Huren, Mädchenhändler und Perverse

Zur Re-Produktion von Differenz im Reden über Frauenhandel

 

Menschenhandel wird seit Mitte der 1990er zunehmend als zentrales Problem für die Europäische Union diskutiert. Frauenhandel – verstanden als grenzüberschreitende Verbringung von Frauen zum Zwecke der Ausbeutung in der Prostitution – gilt dabei als die ›eigentliche‹ Form des Menschenhandels. Während Menschenhandel – der ›Handel‹ von Männern, Frauen und Kindern zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft, unabhängig von der Art der Arbeit – eher Gegenstand relativ trockener politischer und juristischer Debatten ist, haben sich um den Begriff Frauenhandel vielfältige kulturelle Erzählungen herausgebildet, die durchzogen sind von rassistischen, klassistischen und sexistischen Diskursen. Wenn ich an dieser Stelle über Frauenhandel als Teil der Matrix kultureller Narrative rede, so soll das nicht implizieren, dass es die beschriebene Gewalt nicht gäbe. Vielmehr soll gezeigt werden, dass, indem ein ganz bestimmter Ausschnitt der Gewalt, die im Prozess der Migration erlebt und erlitten wird, repräsentiert wird, signifikante Narrationen produziert werden. Diese Narrationen haben für den sie umgebenden kulturellen, sozialen und politischen Kontext vielfältige Bedeutungsebenen. Jenseits der Frage des Opferschutzes oder der Bekämpfung ›organisierter Kriminalität‹ geht es beim Reden über den Frauenhandel immer auch um anderes – um Rasse, Geschlecht, Nation, Klasse, um Zugehörigkeit und Abgrenzung (vgl. Ihme 2006). Das Reden über Frauenhandel, so soll hier gezeigt werden, ist immer – auch – ein Reden über Andere, eine Reproduktion von Anderen. Insofern die juristisch und politisch unter Frauenhandel gefassten Formen der Gewalt auch mit anderen Begriffen beschrieben und auf andere Weise repräsentiert werden könnten – als Gewalt im Prozess der Migration bspw. – stellt sich die Frage welche diskursive Funktion das Reden über ›Frauenhandel‹ hat, und für welche politischen Prozesse die spezifischen Repräsentationsstrategien nützlich sind, wozu sie dienen. Ich nutze hier Beispiele aus Zeitungsartikeln und Reportagen einerseits, so genannten Präventionskampagnen andererseits. Dabei geht es mir darum, einer politisch-strategischen Haltung wie sie insbesondere durch Vertreterinnen von NGOs in diesem Bereich vertreten wird, eine diskurstheoretische akademische Perspektive auf das Reden über Frauenhandel an die Seite zu stellen. Insbesondere soll diskutiert werden, ob das Reden über den Frauenhandel aus einer theoretisch reflektierten kritischen Perspektive Sinn macht und welche Alternativen es zur unreflektierten Re-Produktion der bestehenden Diskurse gibt.

Repräsentationen des Frauenhandels – Kenntlichmachen von Differenz

Frauenhandel ist zunächst einmal ein Phänomen, das von außen zu uns dringt. Bereits der Begriff verweist auf das Moment des Handels – der Anwerbung, die, wie antizipiert wird, meist im Herkunftsland stattfindet. Die Orte, an denen der ›eigentliche‹ Frauenhandel demnach stattfindet werden als rückständige, langweilige und verwahrloste Dörfer beziehungsweise als moralisch degenerierte Industriebrachen beschrieben. Die Bewohner sind korrumpiert, hinterhältig, primitiv, geldgierig und, bis auf ›wenige Mutige‹, feige. Wegseher. In den Familien herrschen unhaltbare Zustände, soziale Verwahrlosung, Gewalt, Inzest, Alkoholismus – so schreibt Walter Mayr (2003) in einer Spiegel-Reportage:

 

»Denn in Costesti, wo die toten Seelen entlang endloser Sandwege hinter Holz- und Eisengattern verbarrikadiert sind, zwischen Gänsen, Eseln und Hunden, zwischen Ziehbrunnen und Ikonentafeln, wo die Zivilgesellschaft einen malerischen Tod gestorben ist und selbst die wenigen Mutigen von einem ›Dorf der Monster‹ reden – in Costesti zählt nur, was Geld abwirft.«

 

Interessant ist an dieser Stelle weniger, ob diese Bilder einer Wahrheit entsprechen, als welche Implikationen solche Beschreibungen haben. Sie ermöglichen es, im Diskurs über den Frauenhandel den Frauenhandel selbst in ein imaginäres Außen zu verweisen. Frauenhandel, so die Quintessenz, ist im Grunde genommen kein europäisches Problem, sondern ein Problem für Europa.

In der Debatte um Frauenhandel wird die Betonung auf das Moment des An- und Verkaufs gelegt, der zunächst einmal im Herkunftsland stattfindet. Auch in den wissenschaftlichen und politischen Diskursen über Menschenhandel stehen nicht die Versklavung, nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen, die Ausbeutung und Gewalt im Mittelpunkt, sondern der Akt des Handelns, des An- und Verkaufs der ›menschlichen Ware‹. So beschäftigen sich die meisten Studien zu Menschenhandel mit der Anwerbung, den Transportwegen und Handelsrouten. Die Herkunftsländer der Frauen unterscheiden sich dabei scheinbar auf elementare Weise von den westeuropäischen Zielländern, von ›uns‹. Durch die Verortung des Frauenhandels in ein diskursives Außen wird der Blick auf die eigene Verstrickung, die eigene Beteiligung am Frauenhandel verstellt. Impliziert wird, dass die Ursachen des Frauenhandels letztlich in einer ›moralischen Verkommenheit‹ sowie einer ›kulturellen und ökonomischen Verarmung‹ der Herkunftsländer läge. Analog wird die Tat selbst - einerseits der Prozess der Anwerbung, andererseits der Zwang in die Prostitution – als so grundlegend böse beschrieben, dass sie für den gesunden Menschenverstand gar nicht nachvollziehbar ist. So heißt es beispielsweise in einer Reportage der Süddeutschen Zeitung:

 

»Zwei Tage lang wurde sie geschlagen, in einer Wanne mit eiskaltem Wasser untergetaucht, in einen fensterlosen Keller geworfen. Dann sagte man ihr, sie solle die blauen Augen und die Flecken wegschminken und zum Kunden gehen. Sie schrie wieder, weigerte sich. Wieder gab es Schläge, und sie wurde brutal vergewaltigt. Ihren Reisepass hatten sie ihr genommen, rund um die Uhr wurde sie bewacht.« (Urban 2005)

 

Jeder Moment wird im Extrem beschrieben: Die Protagonistin ›Anna P.‹ wird nicht ›nur‹ geschlagen, sondern zwei Tage lang geschlagen; nicht nur wird sie untergetaucht, das Wasser ist überdies kalt, sogar eiskalt; nicht nur wird sie in einen Keller geworfen, der Keller ist überdies fensterlos; nicht nur wird sie aufgefordert, zu arbeiten, ihr wird auch befohlen, sich zu maskieren, zu verschleiern, was ihr angetan wurde. Und als sie vergewaltigt wird, wird sie nicht einfach nur vergewaltigt, sondern ›brutal vergewaltigt‹ – als wäre es möglich, jemanden auf eine andere als brutale Weise zu vergewaltigen. Gewalt in dieser Form zu repräsentieren – und diese Form der Gewalt zu fokussieren – trägt zu einem spezifischen Bild der Täter bei. Es ist nicht nur das Wasser in der Wanne, das ›eiskalt‹ ist – die Täter sind es ebenfalls. Kalt und berechnend brechen sie den Willen der Protagonistin mit physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Sowohl die Mittel, mit denen das Opfer in die Falle gelockt wird, als auch die Strategien, sie in ihrer Zwangslage zu halten, sind hinterhältig und in ihrer konkreten Form ›pervers‹. Die Repräsentation der Täter als ›pervers‹ dient dem Kenntlichmachen von Differenz. Denn vor allem scheinen die Bilder der Täter eines zu vermitteln – dass es sich um Andere handelt. Dies zeigt sich vor allem darin, dass in der medialen Repräsentation der überwiegende Teil der Täter als Ausländer gezeichnet wird, als Polen, Türken, ›Zigeuner‹, Usbeken, Ukrainer und Russen, Griechen (Bruhns et al 2005, Brandt et al 2003, Klesmann 2002, Maier-Albang 2004, Mayr 2003, Rücker 2003, Schlötzer 2003, Schwelien 2003). Diese Konstruktion ›des Täters‹ zitiert eine weit verbreitete Figur des Rassismus, in der der ›rassifizierte‹ Andere zwar minderwertig und unzivilisiert ist, aber gleichzeitig über eine allmächtige Sexualität verfügt. Auffällig ist auch die ›Dunkelheit‹ der Täter, insbesondere wenn sie als ›Zigeuner‹ bezeichnet werden, die sich von den meist explizit als blond beschriebenen Opfern klar absetzen. Analog zur Zeichnung des ›Tatortes‹ als imaginiertes Außen stellen sie äußere Andere dar: Die Tat findet anderswo statt und wird von anderen ausgeführt. Im Rahmen der ohnehin weit verbreiteten, beinahe panischen Angst vor ›kriminellen Netzwerken‹, die Europa zu unterwandern drohen, stellt dies einen verstärkenden Faktor dar:

»Traffickers are discursively positioned as responsible for everything from illegal immigration to moral chaos, a dangerous ›law unto themselves‹, infecting ›our‹ community with violence and disease. They strike at the institutions of the state and the market –hallmarks of Western rule of law – with their immoral sexuality and rampant criminality.« (Berman 2003:54f)

Die ›Täter‹ bedrohen, so wird suggeriert, ›unsere‹ Realität, unterspülen ›unser‹ moralisches Fundament und penetrieren ›unsere‹ Grenzen. Nicht zufällig werden Täter hauptsächlich als Türken und Ukrainer beschrieben - aktuelle Beitrittsdebatten zur Türkei und auch die Frage, ob die Ukraine stärker Russland oder der Europäischen Union zugeordnet wird, stellen einen relevanten Kontext solcher Täterbilder dar.

Im Kontrast zur Repräsentation der Täter in Reportagen und ähnlichen Medien, bleiben sie in visuellen Medien seltsam unsichtbar. Insbesondere gilt dies für die in den Herkunftsländern durchgeführten Präventionskampagnen, die meist durch intergouvernementale Organisationen wie die International Organisation for Migration (IOM) oder das United Nations Office for Drugs and Crime (UNODC) in Zusammenarbeit mit lokalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) entstehen. Die Kampagnen, die dazu dienen sollen, ein öffentliches Bewusstsein für das Phänomen Frauenhandel zu schaffen und junge Frauen vor einer Viktimisierung zu schützen, arbeiten vorwiegend mit visuellen Medien – Fernseh-Spots, Plakatwände, Postkarten, Aufkleber u.ä. Die Bilder, die dabei benutzt werden, fokussieren in der Regel die ›Opfer‹, schließen die ›Täter‹ aber aus. Diese sind, wenn überhaupt, nur fragmentiert sichtbar – Hände, die Geld entgegennehmen, meist mit Goldketten, Ringen und teuren Uhren, ein Torso, in einem teuren Anzug, lasziv getragen, oder mit einer Lederjacke, weit verbreitete Stereotypen von ›Zuhältern‹ zitierend. Aber auch der fragmentierte Täter verschwindet zunehmend aus dem Bild. Stattdessen wird er durch andere Elemente, meist Schnüre oder Haken, repräsentiert.#1 Dies wird insbesondere an den Bildern einer IOM-Kampagne von 2001/02 deutlich (Bild 1), in dem der Täter außerhalb des Bildes verweilt, jede Bewegung der/des puppenhaften Frau/Opfers kontrollierend. Jenseits des hier transportierten Opferbildes, auf das ich später zu sprechen komme, ist es die Abstraktion des Täters, die mich an dieser Stelle interessiert. Der Täter ist eine gesichtslose Gefahr – es könnte jeder sein, dein Nachbar, dein Freund, dein Bruder. Signifikanterweise wird damit der Täter in den Herkunftsländern als innerer Anderer konstituiert – wobei die Produzenten oder Geldgeber der entsprechenden Projekte eben weitestgehend nicht aus diesen Ländern stammen. Hier findet sich ein Hinweis auf unterschiedliche Konstruktionen des Phänomens Frauenhandel in und durch die Herkunfts- und Zielländer.#2

 

Die Repräsentation der Opfer, auf der anderen Seite, zeichnet sich sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern durch ihre partielle Zugehörigkeit zu ›uns‹ aus. In Reportagen u.ä. lässt sich dies vor allem in der Repräsentation der Motive des Opfers beobachten.#3 Armut, die unerträglichen Lebensbedingungen, die Unfähigkeit, die eigenen Familie zu ernähren, der miserable Lebensstandard werden als Migrationsmotive der Frauen aufgeführt.#4 In der Darstellung der Opfer verlieren diese Motive allerdings einen großen Teil ihrer Legitimation. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Mädchen sich auf die fadenscheinigsten Angebote einließen: Job-Angebote in der Zeitung, Angebote von Freunden, Nachbarn und Verwandten. Obwohl die Frauen nichts anderes tun als tausend andere Migranten und Migrantinnen – sich auf informelle und formelle Netzwerke zu stützen – wird ihre Vorgehensweise als naiv, wenn nicht gar ein wenig dumm dargestellt. Die Frauen werden überdies als prunk- und spaßsüchtig beschrieben, so z. B. wenn über ›Ljudmila‹ aus St. Petersburg im Spiegel berichtet wird, sie sei gekommen, »weil ihr dortiges Monatssalär von umgerechnet 75 Euro für die Boutiquen, Parfümerien und Sonnenstudios an der Newa nicht reichte« (Brandt et al 2003).

Deutlicher noch als in den Reportagen wird die Charakterisierung der Opfer als innere Andere im Rahmen von Präventionskampagnen. Ein eindrückliches Beispiel bildet hier der vom UNODC produzierte Fernsehspot Trafficking in women (UNODC o. J.) (Bilder 2-13). Es werden Bilder gezeigt, die mit dem Text einer fiktiven und ›dubiosen‹ Stellenanzeige unterlegt sind: Eine junge Frau läuft eine Straße entlang, ein Auto fährt vorbei – »go work abroad«. Dann sieht man eine Frau mit rotem Lippenstift am Fenster eines schäbig wirkenden Raumes stehen, weinend –»housing will be provided«. Der nächste Schnitt führt uns zu einer Frau, die einem – wieder fragmentierten – Mann in einem Anzug und mit einer goldenen Uhr ihren Pass gibt, den er zerreißt – »no work permit required«. Eine junge, ›irgendwie asiatisch‹ wirkende Frau liegt auf dem Rücken, nur ihr Kopf und ihre nackten Schultern sichtbar, und wird von alt scheinenden Männerhänden gestreichelt – »you'll meet new, interesting people«. Sie dreht ihren Kopf, und ihrem Blick folgend sehen wir drei Sexarbeiterinnen, anders als die bisher gezeigten Frauen sehr deutlich als ›Nutten‹ gekleidet, mit einem verachtenden Blick– nur eine lächelt in die Kamera, auf verführerische, falsche Art – »nice co-workers«. Danach sehen wir einen dicken Mann, der durch einen Sehschlitz in einen Holzverschlag schaut, seinem Blick folgend sehen wir eine müde wirkende Frau beim Stangentanz – »your own comfortable working space«. Ein weiterer Schnitt führt uns zu einer Frau in Unterwäsche, die Geld zählt. Neben ihr auf dem Bett liegt ein Spritzbesteck. Dann sieht man eine Frau, der ein – wieder nur in Fragmenten sichtbarer – Mann in Lederjacke erst Geld, dann ihre Handtasche entreißt und sie gegen die Wand stößt – »excellent salary«. Im nächsten und letzten Bild sehen wir wieder die ›asiatisch‹ wirkende Frau, auf dem Rücken liegend. Es gibt einen Blitz, sie kneift die Augen zusammen, wie vor Schmerz – »are you interested?«.

Es gibt eine Reihe interessanter Momente in diesem Spot. Eines davon ist die Art, in der die Frauen gezeigt werden. Die meisten von ihnen tragen ›normale‹ Kleidung und die Situationen indizieren nicht notwendigerweise Sexarbeit. Der Zuschauer wird langsam in den Prostitutionskontext eingeführt. Die erste Frau, die eine dunkle Straße entlangläuft, könnte jeder sein, könnte ›du und ich‹ sein. Als das Auto vorbeifährt, dreht sie sich um, es scheint, ängstlich. Wir sehen eine Frau, die aussieht wie ›du und ich‹ –  oder wie deine Tochter – und die besorgt ist während sie nachts alleine eine Straße entlang läuft – ein Gefühl, das von vielen Frauen geteilt und von vielen Männern registriert wird. Diese Einführung lässt uns unmittelbar verstehen, dass es hier einen Grund zur Besorgnis gibt, hier gibt es ein Risiko und eine Gefahr, ein potentielles Opfer und ein potentielles Verbrechen – und zwar, wesentlich in diesem Zusammenhang, ein potentielles sexuelles Verbrechen. Auch die nächste Frau, die ein langes, weites Hemd trägt und weint, könnte jede sein. Lediglich ihre roten Lippen indizieren, was als nächstes kommt. Beides – alleine eine dunkle Straße entlang gehen und sehr roten Lippenstift tragen – sind Verhaltensweisen, von denen die meisten Frauen gelernt haben, dass sie gefährlich sind. Im nächsten Bild wird der ›Zuhälter‹ eingeführt – ein männlicher Torso und Hände, ausgestattet mit Indikatoren für ›schmutziges Geld‹ – der teuer wirkende und gleichzeitig legere Anzug, der goldene Schmuck, die Zigarette, der Whiskey. Im nächsten Bild wird eine Frau in einer scheinbar sexuellen Situation mit einem deutlich älter wirkendem Mann gezeigt, eine Situation, die irgendeine sexuelle Situation mit irgendeinem Liebhaber oder Ehemann darstellen könnte. Ihr Blick ist nicht leidenschaftlich, könnte aber leicht als gelangweilt interpretiert werden. Aber wir wissen, dass sie keinen Sex hat, sondern Sex verkauft und dass er nicht ihr Liebhaber, sondern ihr Freier ist, weil die erste Frau, nachts alleine in der Straße auf sexuelle Gefahr hingewiesen hat, weil der rote Lippenstift der zweiten Frau auf sexuelle Gefahr hingewiesen hat und der mit goldenem Schmuck bestückte Männertorso Käuflichkeit impliziert.

Bis hierher lernen die Zuschauer und Zuschauerinnen also zwei Dinge. Erstens: es kann jede treffen – analog dazu, dass jeder ein Täter sein könnte. Zweitens: es gilt, vorsichtig zu sein. Es ist das Risiko, eine Frau zu sein, das hier zitiert wird – die Verhaltensweisen, vor denen uns unsere Mütter gewarnt haben: nachts alleine unterwegs zu sein, zu viel Make-up tragen. Es ist sicherlich nicht die offizielle Intention dieses Spots zu behaupten, die Frauen würden viktimisiert, weil sie die Regeln brechen – aber die Verknüpfung zwischen ›riskantem Verhalten‹ und den gefährlichen Konsequenzen wird hergestellt, egal ob beabsichtigt oder nicht. Diese wird intensiviert durch die Sexarbeiterinnen, die in Arbeitskleidung gezeigt werden, und deren Blicke und Körpersprache auf ihren schlechten Charakter hinweisen. Es scheint deutlich, dass es sich hier nicht um Opfer handelt.

Der Rest des Spots macht dem Zuschauer deutlich, dass es nichts zu gewinnen gibt. Logischerweise muss die Antwort auf die letzte Frage – »are you interested« – ›nein‹ heißen – aber was genau ist es, woran wir/der Zuschauer kein Interesse hat? Die Frauen, an die dieser Spot sich wendet – und das sind nicht ›wir‹, westliche Akademikerinnen, sondern die Frauen aus den Herkunftsländern – sollen nicht interessiert sein an ausgezeichneter Bezahlung, an netten Mitarbeiterinnen, daran, neue, interessante Menschen zu treffen, an einer Situation, in der keine Arbeitserlaubnis nötig ist. Sie sollen, um es kurz zu machen, nicht interessiert sein, ins Ausland zu gehen, nicht interessiert sein, zu migrieren. Irgendeines dieser Dinge zu wollen, ist gefährlich – gerade so wie nachts alleine unterwegs zu sein, oder die falsche Farbe Lippenstift zu tragen.

Mit den Präventionskampagnen – und ihrer Omnipräsenz in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern – werden amorphe Ängste geschürt, die vergleichbar und verknüpft sind mit anderen Ängsten vor sexueller Viktimisierung. Hierbei geht es meines Erachtens nach in hohem Maße um die Kontrolle weiblicher Sexualität einerseits, der Mobilität von Frauen andererseits. Marc Warr (1995) hat argumentiert, dass die Angst vor Vergewaltigung dazu beiträgt, dass Frauen einen bestimmten Lebensstil annehmen – beispielsweise nicht alleine ausgehen. Wenn überall anders die Gefahr einer sexuellen Viktimisierung lauert, werden viele Frauen ihre Mobilität einschränken, um diesem Risiko auszuweichen (vgl. auch Andrijasevic 2004).

Die die Frage der Mobilität von Frauen – ebenso wie die Frage der Gefahr sexueller Viktimisierung – ist nicht zuletzt im Rahmen nationalistischer Projekte zentral, wie sie eben auch in Europa stattfinden. Geschlechterbeziehungen werden häufig als konstitutiv für das Wesen einer Kultur verstanden. Nur wenn die Frauen den Traditionen folgen, ist das Wesen der nationalen Kultur geschützt (vgl. Yuval-Davis 2001). Insbesondere im Kontext von Transformations- und Globalisierungsprozessen gewinnt das Festhalten an Traditionen, das Fetischisieren und Essentialisieren von Identitäten einen Verteidigungscharakter. Mit solch einem kulturellen Fundamentalismus (Hall 2004b; Stolcke 1995) stellt die Rückbesinnung auf die (tatsächliche oder imaginierte) Vergangenheit eine Ressource dar. Die gesellschaftliche Position, die Frauen einnehmen müssen, liegt innerhalb der Familie und die Stabilität der Familie wird als zentraler Faktor bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme gesehen.

Eine solche Haltung lässt sich in zweierlei Hinsicht im Diskurs um Frauenhandel beobachten. Einerseits wird die Anwerbung sowohl in der Berichterstattung als auch in den politischen Debatten als das zentrale Moment des Frauenhandels dargestellt. Sie gilt als auslösender Moment, nach dem es nur noch schlimmer werden kann. Obwohl die Gewalt, die den Opfern angetan wird, ebenfalls betont wird, bleibt sie eine Folge der Anwerbung – oder, präziser, eine Folge der Entscheidung des Opfers, den ihr zugewiesenen Platz zu verlassen, zu migrieren – sei es, aus Naivität, sei es, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen. Migration von Frauen stellt ein symbolisches Problem dar. Dass sich dabei nicht alle Frauen gleichermaßen als Trägerinnen der Gemeinschaftsidentität eignen, zeigt sich unter Anderem an den Zielgruppen der Präventionskampagnen gegen Frauenhandel: Sie richten sich vorrangig an junge Frauen, die gerade ihren Schulabschluss gemacht haben. Frauen ohne Bildungsabschluss, Frauen aus ethnischen Minoritäten oder Frauen, die bereits in der Prostitution arbeiten – also die Frauen, die einen Großteil der sichtbar gewordenen Opfer von Frauenhandel ausmachen – werden kaum angesprochen. Es wird deutlich, dass es weder um die Mobilität aller noch um die Viktimisierung aller geht, sondern um die Mobilität und Viktimisierung von Frauen als symbolisch relevante innere Andere.

Letztlich geht es im Sprechen über Frauenhandel eben nicht zentral um den Schutz der Opfer, sondern um die Klärung von Zugehörigkeiten im Rahmen komplexer, multipler und konkurrierender nationaler Projekte.

Für ein reflektiertes Reden

Das Anliegen dieses Textes ist es, aufzuzeigen, dass die kulturellen Narrationen über den Frauenhandel mit den in ihnen repräsentierten Orten, Tatabläufen, Frauenhändlern, Opfern und Freiern sich vor allem dazu eignen, Differenz zu kennzeichnen. Neuere Präventionskampagnen scheinen einige Kritikpunkte an den verwendeten Bildern aufzugreifen und setzen den voyeuristischen Repräsentationen der Opfer Bilder junger, selbstbewusst wirkender Frauen entgegen (Bild 14). Allerdings stellen diese Gegen-Bilder nur einen kleinen Teil der Repräsentation dar und es bleibt offen, inwiefern die Darstellungen nicht letztlich ebenso wie die objektivierenden Opferbilder die Homogenisierung mittel- und osteuropäischer Frauen als anders reproduzieren.#5 Es ist fraglich, ob eine Veränderung der Repräsentation etwas daran ändern würde, dass es, wie schon gesagt, im Reden über Frauenhandel nicht sosehr um den Schutz der Opfer, sondern die Klarstellung ihrer Zugehörigkeiten geht.

Darüber hinaus wird im Verwenden des Begriffs Frauenhandel lediglich eine sehr spezifische Form der Gewalt repräsentiert, der Migranten und Migrantinnen ausgesetzt sind. In der Zuspitzung dessen, welche Formen diese Gewalt hat, werden andere Formen der Gewalt – beispielsweise nicht-sexuelle Ausbeutung, staatliche Repression oder rassistische Gewalt – als letztlich weniger dramatisch aus der offiziellen Debatte verbannt. Auch Opfer von Gewalt, die nicht den üblichen Repräsentationsschemata entsprechen – hier vor allem Migrantinnen, die eine Repatriierung ablehnen oder Sexarbeiterinnen, die freiwillig oder gar gerne in diesem Sektor arbeiten – geraten aus dem Blick. Die Repression migrantischer Sexarbeiterinnen, die allgemeine Prekarisierung insbesondere illegalisierter Migrantinnen, die Abschiebepraxis der Zielländer sowie der Zusammenhang restriktiver Grenzpolitik mit Frauenhandel bleiben, so lange man sich innerhalb der diskursiven Grenzen des Redens über den Frauenhandel bewegt, außen vor.

Es wäre zu diskutieren, inwiefern es unter diesen Vorraussetzungen überhaupt Sinn macht, Frauenhandel als Konzept aufzugreifen. Insofern sich die Gewalt, die sozial-politisch und juristisch unter Frauenhandel gefasst wird, auch mit anderen Begriffen benennen – und bekämpfen – lässt (Prekarisierung, Ausbeutung, Gewalt, Vergewaltigung), stellt sich die Frage, welchen gesellschaftlichen Prozessen die Verwendung dieses Begriffes dient. Der Begriff Frauenhandel wird weitestgehend unreflektiert als Bezeichnung einer ›sozial-politischen Tatsache‹ übernommen. Die vereinzelte Kritik der negativen Implikationen für Kämpfe seitens Sexarbeiter(innen) einerseits und illegalisierten Migrant(innen) anderseits beinhaltet nur selten ein In-Frage-Stellen der Kategorie an sich. Insofern aber die kulturellen Narrationen zum Frauenhandel zu Prozessen der Alterisierung beitragen, ergeben sich auch jenseits einer pragmatischen Ebene politischer Verteilungskämpfe Gründe dafür, den Begriff mit großer Vorsicht zu behandeln. Es geht in den Debatten um den Frauenhandel um mehr als um die Aushandlung sozial-politischer und strafrechtlicher Strategien zur Bekämpfung einer ›groben Menschenrechtsverletzung‹. Entsprechend sollte die Verwendung des Begriffes nicht rein auf der Ebene der daraus resultierenden – sozial-politischen und strafrechtlichen – Strategien im Umgang mit illegalisierten Migrant(innen) und Sexarbeiter(innen) kritisiert werden. Viel mehr müsste eine Kritik aus einer theoretisch reflektierten Perspektive Frauenhandel (zumindest auch) als kulturell erzeugte und diskursiv funktionale Kategorie diskutieren. Es sollte darüber nachgedacht werden, ob aus einer solchen Perspektive überhaupt noch von Frauenhandel gesprochen werden kann. In politischen Kämpfen mit der Kategorie Frauenhandel zu operieren könnte mit Derrida als »Denken an der Grenze« (Derrida 1986:89) gefasst werden. In diesem Sinne müsste das Wort in seiner durchgestrichenen Version –  Frauenhandel  – genutzt werden, um zu verdeutlichen, dass es eben ›nicht passt‹.#06

 

 

Loretta Ihme

 

*.notes:

 

1__: Ausführlicher, wenn auch nicht erschöpfend, wird dies von Andrijasevic (2004:166) diskutiert, die die Eliminierung des Täters aus der visuellen Repräsentation des Frauenhandels und die damit verbundenen Mythen eines omnipräsenten Täters in Verbindung bringt mit der auch bei Berman (2003) angeführten Stereotypisierung und Kriminalisierung von Osteuropäern.

 

2__: An anderer Stelle habe ich versucht, die unterschiedliche Bedeutung des Phänomens Frauenhandel für verschiedene nationale Projekte – die der Herkunfts- und die der Zielländer – herauszuarbeiten vgl. Ihme 2006.

 

3__: Die Motive der Frauenhändler werden in der Regel gar nicht dargestellt. Wenn, dann wird das Profitpotential und die Risikoarmut des Frauenhandels benannt, Motive, die in Relation zu den an gleicher Stelle meist beschriebenen unvorstellbaren Gewalttaten gegenüber den Frauen eher als Anti-Motive gelesen werden müssen – in etwa so, als würde eine brutale Mordtat mit Langeweile begründet werden. Hier findet eine Vereinheitlichung der Täter im Frauenhandel statt, die zu einer Dämonisierung von Migrationshelfern allgemein und zu einer Viktimisierung illegalisierter Migration im Ganzen beiträgt und entsprechend kritisch diskutiert werden sollte.

 

4__: Wieso Menschen aus nicht-westlichen Ländern im Gegensatz zu ›uns‹ gesonderte Motive zur Migration brauchen, muss an anderer Stelle beleuchtet werden.

 

5__: Vergleiche hierzu die Kritik an den positiven Gegenbildern zum »rassisierten Regime der Repräsentation« durch Sonali Fernando und anderen, wie sie von Stuart Hall (2004a:162 f) diskutiert wird.

 

6__: Aus dekonstruktivistischer Sicht sollte dies einerseits verdeutlichen, dass das Wort seine Bedeutung – wie alle Wörter – nur in Differenz zu anderen Wörtern erlangt, andererseits, dass ein anderer Begriff, mit dem wir auszudrücken könnten, was wir ausdrücken möchten, fehlt. Zur Praxis der Durchstreichung vgl. Derrida 1993:81.

 

*.ref:

 

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    Brandt, Andrea et al (2003). Verkauft wie eine Kuh, Der Spiegel. 44-56

 

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   Derrida, Jacques (1986). Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine und Guy Scarpetta. Wien.

 

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    Hall, Stuart (2004a). Das Spektakel des ›Anderen‹. In S. Hall (Ed.), Ideologie - Identität - Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg: Argument, 108-66

 

    Hall, Stuart (2004b). Wer braucht ›Identität‹? In S. Hall (Ed.), Ideologie - Identität - Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg: Argument, 167 - 87

 

    Ihme, Loretta (2006). Europas Gespenster. Frauenhandel, Nation und Supranation. In M. Witkowski & J. Dlugosz (Eds.), Perspektiven für Europa – Eine neue Öffnung? Frankfurt a. M.; Berlin; Bern; Bruxelles; New York; Oxford; Wien: Peter Lang

 

    Klesmann, Martin (2002). Frauenhandel in der Grenzregion, Berliner Zeitung, 26. 01. 2002

 

    Maier-Albang, Monika (2004). Raus aus dem Elend, rein in die Hölle, Süddeutsche Zeitung, 10. 03. 2004

 

    Mayr, Walter (2003). Das Dorf der toten Seelen, Der Spiegel. 58 - 60

 

     Rücker, Nina (2003). Komm, lass uns nach Deutschland fahren - Auf der Suche nach Schwarzarbeiterinnen in Berliner Bordellen, Berliner Zeitung, 22. 02. 2003

 

    Schlötzer, Christiane (2003). Europas goldenes Tor zur Hölle, Süddeutsche Zeitung, 13. 11. 2003

 

    Schwelien, Michael (2003). Das Paradies im roten Licht, Die Zeit, 02. 10. 2003

 

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    Warr, M. (1995). Public Perceptions of Crime and Punishment. In J. F. Sheley (Ed.), Criminology: A Contemporary Handbook. Belmont: Wadswoth, 15 - 31

 

    Yuval-Davis, N. (2001). Geschlecht und Nation. Emmendingen: die brotsuppe