Pathos Affekt Gefühl

Rezension

 

 

Can you feel it?! …

 

Der kürzlich erschienene Band Pathos Affekt Gefühl versucht sich an einer Übertragung der Emotionsforschung auf die Kunstwissenschaften, ein traditionell(es,) geistes- und kulturwissenschaftlich besetztes Gebiet, das sonst wenig Affinität zeigt, die Naturwissenschaften und ihre Interessen in die eigene Forschung zu integrieren. Der Ansatz der Herausgeber Klaus Herding und Bernhard Stumpfhaus stellt sich den psychischen Dimensionen künstlerischer Kommunikation(en) und zieht dazu neue Verbindungslinien zwischen den Disziplinen und Methoden. Im Rekurs auf materialistische Ästhetiken des Erlebens und Fühlens liefern die Herausgeber zudem eine philosophische Grundlegung für ihre interdisziplinär orientierte Konzeption.

 

Wenn Kunst kommuniziert, so ist ihr Gehalt an den Schnittstellen zwischen einem mehr oder minder rational Fassbarem (Bedeutung) und dessen emotional geprägter Verarbeitung (Wirkung) zu suchen – sie teilt nicht (nur) Inhalte mit. Das ist nun nichts Neues: dass Bedeutung – in der Literatur längst – als ambivalente, subjektiv und situativ konstruierte Größe verhandelt wird, abhängig von Leserin oder Betrachterin, ist schließlich auch der Kunstwissenschaftlerin nicht unbekannt. Gerade der symbolisch hoch verdichtete Bereich der Bilder und künstlerischen Akte/Gesten erfordert ein spezifisches ästhetisches Verstehen, das einer rationalen „Verarbeitung von Inhalten“ oder gar einer kontrollierten Konstitutierung von Bedeutung widerspricht. Um das reine Spiel der Bedeutung mitsamt ihren Leerstellen und ihren Fehlschlägen geht es dem hier verfolgten Ansatz jedoch nicht.

Nicht nur notwendig subjektiv, sondern auch relativ wenig erforscht sind gerade jene psychischen Prozesse, die ins Spiel kommen, wenn über reines Abbilden hinaus ästhetisch kommuniziert wird; mit einer naturwissenschaftlichen Forschung á la Singer allein kommt man ihnen aber nicht nahe, und so versucht das 600seitige Kompendium auch, Emotion historisch und philosophisch zu fundieren. Mit dem Ziel, weit über optische Prozesse hinaus ins Psychische vorzudringen, wird ästhetischen Wirkweisen an den Grenzlinien von Ästhetik, Semiotik und Psychologie entlang nachge­spürt.

„Kunst“ begrifflich als gesellschaftlich vermitteltes Gefühl zu fassen und als anthropologischer Konstante nachzugehen, wie es die Herausgeber explizit tun, wird damit zur methodischen Voraussetzung der Untersuchung. Im Versuch, eine (so nicht benannte) Perzeptions-Ästhetik zu fundieren, definieren sie das Ästhetische notwendig als das emotional Wirksame. Diese Fundierung der Kunst über ihre Gefühlsseite ist als implizite Ratio­nali­täts­­kritik zu begreifen und darin m. E. auch sehr notwendig; dennoch setzt sie sich der Gefahr aus, ständig in ihr Gegenteil umzuschlagen – lustvoll verfällt der Ansatz der faszinierenden Irrationalität der Kunst „in Großbuchstaben“, einer emotional bewegenden, einer großen Kunst. Und darin hebelt er allemal nicht die fachspezifischen Mythisierungen der Konstellation Kunstwerk/Betrachter_in aus – vor allem im dritten Teil, der auf das Kunstwerk als Feld des emotionalen Ausdrucks setzt.

 

Kunst von historischem Gewicht (art that matters)

 

Dabei liegt der hohe Wert der Publikation in ihrem Bemühen, historisch präzise zu argumentieren. Denn die Frage, wie Gefühl, Stimmung(en) oder Atmosphäre erzeugt werden, lässt sich keinesfalls über bildimmanente Analysen alleine klären, sondern erst über die Situation, das Ergründen der historischen Kontexte. Gerade in der Frage nach der emotio­nal­en Wirksamkeit der Künste muss EinE notwendig zeitspezifisch vorgehen; Erfolge wie Misserfolge, goutierendes „Ver­stehen“ wie ablehnendes Urteil – all diese Phänomene der Rezeption bilden sozial erzeug­te Dispositionen nach, dessen sollte sich die Forscherin bewusst sein. Im vierten Themen­block ist der Ort, an dem das Gesellschaftliche nicht nur über seine jeweils vorherrschenden oder möglichen emotionalen Reaktionen rekonstru­iert, sondern auch in der Frage nach der Ausein­an­der­setzung mit ästheti­schen Normen praktisch angegangen wird.

Eine engagierte Artikel­auswahl verhandelt hier die möglichen affektiven Inhalte der Kunst als gesell­schaftlich gerichtete Kommu­ni­ka­tion(en), indem sie sich an Projekten wie dem Holocaust-Mahnmal, aber auch an konkreten Personen als Symptom ihrer Zeit abarbeitet (wie dem Werbefachmann M. Schirner), doch der programmatisch interessante Teil zu Werbung und Provokation bleibt mager im Umfang. Im Anschluss deutet ein schmaler Komplex zu Film und(!) Video mit nur drei Artikeln ebenso vage die mögliche Bandbreite dieses Sujets an; Régis Michel spricht über Video als Libido, Gertrud Koch zu Erschütterung im Kino, Josef Früchtl zu einer postmodern codierten Coolness. Vorgeführt werden drei Richtungen der Wissenschaft mit ihren spezifischen Fragestellungen, aber mit dieser peripheren Behandlung kann EinE den Medien der Gegenwart auch nicht ansatzweise gerecht werden. Insgesamt scheint die Beschrän­kung auf Film, Architektur und Werbung von vornherein viele zeitgenössische Tendenzen zu Gunsten exempla­ri­scher Analysen auszublenden, während den Grundlagen (Philosophie, Anthropologie, Definitionen von Emotion) fast die Hälfte des Bandes eingeräumt wird.

 

Engagiert und umfangreich ist dagegen die Schnitt­stelle Architektur und Erinne­rungs­kultur angegangen worden. Zum Problem nationaler Fühl/Fehlstellen, hier der Verbildlichung des Holo­­caust, äußern sich in drei Artikeln die in unterschiedliche Entwürfe zum Mahnmal der ermordeten Jüdinnen und Juden invol­vier­ten Architekten Libeskind, Eisenmann und Spuybrock, jeweils von einem Artikel der Herausgeber kommentiert und kontras­t­iert mit dem alternativen Projekt des bildenden Künstlers Rudolf Herz, der – gemäß dem Spruch: es soll wehtun – vorschlug, ein Stück deutscher Autobahn zu pflastern. Auch wenn die Zusammenstellung dieser Sektion schon den starken editorischen Arm andeutet: hier wird nun endlich, kritisch-theoretisch motiviert und unter Anhörung von Fachleuten, auf ein aktuell gesell­schaftlich umkämpftes Thema eingegangen.

Doch Vorsicht – ist für die Kunstwissenschaftlerin auch die emotio­nale Wirksamkeit von Architek­tur sicherlich eine spannende Frage, so hätten hier doch die Projekte mehr in Zusammenhang zu dem gebracht werden müssen, wofür sie stehen: ihr Status als Bedeutungsträger zeichnet sich gerade nicht durch seine Autonomie aus – mehr als andere künstlerische Arbeiten sind Denkmäler Symbol für kollektive Geschichte (und darin m.E. auch universalisierend und glättend). Die heftigsten Reaktionen verdankten die aufs Emotionale zielenden Architekturen von Libeskind (Jüdisches Museum) und Eisenman (Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden) nicht ihren ästhetischen Mitteln, sondern der Tatsache, dass sie etwas sichtbar zu machen versuchten, das offensichtlich so unaufgearbeitet war, dass die Gesellschaft sich (wieder einmal) nicht darüber einigen konnte, ob es überhaupt noch gezeigt werden soll­te. Die Verhandlung als ästhetisch bahnbrechende (weil „provokante“) Kunst bedeutet hier also eine Nobilitierung der formalen Umsetzung an sich, während die Sprengkraft der Debatte durchaus anderen Faktoren mitgeschuldet ist – die Entwürfe stehen nicht nur je für einen bestimmten ästheti­schen Umgang, sondern dieser zielt auch auf gesellschaftlich höchst umkämpfte Tatsach­en. Vom provokanten „Werk“ allein zu sprechen, wirft seinen Wert als einen ästhetisch erzeugten in die Waag­schale, als seien die symbolisierten Inhalte vorher (so) gar nicht vorhanden, weil ästhetisch nicht ausdrückbar gewesen, als seien Inhalte gar überhaupt bis zu dem Zeitpunkt kon­tin­gent, zu dem sie ästhetisch erfahrbar gemacht worden sind. Zudem besteht die Gefahr, die Diskussion auf die rein subjektive Ebene herunter zu brechen. Im Fehlen des Schrittes von der subjektiven Erfahrung zurück zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung müsste bei aller guten Absicht eine Entpolitisierung festgestellt werden.

Der Instanz Kunst die gesellschaftliche Verhandlung von Erinnerung anzuvertrauen, ist nötig; auch zu fordern, gesellschaftlich verdrängte und rationalisierte Tatsachen müssten und könnten durch künstlerische Inter­ven­tion wieder aufgedeckt werden, ist richtig. Gefährlich wird es an dem Punkt, wo ihr eine Wirksamkeit unterstellt wird, die sie nicht allein haben kann und nicht haben kann: über ästhetische Erfahrung die richtige ethische Hal­tung herzustellen oder gar zur kollektiven emotionalen Konstante zu machen. In Beantwortung der Frage, ob nach Auschwitz noch Kunst möglich sei, wird vielleicht ganz richtig entgegnet: Jetzt erst recht! Doch von Emotionen, die Argumente ersetzen, sollte Eine hierzulande genug haben.

 

yes it’s A.R.T.

 

Fast den halben Raum der Publikation nehmen die beiden Sektionen ein, die philosophiegeschicht­lich einer Theorie der Emotion­en in der Ästhetik nachspüren (II) und den Grund der Emotionsforschung klären helfen, indem sie über historische und anthropologische Bestimmungen von Emotion aufklären (I). Im praktischen Teil (III + IV) dagegen wird bei allem kritischen Engagement meist doch Hochkultur verhan­delt: mit Ausnahme des Bereiches der Werbung behandeln allzu viele Bei­trä­ge die großen Gattungen und die großen Zeiten/Orte, nur eben unter einem neuen Fokus: das Kunstwerk, das nun als Feld des emotionalen Ausdrucks (III) erforscht wird.

Freilich ist das auch aus der Widerspiegelung der Forschungsbereiche der Autorinnen zu erklären und somit nur beschränkt den Herausgebern vorzuwerfen. Im  Gesamten wirkt es dennoch, als ob unter Aussparung der Ränder, im Fokus auf Italien und Frankreich, die Antike, die beginnende Moderne, eine Re-Nobili­tie­rung der Disziplin durch ihre Neuschreibung betrieben würde. Die Auswahl der Aufsätze zeigt tatsächlich eine nur geringfügig neu fokussierte Faszination für die Werke der selben Meister auf, die so oft zitiert werden: Caravaggio, Delacroix und Seurat, diesmal vorwiegend als emotional kommunizierende Werke, Affekte bebildernd oder hervorrufend, als arty verpackte oder artificially hergestellte e*-motions ihrer Zeit.
 

Was Band und Herangehensweise leisten könnten, ist, künstle­ri­sche Arbeiten als emotional kommunizierende Entitäten zu verstehen und sie an das Erleben der histo­risch situier­­­ten Betrachterin zu binden, statt ihren Wert aus der Immanenz des Kunstumfeldes (Salon, Ak­a­de­mie, Kunstkritik, Sammlertum, Kunst­wissen­schaften) oder der Makroper­spek­ti­ve der Ästhetik zu fundieren. Kunst als gesellschaftliche Kommu­ni­kations­­form, Kunst als gesell­schaft­lich aufbereitetes Gefühl durch­zieht den Band als innovativer und anknüpfungsfähiger Leit­faden. Einige der Aufsätze im vierten Teil übertragen das Konzept auf solche schwer fassbaren aktuellen Phänomene wie Coolness und Provokation – aufgrund ihrer Ambi­valenz von postmodernen Denkerinnen so geliebt – und machen ihre Sache gut, indem sie sie an ihrer emotionalen Kommunikationsleistung packen.

Doch im methodischen Beharren auf Emotion, Affekt und Gefühl wird auch oft genug die von der Disziplin so gehypte Spezifik des Bildes gestützt, indem man den uneinholbaren Überschuss des Bild­lichen (nun) im Bereich des Emotionalen behauptet. Dieser Zugang verteidigt also die Autono­mie der Kunst gerade darü­ber, dass sie emotional zu kommuni­zieren vermag. Damit ist nicht nur der inter­dis­zipli­näre Blick der Semiotikerin verworfen, die auch gelernt hat, auf narrative Strategien abzuzielen. Der Gegenwarts­analyse der Herausgeber folgend, dass diese Gesellschaft eine weit­gehend emotionslose sei, so öffentlich sie auch „Emotion“ behaupte und heraus schreie, wäre Kunst das Mittel, (wieder) echt fühlen zu lernen. Nur teilweise gebannt ist dabei die Gefahr, gewisse Grund­emotionen wie Hass, Ekel, Angst und Mitleid zur anthropologi­schen Konstante zu machen, als eine ständige Frage, die von der jeweiligen Kunst immer neu bearbeitet werde.

Sich Kunst mit einem Blick aufs Emotionale zu nähern, sollte noch stärker jene gesell­schaftlich erzeugten Koordi­na­ten hinzu neh­men, die das Fühlbare ihrer Zeit bestimmen. Wie, möchte EinE wissen, kommt eigentlich „Gefühl“ zu Stande? Und zudem: ist Fühlen nicht immer subjektiv, different, ambivalent? Vielleicht hätte es dazu in vielen Fällen fruchtbarer sein können, ganz „unwissenschaftlich“ nach dem (eigenen) Alltag mit der Emotion oder der Kunst zu fragen, und mehr auf andere Formen des Schreibens zu verfallen, auf Erlebnisse und Erzählun­gen zu zielen? Falls der Versuch dazu im vierten Teil unternommen werden sollte, indem auch Praktiker­ statt nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kamen, dann hat das nicht so recht funktioniert; mengenmäßig wie qualitativ gleicht es kaum den theorielastigen Anfang mit all seinem grund­sätz­lichen Sprechen über Emotion aus. Um den psychischen Wirkungen bildender Kunst mit einem Blick aufs Subjektive, Kleine nachzugehen, reicht es nicht aus, einen durch und durch ästhetisierten Alltag zu konstatieren und diesen mit der kursorischen Behandlung von Werbung abzutun.

 

Wünschenswert wäre es auch gewesen, dass sich Beiträge stärker als hier unter­nommen an die Grenzen des jeweiligen gesellschaftlichen Fühl­baren herantasten, statt die Posi­ti­onen des emotionalen Main­streams zu rekonstruieren, ohne deren Bedin­gun­gen und Grenzen, ohne deren Umschlagen und Fehlschlagen zu suchen. Wie Sicht- und Sagbares auseinander klaffen, wurde im Anschluss an Foucault schon angefangen zu erforschen, unter anderem in Tom Holerts Imagineering (2000), der eine gesellschaftsbezogene Sichtweise in die Debatte bringt, die über die der kritischen Theorie entlehnte Dialektik hinausgeht.

Ebenso nötig und wichtig wie nach den psychischen und emotion­alen Dimensionen der Kunst und ihrer Wirkungen zu fragen, wäre also, sie zu den historischen Verfasst­heiten von Emotion, Stimmung und Affekt in Beziehung zu setzen; sonst setzt man ihre Wirkweisen selbst über ihre „psychische“ Ver­an­ke­rung absolut. Und insofern bliebe auch in der Zeit nach dem Basiswerk Pathos Affekt Gefühl noch zu forschen: nach dem nicht-Fühlbaren, sowie nach den Möglichkeiten seiner Evozion und Bebilderung.

Und zu guter Letzt: Desiderat ist und bleibt eine Forschungs­perspektive, die ein Verhältnis zu den sozialen und ästhetischen Rändern der hier so gut und sicher „am richtigen Ort“ zentrierten Zivilisation und ihres allzu eingeschliffenen Emotionshaushaltes strebt – oder sich zumindest klar zu ihrer Selbstverortung äußert.

 

Bernadett Settele

 

Klaus Herding, Bernhard Stumpfhaus (Hgg.): Pathos Affekt Gefühl – Die Emotionen in den Künsten. de Gruyter Berlin 2004