Keine Hausaufgaben

Rezension: Antisemitismus und Geschlecht
 

Mit dem Anspruch, sich mit der Verwobenheit von Geschlechtskonstruktionen in antisemitischen Ideologien auseinander zu setzen, versammelt der von der Berliner A. G. Gender-Killer herausgegebene Band Antisemitismus und Geschlecht – von »maskulinisierten Jüdinnen«, »effeminierten Juden« und anderen Geschlechterbildern zehn methodisch und thematisch sehr verschiedene Beiträge, die zum Großteil auf der gleichnamigen Tagung im November 2004 in Berlin basieren.

 

Den Auftakt stellt ein längerer Text der HerausgeberInnen selbst dar, in dem sie sich mit Körperbildern der NS-Propaganda befassen. Als Quellenmaterial berücksichtigen sie dabei antisemitische Darstellungen in Text und Bild wie auch visuelle Konstruktionen des »Ariers« und der »Arierin«. Der Beitrag geht über die bisherigen Analysen des hier gesichteten Materials insofern hinaus, als dass er in der gegenüberstellenden Einbeziehung negativer

und positiver Körperbilder aus der Propaganda des Nationalsozialismus den Aspekt der hier vorhandenen Geschlechtskonstruktionen nicht nur streift, sondern in den Mittelpunkt der Analyse stellt.

 

Während sich die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun unter dem Titel Der Körper des »Juden« und des »Ariers« im Nationalsozialismus mit der Frage nach deren religiösen Quellen ebenfalls dem Thema nationalsozialistischer Körperbilder widmet, spannt sich der inhaltliche Bogen der weiteren hier versammelten Texte weit: Er reicht von einem sehr differenzierten Beitrag Klaus Hödls, der sich mit dem Mittel einer geistesgeschichtlichen Kontextualisierung gegen die Wertung von Otto Weiningers Geschlecht und Charakter von 1903 als Manifestation eines »jüdischen Selbsthasses« wendet, bis zu Hildegard Frübis' Bildanalysen, welche die Bandbreite der Verwendung des Stereotyps der schönen Jüdin und deutlich machen, und den theoretisch-methodischen und praktisch-politischen Reflexionen in den Beiträgen von Meike Günther und Bini Adamczak.

 

Vor allem den HerausgeberInnen und den beiden zuletzt Genannten verdankt der Band seine Wichtigkeit. Es handelt sich hier ganz und gar nicht um Hausaufgaben von NachwuchswissenschaftlerInnen, die ihre Literaturlisten für künftige Bewerbungen füllen wollen. Der Band ist mehr als eine Sammlung von Texten zu einem übergeordneten Thema: er dokumentiert eine intensive theoriefreundliche Diskussion, die teils unter politischem, teils unter pädagogischem Vorzeichen geführt wird. Das hier artikulierte Klärungsbedürfnis entwächst den Fragen, die sich den AutorInnen in Zusammenhang mit ihrer sozialen und politischen Arbeit stellten. Meike Günther, Sozialpädagogin und zur Zeit Promoventin über das Thema »Erziehung nach Auschwitz«, macht Bourdieus Konzept der symbolischen Herrschaft produktiv, indem sie es in der Dechiffrierung der Karikatur auf einer österreichischen Postkarte zur Dolchstoßlegende im Ersten Weltkrieg einsetzt. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Konstruktion eines jüdischen Antityps unter anderem auf der Verwischung der Geschlechtergrenzen in den antisemitischen Darstellungen basiert. Mit der Diskussion der Möglichkeiten eines Handelns im symbolischen Feld versucht die Autorin des Beitrags, auf theoretische Erkenntnisse fußende politisch-pädagogische Praxen zu konzipieren, die sich gegen »inkorporierte Strukturen« richten.

 

Nach dem unterschiedlichen Stellenwert dekonstruktiver Verfahrensweisen in queerer und in gegen Antisemitismus gerichteter Politik fragt Bini Adamczak und spricht ein offenkundiges Dilemma an, das aus dem Denken in Binaritäten resultiert, wie es sich in der »lieb gewonnenen Feindschaft« von Essentialismus und Anti-Essentialismus manifestiere. So vermöge eine antiessentialistische Vorgehensweise zwar die in queeren Politiken geforderten Verfestigungen von Geschlechtskonstruktionen aufzuweichen; angesichts der hier geforderten Analyse antisemitischer Ideologien werde jedoch die begrenzte Reichweite eines Anti-Essentialismus offensichtlich: In der Theorie von den Zuschreibungen, von einem antisemitischen Code, den es nur zu entschlüsseln gilt, werden, so die Autorin, zum einen Jüdinnen und Juden erneut zu Objekten gemacht. Zum Anderen ziehe die Unsagbarkeit von Auschwitz Antiessentialismus und Dekonstruktivismus grundsätzlich eine Grenze.

 

  Völlig unverständlich ist meines Erachtens, warum der letzte Beitrag des Bandes von Michael Moreitz in diesen Band aufgenommen wurde. Er streift die Frage nach der Verflechtung antisemitischer Ideologien und Geschlechtskonstruktionen nur am Rande. Seine personenzentrierte Zusammenfassung der Geschichte des Antijudaismus und Antisemitismus ist eher oberflächlich. Hier werden zwar Jahreszahlen und Personen genannt, mangels einer Kontextualisierung der gesellschaftliche Stellenwert antisemitischer Diskurse und Praxen ausgeblendet. Bei Moreitz scheint die These eines ewigen Antisemitismus, der auf einem Willen zum Antisemitismus basiert, wieder aufzuleben. Materialistische Erklärungsansätze werden dabei all zu schnell beiseite geschoben. Wären seine punktuellen Pauschalisierungen nicht so empörend, mit denen er beispielsweise versucht, Götz Aly in die Nähe von Ernst Nolte zu rücken, könnte man den Beitrag als ergänzende Beigabe zur Geschichte des Antisemitismus abtun. Als positiv ist hervorzuheben, dass Moreitz in seinem Beitrag als einziger Autor in diesem Band nach dem Antisemitismus außerhalb von Deutschland und Österreich fragt.

 

Abgesehen von Jeanette Jakubowskis Interpretation des Walser-Romans Tod eines Kritikers, ein kurzer Abschnitt in Bini Adamczaks Text, der sich gegen die These der Normalisierung des Nationalsozialismus in der Berliner Republik richtet, und dem Hinweis auf Bestseller der Neuen Frauenbewegung, denen eine antisemitisch aufgeladene Gegenüberstellung von jüdisch und nicht-jüdisch zugrunde lag,  in Eva-Maria Zieges Text über Antisemitismus in der Rezeption der Mutterrechtstheorie, bleiben die Geschlechterbilder im heutigen, sekundären Antisemitismus und angesichts der Neuformulierungen der Geschlechterverhältnisse etwas zu wenig belichtet. Ein Vergleich mit Ergebnissen der Rassismusforschung beispielsweise über die Ethnisierung von Sexismus könnte auch hinsichtlich einer Einschätzung nützlich sein, inwiefern es heute auf der diskursiven Ebene zu Überschneidungen von rassistischen und antisemitischen Diskursen kommt. Viele sowohl für die Antisemitismusforschung als auch für den Einsatz gegen Antisemitismus heute relevante Fragen bleiben offen und lassen auf eine Fortsetzung der in diesem dokumentierten intensiven Diskussion hoffen.

 

Regina Schleicher

 

 

A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht – von »maskulinisierten Jüdinnen«, »effeminierten Juden« und anderen Geschlechterbildern. Münster: Unrast-Verlag, 2005