Authentisch und spontan soll sie sein, die Liebe, kein materieller Einspruch soll ihre Unmittelbarkeit trüben. Trotzdem ist die institutionelle Seite Ehe, RZB #1, Partnerschaft, Seitensprung etc. bis ins Tiefste von Warenform und Patriarchat durchdrungen. Ist unser »Innen« dagegen wirklich unverdorben und ursprünglich und wird nur von der schmutzigen Materie überformt? Für das »Mann und Frau sein« haben Judith Butler und andere mit der Vorstellung eines vorgesellschaftlichen Kernes überzeugend aufgeräumt. Warum also die Liebe im mystisch beladenen Inneren lassen und nicht ebenso konsequent als Diskurs analysieren?

Ich will im Folgenden zeigen: Die Liebe gehört nicht zu einem authentischen Innen, ist kein göttlicher Funke, sie ist geschichtlich geworden und hat keinen überhistorisch wahren Kern. Sie lässt sich in ihrer modernen Form als Subjektivierungsstrategie fassen, womit das ganze Elend von Subjektivierung im Wechselspiel zwischen dem Erheischen einer anerkannten Sprechposition und der Unterwerfung unter gesellschaftliche Spielregeln auch für die Liebe gilt.

Wir können uns der Form unhinterfragt hingeben und damit die Metaphysik ihrer Substanz bestätigen. Wir können sie rational-modern als Partner_innenschaft leben oder in kontrasexuellen Verträgen alle Innerlichkeit von uns weisen und Hals über Kopf Rechtssubjekt werden. In jedem Fall entscheiden wir im Rahmen von gesellschaftlichen Zwängen, welche soziale Praxis unseren sozialen Nahraum formen soll.

»Eine neue Liebe ist wie
ein neues Leben« – Liebe und Subjekt

Spuren dessen, was heute »Liebe« heißt, finden wir schon in der Courtoisie, der höfischen Liebe des Mittelalters. Hier wird eine hohe Frau abseits aller Heiratsabsichten und rationaler Erwägungen als Idealbild gelobt. Profane Körperlichkeit wird erst seit dem 17. Jahrhundert in der passionierten Liebe als essentiell für die Liebe betrachtet. Liebe als Passion kommt jetzt als Wahn daher und bedroht die Sozialordnung, weil sie sich über alle Grenzen von Schicht, Interesse und Vernunft hinwegsetzt. Der Bereich der Liebe wird aus dem Alltag herausgehoben. Leid – als Beweis für die Tiefe und Tragik der Empfindungen – wird ein zentrales Motiv. Passion ist unvereinbar mit rationalen Interessen, Maßlosigkeit gegen jede Vernunft ist erwünscht. In der Passion bringt der Exzess eine gewisse Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen, die aber nur in der Sphäre der Liebe Gültigkeit besitzt. Damit wird im Bereich der Liebe schon lange vor dem modernen Kapitalismus ein Individualismus gefeiert, der erst mit den bürgerlichen Revolutionen allgemein wird. Die Passion nimmt zwei zentrale Merkmale des Kapitalismus vorweg: das Subjekt als souveränes Individuum und die damit verbundene Teilung der gesellschaftlichen Sphären »öffentlich« und »privat«.

Bis hierher sind Ehe und Liebe zwei getrennte Angelegenheiten. Wenn Liebe und Zuneigung der Eheschließung folgen, ist das akzeptiert. Die reine Liebe mit ihrer aggressiven Unvernunft aber wird als Gefahr für den sozialen Zusammenhalt gesehen.

Mit dem Siegeszug der Moderne verändert sich dieses Verhältnis. Was die Liebe im Kleinen versprochen hat – die doppelte Freisetzung der Menschen aus traditionellen Zwängen – wird mit den bürgerlichen Revolutionen zumindest für besitzende Männer gesellschaftliche Realität. Von Gott und Schichtzugehörigkeit bestimmte Menschen verwandeln sich in autonome Subjekte, die als Freie und Gleiche auf dem Markt und in der Politik konkurrieren müssen. Die Bedeutung der Ehe als politische und wirtschaftliche Operation nimmt damit ab, eine Versöhnung von Liebe und Ehe rückt für viele Menschen in den Bereich des Möglichen. Gleichzeitig verbannt die nun gesellschaftlich wirkungsmächtig gewordene Trennung in »Öffentlich« und »Privat« Liebe und Ehe vollends aus dem gesellschaftlichen-wirtschaftlichen Raum in den privat-häuslichen Bereich. Ein wichtiges Merkmal der heutigen Liebesrealität beginnt sich hier durchzusetzen: Die Menschen sehen ihre Zweierbeziehung als innersten – eben privaten – sozialen Bezugsrahmen, in dem all die Solidarität und Nähe stattfindet, die in der durchrationalisierten Öffentlichkeit keinen Platz hat.

Das autonome Subjekt wird männlich gedacht, für die Denker der Aufklärung – allen voran Kant – sind Frauen nicht fähig zur Mündigkeit, was damit korrespondiert, dass sie in der Tat die bürgerlichen Freiheitsrechte erst nachholend erkämpfen müssen. Als Ausgleich für die Entmündigung im öffentlichen Bereich wird Frauen eine besondere Befähigung für das Emotionale, Private zugesprochen, die bis heute hoch wirksam ist. Die Liebesideologie ist eine Möglichkeit, die grundlegend andersartig gedachten »Frauen« und »Männer« zu versöhnen, indem ein Lebensbereich geschaffen wird, in welchem sie vom Anspruch her hierarchiefrei zusammen kommen sollen. Während Aufklärung für das Große Ganze neue und hoch wirksame Begründungsdiskurse für die hierarchische Anordnung genau zweier Geschlechter strickt, sollen die Menschen sich im Kleinen trotz aller Unterschiede auf Augenhöhe begegnen.

Ideologisch ist das der Punkt, an dem wir uns heute befinden: Die Liebe ist eine essentiell an den Menschen gebundene »Himmelsmacht«, die »Mann« und »Frau« im heterosexuellen Paar verbindet. Ist es die »wahre Liebe«, dann folgen daraus Ehe, Kinder und Rente, wenn nicht, muss weiter gesucht werden. Mittlerweile ist die rechtliche Gleichstellung der »Geschlechter« in den Zentren nahezu durchgesetzt, trotzdem verdient der männliche Partner in der Regel das Geld oder macht die Karriere. In dem Maße, wie fürderhin ausgeschlossene Gruppen sich einen Subjektstatus erkämpfen, dürfen auch sie lieben. Frauen schon lange, Lesben und Schwule jetzt auch, sogar mit staatlichem Segen zweiter Klasse, Menschen ohne eindeutige Geschlechtsidentität eben nicht.

Bis hierher habe ich die Liebe als eine Geschichte der Subjektivierung erzählt. Ich komme nun zum Preis, den die Subjekte entrichten müssen.

»Kleines Herz zu vermieten« –
Liebe und Ware

Wie gesagt verspricht die Romantische Liebe einen privaten Bereich abseits der Warenform. Es ist fraglich, ob sie diesen Anspruch je erfüllen konnte, allein ihre Funktion als Ort der Reproduktion, die ja nur bezogen auf die Mehrwertproduktion Sinn macht, spricht dagegen. Darüber hinaus sind die Bilder, die heute mit Liebe verbunden sind, durch und durch mit der Warenform verbandelt.

Eva Illouz erzählt, wie die heute aktuellen kulturindustriellen Formen der Liebeswerbung und -produktion in den 1920er Jahren als Angebote für eine arbeitende Mittelklasse in den USA entstehen. Kino, Dating und die Spritztour mit dem Auto bringen zweifellos neue Freiheiten mit sich: Die vorher üblichen häuslichen Formen der Werbung übten ein rigides Klassenregime aus. Die egalisierende Macht der Warenbeziehungen macht mehr und mehr möglich, auch über Klassengrenzen hinweg zu knutschen. Aber die Annehmlichkeiten der Moderne müssen wie immer erkauft werden. Seit den 1930er Jahren klagen vor allem Männer darüber, wie teuer angemessene Liebesrituale werden, für Frauen wird es in bestimmten Schichten üblich, Einladungen mit Körperlichkeit zu vergelten. Trotzdem bedeutet der neue Ort der Verführung für Frauen ein Stück Emanzipation. Auf die alte Ordnung passte die Bestimmung »Patriarchat« idealtypisch: Die Verfügungsgewalt über Frauen ging direkt vom Vater auf den Gatten über. Die Rituale der Warenwelt verheißen hier zumindest eine gewisse Freiheit, indem es erlaubt ist zu wählen, mit wem man ausgeht. Wenigstens im kapitalistischen Rahmen können die Beteiligten im Vorfeld der besiegelten Liebe ein Stück weit selbstbestimmt handeln.

Die Liebe selbst nimmt in dieser Entwicklung immer mehr eine Form an, die dem freien, gleichen Austausch im Kapitalismus entspricht: Vorher dominierte die personale, primär patriarchale Abhängigkeit. Die neue Form verheißt einen gewissen Rahmen der Wahlfreiheit, modelliert das selbstbestimmte Selbst aber nach den Spielregeln der kapitalistischen und auf neue Art schon wieder patriarchalen Gesellschaft.

Formal frei, real unfrei: Ideologisch ist die Liebe unabhängig, ja geradezu das Gegenteil von Konsum und Klassengesellschaft, real hängen die meisten romantischen Praxen direkt oder indirekt vom Konsum ab und werden darüber hinaus vorwiegend innerhalb der eigenen Klasse praktiziert – Liebe findet statistisch eben nicht zwischen Bauarbeiter_innen und Professor_innen statt.

In dem Maße, wie personelle Formen der Abgrenzung abgebaut werden, entwickelt sich auch die Abgrenzung entlang der »kleinen Unterschiede«. Wurde der Arbeiterjunge vorher gar nicht erst ins Haus geladen, bedeuten ihm jetzt ausgefeilte Verhaltenscodes, dass er nicht dazu gehört. Mit einem Sammelsurium an alltäglichen Ritualen – z. B. Höflichkeit, Regeln der Ansprache, die Angemessenheit bestimmter Themen – wird sichergestellt, dass herkunftsgebundene Hierarchien trotz aller formaler Gleichheit aufrecht erhalten werden. #2

Bei denen, die diese Zeitschrift lesen, ist wahrscheinlich eher der Verzicht auf die offensichtliche Warenform der angemessene Weg, sich zu unterscheiden. Gerade in postkonventionalistischen Oberklasse-Milieus wird viel Wert darauf gelegt, Liebesrituale eben nicht offensichtlich warenförmig, sondern »wirklich« individuell und »authentisch« zu begehen. Die romantischen Formen des »Spaziergang in der ›Natur‹«, des »einfach nur einen Abend zusammen verbringen« und besonders des »Sandstrand bei Nacht« sind aber auch in hohem Maße kulturelle Formen und nur dadurch möglich, dass finanzielle Mittel und disponible Zeit vorhanden sind. Illouz kommt daher zu dem Schluss, dass die Praxen der romantischen Liebe selbst Konsumpraxen werden.

Erinnert das an die Dialektik der Aufklärung? Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zeigen, wie der listige Odysseus dem verführerischen Zauber der Kirke widersteht, indem er eine vertraglich geschützte Tauschbeziehung mit ihr eingeht. Das Überwinden der Drohung gelingt Odysseus um den Preis, die Lust vertragsförmig zu regeln. Kirke verliert durch diesen Vertrag ihre bezaubernde Macht, auch sie wird als Vertragspartnerin zum Subjekt, allerdings mit einer unterlegenen Subjektposition. Der Tausch und die zweckrationale Vernunft sind die Opfer, die Liebende erbringen müssen, um Subjekte zu werden.

Wie Romantische Liebe auch den Menschen zur Ware macht, zeigt die Eifersucht: Eifersucht funktioniert, weil ich fürchte, dass Luca mit Bülent das macht, was doch allein ich mit Luca machen will. Eine bereits vorhandene Beziehung schließt eine neue aus. Dieser Mechanismus funktioniert nur in einer abstrakten Zeitordnung, die die Beziehungen nacheinander und hierarchisch anordnet und die geliebte Person als erworbenen Besitz sieht, auf den ein Anspruch erworben wurde, der auch wieder verloren gehen kann: »Wären Menschen kein Besitz mehr, so könnten sie auch nicht mehr vertauscht werden.« #3 Heute will kein Mensch von Besitz reden. Trotzdem schließe ich aus der Beobachtung, das Bülent wichtiger für Luca wird, dass ich automatisch unwichtiger werde. Hier entsteht Eifersucht aus einem Gefühl der Minderwertigkeit heraus. Der warenförmige Charakter des Besitzdenken ist darin durchaus aufgehoben: Verglichen wird die Wertigkeit von Mir und Bülent, Maßeinheit ist das Quantum der von Luca aufgebrachten Ressourcen. Mit anderen Worten: Die romantische Liebe – Kehrseite der Eifersucht – regelt den Besitz an Menschen hierarchisch und zeitlich.

»Die berühmten drei Worte« –
Liebe als Diskurs

Die bis hierher ausgeführte historische und ideologiekritische Sichtweise spricht doch sehr dafür, die Idee von der ursprünglichen Eigentlichkeit der Liebe zu vergessen. Wir #4 schlagen dagegen vor, Liebe konsequent als System von Diskursen und sozialen Praxen, die den Menschen ein Bewusstsein von ihrem Gefühlsleben erlauben, zu sehen. Der Liebesdiskurs regelt das Sagbare über die eigenen Gefühle in Bezug auf das Begehren und ermöglicht damit ein System von Denkweisen, sozialen Praxen, Institutionen und gesellschaftlichen Strukturen. Der Liebesdiskurs ist nicht starr, sondern entwickelt sich historisch und umfasst zahlreiche geschlechts- und klassenspezifische Diskursstränge. Bekenntnispraxen wie »Ich liebe Dich« erlauben es, Gefühle in gesellschaftlich verständliche Aussagen zu codieren und machen die Gefühle damit legitim und lebbar. Gleichzeitig sind die Gefühle Teil des gesellschaftlich Normativen.

Institutionen wie das Liebespaar oder die rechtlich fixierten Formen Ehe und Eingetragene Lebenspartnerschaft werden durch die romantische Liebe sinnhaft mit den als innerlich gedachten Gefühlsregungen der Menschen verbunden und können sich gegenseitig stabilisieren.

Der Diskurs erlaubt den Subjekten nicht nur, Wünsche und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sondern er unterwirft im Gegenzug die Subjekte seinen Regeln. Die Position, die ein Mensch als »Meine Geliebte« erheischt, bedeutet Einschluss in ein gesellschaftliches Regelwerk, zieht aber auch die Unterwerfung unter die Einschränkungen des Liebesdiskurses nach sich: »Meine Geliebte« kümmert sich zwar um mich, wenn ich krank bin, aber kein_e ander_e. Die romantische Liebe verbindet in ihrer derzeit vorherrschenden Form »Mann« und »Frau« in einem Paar und stabilisiert dabei die derzeit vorherrschende bipolar vergeschlechtlichte und wechselseitig aufeinander bezogene Form des Subjekts.

Die »Echtheit« des Subjektes scheint als Gegenthese zum Warenfetisch daher zu kommen, ist aber mit ihm insofern identisch, als dass bei beiden das Ergebnis eines sozialen Prozesses als Eigenschaft der Dinge verstanden wird: Im Wert verschwindet die Tatsache, dass er nur durch die warenproduzierende Gesellschaft in die Welt tritt. Im Subjekt verschwindet, dass es nur existiert, weil die Menschen im Kapitalismus als vereinzelte Einzelne getrennt von der Gesellschaft funktionieren. Dadurch wird das durch die Aufklärung faktisch gegebene – die Subjektform – ethisch erhöht und gleichzeitig dasjenige, was nichtidentisch ist, denunziert. Die Norm der authentisch gedachten Identität ist nichts als das trotzige Beharren auf der monadischen Gestalt, die die gesellschaftliche Unterdrückung dem Menschen aufprägt. In der Rede von Authentizität und Echtheit der Subjekte werden die Verhältnisse verdreht, indem die selbstidentische Form der historischen Entwicklung vorgängig gedacht wird, was die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als legitimen Ausdruck des im Mensch an Sich angelegten rechtfertigt.

Die besondere Wirkungsmächtigkeit des Liebesdiskurses besteht also darin, dass sein Entstehungsprozess im Ergebnis verschwindet und somit die gesellschaftliche Natur der Liebe unsichtbar wird. Sie erscheint als essentieller Kern des Subjektes, der entweder biologisch begründet wird oder im diskursiven Nebel der Alltagspraxis – »Es ist halt so« – verschwindet.

»Die Liebe macht nicht alles schöner,
sie ruiniert einfach alles« –
Liebe als Positionierungsproblem

Ich habe bis hierher dargelegt, wieso die Liebe nicht »einfach so ist«, und vorgeschlagen, wie sie sich statt dessen begreifen lässt. Aber die Kritik muss weiter gehen und fragen, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen. Wir können konstruktivistisch-besserwisserisch sagen, dass wir jetzt wissen, wo die Liebe herkommt und sie als verstanden abhaken. Ein Trugschluss wäre es jedoch zu denken, dass der Verzicht auf die traditionelle Romantik Dinge wie Körperlichkeit, Nähe und Emotionalität einfach nur befreit.#5 Denn wenn wir auf solcherlei nicht einfach ersatzlos verzichten wollen, dann muss es eine Praxis geben, die an die Stelle der traditionellen Formen tritt.

Ich werde versuchen, ein Feld dafür abzustecken. Der Bezugspunkt ist die real existierende Romantische Liebe. Sie soll dem herkömmlichen Anspruch nach zweckfrei und rein sein, soll ohne Ansehen von Stand, Klasse, und anderen sozialen Merkmalen nur das Besondere der Person ansprechen. Sie ist empirisch durchzogen von zahlreichen unbewussten Anrufungen sexistischer und kapitalistischer Ideologie und funktioniert zumeist als unausgesprochener Vertrag. Wir können diese Form in zwei Richtungen auflösen.

»Ich weiß, was ich will« –
Die Verträge bewusst machen

Zum einen können wir die versprochene Freiheit und Gleichheit real einfordern und letztlich explizite Verträge über die Verhältnisse im Nahbereich schließen. Andrea Leupold prognostizierte in den 1980er Jahren eine solche Entwicklung, Alek und DieKatrina schlagen vor, »den impliziten Vertrag explizit auszuhandeln und für beide transparent zu machen«. #6
Ich vermute, es ist möglich, einen expliziten Vertrag um ein Ideal der Nichtvertragsförmigkeit herum auszuhandeln, aber was bleibt vom versprochenen Gewinn, wenn seine Bedingungen restlos rationalisiert sind? Gerade das, was die Moderne in allen Lebensbereichen durchexerziert hat – die Auflösung direkter Bezüge und die Neuregelung in verdinglichten Waren- und Rechtsbeziehungen – soll gerade die Linke jetzt auch noch im Nahbereich durchsetzen? Eine konsequente Rationalisierung lässt keinen Platz für Rosa Wolken #7, die doch auch eine Qualität des sozialen Nahraums sind. Dazu kommt die bekannte doppelbödige Vorstellung von der Gleichheit der Rechtssubjekte im Vertrag: Die abstrakte Gleichheit sieht von einer gesellschaftlich gegebenen Ungleichheit ab und legitimiert sie dadurch. »Sie« macht Babyjahr, »er« promoviert? Aber wir haben doch die Bedingungen der Partnerschaft gleichberechtigt ausgehandelt!

Sicherlich ist ein expliziter Vertrag mit seinem Anspruch der Gleichheit besser als ein impliziter Vertrag, der die Ungleichheit derart fixiert, dass sie noch nicht einmal verhandelbar ist. Aber eine Aufhebung warenförmiger Vergesellschaftung ist vertraglich kaum zu vereinbaren. Aber halt, argumentiere ich hier nicht mit dem Echten, Vorwarenförmigen? Nein, nicht wirklich, ich argumentiere nur dagegen, das Denken der Authentizität dadurch aufzulösen, dass wir jede Regung in die Vertragsform pressen. Aus der Erkenntnis, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt, muss eben nicht folgen, das Falsche deswegen gleich richtig zu machen. Der beharrliche Rückzug auf die Ursprünglichkeit liegt allerdings nahe.

»Weil es Liebe ist…« –
Die Authentizität retten

Adorno formuliert gegen die Verheerungen der Warenform die Vision einer zweckfreien und inkommensurablen »wahre[n] Neigung […], die den anderen spezifisch anspricht«.#8 Gegen die Erkenntnis, dass die Liebe gar nicht das hält, was sie versprochen hat, setzt er das Insistieren auf die wahre Ansicht des Besonderen.

Auch von uns wurde aus dem Impuls gegen die institutionelle Rationalität die wirklich »freie« Vergesellschaftung in unmittelbaren Netzwerken gefeiert. Befreit von den Konventionen der traditionellen Liebespraxis suchten wir unsere Bezüge in der naiven Unmittelbarkeit. »Wenn wir ein Bedürfnis mit der einen Person nicht befriedigen können, dann suchen wir uns eben eine andere« – instrumenteller Umgang pur, völlig anschlussfähig an die neoliberalen Diskurse von Flexibilität und Selbstmanagement. Wo wir meinten, an die Stelle der traditionellen Regelung »keine« setzen zu können, lauerte auch wieder die Warenform und drohte mit dem postmodernen Flexi-Subjekt.

Paradoxer Weise endet also die naive Ablehnung der Vertragsform genau wie ihre bewusste Explizierung darin, die sozialen Praxen von der Warenform diktieren zu lassen. Wir sehen an dieser Stelle das ganze Elend der Aufklärung. Sie schneidet das Inkommensurable, indem es die Welt in männlich-rational-mittelbar und weiblich-irrational-authentisch trennt und das eine öffentlich-vertragsförmig und das andere privat-personell verregelt. Die Entscheidung für eine der beiden Seiten mag kurzfristig als befreiend wirken, letzten Endes landen aber beide Lebensentwürfe wieder bei einer Affirmation der Warenform.

So what?

Als langfristige Perspektive geht es mir um eine Überwindung der modernen Gegensätze. Weder muss eine authentische und vorgesellschaftliche Echtheit vor der verderblichen Warenform beschützt werden, noch bringt eine konsequente Rationalisierung aller Lebensbereiche ein gutes Leben. Weil soziale Bezüge weder einfach so sind, noch frei unter selbst gewählten Bedingungen gemacht werden, ist kurzfristig die einzige Option die ständige Reflexion der alltäglichen Praxen und Subjektpositionen. Wo lauert die Heteronormativität? Wie performieren wir unreflektiert vergeschlechtlichende Subjektpositionen? Wo reproduzieren wir mit dem Rekurs auf romantische Liebe die Verwarenförmigung des Sozialen? Reflexion ist dabei durchaus ungleich Rationalisierung. Ein reflektierter Umgang mit dem Sozialen kann auch bedeuten, sich gemeinsam bewusst zu entscheiden, welche Lebensäußerungen abgesprochen werden und wo geschützte Residuen des Unbestimmten Spielräume für Zufälle und Entwicklungen schaffen, für eine Spontaneität, die alles andere als »echt« ist.

Ach ja, um es am Ende noch mal explizit zu machen: ohne Angriff auf sexistische und kapitalistische gesellschaftliche Strukturen wird nichts großartiges aus der Umdeutung sozialer Praxen werden. Und als vereinzelte Einzelne werden »wir« wohl auch nichts erreichen.

Michel Raab

 

Der Autor lebt in einer Kommune, was eine Antwort auf die Frage ist, wie mensch leben kann, ohne weder zu vereinsamen noch zu verzweifeln.

Literaturliste und weitere Texte zum Thema unter http://liebe.arranca.de

 

*.notes
#1 »Romantische Zweierbeziehung« ist unsere Sammelbezeichnung für diverse Zweierkisten, die sich durch Exklusivität auszeichnen und durch Liebe zusammengehalten werden sollen (AutorInnenkollektiv Gegenbez 2001).

#2 Wer schon als Lehrling auf einer Student_innenparty war, weiß, wovon ich spreche.
#3 Adorno 2003, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main,S. 89
#4 Die Reste des AutorInnenkollektivs Gegenbez
#5 Im Grunde wäre das wieder die Idee eines authentischen Innens, das vom materiellen Außen unterdrückt würde. Mittlerweile sollte klar sein, dass ich davon ausgehe, dass »Körperlichkeit, Nähe und Emotionalität« gesellschaftlich gemacht ist.
#6 Alek und DieKatrina von fremdgenese 2005
#7 In Ermangelung einer nicht durchherrschten Sprache bediene ich mich dieser kitschigen Metapher, um einen Zustand des Selbst zu bezeichnen, der mit dem Bezug auf andere Menschen positive Dinge verbindet, dabei aber relativ unbestimmt bleibt und bleiben soll.
#8 Adorno 2003, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main, S. 89