what´s your class identity?

WG: diskus fragt an

 

Re: Klassismus in der Studierendenschaft

 

Mit der 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes in der Tasche suchte ich den hiesigen AStA auf, um dort eine Stelle einzurichten, die speziell die Interessen für studierende Arbeiter_innenkinder vertreten sollte. So etwas gab es bis dato nicht. Es heißt, wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht. Diese Bewegung war ein Tritt ins Wespennest.
Dass Arbeiter_innenkinder heutzutage studieren, hat in der studentischen Selbstverwaltung noch keine strukturelle Entsprechung gefunden. Die Etablierung der Allgemeinen Student_innenausschüsse war Resultat eines Klassenkampfes, den die Ende des 19. Jahrhunderts in die Universitäten strebenden Kinder von Kleinbürger_innen gegen die Großbürgertum und Adel repräsentierenden Studentencorps führten. Durch diese wollten sich die kleinbürgerlichen Student_innen nicht mehr vertreten lassen, sondern durch allgemeine Student_innenvertretungen, die parlamentarisch gewählt werden sollten.

Als in den 60er Jahren auch Arbeiter_innenkinder in die Unis gelangten, schlug sich dies nicht wie bei den Kleinbürger_innenkindern in einer neuen Repräsentationsstruktur nieder. Zwar dominierten 25 Jahre lang marxistische, gewerkschaftlich orientierte Hochschulgruppen die AStA-Arbeit, diese arbeiteten aber zentralistisch und hatten mit Selbstverwaltung nichts am Hut. Als Ende der 70er Jahre Basisgruppen und grün-alternative Hochschullisten in die ASten zogen, hatten diese zwar den Anspruch, Politik in der ersten Person zu machen, gleichwohl hatten sie einen »Abschied vom Proletariat« vollzogen.

In der organisierten Studierendenschaft fiel mir der Widerspruch auf zwischen dem hohen Maß an »affirmative action«, Minderheitenschutz und Quotenregelungen und dem vollständigen Fehlen dieser Maßnahmen für Arbeiter_innenkinder. Dies ist kein Versehen und auch nicht auf die fehlende Motivation von Arbeiter_innenkindern zurückzuführen. Werden Studierendenvertreter_innen hierauf angesprochen, wird oft auf die Sozialreferate und Sozialpolitik verwiesen, ähnlich wie in den 70er Jahren, als es darum ging, die Einrichtung von autonomen Frauenreferaten abzuwehren. Dabei sind Sozialpolitikreferent_innen ebenso wenig wie Studierendenvertreter_innen als solche vor klassistischen Einstellungen gefeit, wie folgende Beispiele zeigen werden.

April 2003, 23. Mitgliederversammlung des fzs (Quasi-Dachverband der Asten). Antrag, dass Ausschüsse nicht nur wie bisher für behinderte, ausländische/migrantische und weibliche Studierende quotiert werden sollten, sondern auch für Arbeiter_innenkinder, wird ohne Diskussion und mit großer Mehrheit abgelehnt.

Mai 2003, erster »Bundesweiter Kongress für studentische Sozialpolitik« vom fzs. Es wird reformistisch über Sozialpolitik gesprochen, Klassenunterschiede werden weder explizit noch implizit benannt. Der fzs-Vorsitzende: »Studierendenvertreter_innen sind noch nicht soweit«.
Workshop zum Hochschulzugang: Sozialreferent A: »Wenn alle studieren könnten, würde ich mein Studium schmeißen.« Sozialreferentin B: »Das dreigliedrige Schulsystem ist toll, weil es den unterschiedlichen Begabungen gerecht wird.« Sozialreferent C: »Begabung entsteht in den ersten Lebensmonaten, danach kann man eh nicht mehr eingreifen.« Anwesende Arbeiter_innenkinder staunen.

September 2004, Sozialausschuss des fzs. Planung der Tagung zum Thema »Soziale Durchlässigkeit der Hochschulen«. Arbeitskreis für studierende Arbeiter_innenkinder erhält Arbeitsaufträge.
Oktober 2004, Sozialausschuss des fzs. Tagungsplanung wird eingestampft.
September 2004 bis Januar 2005, der hierüber nicht informierte Arbeitskreis für Arbeiter_innenkinder verfasst ein Papier für die Tagung und organisiert eine Referentin.

6. Dezember 2004, Pressekonferenz der Kultusminister_innen räumt anlässlich der Veröffentlichung von PISA 2 ein, dass noch immer Arbeiter_innenkinder in Deutschland stärker benachteiligt sind als in jedem anderen Industriestaat. fzs-Vertreterin nimmt ihre Einladung nicht wahr, weil sie dringend IKEA-Regale einkaufen muss. Eine Delegation von studierenden Arbeiter_innenkindern aus NRW fährt frustiert nach Hause.
Januar und Mai 2005, Anfragen des Arbeitskreises für Arbeiter_innenkinder nach der Tagungsplanung bleiben unbeantwortet. Referentin wird vertröstet.

Frühjahr 2005, auf Plakaten des »Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren« ist die Rede von »Studierenden aus sozial schwachen Familien«. Eine Anfrage, ob das ABS genauso paternalisierende Formulierungen wie »Studierende des schwachen Geschlechts« plakatieren würden, blieb unbeantwortet.

Juli 2005, Sozialausschuss des fzs, Grillabend. Sozialreferentin A, Informatikertochter: »Die Leute wollen nur nicht arbeiten, die sind sich zu fein dafür!« Sozialreferentin B, Ärzt_innentochter: »Meine Mutter hat lange nach einer Sekretärin gesucht und keine gefunden. So geht das mit diesem Land nie bergauf!« Anwesende Arbeiter_innenkinder staunen.
Arbeitssitzung des fzs-Sozialausschusses: es wird mitgeteilt, dass die Tagungsplanung eingestampft worden sei, nun aber eine neue Planung zum Thema »Durchlässigkeit« bereits sehr weit fortgeschritten sei.
Soviel zum fzs und ABS. Als wir vor Ort das Arbeiter_innenkinderreferat im Münsteraner AStA einrichteten, wurde dieses überwiegend von Akademiker_innenkindern angegriffen. Diese dominieren die Hochschullisten, das Studierendenparlament, den AStA, die Referate, Fachschaften und Gremien durch ihren Habitus und ihre erdrückende Mehrheit.

So durften wir es nicht beim Namen nennen, »Arbeiterkinderreferat« oder »Klassenreferat« wurden nicht zur Abstimmung angenommen, – es hieß dann »Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende«. Mit der Macht der von der bürgerlichen Mehrheit gewählten bürgerlichen Hochschulgruppen wurde uns erklärt, wie wir das zu verstehen haben: nämlich so, dass jede studierende Person, die sich vorrübergehend finanziell oder kulturell benachteiligt fühle, zu der vom Referat repräsentierten Gruppe gehöre (so als ob sich jeder mit Schnupfen ans Behindertenreferat wenden sollte).

Während also der Begriff »Klasse« in der studentischen Linken tabuisiert ist, finden wir auf Plakaten des »Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren« Kennzeichnungen dieser Gruppe, die keine Klasse sein darf, wie »sozial schwache Familien«. Wer ist sozial schwach? Als ich seinerzeit in der münsteraner Studierendenzeitung die Forderung eines der »Wirtschaftsweisen«, dass es mehr Ungleichheit vor allem in den Bereichen Krankheit und Alter geben müsse, als »asozial« bezeichnete, forderte mich der linke AStA zu einer Entschuldigung auf. Als ich in der AStA-Zeitung schrieb, dass ich hinter der Stilisierung der »Massenuni« und überfüllten Hörsäle zum Hauptproblem der derzeitigen Bildungspolitik einen bürgerlichen Distinktionswunsch vermutete, distanzierte sich der AStA überdimensioniert in der selben Zeitung, obwohl bereits im Impressum der übliche Satz zu finden war, dass namentlich gekennzeichnete Artikel nur die Meinung des Autoren wiedergäben. Ich könnte hier endlos weiterplaudern, aber ich schließe mal mit einem Satz aus der Einleitung aus Gabriele Thelings altem und aktuellen Buch über Arbeiter_innentöchter und Hochschule mit dem Titel »Vielleicht wär’ ich als Verkäuferin glücklicher geworden«:

»Ich bin wütend auf die Leute, die immer wieder von Chancengleichheit reden in einer Gesellschaft, in der es nur bürgerliche Bildung gibt, und ich bin wütend auf die Bürgerlichen, die nicht einsehen wollen, dass sie bürgerlich sind.«

Andreas Kemper

 

Das münsteraner Referat für Arbeiter_innenkinder hat die URL:
http://web.uni-muenster.de/asta/hochschulpolitik/arbeiterkinder.php