Theorien entstehen in politischen und diskursiven Kontexten, mit denen sie sich auf die eine oder andere Weise auseinander setzen. Übersetzungen in andere Sprachen und Kontexte bringen so immer die Gefahr und die Chance der Veränderung mit sich. Dieser Artikel versucht zum einen Fragmente des Entstehungskontextes des »Kontrasexuellen Manifestes« von Beatriz Preciado zu beschreiben. In einem zweiten Teil wird der Aspekt Arbeit bzw. die Kontrasexuelle Ökonomie herausgegriffen und ein Versuch unternommen, sie in einen sowohl materialistisch-feministischen als auch ›deutschen‹ Kontext zu übersetzen.

Übersetzungen

Wie im nebenstehenden Interview mit Marcella Moustache bereits angedeutet wird, ist das »Kontrasexuelle Manifest« Beatriz Preciados ein Produkt kultureller Übersetzungsarbeit, bei dem es schwer fällt, eine gradlinige Tradition nachzuzeichnen, aus der es stammt. Die in Spanien aufgewachsene Preciado war in New York Schülerin des französischen Philosophen Jacques Derrida, bevor sie in Paris die Arbeit mit der queeraktivistischen Gruppe »Le Zoo« und Marie-Hélène Bourcier begann. In diesem Spannungsfeld ist das Manifest entstanden.


Als sich der Zoo 1996 im Umfeld der Sorbonne zusammenfand, war die feministische Diskussion Frankreichs im Wesentlichen von einem institutionalisierten Feminismus bestimmt, den gerade die so genannte Dritten Welle des Feminismus erfasste. Mit der Paritäts-Forderung gegen die außergewöhnlich niedrige Repräsentation von Frauen in der Assemblée Nationale hatten Feminist_innen eine gesellschaftliche Debatte über Feminismus angefacht, wie es sie seit Ende der Siebziger Jahre nicht mehr gegeben hatte. 1980 hatte die Tageszeitung Libération die Frauenbewegung mit dem Titel »Le mouvement des femmes n’est plus« für tot erklärt. Diese neue Welle des Feminismus lässt sich jedoch grundsätzlich von dem Feminismus der Siebziger Jahre unterscheiden: Letzterer hatte zwar auch in der Forderung nach legaler Abtreibung einen der größten Mobilisierungsfaktoren gehabt, doch meist gingen seine politischen Forderungen darüber hinaus: die Geschlechter sollten mitsamt ihrem hierarchischen Verhältnis abgeschafft werden. Der neue Feminismus der dritten Welle wird hingegen nicht müde, seinen Bruch mit eben jenen Siebziger Jahre Feminist_innen zu unterstreichen. Die Forderungen der neuen feministischen Gruppierungen der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre gehen so gut wie nie über ein konkretes Gesetzesanliegen hinaus. Deshalb kann man sie mit einigem Recht als republikanistisch bezeichnen.

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Betonung der mixité dieser Gruppen, der Geschlechtergemischtheit. Damit wird zum einen wieder der Bruch mit den Siebziger Jahre Feminist_innen hervorgehoben, welche als erste non-mixité von Frauen- und Lesbengruppen praktizierten. Zum anderen verweist dies aber auch auf eine Stellungnahme bezüglich eines bedeutenden Bruchs in der französischen Frauenbewegung, nämlich dem Streit in der Zeitschrift Questions Féministes, der 1980 zu einer Spaltung zwischen materialistischen Feminist_innen und radikalen Lesben führte: Der erste Teil institutionalisierte sich nach 1980 mit Hilfe der neuen linken Regierung so gut es ging. Die radikalen Lesben aber verschwanden bis 1996 so gut wie von der politischen Bildfläche.


Als 1996 der Zoo mit seinen öffentlichen Live-Übersetzungen Judith Butlers und anderer US-amerikanischer Queer Theory auf den Plan trat, traf er in eine alte Wunde des französischen Feminismus, nicht nur durch Butlers Bezugnahme auf Monique Wittig. Es scheint, als ob sich ein weiteres Mal materialistischer und lesbischer Feminismus (bzw. jetzt Post-Feminismus) gegenüberstünden. Die materialistischen Feminist_innen hatten sich bereits mit dem Begriff gender schwer getan, und witterten in der Queer Theory einen cultural turn, der von den materiellen Grundlagen, die sie als Ursache der Geschlechterhierarchie ausmachen, ablenke. Und tatsächlich geht Butler nicht nur wesentlich stärker auf die subjektkonstitutiven Elemente von Wittigs Theorie ein. Sie kritisiert Wittig darüber hinaus, von einer vordiskursiven menschlichen Ontologie auszugehen, die lediglich gesellschaftlich überformt wäre: Kann es einen Körper vor dem perzeptuell wahrgenommenen geben? Für Wittig aber erlangen die Geschlechtskörper ihre Funktion nicht zuletzt über ihre Stellung in der Produktion. Könnte man also behaupten, dass die materialistischen Feminist_innen in Frankreich lediglich die ›materialistische‹ Seite Wittigs für ihre Analysen heranzogen, wie zum Beispiel das Geschlechterverhältnis als Klassenverhältnis zu beschreiben, so ist dies genau jener Teil Wittigs, den Butler kritisiert, um stattdessen den Teil Wittigs hervorzuheben, der sich auf dem Plan der Subjektkonstitution abspielt. Spannend ist es deshalb zu sehen, wie mit der Diskussion der Butlerschen Wittig-Interpretation in Frankreich nun diese beiden Teile aufeinander treffen. Die Rollenverteilung in diesem Streit nahm sich konkret so aus, dass der Zoo und mit ihm Preciado und Bourcier für eine positive Haltung gegenüber der Butlerschen Lesart standen, wohingegen die institutionalisierten materialistischen Feminist_innen deren Vorstöße abwehrten. Ich möchte in diesem Artikel jedoch untersuchen, inwiefern innerhalb von Preciados Lesart der Queer Theory durch das Wissen um diesen Akt der Übersetzung in den sehr ablehnenden und bisweilen antiamerikanischen Kontext des französischen Feminismus nicht hier schon bereits eine Art Synthese der beiden Seiten Wittigs vollzogen wurde.


Das Verfassen des »Kontrasexuellen Manifestes« erforderte eine vielfache Übersetzungsarbeit: Zunächst die sprachliche, da ihre Notizen und Manuskripte in englischer und spanischer Sprache verfasst waren. Aber vor allem in kultureller und theoretischer Hinsicht: Es galt einerseits einen post-feministischen Ansatz US-amerikanischer Theorien zu vermitteln, die in der Auseinandersetzung mit französischen poststrukturalistischen Theorien entstanden sind. Dazu ist wichtig zu wissen, dass diese Auseinandersetzung maßgeblich mit französischen Theorien stattfand, die von den materialistischen Feminist_innen der Zeitschrift Questions Féministes, z. B. Christine Delphy, als anti-feministisch bezeichnet wurden: Julia Kristeva, Hélène Cixous, Luce Irigaray, Michel Foucault, Jacques Lacan, Claude Lévi-Strauss: Als anti-feministisch galt zum Beispiel Kristeva, weil sie in der Diskussion tatsächlich immer wieder gegen die französische Frauenbewegung Stellung bezogen hatte. Ein anderer Grund ist eine Bezugnahme auf eine unversöhnliche Spaltung, die in der Frauenbewegung Frankreichs seit ihrem Beginn bestanden hatte: Neben den erwähnten materialistischen Questions Féministes gruppierte sich der politische Gegenpol um die Gruppe Psychanalyse et Politique (Psych et Po), welche im Umfeld maoistischer Gruppen entstanden war und die Emanzipation mit Hilfe der Psychoanalyse realisieren wollte. Dabei ließ diese Gruppe keine Gelegenheit aus, sich gegen die materialistischen Feminist_innen zu wenden, zuletzt mit der kommerziellen Registrierung des Namens Mouvement de Libération de Femmes (MLF) und seines Symbols, der Faust im Frauenzeichen, und der konsequenten Verklagung jeder Gruppe, die diesen vorher kollektiven Namen weiterhin benutzte.

Das Unverständnis ist nachvollziehbar, mit dem die Feminist_innen in Frankreich auf die Nachricht reagierten, dass sich der aktuellste Feminismus aus den USA an eben jenen Theorien inspirierte, die zwanzig Jahre zuvor ihre politischen Gegenspieler_innen waren. Auf dieser politischen und kulturellen Ebene musste also auch Übersetzungsarbeit geschehen: Einerseits also die Konfrontation mit einem ehemaligen politischen Kontrahenten (Psych et Po), andererseits die Konfrontation mit dem Gespenst eines ausgeschalteten politischen Flügels, der vormals politischer Bündnispartner war (radikale Lesben). In einem der letzten Kapitel von »Queer Zones« gehen Preciado und Bourcier im Dialog auf diese verschiedenen Übersetzungsebenen ein, zu der nicht zuletzt auch die Übersetzungsarbeit gehört, die zwischen Aktivismus und Universität immer wieder geleistet werden muss. Dieses ›Thema‹ der Übersetzung, das in der Entstehungsgeschichte des Manifestes von zentraler Bedeutung ist, lässt sich daher auch im Manifest selbst und in der Struktur seiner Argumentation wieder finden. So beginnt Preciado mit der Frage: Was kann die Philosophie vom Dildo lernen? Zwischen diesen zwei Ebenen zu vermitteln, sie in Beziehung zu setzen, kann als Akt der Übersetzung verstanden werden; ebenso die Übersetzung einer dekonstruktivistischen Theorie von Gender-Technologien in die Utopie einer neuen Gesellschaft mit eigenen Grundsätzen.


Es ist auch in diesem positiven Sinne, mit dem Marcella Moustache im Interview zwischen US-amerikanischem und French Queer unterscheidet. Was auf den ersten Blick eine Ähnlichkeit zu europäischem Antiamerikanismus aufweist, ist jedoch eine tiefgründigere Anspielung auf eben diese Übersetzungen: Französische materialistische Feminist_innen haben sich seit Mitte der Neunziger Jahre erbittert über die Missrepräsentation dessen beschwert, was in US-amerikanischen Universitäten seit den Achtziger Jahren unter dem Stichwort French Theory verhandelt wird. Es handelt sich um einen Korpus ausgewählter, meist poststrukturalistischer Texte zu denen Foucault, Lacan, Derrida, Deleuze und andere gezählt werden. Entsprechend wurde in den USA auch die Kategorie des French Feminism mit dem Inhalt Kristeva, Cixous, Irigaray gefüllt, der ‚Heiligen Dreifaltigkeit’ wie Christine Delphy – eine materialistische Feministin – zynisch bemerkte, und die Kategorie umbenannte in French Feminism made in USA. Der Unmut erklärt sich mit dem Wissen um die weiter oben beschriebenen Brüche in der französischen Frauenbewegung. Materialistische Feminist_innen wurden in der Kategorie French Feminism fast nie berücksichtigt.

Ende der Neunziger Jahre sind die Queer-Aktivist_innen des Zoo mit eben jenem nicht-repräsentierten französischen Feminismus konfrontiert, der ihnen gegenüber die Hegemonie des institutionalisierten Feminismus darstellt. Der Zoo nutzte diese narzisstische Kränkung politisch, um mit den Begriffen French Theory und French Feminism den materialistischen Feminist_innen die Problematik der Repräsentation im Allgemeinen näher zu bringen. Daher verwenden sie in der französischen Sprache den englischen Begriff French Theory/Feminism, und erkennen damit das US-amerikanische Sample als eigenständigen Kanon an, statt auf eine authentischere, nationale Repräsentation zu pochen. Es handelt sich um die an Deleuze angelehnte Einsicht, dass Übersetzung notwendig Betrug bedeute. In diesem Sinne ist Marcella Moustaches French Queer zu verstehen: Aus den ›antifeministischen‹ Theorien des Poststrukturalismus wurden durch die Lektüre US-amerikanischer Feminist_innen ›feministische‹ Gender Studies, und auf der erneuten Rückreise wurden aus den US-amerikanischen Gender und Queer Theories in der französischen Lektüre und Diskussion French Gender und French Queer. Dies soll also nicht einen nationalen Besitz bezeichnen, sondern die Veränderungen, die Theorien und Begriffe im Zuge ihrer Wanderung in einen neuen Diskussionskontext durchmachen, sei es durch andere Kräfteverhältnisse in dem neuen Diskussionskontext, durch die Aktualität bestimmter politischer Fragen, mit denen sie zusammenfallen oder tausend andere Gründe.

Die Kontra-Ökonomie

Beim Lesen des kontrasexuellen Manifestes stolpert man über Passagen, die nahe legen, dass es sich hier um einen Syntheseversuch materialistischer und postmoderner Theorie handelt:

»Rollen und sexuelle Praktiken, die dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht als natürlich zugeschrieben werden, sind ein arbiträres Ensemble in die Körper eingeschriebener Regulationen, um die materielle Ausbeutung eines Geschlechts durch das andere zu sichern.«

Und weiter unten:

»Männer und Frauen sind metonymische Konstruktionen des heterosexuellen Produktions- und Reproduktionssystems, das die Unterwerfung der Frauen als sexuelle Arbeitskraft und als Reproduktionsmittel festschreibt. Diese Ausbeutung ist strukturell und die sexuellen Vorteile, die Männer und heterosexuelle Frauen daraus ziehen, zwingen sie, die erotische Oberfläche auf sexuelle Reproduktionsorgane zu reduzieren und den Penis als mechanisches und alleiniges Zentrum der sexuellen Triebproduktion zu privilegieren.«

Preciado spricht von den so genannten ›Arbeitern des Anus‹ als neuen ›Proletariern‹. Im kontrasexuellen Vertrag wird das Eigentum an Sperma/Eizelle/Kind aufgegeben, und in der Analyse von Anti-Masturbationstechnologie und Vibrator subvertiert Preciado den Begriff der Arbeit, in dem sie ihn auf die Sexualität ausweitet. Die Erfinder der Keuschheitsgürtel und gruseligen Anti-Masturbationsapparate hätten ungewollt – quasi implizit – anerkannt, dass Sexualität Arbeit bedeute. Schließlich dienten diese Apparate dazu, die Arbeitenden davon abzuhalten, an ihrem Körper Energien zu verausgaben, die sie stattdessen in die Lohnarbeit stecken sollten.

Das Vokabular (Arbeit, Proletarier, Produktion/Reproduktion, Ausbeutung) scheint darauf hinzudeuten, dass es sich bei Preciados Manifest (und schon allein die Manifest-Form) um einen neuen materialistischen Feminismus handeln könnte, einen neuen Versuch, die Mechanismen von Kapitalismus und Geschlechterhierarchien zusammen zu denken. Zentral für den Materialismus in Preciados Theorie ist aber ihr Bezug auf Monique Wittig: Die oben zitierten Passagen sind sehr dicht an Monique Wittigs Theorie formuliert. Wie schon Friedrich Engels beschreibt auch Wittig das Geschlechterverhältnis als Klassenverhältnis, in welchem sich Männer die Körper und die Arbeit von Frauen aneignen. Bei Wittig bot die lesbische Identität (als drittes Geschlecht) einen Ausweg aus dieser Ökonomie, denn Lesben sind für Wittig keine Frauen, und können somit nicht von Männern besessen und ausgebeutet werden. Preciado baut hier auf Wittig auf, geht aber einen Schritt weiter: Die Männer und heterosexuellen Frauen ziehen sexuelle Vorteile aus der strukturellen Ausbeutung der Proletarier des Anus und der Butches. Diese Einschätzung erscheint realistischer als Wittigs, werden Lesben doch in der Realität tendenziell eher doppelt diskriminiert – nämlich als Frau UND als Lesbe – statt dass sie sich frei außerhalb dieser Regeln bewegen könnten.

Diesem Ausbeutungsverhältnis in der Analyse stellt Preciado in ihrem Vertrag den freiwilligen Verzicht auf Privilegien und Eigentumsverhältnisse gegenüber. Damit buchstabiert sie aus, was Gayatri Spivak 1986 bereits angerissen hatte. In Bezug auf materialistischen Feminismus kritisierte Spivak, dass in der marxistischen Theorie ein grundlegendes menschliches Produkt nicht berücksichtigt würde: das Kind, sowie die männlichen Eigentumsrechte am weiblichen Körper und dessen reproduktiver Funktion. Die grundsätzliche Heteronormativität sowie die Zweigeschlechtlichkeit werden bei ihr problematischer Weise einfach vorausgesetzt. Andererseits beschreibt Spivak jedoch, wie die Aneignung der Gebärmutter über eine Unterdrückung der Klitoris vollzogen würde. Das heißt, sie beschreibt die Instandsetzung einer Ordnung, welche die Reproduktion ins Zentrum rückt, und damit vorfeministisch auf einer Einheit von Sexualität und Reproduktion basiert. Preciados Kritik der ›Privilegierung des Penis als dem einzigen Zentrum der sexuellen Triebproduktion‹ stellt sich in diese feministische Tradition. Mit ihrer Analyse der Bedeutung der Begehrensstruktur für die Konstituierung der Geschlechterhierarchie und dessen Ökonomie, führt sie in der Formulierung ihres Vertrags diese Analyse konsequent auf die Kerninstitution dieser Ökonomie: die Familie. In der heterosexuellen Kleinfamilie, die für die Mehrheit der Menschen immer noch eine soziale und ökonomische Realität darstellt, führen alle Spuren zusammen: Die Zwangsheterosexualität zur Ausbeutung sexueller wie reproduktiver Arbeit von angerufenen Frauen, die damit einhergehende Unterdrückung der Klitoris, der Sexualität als Lust. Und in der offensiven, aggressiven Dominanz dieses Modells liegt auch die strukturelle Unterdrückung aller – wie Preciado sagt – Unfälle der heterosexuellen Maschine, nämlich aller anderen Identitätsentwürfe. Auf dieser Grundlage ist ihr Vorschlag der Klitorisimplantate auf dem ganzen Körper zu verstehen: Eine Entbiologisierung und Dezentrierung der Sexualität ist Preciados Ziel, auch wenn die Dominanz des Dildos im Manifest zunächst anderes nahe legt. Aber der Dildo ist eben nicht der Phallus, sondern dessen Dekonstruktion, denn er sagt: ›Der Penis als Sex ist eine Lüge‹. Insofern geht Preciado in ihrer Analyse tatsächlich über Spivaks Kombination von Dekonstruktivismus und materialistischem Feminismus hinaus, indem sie die Ansätze zu Ende denkt: mit dem Konzept des Kontrasex’ als arbeitsintensiver Technologie, also der erheblichen Erweiterung des Arbeitsbegriffs bzw. seiner Übertragung auf die Bereiche Liebe und Sexualität führt Preciado an dieser Stelle Dekonstruktion und materialistischen Feminismus aufs Produktivste zusammen. Den Arbeitsbegriff zu erweitern ist dabei feministische Tradition, hatten Feminist_innen ihn doch in den Siebzigern auf die so genannte Reproduktionssphäre ausgedehnt. Ihn auch auf die sexuellen Technologien zu beziehen macht die Ökonomie sexueller Beziehungen sichtbar, die durch ideologische Kategorien wie die scheinbar interesselose Liebe, aber auch Familie usw. überformt sind. Dabei überwindet sie überzeugend die Trennung in scheinbar ›neutrale‹ konkrete Arbeit, und kapitalistisch geformt ›abstrakte‹ Arbeit, indem die Technologien der Sexualität immer schon gesellschaftlich geprägte sind, also niemals nur an ›Naturnotwendigkeiten‹ orientiert waren. Auch sexuelle Arbeit hatte und hat ihre jeweils besondere historische Form. Und war auch die ›sexuelle Revolution‹ bestens vereinbar mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise, so kann eine kritische linke Schlussfolgerung daraus doch nicht darin bestehen, jetzt den Rückzug ins ›Private‹ zu fordern. Die gesellschaftliche und ökonomische Dimension von Sexualität ist ohnehin gegeben. Aber erst indem dies anerkannt wird, gibt es auch die Möglichkeit, politisch Einfluss zu nehmen. Dies ist vielleicht der wichtigste politische Einsatz des kontrasexuellen Manifestes.

Schluss

Die ›Entheiligung‹ von Kategorien/Institutionen wie Familie, aber auch Liebe und Sexualität, sprich die Einbeziehung dieser Felder in die politische Kritik und Praxis, das sind die wichtigsten Schlussfolgerungen, die Preciado zieht. Hatte die zweite Frauenbewegung auch schon vor 30 Jahren konstatiert ›Das Private ist Politisch‹, so bleibt die Anwendung dieser Parole doch nur auf kleine Szenekreise beschränkt. Und auch dort scheint sie dahingehend verstanden worden zu sein, dass das Politische im Privaten gesucht werden müsse, was auch nicht falsch ist. Eine politische Praxis jedoch, die auf gesellschaftliche Veränderung drängt, sollte ebenso den umgekehrten Weg gehen: die scheinbare Privatheit dieser Kategorien nicht anzuerkennen, und sie ›öffentlich‹, d.h. politisch zu thematisieren. Dabei könnten gerade so alljährliche Katastrophen wie Weihnachten, an denen sich immer noch viel zu viele den Ausmaßen familiärer Macht hoffnungslos gegenüber sehen, Anlass sein, eben diese ideologischen Institutionen anzugreifen.

Cornelia Möser

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Preciado, Beatriz (2003): Kontrasexuelles Manifest. Bbooks, Berlin
Bourcier, Marie-Hélène (2001): Queer Zones. Balland, Paris.
Moustache, Marcella (2005): De la Queer Theory au French Queer made in Zoo, unveröff.
Spivak, Gayatri (1986): Feminism and Critical Theory In: In other worlds, Routledge, London
Wittig, Monique (1992): The straight mind and other essays, Beacon Press, Boston.
Rubin, Gayle (1975): The Traffic in Women: Notes on the »Political Economy« of Sex In: Rayna Reiter: Toward an Anthropologie of Women, Monthly Review Press, New York.
Engels, Friedrich (1892): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Stuttgart.