what´s your class identity?

WG: diskus fragt an

 

Re: Was ist deine Klasse? – Klassenlos?

Es mag sicherlich Menschen geben, welche in eine Klasse gehören, sich derer zugehörig fühlen und mit dieser eine Identität verbinden. Ich gehöre auf jeden Fall nicht dazu. Aus der Unterschicht kommend, bezahle ich meine akademische Bildung, trotz (noch) gebührenfreien Studiums.

Neben den Spuren der Funktionalisierung, welche sicherlich alle aufweisen, bin ich schon verwundert, dass ich nach dreizehn Schuljahren nicht völlig verblödet bin. Anpassung an das linksliberale Milieu, welche mir gleichzeitig die Allgemeine Deutsche Hochschulreife ermöglichte, hinterließen Narben. Und so muss ich kriechend mich bedanken, um als Beruhigung für das schlechte Gewissen zu fungieren, als Gegenbeispiel für die bürgerliche Kälte herhalten zu dürfen. Und doch ist dem immer wieder eingeschrieben: man gehört eben doch nicht dazu. Die Klassenfahrt in der Grundschule schon kaum bezahlbar - von den Mitschüler_innen vielleicht gar nicht bemerkt, so doch das eigene Gefühl, anders zu sein; ich gehöre hier nicht hin, meine Anwesenheit unerwünscht. Und es sollte nicht die letzte Klassenfahrt gewesen sein. Aber Klassenfahrten sind ja auch nur Momentaufnahmen. Wie viel Levis muss man als Dreizehnjährige_r eigentlich haben? Du hast keinen Atari? Wie, du weißt nicht, wie Windows heruntergefahren wird? - Sind das ewige Werte? - Für einen Dreizehnjährigen?

 

Fast ein Jahrzehnt später: Studium, Auszug, Lohnerwerb für die ersten eigenen Brötchen. BaföG nach einem dreiviertel Jahr wieder gestrichen, weil man zu viel verdient. Aber zu diesem Zeitpunkt ist dies eine autonome Entscheidung. Tätig in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, komme ich immer wieder an meine persönlichen Grenzen. Für jeden nachvollziehbar, dies ermöglicht kein Studium in der Regelstudienzeit, ich gehöre mal wieder nicht zur Regel. Und daher wird mir auch das BaföG verwehrt, jetzt, sechs Semester später, wo ich ausschließlich studieren will. Jeweils zwei EU glotzen mich aus dem Fernsehen an, egal wie sie nun heißen, ob Ackermann, Eichel oder Co. Lerneffekt: dein Bildungsweg entsprach nicht der Norm, du bist nicht normal, du bist nicht wie wir. Verrenken, Bücken, schlingen wie ein Aal, ich werde schon durchkommen in dem Dschungel von Zahnrädern, die mich zermürben. Unterschichtkinder müssen zahlen, trotz Gebührenfreiheit. Also kündige ich nicht. Dafür arbeite ich aber nun schon seit längerer Zeit in einem Kooperationsprojekt Jugendhilfe - Schule. Immer wieder Zusammenprall mit mir selbst. Es geht nicht um Bildung, Entwicklung und Entfaltung der kindlichen Fähigkeiten, sondern um Funktionalisierung. Ich kämpfe um eigene Gestaltungsfreiheit in der Arbeit und doch ist der Rahmen, Zwang, vorgegeben. Es dämmert mir, der Schleier verrutscht, blöde ist das nicht; Funktionalisierung, Verdinglichung erfuhr und erfahre ich, die herrschenden Verhältnisse bei meinem Klientel zu verinnerlichen wird mir rationaler und sicherer gelingen, als vielleicht einer Pädagog_in der Mittelschicht.

Nach der Arbeit blicke ich in den Spiegel: Von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch, doch es ist bereits unmöglich zu sagen, wer ich bin.

Helge Kminek