what´s your class identity?

WG: diskus fragt an

 

Re: Die hinterher geschmissene Klasse ...

 

Da ich in der Arbeiter- und Bauernrepublik aufwuchs, erfuhr ich spätestens in der Polytechnischen Oberschule, dass es nicht nur Schulklassen gab. Jetzt fand ich nicht nur die aus der Klasse 1a doof, sondern natürlich auch die Klasse der Kapitalisten. Von denen kannte ich eh keinen und wer früher Kinder in englischen Fabriken schuften ließ, konnte nur böse sein. Analog zum Emblem auf dem Fähnchen, lernte ich weiter, dass es trotzdem Unterschiede in unserer glorreichen Diktatur der Arbeiterklasse gab. Von wegen Hammer, Ährenkranz und Zirkel – meine Eltern waren Zirkel, trotz all der Hämmer in meiner Familie war ich damit nur Freundin der Arbeiterklasse. Und was für eine. Spürbar waren diese Unterschiede nicht unbedingt. Alle aus meiner Schule wuchsen in demselben Plattenviertel auf, unsere Eltern hatten ähnlich viel Kohle, alle mussten für Bananen anstehen ... Na gut, ein paar bekamen Westpakete, bei uns standen mehr Bücher und die Eltern, die im KKW arbeiteten, hatten eher einen Lada oder Skoda. Alles in allem waren dann doch fast alle irgendwie, irgendwo ein bisschen Arbeiterklasse. Später konnte ich zwar alle alten klassenkämpferischen Lieder im Schlaf mitsingen, wusste was und wer ein Klassenfeind ist und hatte das Schulfach »Produktives Arbeiten«, Klasse war jedoch wieder eher als Schulclique wichtig.

 

89/90 wurde ja so einiges anders, das mit den Klassen irgendwie auch. Ich fand mich auf einmal auf dem Gymnasium wieder, während andere auf unserer alten Schule blieben, die sich jetzt kombinierte Haupt-/Realschule nannte, selbst das KKW hieß jetzt AKW. Meine Eltern hatten als Akademikerinnen auf einmal mehr Geld als einige Nachbarn und ganz andere waren arbeitslos. Auf einmal gab es materiell eine Menge Unterschiede, welcher Arbeit welche Klasse zugeordnet war, spielte eine Rolle und akademische Titel auch. Drauf geschissen, was hatte das mit mir zu tun, ich war immer noch für eine klassenlose Gesellschaft – brauche keine class identity, weg damit. Dass das nicht so einfach ist, wurde klar als ich mich in den USA als billigste Arbeitskraft auf dem Kinderbetreungsmarkt verdingte. Die lateinamerikanischen Nannies in meinem Viertel bekamen zwar mehr Kohle, mehr Anerkennung bekam aufgrund von Weißsein und Bildungskapital jedoch ich. Das Durcheinander fing aber erst so richtig an, als ich anfing im Westen der Republik zu studieren. Es gab Bildungsdünkel, Uni-Bluff, freiwillige Marx-Lesekreise, Pernod-philosophierende Abende und humanistische Ideale. Und irgendwo auch Arbeiterkinder, aber die habe ich an der Uni seltener getroffen. Klar, ich wuchs praktisch im Studentenwohnheim und an der Uni auf, dass sich da auf einmal auch Vorteile zeigten, ist nicht abzustreiten. Dennoch wurde mir auf einmal noch eine Menge anderes Zeug angehängt: reicher Vati (zu der Zeit gerade arbeitslos), Französisch-Kenntnisse (eher Russisch), Grundausbildung in feinen Künsten (keine Ahnung), Keramikzähne (bis auf einen angesparten neuen definitiv Amalgam-Straße), humanistisches Gedöns (hab bis heute nicht verstanden, was ich dafür alles können muss) ...

 

Hey, wie klassenbewusst bist du Akademikergöre nun eigentlich? Könnte natürlich locker sagen, diese Frage geht an mir vorbei. Kriege dabei allerdings sofort ein schlechtes Gewissen. Bei halber Stelle im Wissenschaftszirkus ist mein Gehalt fast so hoch wie das von meinem voll- und fabrikflexibel arbeitendem Onkel, der immer noch in der Arbeiterklasse schweißt und für die gute Sache Gewerkschaftsbeiträge zahlt, auch wenn sein Betrieb schon vor Jahren aus den tariflichen Gewerkschaftsverbindungen ausgestiegen ist.

 

... und sie klebt doch.

ka