>> dieser text kann hier diskutiert & kommentiert werden!


»Antizionismus« und antisemitische Verschwörungstheorien in der politischen Linken


Sozialistische Schauprozesse

Im Dezember 1952 wird Paul Merker von der Staatssicherheit der DDR verhaftet. Nach monatelangen Verhören wird er zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Bereits seit Ende der 1940er-Jahre sind noch andere ehemalige Mitglieder des Bundes Freies Deutschland (BFD), einer kommunistischen Exilgruppe in Mexiko während des Zweiten Weltkriegs, wie Alexander Abusch, Erich Jungmann und Leo Zuckermann aus politischen Organisationen ausgeschlossen und verhört worden. Der Vorwurf: Es handele sich bei ihnen um »zionistische Agenten«, die den Aufbau des Sozialismus in der DDR verhindern wollen. Tatsächlich hat der BFD nichts weiter getan als im mexikanischen Exil eine andere Position zur Shoah zu vertreten als die Mehrheit der Exilkommunistinnen und -kommunisten: nicht nur Unterstützung für den Staat Israel von Seiten eines sozialistischen Deutschlands, sondern auch die finanzielle Entschädigung der Shoah-Überlebenden und die Rückgabe des von den Nazis geraubten, so genannten »arisierten« Vermögens an die Jüdinnen und Juden. Das Zentralkomitee der SED macht daraus 1954: »Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß Merker ein Subjekt der USA-Finanzoligarchie ist, der die Entschädigung des jüdischen Vermögens nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. Das ist die wahre Ursache seines Zionismus.« Zeitgleich mit der Verhaftung Merkers werden die jüdischen Gemeinden in der DDR durchsucht und deren Vorsitzende verhört. Auch hier der Vorwurf: Sie seien »zionistische Spionagezentralen« des »US-Imperialismus«. Über ein Viertel der damaligen 3 500 Mitglieder der jüdischen Gemeinden flieht aus Angst vor erneuten staatlichen Verfolgungen sieben Jahre nach der Shoah aus dem sich als »antifaschistisch« verstehenden Deutschland.

Das ZK der SED beruft sich bei dieser Verfolgung auch auf die »Erkenntnisse« aus dem Schauprozess 1952 in der CSR gegen Rudolf Slánský und dessen »zionistisches Verschwörerzentrum«. In der Abstrusität der Anschuldigungen wird deutlich, dass der Anklage antisemitische Verschwörungstheorien zugrunde liegen: Slánský und die anderen Angeklagten sollen, wie es in der Anklageschrift heißt, sowohl für Fehlinvestitionen, Vermögenstransfers ins Ausland als auch für die Verteuerung von Fleischwaren und Stromabschaltungen verantwortlich sein. Sie hätten »das fortschreitende Ansteigen des Lebensniveaus« bedroht und »aus unserer Wirtschaft ungeheure Wuchergewinne« herausgepresst. Der Generalsekretär der tschechoslowakischen KP Slánský, bis zu seiner Verhaftung der nach dem Parteivorsitzenden Klement Gottwald zweitmächtigste Politiker der CSR, und sein »Verschwörerzentrum« hätten den »Sicherheitsapparat« unterwandert, um sich »vor der Enthüllung zu schützen«, und eine »ausgedehnte, planmäßige Spionage« betrieben. (Zur gleichen Zeit werden neun »Kreml-Ärzte« in der Sowjetunion verhaftet, von denen sechs aus jüdischen Familien stammen und denen vorgeworfen wird, im Auftrag »zionistischer Organisationen« Stalin ermorden zu wollen. Zuvor ist das Jüdische Antifaschistische Komitee, dessen Vorsitzender im Januar 1948 ermordet wurde, aufgelöst worden, weil es angeblich die Krim in eine »jüdische Republik« umwandeln wollte, um einen »Brückenkopf des amerikanischen Imperialismus« zu schaffen.) Elf der vierzehn Hauptangeklagten werden zum Tode verurteilt, die Leichen der Hingerichteten verbrannt, und die Asche auf den Straßen vor Prag verstreut. Insgesamt werden in dieser Säuberungswelle gegen »Repräsentanten des slowakischen Nationalismus«, »Trotzkisten« und »Zionisten« in der CSR 178 Todesurteile vollstreckt, über 50 000 Menschen kommen ins Gefängnis oder ohne Gerichtsurteil in Arbeitslager.

Die »antizionistischen« Schauprozesse in den sozialistischen Staaten enden mit Stalins Tod im März 1953. Aber erst nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956, auf dem Nikita Sergejewitsch Chruschtschow die stalinistische Ära mit seiner »Geheimrede« beendet, werden Paul Merker und andere Gefangene freigelassen.


Antizionismus …

Um Erklärungen für die Verfolgungen und Ermordungen von Jüdinnen und Juden in den sozialistischen Staaten zu finden, suchen neuere Forschungen nach Ursachen in einer bestimmten »antikapitalistischen« Ideologie. Die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden in der politischen Linken weist nämlich eine bestimmte logische Struktur auf, die sich spätestens mit dem Marxismus-Leninismus in leicht variierender Form bis heute zeigt. Im Marxismus-Leninismus, so Thomas Haury in »Antisemitismus von links. Nationalismus, kommunistische Ideologie und Antizionismus in der frühen DDR«, wird der Kapitalismus personifiziert, und die kapitalistische Ausbeutung wird vor allem durch den Einfluss fremder, »imperialistischer« Mächte erklärt. In den Prozessen gegen Merker und Slánský wird der »Imperialismus« dann personifiziert in den »Zionisten«, und dieser Ausdruck bedeutet in den meisten Fällen: in Jüdinnen und Juden.

Wie Moishe Postone in seinem Aufsatz »Nationalsozialismus und Antisemitismus« von 1979 zeigt, werden seit dem 19. Jahrhundert die tradierten antisemitischen Stereotype so umgewandelt, dass auch die Entwicklung des modernen Kapitalismus letztlich auf eine »jüdische Weltverschwörung« zurückgeführt wird. So erscheinen die abstrakten Machtmechanismen kapitalistischer Entfremdung und Ausbeutung greifbar und vorstellbar in »den Juden« als vermeintlichen geheimen Drahtziehern hinter all den Auflösungstendenzen und sozioökonomischen Krisen, die der moderne Kapitalismus mit sich bringt: Auflösung der nationalen Einheiten, der traditionellen sozialen Klassen und Schichten. Scheinbar profitieren die Jüdinnen und Juden am meisten von der kapitalistischen Moderne. Dass z. B. die »ehrliche deutsche Arbeit« käuflich wird, zu einer Ware wird, ist für Antisemitinnen und Antisemiten ein Machwerk »der Juden« (vgl. Schatz / Woeldike).

Dieser antisemitische Antimodernismus wird im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts quer durch alle politischen Richtungen vertreten, nicht nur in der Linken, aber eben auch in der sozialdemokratischen und der kommunistischen Bewegung. Mit der »Imperialismus«–Theorie Wladimir Iljitsch Lenins, so Haury, kann das Element der »Weltverschwörung« in die »linke Theorie« integriert werden. Obwohl Lenin in seinen politischen Erklärungen zum Kampf gegen Nationalismus und Judenhass aufruft, wird in »Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« (1916) der Kapitalismus als »ungeheuerliche Herrschaft« einer »Handvoll skrupelloser, in Laster und Luxus erstickender Milliardäre« hingestellt. Implizit wird damit der Sozialismus zu einer nationalen Angelegenheit; »das Volk« müsse sich nur von diesen »Parasiten« befreien, um den Kapitalismus zu überwinden. Der Imperialismus bringe einige wenige reiche und mächtige »Wucherstaaten« hervor, die »Schmarotzer am Körper der übrigen Menschheit« seien. Entsprechend gehören »Kapitalisten« nicht zum eigenen Volk. (In der Propaganda der DDR der 1950er–Jahre wird die Regierung der BRD als »antideutsch« bezeichnet.) Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus werden darauf zurückgeführt, dass die übrige Welt kapitalistisch ist und sich »fremde«, »anti–nationale« und eigentlich »imperialistische Spione« ins eigene Land eingeschlichen hätten. Wie Klaus Holz in »Nationaler Antisemitismus« anhand eines Verhörprotokollauszugs aus dem Slánský–Prozess zeigen kann, wird zu Beginn der Vernehmung erst einmal demonstriert, dass der Angeklagte Bedrich Geminder nicht richtig Tschechisch spräche und kein echter Tscheche wäre.

Der Antisemitismus von links passt nach 1945, nach der Shoah in die offiziellen Parteidoktrinen, weil er sich als etwas ganz anderes darstellt: als »Antikosmopolitismus« wie in der Sowjetunion der 1940er Jahre oder als »Antizionismus«. Nach Haury bedeutet der Begriff »Antizionismus« in der frühen DDR auch gar nicht, dass Israel die Existenzberechtigung abgesprochen wird; im Gegenteil: Die Gründung des Staates Israels wird von der DDR zunächst offiziell begrüßt. Der Begriff »Antizionismus« ist vielmehr ein Tarnausdruck für die alte antisemitische Verschwörungstheorie von »den reichen und geldgierigen Juden«: »›Zionismus‹ fungierte jetzt vielmehr als zentrale Metapher innerhalb des marxistisch–leninistischen Weltbildes und war verknüpft mit der Behauptung einer weltweiten Verschwörung anationaler Wallstreet–Kapitalisten, der Entgegensetzung ›schaffende Völker‹ versus ›Finanzhyänen und Parasiten‹ und einer Bedrohung durch die Zersetzungsarbeit getarnter innerer Feinde.«

Der Begriff »Zionismus« hat demnach nach 1945 eine ganz andere Bedeutung als in der Diskussion innerhalb der sozialistischen bzw. kommunistischen Linken vor 1933, als über einen eigenen Staat für Jüdinnen und Juden gestritten wurde. Wie die Gruppe MAGMA in ihrer Geschichte der KPD der Weimarer Republik zeigt, erfolgt die Nationalisierung der kommunistischen Ideologie bereits vor 1933, und ebenso lassen sich Versatzstücke der späteren »antizionistischen« Ideologie finden, die in die Denkform des personifizierenden »Antikapitalismus« passen. Die KPD benutzt u.a. den Ausdruck »Judenkapital« und nähert sich 1923 an völkische und faschistische Strömungen an. Berüchtigt ist die Rede der Vorsitzenden des ZK der KPD Ruth Fischer vor faschistischen Studenten, in der sie ihr Auditorium zur Ermordung von »Judenkapitalisten« ermuntert: »Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner ...?« Diese Äußerung fällt in eine der nationalistischen Wellen der KPD. 1923 kämpfen kommunistische Gruppen mit völkischen und faschistischen gegen die französische Besatzung im Rheinland. Die KPD erklärt in dieser Phase die Ausbeutung der deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter vor allem mit dem Einfluss des »französischen Imperialismus« und präsentiert sich als die einzige Partei, die die »nationalen Interessen« vertrete. Spätestens ab 1930, mit dem »Programm zur nationalen und sozialen Befreiung«, verfolgt sie diesen Kurs wieder. Der NSDAP wirft sie vor, von »jüdischen Kapitalisten« bezahlt zu sein, und den Nazis, dass diese ihren Judenhass nicht ernst meinen.

Die Politik der europäischen kommunistischen Parteien ist in der Epoche von Mitte der 1920er-Jahre bis 1953 stark von der Person Stalins geprägt. Auch sind die judenfeindlichen Diskriminierungen und Verfolgungen von den jeweiligen Parteiführungen initiiert worden, und es stellt sich die Frage, ob die breite Bevölkerung oder wenigstens die Mehrheit der Parteimitglieder den »Antizionismus« teilt. Im Einzelfall lassen sich darüber nur Vermutungen anstellen; aber einen Hinweis, welche Verbreitung antisemitische Denkformen in der Linken haben, liefert der Blick auf die nicht–parteilich–organisierte Linke nach 1945.


… und Antizionismus:

Weil sich der Antisemitismus in der Linken nach der Shoah eher unter dem Label »Antizionismus« ausdrückt, untersucht Margit Reiter die Haltung der österreichischen Linken zum Staat Israel. Israel kommt im antisemitischen Diskurs die Rolle des »tolerierten ›Ausnahmejuden‹« auf staatlicher Ebene zu, der so lange akzeptiert wird, als er sich »›versöhnlich‹ zeigt und die eigene Opferrolle nicht in Frage stellt«. Allerdings sagt diese Vorgehensweise nur begrenzt etwas aus, denn wie eine Umfrage von 1967 deutlich macht, können durchaus »negative Judenbilder und positive Israelbilder nebeneinander« bestehen. Während nach Reiter die österreichische Sozialdemokratie zum neuen und als sozialistisch angesehenen Israel in den 1950er und 1960er Jahren eher freundschaftlich eingestellt ist, was sich allerdings mit der Ära Bruno Kreisky grundlegend ändert, verhält sich die KPÖ schon früher ablehnend. Bereits 1967 während des Sechstagekriegs sind über 55 Prozent der KPÖ-Mitglieder für einen Sieg der arabischen Armeen, für Israel nur elf Prozent (während gesamtgesellschaftlich das Verhältnis umgekehrt ist).

Erst die Neue Linke aber setzt seit den 1970er-Jahren Zionismus und Faschismus bzw. Nationalsozialismus explizit gleich und ruft zur »Vernichtung Israels« auf – zu einer Zeit, als der Vorsitzende der PLO Ahmed Schukeiry droht, »die Juden ins Meer zu werfen«. Etwa zur gleichen Zeit, im Frühjahr 1968, gibt es in Polen eine erneute »antizionistische« Kampagne: »Den Juden« wird auch hier vorgeworfen, sich bereichert zu haben und an den wirtschaftlichen Krisen Schuld zu sein und insofern »antisozialistisch« zu agieren. Auch die Reformbewegung 1968 wird auf den zu großen Einfluss »der Juden« zurückgeführt. 20 000 Jüdinnen und Juden fliehen aus Polen nach Israel (vgl. Kosmala). Besonders deutlich zeigt sich die Verbindung von Hass auf Israel mit linken »antizionistischen« Verschwörungstheorien in einem Flugblatt der Palästinasolidarität von 1988: »Weltweiter Boykott und Ausschluß des zionistischen Regimes aus allen internationalen Organisationen!! Abbruch der politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zu ›Israel‹! Für die Schließung aller zionistischen und faschistischen Organisationen in Österreich! [...] Stop der Zusammenarbeit zwischen der österreichischen Polizei mit dem ›israelischen‹ Geheimdienst Mossad! Ausweisung aller Agenten dieses Geheimdienstes aus Österreich!!!«

In den 1940er- und 1950er-Jahren werden die Angeklagten zu Wesen (»Elementen«) erklärt, die keine richtigen Menschen sind und die, heimatlos, im Auftrag fremder Mächte andere Nationen ausspionieren und ökonomisch aussaugen. In den späten 1980er–Jahren erfolgt eine ähnliche Projektion auf Israel, das, um seine Existenz als echter Nationalstaat zu leugnen, nur in Anführungszeichen genannt wird: als wäre es kein Land, in dem Menschen leben, sondern ein sonderbares Gebilde, das lediglich der Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinensern diene. Reiter hebt hervor, dass der »Antizionismus« in der österreichischen Linken auf verbale Äußerungen begrenzt bleibt. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland anders: Knud Andresen weist darauf hin, dass gerade in der Phase, in der die bundesdeutsche Linke militante Strukturen aufbaut, auch jüdische Einrichtungen Ziel der Anschläge sind. Zwar misslingt der Bombenan-schlag der Tupamaros Westberlin auf die jüdische Gemeinde Berlin am 9. November 1969, dennoch wird er als Auftakt zur Schaffung einer revolutionären Stadtguerilla angesehen. Das Datum des Anschlags hat die symbolische Bedeutung, dass »die Juden« selbst zu Nazis geworden seien und die Palästinenserinnen und Palästinenser »ausradieren« wollten. Jedes Gedenken an die Pogromnacht im Deutschen Reich in der BRD würde unterschlagen, »daß die Kristallnacht von 1938 heute tagtäglich von den Zionisten [...] wiederholt wird.«

don’t play this song on the radio!

Ein Sprung in die Gegenwart zeigt, dass solche Denkweisen bis heute in der Linken existieren. Die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden wird damit »begründet«, dass »Juden« die typischen oder besonders perfiden Kapitalistinnen und Kapitalisten seien. Der Hass auf Israel besteht unvermindert weiter. Und die Verschwörungstheorien haben in dem einzigen nichtkommerziellen und nicht–öffentlich–rechtlichen Radio in Hamburg, dem Freien Sender Kombinat (FSK), zu Gewalttätigkeiten gegen »Zionisten« geführt. Im FSK hat es in den letzten Jahren mehrere Konflikte über antisemitische Aussagen von einzelnen Radiogruppen gegeben (vgl. Kühne / Woeldike und www.fsk-hh.org). Bemerkenswert ist, dass die antisemitischen Verschwörungstheorien nicht nur im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt vorkommen.

So kündigt die FSK–Sendereihe 45 Knockout Broadcasting für den 18. Januar 2002 ein Interview mit Jan Udo Holey an, der sich auch Jan Van Helsing nennt, über dessen Buch »Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert«. Holey ist kein Linker, sondern ein Antisemit und Neonazi; sein Buch, dessen Verbreitung in Deutschland verboten ist, ist voll von abstrusen antisemitischen Wahnideen (siehe Informationsdienst gegen Rechtsextremismus, www.idgr.de). Holey, obwohl auch laut 45 Knockout Broadcasting ein »umstrittener Autor«, soll in dem Interview weitere Hintergründe zum Terroranschlag am 11. September 2001 in New York analysieren. Auf Nachfrage anderer FSK–Aktiver hält 45 Knockout Broadcasting es für vorschnell, Holey als Nazi und sein Buch als antisemitisch zu bezeichnen, vielmehr erhoffe man sich von Holey mehr Informationen über die weltweite Macht des »Finanzkapitals«. Schließlich wird die angekündigte Sendung durch einen Beitrag über Holey ersetzt. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass auch andere FSK–Mitglieder Holeys Buch kennen und durchaus »interessant« finden.

Der letzte Streit hat sich anhand der Sendereihe »Afrika, Asien, Lateinamerika – In Kontakt« entzündet, in der das Vorgehen des israelischen Militärs in den palästinensischen Gebieten mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gleichsetzt wird. In der Sendung am 11. April 2002 wird ein Palästinenser interviewt, und der Moderator bekräftigt dessen Aussagen:

Interviewter: »Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen den Kämpfen im Warschauer Ghetto damals gegen die Nazis und die Kämpfe in Djenin oder in irgendeinem anderen Flüchtlingslager in der Gegend. Es sind also Leute, die von einer Übermacht umzingelt sind und die kämpfen um ihr eigenes Überleben ...« Moderator: »Ja, und auf jeden Fall: in beiden Fällen muss man gegen das Unrecht aufstehen und Widerstand leisten.«

Der Beschluss der AnbieterInnengemeinschaft des FSK, die Ausstrahlung dieser Sendereihe bis zur weiteren Klärung auszusetzen, um über die Problematik einer solchen Israel-Palästina-Kommentierung zu diskutieren, wird übertreten; In Kontakt sendet weiter. Als andere FSK-Aktive dies eine Woche später durch eine Sitzblockade verhindern wollen, werden sie von In Kontakt-Mitgliedern und -Sympathisierenden als »Mossad-Agenten« beschimpft, tätlich angegriffen und eine Person zusammengetreten. Der aggressivste Schläger ist übrigens wie der Moderator der Sendung ein Deutscher, der wegen seiner bekannten Gewalttätigkeit schon in vielen linken Projekten Hausverbot hat. Obwohl die Gewalt und die Israel-Nazideutschland-Gleichsetzung der In Kontakt-Gruppe von fast allen Radiogruppen des FSK offiziell verurteilt wird und In Kontakt als Gruppe seit den Gewalttätigkeiten nicht mehr sendet, schwelt der Konflikt über den Antisemitismus in der Linken bis heute weiter. Die intensivere Auseinandersetzung mit den Eigenarten und der Gefährlichkeit von Antisemitismus bleibt aus. Überdies ist völlig unklar, wie gegen antisemitische Verschwörungstheorien und die Antisemitinnen und Antisemiten in der Linken vorgegangen werden könnte.

Was seitdem passiert, ist zu Recht für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbar: Es gelingt dem In Kontakt-Umfeld, das Vorgehen gegen den antisemitischen »Antizionismus« als »Rassismus« zu diffamieren, weil sich auch Migrantinnen und Migranten in ähnlicher Weise äußern. Da das FSK nicht fernab der deutschen Gesellschaft existiert, ist es sicherlich auch nicht frei von rassistischen Strukturen; aber es ist schon befremdlich, dass dagegen erst im Zusammenhang mit Gewalttätigkeiten und der Wahnidee, FSK-Aktive wären »Mossad-Agenten«, massiv protestiert wird. Es sind auch nicht Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich hinter In Kontakt stellen, sondern neben deutschen Antiimperialisten vor allem Teile der lateinamerikanischen Radiogruppe Voz Latina und des türkischen Radio Göçmen. Beide stellen aus Protest ihren Sendebetrieb ein und organisieren statt dessen mit In Kontakt-Mitgliedern Demonstrationen vor den Räumen des FSK gegen den »Rassismus im Freien Sender Kombinat«, um zu erreichen, dass die »Sendeverbote aufgehoben werden«. Auch die FrauenLesbenRadiogruppe St. Paula sendet von da an nur eine Protesterklärung; zwar verurteilen sie in ihrer Erklärung die »antisemitischen Äußerungen« von In Kontakt, aber nach ihrer Einschätzung hätten die Konflikte im FSK letztlich andere Ursachen, weswegen die Selbstverwaltung des FSK komplett umstrukturiert werden müsse. Mittlerweile sind die Streiks beendet, es kommt zwar noch zu Bedrohungen einzelner FSK-Mitglieder durch das Umfeld von In Kontakt, aber nicht mehr zu Gewalttätigkeiten.

Von Teilen der Linken in Hamburg wird bereits die Beschäftigung mit Antisemitismus abgelehnt und die kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken, die u. a. die Redaktion 3 seit Anfang 2002 in der wöchentlichen Sendereihe Antisemitismus von links vornimmt, als »imperialistisch« oder »faschistisch« diffamiert bzw. Strategie hingestellt, die nichts anderes soll als »der Linken« zu schaden. Eines machen die Vorgänge im FSK auf jeden Fall deutlich: Von dem von Friedrich Engels bereits 1890 formulierten Anspruch, dass das Proletariat mit dem Antisemitismus »nichts zu schaffen haben« könne, ist die Radikale Linke gegenwärtig weit entfernt. Ein Teil der Linken im FSK weiß nicht, wie der Antisemitismus zu bekämpfen wäre, der andere Teil der Linken wüsste gar nicht, warum.

Olaf Kistenmacher


Jeder der einstündigen Folgen der Sendereihe Antisemitismus von links kann gegen Material- und Portokosten auf CD zugeschickt werden. E-Mail an redaktion3@fsk-hh.org oder Post an:

Redaktion 3 des FSK, Schulterblatt 23c, 20 357 Hamburg.

Die Sendereihe ist außerdem abrufbar unter www.freie-radios.de.


Literatur:

*.* Andresen, Knud (2000): Die Verdrängung der Shoah – die Linke in den 1970er Jahren, Hamburg (Vortragsmitschnitt des FSK).

*.* Engels, Friedrich (1970): Über den Antisemitismus, in: Marx–Engels Werke (MEW), Bd. 22, Berlin: Dietz, S. 49 – 51.

*.* Haury, Thomas (2002): Antisemitismus von links. Nationalismus, kommunistische Ideologie und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg: Hamburger Edition, 517 S.

*.* Holz, Klaus (2001): Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg: Hamburger Edition, 615 S.

*.* Kosmala, Beate (Hg.) (2000): Die Vertreibung der Juden aus Polen 1968. Antisemitismus und politisches Kalkül, Berlin: Metropol, 192 S.

*.* Kühne, Andreas / Woeldike, Andrea (2002): Der Skandal als Institution. Antisemitismus im Hamburger »Freien Senderkombinat«, in: Initiative Sozialistisches Forum (ISF): Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und linksdeutsche Ideologie, Freiburg im Breisgau: ca ira, zweite erweiterte Auflage, 200 S.

*.* Gruppe MAGMA (2001): »...denn Angriff ist die beste Verteidigung«. Die KPD zwischen Revolution und Faschismus, Bonn: Pahl–Rugenstein, 295 S.

*.* Postone, Moishe (1992): Antisemitismus und Nationalsozialismus, übersetzt von Renate Schumacher, in: Redaktion diskus (Hg.): Küss den Boden der Freiheit. Texte der Neuen Linken, Berlin/Amsterdam (ID–Archiv), S. 425 – 437.

*.* Reiter, Margit (2001): Unter Antisemitismusverdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah, Innsbruck/Wien/München: Studien, 515 S.

*.* Schatz, Holger / Woeldike, Andrea (2001): Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Zur historischen Aktualität einer folgenreichen

antisemitischen Projektion, Hamburg/Münster: Unrast, 220 S.