ni putes ni soumises:
Weder Huren noch Unterworfene
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In der Berichterstattung über die langanhaltenden militanten Proteste in Frankreichs Vorstädten kamen immer  wieder männliche Jugendliche zu Wort, die über ihre ausweglose und ohnmächtige Situation berichteten, über Rassismus und Ausgrenzung von den Möglichkeiten einer reichen Gesellschaft. Nur zu selten wurde über die Situation der Frauen und Mädchen in diesen Banlieues oder Cités berichtet, die sich dadurch auszeichnet, in einem nahezu rechtsfreiem Raum von Männern und Jungen (wieder) eine traditionelle Rolle als Frau und Mutter – durch Gewalt und Angst – aufgezwungen zu bekommen. Dieser traditionelle und religiöse Rollback – aus welchen Gründen auch immer er sich weiter verbreitet1 – bedroht Frauen und ihr Recht auf eine selbstbestimmte Lebensweise in besonderem Maße.

 

Bereits seit einigen Jahren haben Frauen begonnen, sich gegen Gewalt und Unterdrückung in den Cités zu organisieren und zum 8. März 2003 mit einem Frauenmarsch gegen Gettoisierung und für Gleichheit eine relativ große mediale Öffentlichkeit erreicht. Eine dieser Gruppen nennt sich ›Ni putes ni soumises‹ (Weder Huren noch Unterworfene). Dieser provokative Name verweist auf die beiden Möglichkeiten, die den meisten Frauen und Mädchen zur Auswahl stehen: Entweder als Hure beschimpft, bedroht, im schlimmsten Fall vergewaltigt und getötet zu werden oder sich den patriarchalen Regeln zu unterwerfen und somit ein wenig geschützt zu sein.

 

Die etablierte Frauenbewegung tut sich mit diesen Gruppen eher schwer. So waren es junge, politisch unerfahrene Frauen, die mit ihrem Marsch nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Frauen und Männer der cités mobilisierten.

 

Im Folgenden einige Auszüge aus dem Manifest der Frauengruppen:

 

»Das Manifest der Frauen aus den quartiers – weder Huren noch unterwürfig, ab sofort und nicht anders !

 

Da, wo die Männer (Anm.: im Französischen hommes, was sowohl ›Männer‹ als auch ›Menschen‹ bezeichnen kann) leiden, dort ertragen die Frauen diese Leiden. Wirtschaftliche Marginalisierung und Diskriminierungen haben zur Bildung von Ghettos geführt, in denen die Bürger sich nicht als gleich(e) empfinden, und die Bürgerinnen noch weniger. Wir sind Frauen aus diesen quartiers, die beschlossen haben, nicht mehr im Angesicht der Ungerechtigkeiten zu schweigen, die wir durchleben; wir weigern uns, dass wir im Namen einer ›Tradition‹, einer ›Religion‹ oder schlicht einer Gewalt stets dazu verdammt seien, sie zu erdulden.

 

Wir denunzieren den allgegenwärtigen Sexismus, die verbale und physische Gewalt, das Verbot von Sexualität, die als tournantes (Anm.: ›Dreh- oder Kreisspiel‹, eine bei manchen Jugendgangs praktizierte Form von Kollektivvergewaltigungen, die breit durch die Medien gingen und denunziert werden) modernisierten Vergewaltigungen, die erzwungenen Heiraten, die sich als Wächter aufspielende Brüderschaft und die Familienehre oder die quartiers, die zu Gefängnissen werden. Wir denunzieren all dies, um nicht länger der Ghetto-Logik nachzugeben, die uns alle in der Gewalt einschließt, wenn es kein Aufbegehren gibt. (...)

 

Millionen Frauen in den Banlieues wollen nicht mehr vor die falsche Alternative zwischen Unterwerfung unter die Unordnung/die Abnormitäten (Anm.: im Original les désordres) des Ghettos und der Darbietung ihres Körpers auf dem Altar des Überlebens gestellt sein.

 

Weder Huren noch unterwürfig – einfach Frauen, die ihren Wunsch nach Freiheit (aus-)leben wollen, um ihr Verlangen nach Gerechtigkeit einzubringen.«

 

(Quelle: www.labournet.de, übersetzt von Bernhard Schmid)