Radikal formal? Konflikt, Kongress, Kommunismus.

Rezension: Indeterminate
 

Sind wirklich erst 20 Jahre vergangen, seitdem Ernesto Laclau und Chantal Mouffe mit ihrem Buch »Hegemony and socialist strategy. Towards a radical democratic politics« 1985 die (akademische) Linke noch in Aufruhr versetzen konnten? Ökonomismus, Klassenreduktionismus und linearer Geschichtsverlauf lauteten die Zielscheiben einer (post)marxistischen Dekonstruktion des Marxismus, die insofern neu war, weil sie dieses Unternehmen maßgeblich auf dem Wissen poststrukturalistischer Theorien gründete. Was seinerzeit als frankophile Öffnung des Marxismus immerhin noch zur Stellungnahme mobilisierte, ganz egal ob man dies nun in der Absicht tat, den Import französischen Denkens zu verteidigen oder abzulehnen, ist heute, wo dieser Wissenszufluss längst selbstverständlich für linke Theoriepraxis geworden ist, kaum noch der Rede wert.

 

In diese Situation fällt das Buch »Indeterminate! Kommunismus«, das anlässlich des 2003 in Frankfurt veranstalteten Kommunismuskongresses 27 Beiträge versammelt, die, wie das Vorwort der Herausgeber_innen verrät, immerhin der kleine gemeinsame Nenner verbindet, »dass das Leben unter den jetzigen Umständen unerträglich geworden ist und dass es einfach anders werden muss.« (S. 10) Die gemeinsame Stimmungslage ist Ausgangspunkt eines von Slavoj Žižek (S.  31f) vorgeschlagenen parallaktischen Blickens auf den Kommunismus, in dem sich das Ganze in einem perspektivischen Panorama von Einzeldarstellungen, etwa zur Prekarität politischer Repräsentationsverhältnisse, Prozessen politischer Subjektivierung, gouvernementalem Gesundheitsmanagement, Migration, gesellschaftlichen Naturverhältnissen oder kunst- und medienpolitischer Praxis als Terrains politischer Auseinandersetzung, niederschlägt. Die Forderung nach einer »offenen Bürgerschaft in Europa im Gegensatz zu einer europäischen Staatsbürgerschaft« (S. 221) gehört noch zu den wenigen konkret benannten politischen Zielen, jedoch herrscht in den auf fünf Sektionen verteilten Beiträgen keineswegs Einigkeit darüber, zu welchen Konditionen politische Kämpfe wie in diesem Fall ausgetragen werden sollen. Erheblich ist aber auch nicht die allzu sehr enttäuschungsanfällige Erwartung, Antworten zu erhalten, wie das, was anders werden muss, auch anders werden kann. Die bereits im Vorfeld des Kommunismuskongresses kontrovers diskutierte Frage, ob Konzepte radikaler Demokratie Teil kommunistischer Kämpfe sein können, lässt angesichts des vorliegenden Bandes, den in der Summe ein deutlich vernehmbarer Flair radikaldemokratischer Denkfiguren umgibt, eine andere Anschlussfrage viel dringlicher erscheinen: nämlich warum auf der Verhandlungsgrundlage radikaler Demokratie überhaupt für Kommunismus und nicht einfach um des Streitens willen gestritten werden soll.

 

Es ist der Beitrag von Alex Demirovic, der diese unangenehmen Fragen stellt, und mit dem gleich eine Reihe anderer Beiträge des Bandes konfrontiert werden (Rancière, Riha/Šumic, Critchley, Marchart, DemoPunK). Demirovic' dunkler Verdacht lautet, dass in der radikaldemokratischen Arithmetik »zweier vollkommen heterogener Zählungsprinzipien« (Riha/Šumic, S. 118) von Polizei und Politik, Politik und dem Politischen, von einem Teil, der dazu gehört, und einem Teil, der ausgeschlossen ist, ein »formaler Pluralismus« (S. 64) waltet, der neben der rauschhaften Faszination an dem digitalen Erzählschema eines geschichtlich bis in alle Ewigkeit auszutragenden Kampfes von letztlich vernachlässigbarer, weil kontingenter inhaltlicher Qualität, keine spezifischen Interessenlagen mehr kennt. Wieso, weshalb, warum dann noch streiten, wenn es doch ausreicht, wenn und dass gestritten wird? Im theoretischen Sog eines dekonstruktivistischen Verfahrenszaubers droht der Hinweis auf eine Ressource, die das Streiten motiviert, gelegentlich unkenntlich zu werden. Das Projekt radikaler Demokratie rückt dadurch in erstaunliche und sicherlich auch ungewollte Nähe zu einer systemtheoretischen Beschreibung, die bisher doch alles andere als in dem Verdacht stand, kritische Gesellschaftstheorie zu sein. Konflikte wären dann ganz einfach evolutionäre Mechanismen gesellschaftlicher Erneuerung, die im Falle politischer Kommunikation auf einer Stufe »höherer Amoralität« stattfinden. Aus radikaldemokratischer Perspektive wäre daher energischer auf die jeweilige historische Signatur sozialer Auseinandersetzung zu insistieren, die eine »moralische Ökonomie der Unteren« (S. 322) oder eine Ethik des Kämpfens miteinschließt. Dass eine solche Diskussion innerhalb eines radikaldemokratischen Diskurses schon seit einigen Jahren geführt wird, daran wäre aber zu erinnern, um den allzu pauschalen Vorwurf zurückzuweisen, solche Diskurse seien weniger radikal, als letzen Endes schlicht herrschaftsstabilisierend. Eine solche Position schürt Erwartungen nach Rezepten, wie die »liberal-kapitalistische Eingrenzung durchbrochen werden kann« (S.318), damit radikale Demokratie nun wirklich Wirklichkeit werden kann. Aber kann sie die auch liefern?

 

Il-Tschung Lim

 

 

Indeterminate! Kommunismus. Texte zu Ökonomie, Politik und Kultur, hrsg. von DemoPunK und Kritik und Praxis Berlin, Münster: Unrast, 2005, 352 Seiten, 18 Euro.