panther, eldridge cleaver, zufolge, weist der rassistische diskurs den von ihm hervorgebrachten subjekten geschlechtlichkeit auf folgender achse zu: ultramaskuliner schwarzer mann, maskuliner bis effeminierter weißer mann, maskulinisierte, virile schwarze frau, ultraweibliche weiße frau. Der weiße mann sichere sich seine überlegenheit, schütze seine – gekränkte – männlichkeit, durch die ihm über seine stellung im produktionsprozess zufallende kontrolle. Kontrolle der schwarzen sexualität. Während der weiße mann nämlich sowohl mit der maskulinen, weil als offensiv sexualisierten schwarzen frau und mit der ultraweiblichen weißen frau sexuelle beziehungen eingehen darf, ist die verbindung von schwarzem mann und weißer frau tabu. Jene verbindung wird infolge des tabus aber in besonderem maße exotisiert. Und zwar sowohl für schwarze männer, als auch für weiße männer, deren angst darin besteht, die schwarzen männer könnten die reinheit ihrer weißen frauen beschädigen, genauer ihnen ihre männlichkeit, ihren rang streitig machen. (meinecke 2001: 50)

Dazu passt, dass die überwiegende mehrzahl der in der us-amerikanischen pornosparte »interracial sex« vorfindbaren darstellungen, schwarze männer mit weißen frauen zeigt. Im gegensatz zur als möglicherweise ultraultrafeminin konstruierten asiatischen frau, die häufig mit muskulösen westlichen / us-amerikanischen, weißen männern gezeigt wird1, scheint sich die verbindung schwarze (maskuline) frau – weißer mann nicht so recht in den mainstream des pornographischen diskurses einzupassen, der als halböffentlicher gerade (auch) die funktion hat, tabuisiertes begehren zu artikulieren.

Der rassistische diskurs erscheint hier als ein männlicher, als einer, der das konkurrenzverhältnis von weißen und schwarzen heterosexuellen männern verhandelt. In dieser hetero- und androzentrischen perspektive sind frauen eine der waren, deren ungleiche allokation, verteilung rassistisch organisiert wird. Aber freilich ist auch weibliches begehren rassistisch überdeterminiert, was sich nicht nur am zunehmen jener sextourismusangebote zeigt, die sich an weiße frauen richten, sondern auch an kontaktanzeigen, die nicht selten besonders männliche männlichkeit als schwarze, migrantische benennen. Gleichzeitig findet sich die tabuisierung von interracial begehren auch in schwulen / queeren zusammenhängen. Bezeichnungen wie snow queen für schwarze drag queens welche weiße partner bevorzugen und dinge (slang dreckig, schmutzig) queen für solche mit heller hautfarbe und bevorzugt dunkelhäutigen partnern haben nicht nur eine allgemein diskriminierende bedeutung, sie schreiben auch eine rassistische hierarchie fest.

Bestätigen ließe sich die oben aufgemachte these, dass der rassistische diskurs geschlechtlichkeit entlang einer achse anordnet, auf der schwarzer mann und weiße frau die äußeren pole bilden, möglicherweise auch an der von butler und hooks am film paris is burning diskutierten beobachtung, dass rassifizierte drag-queens ein ideal weißer weiblichkeit impersonieren. Die attribute weiß und feminin sind also verknüpft und scheinen einander zu verstärken.

Auf der anderen seite lässt sich feststellen, dass professionelle bodybuilder, wie sie auf den sportkanälen und in einigen spezialzeitschriften zu bewundern sind, zumeist ein ideal muskulöser schwarzer männlichkeit verkörpern. Aufgrund der in diesem genre üblichen, exzessiven solariumbestrahlung lassen sich rassische zuordnungen kaum noch vor-nehmen, gleichzeitig schrumpft die geschlechtliche differenz vermittelt über testerongestützten muskel-aufbau auf einen rosastreifen zusammen, den einige bodybuilder über den brustwarzen tragen.


03.

Ebenso wie die rassistischen bildproduktionen schwarzen eine überbordende sexualität zuschreiben, weist auch der antisemitische diskurs den jüdinnen oder juden eine anstandslose begierde, geilheit zu. Die konstruktion von geschlecht und sexualität verläuft im antisemitischen diskurs aber anders als im rassistischen. Im gegensatz zur schwarzen frau, macht die promiskuität der jüdischen frau diese keineswegs zu einem begehrenswerten, wenngleich schmutzigen objekt, sondern wird ihr als männliche eigenschaft attributiert. Ebenso geht das unstillbare verlangen des jüdischen mannes nicht mit einer gesteigerten männlichkeit einher, wie für den schwarzen mann beschrieben. Vielmehr wird der jude als wenig potent bis impotent konstruiert. Die paradoxe gleichzeitigkeit von permanenter geilheit und geringer sexueller potenz, mangelhafter »manneskraft« ist paradigmatisch für den antisemitischen diskurs. Dies lässt sich beispielsweise auch an walsers roman »tod eines juden«zeigen, dessen jüdische hauptfigur, andré ehrl-könig, zwar jede konversation, jeden smalltalk mit beständigen anzüglichkeiten spickt und keine literaturkritik ohne schmutzigen witze verlaufen lässt gleichzeitig aber aufgrund seiner vorschnellen ejakulation die »nullbefriedigung schlechthin« ist, weswegen er sich vornehmlich für junge mädchen interessiert.

Im antisemitischen diskurs mangelt es dem jüdischen mann nicht nur an manneskraft, sondern an männlichkeit allgemein. Zentrum dieses diskurses um beschädigte männlichkeit ist die beschneidung des männlichen genitals. Die beschnittene vorhaut führt in der antisemitischen vorstellung zu einem verkrüppelten, verkürzten penis, welcher als symbol für eine verkrüppelte männlichkeit gelesen wird.

Das zusammenwirken von genital und anderen körperteilen, vor allem dem gehirn aber auch ohren oder nase ist eine blüte, die der antisemitische medizinische und anthropologische diskurs, vorwiegend in den studien zur physiognomie der jahrhundertwende, treibt. Diese so genannte reflextheorie basiert auf der annahme einer korrelation verschieder organe und spezifiziert hier insbesondere den nexus zwischen genital / geschlechtsorgan und anderen körperteilen oder beschwerden. Analog zu den studien über hysterie, deren ursprung in den eierstöcken und der klitoris (»masturbationsschwachsinn«) gesehen wurde - zum zwecke der heilung entfernte »man« selbige –, galt die krumme jüdische nase als indiz für das beschädigte männliche glied.(hödl 1997: 164 - 222) Im medizinischen diskurs des 19. und beginnenden 20. jahrhunderts rückte der beschnittene und somit verkrüppelte penis in die nähe des weiblichen genitals. Ebenso wie frauen war der jude diesen deutungen zufolge seines intakten geschlechtsteils beraubt, kastriert. Es sollte nicht überraschen, dass zu lebzeiten sigmund freuds auch von der klitoris als »der jud« gesprochen wurde. Freud selber vermutete in der sich in diesen bildern niederschlagenden kastrationsangst die wurzel des antisemitismus.

Im antisemitischen diskurs ist der körper des jüdischen mannes also ein weiblicher. Er gilt als besonders anfällig für alle modernen nervenkrankheiten, so eben auch die hysterie, sei von kleinem, schwächlichen wuchs, habe einen den frauen vergleichbaren brustumfang und ähnlich schmale schultern. Selbst die stimme verrät einen weiblichen charakter. Es ist eine »sich bis zum überschlagen steigernde stimme« – so walsers beschreibung des ehrl-könig – eine fistelstimme. Der jüdische ethnologe adolf jellinek meinte sogar die weiblichkeit des jüdischen volkes mit der stimme beweisen zu können: bassstimmlage gebe es bei juden viel seltener als bariton. (gilman 1994: 75)

Da im rassistischen antisemitismus des frühen zwanzigsten jahrhunderts der »sozialcharakter« aus der »biologie« physiognomisch abgeleitet wird, verweist das jüdische körpergeschlecht auch auf ein entsprechendes soziales geschlecht. Paradigmatisch lässt sich diese antisemitische sex / gender verknüpfung am folgenden zitat des wiener professoren für anthropologie robert stigler aufzeigen: »Die somatischen geschlechtsmerkmale [sind] bei juden auffallend häufig verwischt. Es finden sich bei juden anscheinend besonders häufig frauen mit relativ schmalen becken und relativ breiten schultern und männer mit breiten hüften und schmalen schultern. Sehr wichtig ist das bei juden bestehende bestreben, unter verkennung der bedeutung der wichtigkeit der sekundären geschlechtsmerkmale, welche beim normalen menschen instinktiv beibehalten und gefördert werden, die sozialen und beruflichen unterschiede zwischen mann und weib auszugleichen.« (gilman 1994: 241f.)

Das jüdische geschlechterverhältnis ist somit als spiegelbild heteronormer zweigeschlechtlichkeit konstruiert. Der jüdische mann ist nicht nur weder in der lage eine frau angemessen zu befriedigen noch sie angemessen zu unterdrücken, sondern lässt sich im gegenteil von jener beherrschen und zur verrichtung weiblicher tätigkeiten zwingen. Die jüdin wird in diesen bildern als »mannsweib« konstruiert: Sie opfert ihre weiblichkeit ihrer emanzipation, ist dominant und auf die befriedigung ihrer sexuellen lust aus. Sie stellt damit eine bedrohung der patriarchalen ordnung und der privilegien der braven deutschen frau dar, eine »kampfemanze«, welche die deutsche frauenbewegung gleichzeitig anheizt und korrumpiert. Der sozialist und antisemit eugen dühring meinte etwa, jüdinnen hätten die frauenbewegung zu einer »geschäftsagitation niedrigster sorte verkehrt« und damit die »besseren frauen« abgeschreckt. Infolgedessen habe sich die frauenbewegung einem aggressiven egalitarismus zugewendet, »äffe« also lediglich die fehler der männer nach. (jakubowski 1995: 203)


04.

Wie die konstruktion biologischer zweigeschlechtlichkeit körperteile, z. b. die so genannten genitalien vergeschlechtlicht und zu zeichen macht, die gleichzeitig als identifikationscode funktionieren und auf das ganze des geschlechts verweisen, an denen sich die »wahrheit« des geschlechts entziffern lässt, so sezieren auch der rassistische antisemitismus und der koloniale rassimus den körper und schneiden teile aus, aus denen sie zeichen formen. Hintern, haare (rassismus) (hooks 1994, 83 ff), nase, vorhaut (antisemitismus). Ein breiter diskurs anfang des zwanzigsten jahrhunderts meint zum beispiel, an der form der weiblichen brust, ließe sich die »rassenzugehörigkeit« ablesen. (gilman 1998: 67)

Indem die körper zerlegt werden, lassen sie sich nach maßgabe der rassistischen und antisemitischen prämissen neu zusammensetzen. Die produktion einzelner körperteile als zeichen erlaubt die stereotype identifizierung und hierarchisierende kategorisierung der körper. Die verschränkung der verschiedenen zeichenebenen macht es dabei möglich, die vom rassistischen / antisemitschen diskurs konstruierten körper auf einer geschlechtlichen achse anzuordnen. Von männlich nach weiblich gelesen, ergibt sich dabei folgende anordnung: schwarzer mann – jüdische frau – schwarze frau – asiatischer mann – jüdischer mann – (weiße) frau – asiatische frau.

Weil weiße männlichkeit das ideal, die unmarkierte norm ist, um welches sich die anderen zuschreibungen zentrieren, als dessen abweichung sie konstruiert sind, fehlt der weiße mann in dieser aufzählung (achse). Weiß ist ebenso wenig eine farbe, wie männlich ein geschlecht ist: anders sind immer die anderen.

Dabei verhindert schon die vielschichtigkeit von geschlechtlichkeit die eben vorgenommen eindimensionale anordnung der körper. Es geht nicht nur um mehr oder weniger weiblich / männlich, sondern eher um unterschiedliche weiblichkeiten / männlichkeiten. Die schwarze weiblichkeit ist als potente, sexualisierte auch aktive konstruiert, während die asiatische eher eine kindliche, passive, lolitahafte weiblichkeit meint. Gleichzeitig geht auch der rassistische diskurs nicht in der konstruktion der dichotomie schwarz / weiß auf, sondern produziert eine vielzahl ethnisierender zuschreibungen, die in komplexen (inneren) wechselverhältnissen zueinander stehen. Die terminologische verkürzung von rassismen auf rassimus dient hier der besseren kontrastierung zu geschlechterkonstruktion in antisemitischen diskursen, deren besonderheit herausgearbeitet werden soll.

In dieser perspektive scheinen »die schwarzen« die vorstellung der bürgerlichen gesellschaft über ihre eigenen ursprünge, das wilde, naturhafte zu repräsentieren, während jüdinnen eher für das unnatürliche, entartete stehen. in diesem sinne lässt sich auch die unterschiedliche geschlechterkonstruktion entziffern, die im rassistischen diskurs mit rohheit, animalischer körperlichkeit, ursprünglicher triebhaftigkeit und unzivilisierter patriarchalität operiert. Dies lässt sich belegen auch am antiarabischen rassismus, der sich im zeichen des kopftuchs der fortschrittlichkeit des westens gegenüber dem patriarchalen, rückständigen orient versichert. Demgegenüber verweist die ungehemmte sexualität, die jüd / innen zugeschrieben wird, weniger auf deren behaupteten nähe zur natur, auf ein fehlen von zivilisation, als vielmehr auf ein zuviel an jener. Das geschlechterverhältnis im antisemitischen diskurs wird nämlich gerade als dekadent, entnatürlicht, pervers, modern beschrieben. Der berühmte sexualforscher richard von krafft-ebing vertrat etwa in seiner »psychopathia sexualis« die these, dass die zivilisation »durch gesteigerte inanspruchnahme des nervensystems immer wieder entartete formen der sexualität zum vorschein« (gilman 1994: 196) bringe. Jüd/innen, »deren krankhaft gesteigerte sinnlichkeit und sexuelle erregung« nach krafft-ebing »zu ätiologisch bedeutungsvollen geschlechtlichen verirrungen« führe, gelten dabei als verkörperung genau jener als verwerflich erfahrenen effekte der kapitalistischen modernisierung: als kosmopolitane, intellektuelle stadtmenschen, heimatvergessen und wurzellos, lediglich ihrem individuellen gewinnstreben, dem »geldscheffeln« verpflichtet. Diesen komplex aus materialismus, individualismus und perverser sexualität hat der sexualforscher auguste forel bündig in dem begriff »amerikanismus« gefasst. Interessanterweise taucht dieser komplex unter anderen gesellschaftlichen und historischen bedingungen auch bei dem islamistischen antisemiten sayyid qutb wieder auf, der juden für die »doktrin des atheistischen materialismus«, für die »zerstörung der familie« und für die »doktrin der animalistischen sexuali-tät« verantwortlich macht. (jungle world 48 / 2002: d2) Daraus wird erkennbar, dass die »animalische« und perverse sexualität, die jüd/innen zugeschrieben wird, zumeist gerade nicht mit deren besonderen naturhaftigkeit, sondern mit derem gegenteil, der hypermodernen dekadenz begründet wird. Die umkehrung, pervertierung der heteronormativen zweigeschlechtlichkeit, die jüd/innen zugeschriebene grenz- und zwischengeschlechtlichkeit (transgender) unterwandert dabei ebenso wie »die relative häufigkeit der homosexualität bei juden.« (der psychater alexander pilcz, gilman 1994: 241) die natürliche ordnung von patriarchat und familie. Als angeblich queere figuren stellen jüd/innen keine unzivilisierte nähe zur natur, sondern eine bedrohung für jene dar und damit für all die legitimatorischen und herrschaftsstabilisierenden effekte, die mit dem konstrukt der natur verbunden sind.


05.

Aber selbst durch die brüche hindurch ist diese scheidelinie zu sauber gezogen. Denn der antisemitismus ist sich nicht selbst identisch, er ist nicht der ewige, gegen ort und zeit indifferente antisemitismus, auch wenn er als solcher erscheinen mag. Antisemitische diskurse sind ebenso wie rassistische widersprüchlich und wandelbar. Und gerade auch darin liegt ihre gefährlichkeit, die von schnellen und letzten antworten warnen lässt.

So muss eine genauere betrachtung der geschlechterkonstruktionen antisemitischer diskurse, die nicht vorschnell eine logik, gar eine innere rationalität identifizieren will, beispielsweise in den blick nehmen, dass das bild der maskulinen jüdin, des feministischen mannsweibs nicht die einzige, wenn auch die dominanteste konstruktion »jüdischer weiblichkeit« ist. Neben ihr existieren bilder von der jüdin als schöne, sexuell begehrenswerte oder auch gefährliche frau, die denen rassisierter weiblichkeit streckenweise nicht unähnlich erscheinen. Die »klassische« konstruktion der »schejnen jiddin« lässt sich dabei relativ genau auf die progressiv konnotierten/kontextualisierten diskurse der »judenemanzipation« begrenzen. die schöne jüdin, ist zumeist als ein junges, naives aber durchaus intelligentes mädchen gezeichnet, das mit einem christlichen mann ein liebesverhältnis eingeht und sich bereitwillig missionieren und aus der patriarchalen enge der jüdischen religion befreien lässt. Als ein auf die judenemanzipation begrenzter verschwindet dieser diskurs gegen ende des 19. jahrhunderts. Dies möglicherweise auch, weil er mit der zunehmenden effeminierung des jüdischen mannes konfligierte und weil sich die charakterisierung der schejnen jiddin als sexuell keineswegs enthaltsame zum hegemonialen ideal »natürlicher weiblichkeit« entwickelte. (von braun 1995: 191). Das hierzulande vor allem aus dem antiarabischen rassismus bekannte stereotyp von der besonderen patriarchalität des judentums, das in den diskursen um die schejne jiddin auch schon mitschwingt, ist hartnäckiger. Es findet sich beispielsweise bei den schüler/innen des mutterrechtlers bachofen (der auch von friedrich engels rezipiert wurde), die das jüdische nicht für die verweich- und verweiblichung der modernen gesellschaft, sondern für den niedergang des mutterechts verantwortlich machten, ohne sich unbedingt im widerspruch zur nationalsozialistischen ideologie zu wähnen. Es findet sich auch bei georg groddeck, einem der führenden nichtjüdischen vorläufer der psychoanalyse, der eine interpretation der beschneidung lieferte, die der oben beschrieben hegemonialen genau entgegengesetz war: »Wenn [die juden] die vorhaut abschneiden«, schreibt er, »so beseitigen sie damit die zwiegeschlechtlichkeit des mannes, sie nehmen das weibliche an dem männlichen fort.« Folgerichtig gibt es für groddeck »kein volk auf erden, das so ausgeprägt männlich ist, wie das jüdische.« (gilman 1994: 128) Ein gespenstisches fortleben finden diese stereotype in den theorien so mancher christlich-feministischer theologinnen, in denen der weibliche jesus dem vaterzentrierten judentum gegenübergestellt wird und »die juden« zu den erfindern des patriarchats gemacht werden; eine trope, die sehr deutsche wellen schlägt, wenn gleichzeitig noch das patriarchat zur ursache des nationalsozialismus, also zur judenvernichtung, erklärt wird. In einem theologisch-feministischen text von 1986 heißt es: »wir erleben am schicksal des ›auserwählten volkes‹, wohin der weg des menschen führt, der aggressionen abspaltet und die ordnungen der großen herrin des lebens verlässt. Israel hat sich auf das geschäft mit der macht eingelassen. Dafür wird es ›verwüstet‹ am tage der bestrafung.« (ziege 1995: 191)

Eine deutliche und ahistorische unterscheidung der geschlechtliche logiken von antisemitismus und rassimus wird schwierig auch dadurch, dass die konstruktion jüdischsein am anfang des 20. jahrhunderts und vor allem im nationalsozialistischen antisemitismus eine rassische ist. Juden werden darin nicht nur mit frauen, sondern auch mit schwarzen analogisiert. Im medizinischen diskurs anfang des zwanzigsten jahrhunderst wird als beleg für die ähnlichkeit von schwarzen und jüd/innen und ihre gleiche entartung, abweichung von der deutschen norm, beispielsweise die geringere anzahl von uteruskrebs und selbstmorden bei jenen angeführt. Die »fleischigen lippen« der juden gelten als überbleibsel ihrer »negroiden einflüsse«. Noch im 19. jahrhundert galt den antisemitischen diskursen als das zentrale körperliche zeichen nicht die »jüdische nase«, sondern die »jüdische schwärze«. Jene war ausdruck von krankheit im allgemeinen und syphilis im besonderen, was wiederum auf die perverse sexualität verwies. Die gleichung, die sich dabei also ergab war jüdisch = schwarz = pervers.

Gleichzeitig ist auch die rassistische geschlechterkonstruktion keineswegs homogen und historisch unverändert, auch dann nicht, wenn sich bei der betrachtung auf die konstruktion schwarzer männlichkeit/weiblichkeit beschränkt wird. Schwarze frauen repräsentieren keineswegs nur das bild exotisierter sexualität und gefährlicher anziehungskraft, sie werden auch als abstoßend und hässlich beschrieben, insofern sie dem ideal weißer, blonder weiblichkeit nie entsprechen können. Das bild der schwarzen mammy, das zu einem der populärsten und vielleicht auch ältesten gehört, fällt aus diesem rahmen ohnehin raus. Aber auch die schwarze männlichkeit ist keineswegs so eindeutig hypermaskulin, wie sie eingangs gezeichnet wurde. Denn von der hegemonialen, bürgerlichen männlichkeit, die gekennzeichnet ist durch autonomie und macht, sind rassisierte männer infolge der rassistische arbeitsteilung, die weitgehend mit der geistiger und körperlicher arbeit in eins fällt, ausgeschlossen. Da in der konstruktion des männlichen autonomen subjekts fremdbeherrschung und selbstbeherrschung ineinander verschränkt sind, geht mit der unfähigkeit, qua sozialer stellung macht auszuüben auch die unfähigkeit einher, sich selbst zu kontrollieren, triebverzicht zu leisten. Insofern ist die unkontrollierte sexualität und aggressivität, die schwarzen männern im rassistischen diskurs zugewiesen wird, als abweichung vom ideal autonomer männlichkeit zu lesen. Die körperlichkeit, potenz des schwarzen mannes kompensiert den mangel an sozialer macht und bringt gleichzeitig eine effeminierungseffekt hervor, da den eigenen körper zum objekt zu machen, für den blick des anderen herzurichten, weiblich konnotiert ist.


06.

Lässt sich also keine klarheit in das komplexe gewirr sich widersprechender und einander überlappender zuschreibungen bringen? Oder ist vielleicht schon der anspruch pervers, licht in eine sache bringen zu wollen, die per definitionem düster ist? Muss eine kritik, die aus dem vorurteil eine logik herausschälen will, sich nicht vorwerfen lassen, einem naiven aufklärungsbegriff aufzusitzen? Schließlich handelt es sich bei rassismus und antismitismus selbst dann, wenn sie sich zu verwissenschaftlichen versuchen, nicht um gewöhnliche »theorien«. Verwissenschaftlicht können Sie zwar an ihren inneren widersprüchen der unwahrheit überführt, aber dadurch noch lange nicht ihrer wirkmächtigkeit beraubt werden.

Vielleicht muss der versuch einer erklärung, statt die überschüssigen oder minoritären diskurse vereinfachend abzuschneiden, an genau dieser widersprüchlichkeit ansetzen. Ist sie nicht möglicherweise ein notwendiges konstitutiv für das funktionieren antisemitischer und rassitischer diskurse? Wie lässt sich dann die flexibilität konkreter zuschreibungen bei gleichzeitiger starrheit der diskriminierenden signifizierung an sich beschreiben und erklären?

Warum können schwarze männer gleichzeitig feminin und ultramaskulin, jüdinnen gleichzeitig an der entstehung des patriarchats und an dessen niedergang schuld sein? Und warum kämen dennoch rassistinnen nie auf die idee, ihre bis an die grenze der beliebigkeit ausgedehnten zuschreibungen auch auf weiße auszudehnen? Warum bleibt die konstruktion schwarz und die hierarchie, in der sie zur konstruktion weiß steht, unangetastet?

Gerade die ambivalenz, die unsinnige widersprüchlichkeit der stereotype lässt die option, dass die auseinanderstrebenden zuschreibungen von den schwarzen, den jüd/innen selbst zusammengehalten würden, dass sie der referent seien, der die identität der diskurse garantierte, ausscheiden. Die rassistischen / antisemitischen bilder sind keine abbilder, denn es gibt schlechterdings keinen menschen, der solch entgegengesetzte eigenschaften in sich vereint. Dass die markierten subjekte nicht die referenz der bildproduktion stellen, dass sie bei beim zeichenprozess buchstäblich abwesend sind, lässt sich auch daran erkennen, dass es einen antisemitismus ohne jüdinnen gibt und dass der rassismus häufig dort besonders hoch ist, wo der migrantinnenanteil besonders niedrig ist: in ostdeutschen dörfern oder in us-amerikanischen vorstädten beispielsweise.

Wenn also die widersprüchlichen zuschreibungen überhaupt von subjekten zusammengehalten werden, von subjekten ihre identität garantiert bekommen sollten, dann nicht von den bezeichneten, den rassifizierten und als jüdinnen identifizierten, sondern von den bezeichnenden, von den antisemitinnen und rassistinnen. So gesehen spiegeln die klischees, zuschreibungen und stereotype keine eigenschaften schwarzer oder jüdinnen, sondern subjektanteile der hegemonialen subjektivität – allerdings solche, die bei der konstruktion der hegemonialen (in der regel also: weißen, heterosexuellenn, männlichen, bürgerlichen) identität ausgeschlossen, verworfen werden müssen. Dieses verworfene, was das subjekt durch die permanente gefahr seine wiederkehr bedroht, wird von dem unerwünschten eigenen, zu dem anderen, zu den anderen transformiert. Die ontologische differenz, die zwischen dem bereinigten subjekt und seinem anderen installiert wird, die unüberbrückbare kluft zwischen schwarz und weiß beispielsweise, verspricht sicherheit. Je ontologischer, umso sicherer.

Die widersprüchlichkeit, ambivalenz der zuschreibungen verweist somit auf eine notwendigkeit für das funktionieren der diskurse hin. Die stereotype müssen offen sein, damit sich möglichst viel in sie hineinpacken lässt, damit so ziemlich alles, was irgendwie stört dort seinen platz findet, wo es sicher vor heimkehr verwahrt und bekämpfbar ist. Die widersprüchlichkeit und vielfältigkeit dessen, was ausgeschlossen werden muss (die überbordende lust ebenso wie die impotenz) spiegelt sich in den bildern über die ausgeschlossenen wieder. Dass es sich bei den bildern der antisemitischen und rassistischen diskurse um verworfene (und in sich widersprüchliche) anteile des hegemonialen subjekts handelt, erklärt nicht nur die innere widersprüchlichkeit der stereotype, sondern auch die ambivalenz des hegemonialen subjekts bezüglich seiner produktionen. Das verworfene eigene, ist gleichzeitig das verachtenswerte, hässliche fremde und das anziehende, erotische, geheimnisvolle, von dem das subjekt nie gänzlich loskommen kann.

Handelt es sich bei rassimus und antisemitismus, bei der mörderischen gewalt jener vergesellschaftungsformationen also eigentlich um ein »pseudo-psychoanalytisches drama des subjekts« (zizek 2002: 19) Sind »die schwarze« oder »der jude« doch nur kontingente füllungen eines eigentlich leeren signifikantens, austauschbar gegeneinander und prinzipiell mit allem zu-, vollzuschreiben? Nein, denn die relative festigkeit der diskurse verhindert ein austauschen der signifikanten schwarz und jüdisch. Sie verweist auf unterschiedliche tradierungen und institutionalisierungen historischer erzählungen, in der die geschichte des kolonialismus als eine gänzlich andere als die des antijudaismus aufgehoben ist. Die bedrohung, die der rassismus imaginiert, kommt eher von außen, von vorne, während die des antisemitismus von innen, von hinten kommt. Dass rassistinnen schwarze wahlweise für den niedergang des patriarchats oder für dessen entstehung verantwortlich machen, ist ebenso wenig vorstellbar, wie dass ihnen die schuld an den weltkriegen, den finanzcrashs, der außenpolitik der usa zugeschrieben wird. Die relative festigkeit der diskurse verweist somit auch auf eine unterschiedliche (nichtinstrumentelle, nichtintentionale) funktionalität, die den antisemitischen diskursen anders als den rassistischen unter den bedingungen kapitalistischer warenproduktion zukommt. Aus dieser perspektive richtet sich der rassismus eher nach unten, in die vergangenheit, während der anti-semitismus in einer systemstabilisierenden geste eher nach oben, in die zukunft weist.

bini adamczak + bine flick


#1 Asiatische männer tauchen hier fast nie auf. Und wenn doch, dann sind sie zumeist als »schwul«, als »memmen« oder beides konstuiert.

Auf der ebene des mainstreammediendiskurses lassen sich ähnliche konstruktionen finden. Besonders nett kann man den memmen-

asiaten anhand der serien startrek oder voyager beobachten. Aber auch jackie chan stellt als figur – zwar angesichts des bösen durchaus wehrhaft – eher einen unterwürfigen, schüchternen samariter dar, als einen male fighter a la bruce willis.



Literatur:

*.* borderline: wie die nase eines mannes, so seine menstruation. zur geschlechterkonstruktion in antisemitischen diskursen, in: sinistra!, 1 / 2003.

*.* braun, christina von 1995: antisemitische stereotype und sexual-phantasien, in: jüdisches museum der stadt wien (hg.), die macht der bilder, wien

*.* gilman, sander l. 1994: freud, identität und geschlecht, frankfurt/m

*.* ders. (hg.) 1998: »der shejne jid« – das bild des jüdischen körpers in mythos und ritual, wien

*.* ders.1998: »die rasse ist nicht schön« – »nein, wir juden sind keine hübsche rasse«, in: ders. (hg.): »der shejne jid« – das bild des jüdischen körpers in mythos und ritual, wien

*.* hödl, klaus 1997: die pathologisierung des jüdischen körpers, wien

*.* hooks, bell 1994: black looks, berlin

*.* jakubowski, jeanette 1995: »die jüdin«, in schoeps / schloer: antisemitismus. Vorurteile und mythen, münchen

*.* meinecke, thomas 2001: hellblau, frankfurt / m

*.* ziege, eva-maria 1995: die »mörder der göttinnen«, in schoeps / schloer: antisemitismus. Vorurteile und mythen, münchen

*.* zizek, slavoj 2002: die revolution steht bevor: dreizehn versuche über lenin, frankfurt / m