polysex disko

Schon mal polysexuell getanzt?

 

Immer wieder die gleichen Fragen: Wohin? Welche Musik? Und vor allem: Wer kommt mit mir auf die Party? Der all-wöchenendliche Ausgang bedeutet also zumeist, einige Telefonketten zu durchlaufen und Veranstaltungsmagazinstudien. Bei letzteren ist dann festzustellen, dass es spaltenweise Angebote gibt – unterteilt nach Rock, Pop, Klassik und Schwul. Welche Musik hörst du oder bist du gar nicht hetero? Dann gibt es noch die Zeitungen mit Veranstaltungen für schwules und lesbisches Publikum, die kompensieren dann zwar das Versäumnis der anderen Magazine, nicht aber den Mangel an Alternativen. Sind die Liebsten nun nicht alle unter eine der Oberkategorien einzuordnen, wird es schwierig, einen geeigneten Ort für die gemeinsame Party zu finden.

 

Dieser Separatismus war Anlass, vor drei Jahren unitedsubscum zu gründen, um Frankfurts Wochenende polysexuell aufzumischen – um zu vermischen. Polysexuell war dann nicht nur der Adressat_innenkreis, sondern auch das Programm mit queeren Filmen, Changing-Rooms und anderen kleinen, lustvollen Angeboten entgegen der zweigeschlechltichen Freizeitnormierung.

 

Wie lief es? Wer kam? Kam es zur Vermischung? Und braucht es demnächst noch eine weitere Spalte im Veranstaltungskalender: Poysexuelles Vergnügen?

 

Ein Gespräch mit unitedsubscum und anderen ›polysexuellen aktivistinnen‹ über Sex-, Party- und Geschlechterkonzepte.

 

DISS: Zuerst ein Rückblick auf die beiden Polysexpartys. Die erste vor eineinhalb Jahren, die zweite vor einem halben Jahr. Lasst uns rückschauend rekonstruieren, welche Bedingungen es damals haben notwendig erscheinen lassen so eine Party zu machen, sie in dieser Weise konzipiert habt ... vielleicht, dass wir so irgendwie einsteigen.

 

SUB: Warum Polysex Parties notwendig sind, das liegt auf der Hand. Gerade in kleinen Großstädten wie Frankfurt ist oft ein elender Separatismus am Start. Alle ziehen sich in ihre Nischen zurück und gehen in ihre vorgeschriebenen Kneipen und auf die ihnen zugeordneten Parties. Das ist es, was nervt. Dagegen war die Idee, etwas zu etablieren, was es in anderen Städten teilweise schon gibt: die Vermischung von Subkulturen in speziellen Kontexten.  

 

KUSS: Gab es für euch, bevor ihr angefangen habt Polysexparties selbst zu organisieren, Räume in Frankfurt, die für euch inspirierend waren oder bei denen ihr das Gefühl hattet, da gäbe es schon irgendwie so etwas wie polysexuelle Verhältnisse? Oder war es wirklich so, dass der Schritt Partys selbst zu machen daraus resultierte, dass nichts vergleichbares existierte?

 

SCUM: Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgend so etwas gegeben hätte außerhalb des privaten Rahmens von Freundschaftskontexten.

 

SUB: Eine Inspiration war das NEGATIV in Sachsenhausen, gegen Ende der 80er Jahre. Es war einer der ersten heterosexuell geprägten Läden, in dem ich gesehen habe, daß Menschen durch ihr Outfit/Make-Up oder zärtliche Annäherung ans gleiche Geschlecht Rollenverhalten ungestraft aushebeln können. In der Batschkapp hat das zu der Zeit auch stattgefunden. Oder ganz wichtig: das Maxims im Bahnhofsviertel.

 

KUSS: In der Batschkapp? Absurde Vorstellung.

 

SUB: Ja, ich glaube da war so eine wilde Aufbruchstimmung, gepusht von Künstlern wie Boy George oder Sique Sique Sputnik oder sogar Prince. Auf einmal hatten viele Jungs hohe Absätze und lackierte Fingernägel. Das war für eine Weile sehr sexy und hat auch die Haltungen enorm beeinflusst.

Aber eigentlich kannte ich aus dem Frankfurt der letzten Jahre nichts. Ideen habe ich eher aus Berlin mitgebracht. Zum Beispiel die Wigstöckel Veranstaltungen (www.wigstoeckel.com) oder die Multisexuellen Partys in der Supamolly. Um die Jahrtausendwende haben in Berlin immer öfter Lesbenparties stattgefunden, zu denen auch andere Weiblichkeiten und tatsächlich auch »Männer« in Begleitung Zugang hatten. In meinem Umfeld gab es das Café Anal, ein ursprünglich schwul/lesbischer Laden auf Kollektiv-Ebene. Montags eröffnete dort das GENDER-fuck-Café, da wurden Filme und Texte zu queeren Themen gezeigt und diskutiert, viel Material aus dem Unikontext, aber eben in der Kneipe mit Bier und Zigaretten. Und mit transidentitären Personen am Tresen.

Zusätzlich bin ich auch immer wieder auf Räume gestoßen, die gar nicht gelabelt waren, die keine Veränderung oder Öffnung nötig hatten, weil dort Menschen am Wirken waren, die von vornherein alle haben wollten.

 

SCUM: Wenn ich mich an den Anfang zurückerinnere, resultierte die Idee hier etwas zu machen auch daraus, dass es zu viele Nischen gab. Ich kannte viele Leute, die alle sehr unterschiedlich waren. Mit denen ich auf die eine oder andere Weise verbunden war, egal wie, ganz querbeet durch. Das zu kombinieren schien schwierig. Ganz abgesehen von gesellschaftlich vorherrschenden Strukturen war es im Privaten schon schwer die unterschiedlichen Subscenes zusammenzukriegen.

Daraus ist die Idee entstanden, einen Raum zu schaffen, der frei ist von den gegeben Umständen, in dem sich die ganzen Verschiedenheiten mischen können.

 

DISS: Mir ist die Rede davon, unterschiedliche Leute, die sich sonst nicht treffen, zusammen zu bringen, zu abstrakt. Was für Leute? Warum treffen die sich sonst nicht?

 

SCUM: In diesem Kontext geht es vor allem um Sexualität und die Gestaltung von – wie auch immer: Lifestyle. Dass die Leute nicht zusammenfinden, liegt bereits an den äußeren Gegebenheiten, an diesen ganzen festgeschriebenen Orten, an denen sich die verschiedenen Gruppen treffen. Darin gibt es ganz wenig Bewegung. 

 

SUB: Und die Leute treffen sich nicht, weil viele von außerhalb kommen und nur am Wochenende oder als Pendler nur tagsüber in der Stadt sind.

Ich hab mir in Frankfurt im Laufe der Jahre die meisten Schwulenbars und Partys angeguckt und auch die wenigen Lesbentreffpunkte. Es war einfach ein Problem, eine unstrukturierte, ungelabelte Gruppe zu finden. Die Themen Geschlecht oder Transgeschlechtlichkeit sind völlig außen vor. Wenn du aber weißt, dass es existiert, siehst du auf einmal überall Ausgrenzung bzw. Ignoranz. Da gibt es zwar Gruppen, die sich regelmäßig im Switchboard treffen. Das hat aber eher Vereins- oder Gesprächskreischarakter.

Mir ging es stärker um einen Kontext, der Orte mit einbezieht, an denen es möglich ist auch andere Menschen zu Gesicht zu bekommen, nicht nur "Betroffene". Mit denen dann zu flirten, tanzen und spielen. Deswegen war es für mich speziell spannend, einen Ort wie das Tanzhaus mit solch unterschiedlichen Menschen zu bevölkern, in der Hoffnung, dass diese dann im normalen Clubbetrieb Fuß fassen.

 

DISS: Auf der einen Seite geht es darum, den Separatismus der Scenes aufzuheben. Zum anderen geht es dann auch darum, aus diesen separierten Räumen rauszukommen und in die Nicht-Sub-Öffentlichkeit reinzugehen, sich auch andere Räume anzueignen. Das ist auch eine wichtige Entscheidung, die Party nicht in einem klassischen Homo-Raum stattfinden zu lassen...

 

 SCUM: ... und ebenso auch aus klassischen linken Räumen raus zu gehen.

 

SUB: Und da gab`s am Anfang auch derbe Kritik zum Beispiel von Bekannten aus der Schwulenszene, die gesagt haben, dass das nicht funktioniert, dass viele da ohnehin nicht hinkommen werden. Es hätten schon einige vorher probiert außerhalb des »Schwulen Ghettos« – wie ich die Straßen oberhalb der Konstablerwache nenne – Veranstaltungen zu machen und das hätte nie geklappt.

Die ersten Abende, die wir 2003 unter dem Label »AUFTAUCHEN« in der Cantina Buen Barrio im Gutleutviertel gemacht haben, haben aber das Gegenteil bewiesen. Menschen, die ihre geschlossenen Zusammenhänge sonst eher selten verlassen haben, sind bei uns aufgetaucht. Aber auch Veranstalterinnen aus anderen Kontexten, etwa vom Bauwagendorf in der Borsigallee oder vom subversiven Homo-Abend im Exzess, die auch schon ähnliche Sachen gemacht hatten, kamen da hin und haben uns ihre Meinung gesagt. Dann war klar: Es gibt Bedarf.

 

KO: Ich bin damals gar nicht in irgendwelchen Nischen gewesen, sondern habe mich hauptsächlich in ganz normalen Clubs bewegt. Erst als die ersten Polysexparties stattfanden und im Laufe des Abends  vieles passiert ist, das ungewohnt für mich war, ist mir aufgefallen, dass vorher etwas gefehlt hat. Das hätte ich vorher nicht benennen können. Es gab nur ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas fehlt. Ich hätte auch nicht sagen können, nach was ich eigentlich suche. Erst als ich zu studieren anfing und mit feministischer oder perverser Theorie in Berührung kam, habe ich Texte kennen gelernt, die mein unbestimmtes Unbehagen in Worte fassten. Da  habe ich gemerkt, dass ich nicht alleine bin in der Welt!

 

OK: Es gab bisher zwei Polysexparties im Abstand von einem Jahr. Mich interessiert jetzt: für was steht das? Also: was ist dort möglich, was passiert da, und was ist mit den restlichen 363 Tagen im Jahr. Für mich war es beide Male eine angenehmere Art des Abstürzens und Sich-gehen-lassens. Bei den meisten Partys ist das so, dass man da so viel schlucken muss oder sich so wegknallen muss, um sich irgendwie locker machen zu können, weil irgendwie der ganze Rahmen nicht stimmt. Ich fände es auch spannend, wie ihr diese Partys erlebt; gibt es einen Unterschied zwischen Organisatorinnen und Konsumentinnen, lässt sich das für euch gar nicht trennen?

 

SCUM: Ich trenne das gar nicht so sehr, da ich mich selbst auch als Nutzer oder so etwas sehe. Resultiert sind diese Parties daraus, dass wir einfach auch umtriebig waren, viele Leute getroffen, viele Szenen durchwandert haben. Unsere Freundinnen sind homosexuell, heterosexuell …, was auch immer. Wo sind die transgender? Und  hört es da eigentlich auf? Wir wollten einen Raum, in dem Dinge stattfinden, die eine Realität beschreiben, die wir dort, wo wir rumkommen, sehen, um somit eine Normalität oder was auch immer herzustellen. Das war der Grundgedanke.Wir haben dann mit den PolysexParties für uns darin einen Weg gefunden, was zu machen.

 

SUB: Ich finde es gut, über Polysex als Konzept zu sprechen. Was wir bisher erzählt haben, ist eher die Geschichte des Projekts, das wir letztendlich UNITEDSUBSCUM genannt haben. Außerdem sind es nicht nur einfache Partys gewesen, sondern wir haben versucht, das mit Filmen zum Thema, mit Auftritten von Freundinnen, mit Darstellung von Menschen in Form von Bildern und Texten oder auch mit Verwandlungen von denen, die da hinkommen, zu verknüpfen. Zu Essen gab es auch immer reichlich. Und Orte, die nicht beschallt waren, zum Reden. Eigentlich sollten alle, die kommen, zu Akteurinnen werden. Das ist ein Anspruch, den ich an jede gute Party habe. Meine Hoffnung war auch, vielleicht bilden die Menschen danach eigene Räume und laden ein.

 

DISS: Ich hab festgestellt, dass ich auf sehr viele Partys, auf die Freundinnen von mir gehen, nicht gehe, da ich die Räume, in denen die Partys stattfinden, als bedrohlich empfinde. Das Tanzhaus West z. B., in dem ihr die Polysex Partys gemacht habt, war so ein Raum, in den ich nach ganz spezifischen Erfahrungen nicht mehr hingegangen wäre. Da hat dann tatsächlich eine Aneignung stattgefunden, die eine Veränderung markiert hat, deutlich gemacht hat, dass es diesmal anders sein wird, cool in dem grundlegenden Sinne, dass keine dummen Anmachen kommen werden. Diese geschützten Räume kann ich auch in der linken Szene finden. Die ist aber immer noch zu einem sehr großen Teil heterosexuell und cissexuell dominiert.

 

KUSS: Ich finde den Aspekt des geschützten Raumes auch sehr wichtig. Eine Hoffnung, die ich darüber hinaus mit der ersten Polysex Party verbunden hatte, war die Vorstellungen andere Lebensentwürfe, andere Identitäten als die, die uns täglich vorgesetzt werden, für den Moment lebbar zu machen. Es gab einen Raum, um dazwischen zu sein, jemand anderes zu werden. Mir geht es häufig so, dass ich mir sehr viel vorstellen kann, vorstellen kann, wie und als wer man leben könnte. Vorstellungen die mir ziemlich schnell im Alltag wieder genommen werden, weil sie als unmöglich deklariert werden.

 

DISS: Was für mich zusätzlich wichtig war – und das war der Kick, als ich eure Flyer gesehen habe – war, die Möglichkeit, aus einem universitären Milieu, auch einem universitären Feminismus raus zu kommen. Weil in diesem Kontext Geschlecht zwar permanent ein Thema ist, aber vor allem in einem theoretischen Diskurs. Dieser Diskurs ist wichtig und notwendig, weil er eine Waffe bietet, sich zu wehren, die Vorstellung von Realität, die dir als Normalität aufgezwungen wird, anzugreifen und zu sagen: das ist nicht die Realität und ihr seid nicht einfach normal. Nicht wir sind das Problem, sondern ihr.

 

SCUM: Für mich ging es nie darum, hier ein Anti-Teil durchzuziehen, oder neue gut / böse Kategorisierungen einzuführen. Eher geht es darum, irgendetwas zu finden und gar nicht zu sagen, was eigentlich genau. Und dabei eine möglichst niedrige Hürde anzulegen, was sexuelle Identifikation angeht.

 

SUB: Andererseits geht es natürlich schon darum, bestimmte Positionen auszuschließen, klar zu machen, dass hier kein Raum ist für Sexismus, Rassismus und so weiter. Das ergibt sich aber durchaus durch die Medien, die wir benutzen und unsere Art der Werbung. Das spricht nicht jeden Depp an. Im Tanzhaus West gab es Türsteher, und die haben wir auch immer gebrieft, um welche Menschen es uns geht.

 

KUSS: Bei der ersten Party war der Hang zur Gruppenbildung ziemlich auffällig und lustig. Es gab da die Freundinnen der DJ’s in der einen Ecke, die über die Anzeige im Gabmagazin kamen in einer anderen, wiederum andere hatten es bei Radio Sub gehört oder vom Frauen Lesben Referat und so weiter. Erstmal war da eine spürbare Unsicherheit im Raum im Stil von »..und was machen wir jetzt?« Vermischt hat es sich dann später auf dem Dancefloor. Das war toll.

Bei der nächsten Party haben wir mehr mit den Räumen gespielt. Da gab es den großen Raum als Begegnungsstätte, wir haben die »Liegewiese« aufgebaut und den nur marginal beschallt. Im kleinen Raum war der Dancefloor. Weite Räume, um zu reden und enge Räume, um zu tanzen. Eigentlich wollten wir noch einen anderen Raum dazu haben, der dann für alles andere hätte sein sollen, das war aber nicht umzusetzen. Es gab allerdings Resonanzen, die angezeigt haben, wie wichtig es ist, nochmal auf ganz rudimentäre Sachen hinzuweisen. Einige Menschen haben mit großem Unverständnis auf für uns ganz selbstverständliche Geschlechterfragen reagiert, z. B., dass (Vor)Namen oder Kleidungsstile beliebig geändert werden dürfen, Menschen lieber mit diesem, jenem oder gar keinem Artikel angesprochen werden wollen. Für mich war es krass rauszufinden, dass es da offensichtlich noch viel Bedarf gibt, das erst mal zu klären, bevor man im Darkroom verschwindet.

 

SCUM: Letztlich gab es ja auch keinen Darkroom. ... Klärungsbedarf gab es allerdings auch zwischen den Leuten, die mit organisiert haben. Wir waren eine Gruppe, die total wild gemixt war. Wie viel wir uns gezofft haben.

 

SUB: Wie im richtigen Leben!

 

KO: Eine interessante Resonanz ist vielleicht die Geschichte eines Bekannten von mir, der sonst eher ziemlich zurückhaltend ist. An dem Abend ist er in den Changing Room gegangen, kam geschminkt wieder raus und hat sich offensichtlich ziemlich wohl gefühlt und einige Komplimente bekommen. Meine Schwester hat ihn dann auf einer Hochzeit getroffen und mir erzählt, dass sie ihn erstmal nicht erkannt hat, weil er/sie Rock und Bluse an hatte, geschminkt war, eine ganz andere Frisur hatte. Und offensichtlich hat die Party ihm/ihr Mut gegeben, da ihre Performance dort auch so viel Anerkennung gefunden hat – auch zu anderen Gelegenheiten zu crossdressen.

 

SUB: Was für ein tolles Feedback! Was schon immer unser Traum war, dem ganzen so einen Festivalcharakter zu geben, damit Zeit ist, sich intensiver kennenzulernen und solche Geschichten zu erzählen. Mir ging es immer so nach allen Veranstaltungen, die wir gemacht haben, dass sie gefühlsmäßig zu früh vorbei waren.

 

KUSS: Wie seid ihr eigentlich auf  die Bezeichnung »polysex« gekommen?

 

SUB: Das war so ein kaputtes Plakat in Kreuzberg. Da stand drauf »hello my image is polygamous«. Polygamie als Thema hat uns schon länger beschäftigt, ist aber aus unserer Sicht nicht zwangsläufig. Wir sind dann darüber mit viel Spaß zum Ausdruck »Polysex go!« gekommen.

 

DISS: Ich fand es extrem wichtig, in eure Konzeption zusätzlich Geschlechtlichkeit mit reinzubringen, obwohl sie ja als Zweigeschlechtlichkeit bei Fragen sexueller Orientierung immer schon mit drin ist. Sonst lautet die Frage bekanntlich: Bist du hetero? Nein. Bist du homo? Nein. Also bist du, musst du bi sein. In dem FilmVenus Boys tritt ein Mensch auf, der sich selbst als pansexuell definiert. Pansexuell soll schon darauf hinweisen: Es gibt nicht nur die Möglichkeit mit Männern und Frauen zu schlafen, was ja auf die Dauer langweilig wäre, es gibt viel mehr, zum Beispiel Intersexuelle, Transexuelle, trallala. Was mich an dem pansexuell aber stört – pan bedeutet ja »alles« – ist, dass es so etwas umfassendes hat. Es bezeichnet also eine Totalität, wie so einen großen Kreis, in dem jetzt alles drin ist. Das Umschließende hat demnach etwas abschließendes. So weltweit – alles. Das poly steht demgegenüber eher für Vielheit, Unbegrenztheit und ist damit vor allem offen. Also genau das, was ihr eben auch beschrieben habt: Offen sein für das, was noch im Kommen ist, was noch kommen wird und kommen kann und was sich noch entwickeln  könnte.

 

KO: Es war für mich während der Party auch eine sehr wichtige Erfahrung, dass der Zwang sich einzuordnen, zu kategorisieren ausgesetzt war. Wenn du jemanden kennengelernt hast, wurde weder nach deinem Geschlecht noch nach deiner sexuellen Orientierung gefragt. Der Rest hat sich ergeben oder auch nicht.

 

SUB: Wenn du polysex googelst, dann kommst du zu ganz absurden Geschichten, zum Beispiel bezeichnet es in den USA oft nur bisexuell. Oder ein Paar ist verheiratet und es gibt noch eine geduldete Freundin oder einen Freund. Mir wurde auch erzählt, dass es eine Weile bei den Partys im Lofthouse eine Polysex-Lounge gab, was nichts anderes hieß als Lounge für Freundinnen und Freunde der Partyreihe.

Das »The Place To Be«, eine kleine Bar hier in Frankfurt, hat Flyer rausgegeben zur »Polysexual Night« am Montag Abend. Ich habe mich gefreut und bin zum Grand Opening, da gab's dann Beck's Bier umsonst und es waren nur Schwule im Raum. Ich habe den Barmann gefragt, was das mit Polysex zu tun habe. Er wusste es auch nicht genau, sie wollten es halt mal anders formulieren, so dass sich auch andere Leute eingeladen fühlen, hat er gesagt. Ich habe das ein bisschen verfolgt über drei, vier Wochen. Es hat sich als schicker schwuler Barabend mit netter Musik etabliert, immer auch ein paar Frauen dabei. Ich habe gegrinst und mir gedacht: O. K., was soll man da abgrenzen? Du gehst hin und dann siehst du, die stellen sich das darunter vor, wenns nicht deins ist, gehst du wieder.

 

SCUM: Aus meiner Perspektive muss poly noch nicht einmal notwendig sex enthalten. Ein bisschen steckt für mich aber das zuvor gesagte auch in unserem Konzept drin, z. B. das Pärchen mit den geduldeten Liebhabern. Ich halte es für notwendig, den Begriff Polysex so weit aufzulösen, dass er mit kritischen Verhältnissen nichts mehr zu tun hat. Wenn man einfach davon ausgeht, dass wir in einer heterosexistischen  Welt – sage ich jetzt mal – leben, dass also die ganze Welt zweigeteilt ist, dann braucht unsereins irgendetwas, was einfach so dehnbar und flexibel ist, dass es in alle Bereiche, wo es Spaß macht, hineinreicht. Und da stand dann irgendwann dieser Begriff, in den man total viel reintun kann.

 

DISS: Ich bin mir nicht sicher, ob das so nicht ein bisschen zu optimistisch ist. In dieser kompletten Offenheit steckt doch auch die Gefahr einer vollkommenen Auflösung. Natürlich soll es darauf hinaus, dass zum Schluss alle in ihrer spezifischen Individualität und Subindividualität irgendwie zusammenfinden können. Aber unter den gegebenen Bedingungen braucht es doch erstmal noch Abgrenzungen. Denn die heteronormativen Räume würden für sich ja auch in Anspruch nehmen, niemanden auszuschließen, alle rein zu lassen, obwohl sie es offensichtlich nicht tun.

 

SUB: Für mich war immer die Erkenntnis wichtig, es gibt ein Begehren und der Name ist erstmal nicht wichtig. Wichtig ist, dass Menschen anfangen nachzufragen und Gespräche entstehen.

 

OK: Ich finde aber auch ganz allgemein die Frage der Begriffe hier nicht so wichtig. Ob poly, trans oder pan – wichtig ist allein, dass ein Signal auf dem Flyer steht, mehr muss es dann auch nicht sein. Mehr Einfluss können die Veranstalterinnen gar nicht nehmen, wichtiger ist, was nonverbal passiert, was die Leute daraus machen.

 

SUB: Es stimmt, wir können nicht garantieren, dass die auf jeden Fall eine tolle Zeit haben. Und es gab tatsächlich Leute, die zu mir gesagt haben, dass sie es sich alles irgendwie viel cooler, rockiger und dreckiger vorgestellt haben. Es kam viel Feedback aus der Schwulenszene, wo die Leute eher eine Sexparty erwartet haben. Die dachten halt, es würde irgendwie brutal zur Sache gehen und ich konnte dann nur zurückgeben: warum habt ihr euch nicht ausgezogen auf dem Dancefloor?

 

DISS: Ich würde den Begriff oder das Konzept dagegen eher stark machen wollen. Einerseits entspringt es der Praxis, andererseits ist es auch wieder der Maßstab, an dem die Praxis diskutiert werden kann, an dem sie sich messen lassen muss. Denn es ist ja das Konzept, das es ermöglich zu sagen: Das war noch nicht die Polysextopie. Oder: This was not polysexual enough.

 

OK: Aber diskutiert wird sowieso, spätestens danach, beim Kater. Es gibt quasi eine Partysupervision. Was hast du gemacht, was hab ich gemacht und wie war's und so weiter. Dieses im Nachhinein darüber zu reden, ist schon entscheidend, da so sicher gestellt wird, dass es nicht beim nächtlichen miteinander Abstürzen bleibt und schlechte Erfahrungen – zum Beispiel von Einsamkeit danach – aufgefangen werden.

 

DISS: Ein Freund von mir, der in Münster lebt, hat mir erzählt, dass sich bei ihm das soziale Leben auf dem Marktplatz abspiel, bzw. im Eiscafé daneben, dort treffen sich die Menschen. In der Großstadt spielt das Leben aber in der Kneipe ab oder eben im Club. Umso wichtiger darauf zu schauen, was dort passiert.

Was hat sich also zeitgleich mit den Polysexparties entwickelt? Meiner Einschätzung nach haben auf anderen Partys, solchen im ivi zum Beispiel, Veränderungen stattgefunden. Während die Leute sich früher in Zweierkisten zurückgezogen haben, um dann in einer Ecke zu knutschen oder später zusammen nach Hause zu gehen, ist es jetzt eher so, dass sich auf der Tanzfläche, abseits davon und auf dem Klo und sonst wo mehrere Leute zusammenfinden, mal zwei, mal drei, mal vier, die sich aber auch schnell wieder auflösen und mit anderen Verhältnisse eingehen.

 

OK:  Wenn wir dann in einer großen Gruppe irgendwo »einkehren« und uns dort dann miteinander beschäftigen, dann wirkt das von außen wohl wie eine feindliche Übernahme. Diese würde ich als etwas bezeichnen, bei dem ein Raum für kurze Zeit entsteht für Polysexualität, ein momentaner, der sich so nicht dauerhaft haben lässt. Es wäre die Frage danach, wie das in Beziehung zu dem zu setzen ist, was ihr mit euren Parties gemacht habt. Womit sie weitergehen als diese kurzfristigen Interventionen, was sie von diesen unterscheidet.

 

DISS: Polysexuell würde ich es nennen, in dem Moment, wo es erstens nicht mehr nur zwei Körper sind, die sich immer zusammenfinden, die dann irgendwann gemeinsam nach Hause gehen, und zweitens, wo es nicht mehr die notwendige, hauptsächliche Rolle spielt, welches Geschlecht diese Leute haben, die dort eine kurzfristige Beziehung eingehen. D. h. Cismädchen mit Transmädchen mit Dragkings mit lesbischen Jungs mit schwulen Mädchen und so weiter. Und ich finde, wenn so etwas in Läden wie dem Clubkeller stattfindet, dann ist es eine feindliche Übernahme.

 

SUB:. Feindlich wäre doch nur, wenn man da hingeht und irgendwie versucht, die Leute zu diffamieren und zu sagen: hey guckt mal, was wir alles können und jetzt zu viert – und so weiter. Und wenn man dann jeden Tag da hingeht in so einen Laden, bis die Leute dort so angeekelt sind, dass sie sich alle nicht mehr hintrauen … Wo ist da der Feind – verstehe ich nicht ...

 

DISS: Ich würde aber schon sagen, dass so eine Demonstration – auch wenn sie in etwas für uns mittlerweile sehr Gewöhnlichem besteht – verstörend wirken kann. Mindestens in dem Sinne, dass es in einem so straighten Laden wie dem Clubkeller vorkommen kann, dass eine bestimmte Sorte Macker sich erstmal angeturnt fühlt und gerne mitmachen würde, dann aber zurückschreckt, wenn sie merkt: Wenn ich mit der da knutsche, muss ich auch mit dem da knutschen. Das ist die Irritation, die ich begrüßenswert finde. Problematisch ist an so einer polysex Demo eher, dass es sich dabei – wie bei jeder Demo – immer um eine Gruppe von Leuten handelt, die in sich quasi geschlossen ist und somit ausschließende Effekte hat. Statt offen und anziehend, einladend also zu wirken.

 

SUB: Wir müssen eben ein bisschen üben, einladender zu werden. Was ich aus der Erfahrung, sehr lange hetero gelebt zu haben – oder zumindest gedacht zu haben, das zu tun – sehr wichtig finde, ist zu reflektieren, dass es auch für ganz »normale« Männer, die sich hetero definieren, eine Wahnsinnsbarriere sein kann, erstmal einen anderen Mann zu küssen oder zwei Frauen gleichzeitig oder so. Da sind Grenzen und entsprechend auch Ohnmachtsgefühle gegenüber den Normen, die verletzt werden. Ich finde es sehr wichtig, das mitzudenken, denn wenn es um Sexualität geht, sind viele peinlich berührt.

Und wenn zwei Pärchen Partnertausch machen, dann ist das für die vielleicht ein wahnsinnig großes Ding und sie fühlen sich danach unglaublich befreit. Und andererseits ist es für manche Schwule, die zu mehreren aufeinander treffen und in den Darkroom gehen um sich zu befriedigen, mittlerweile die normalste Sache der Welt. Gerade in solchen Räumen, wo so etwas nicht üblich ist, ist es auch gut, sensibel damit umzugehen oder auf einer Spaßebene etwas zu zeigen, etwas vorzuführen und nicht unbedingt zu übernehmen, zu konfrontieren, bloßzustellen.

 

SCUM: Ich versuche auch die ganze Zeit, einen Bogen zu spannen zur Frage, wie sich die Normen herstellen auch in öffentlichen Räumen zum Beispiel denen einer Party. Was geht, und was geht nicht? Anhand unseres Beispiels: Da fallen jetzt Leute ein und machen irgendetwas, was  andere Leute irritiert: Sorry. Wenn ich in einem öffentlichen Raum bin, kann mir das einfach passieren. Es sind mittlerweile aber auch schon Veränderungen über die Partys hinaus wahrzunehmen, in allen möglichen Bereichen. Vor allem im Freundes- und Bekanntenkreis finde ich es erstaunlich, wie es gelungen ist, ein Verständnis hervorzubringen, ein Verständnis dafür, was uns an dieser Welt stört.

Der Wunsch ist, etwas herzustellen, damit  so was vielleicht auch irgendwann zur Gepflogenheit wird.

 

OK: Das läuft häufig gar nicht so intentional ab. Ich geh nicht irgendwo hin, um irgendwen bloßzustellen, zu irritieren oder zu provozieren. Es hat immer schon viel mit sich inszenieren zu tun, natürlich für andere Blicke, aber es betrifft einen ebenso selbst und ist auch noch übertragbar auf den Freundeskreis, der sich zwar nach innen öffnet, aber damit auch einen Ausschluss produziert. Das ist dann tatsächlich ambivalent, aber erstmal ist es öffentlich, es ist ja auch merkwürdig, man geht so zu einem öffentlichen Ort, wo zumindest potentiell jeder Zutritt hat und macht dann aber doch sein privates Ding. Wenn man  als Gruppe auftritt, ist klar, dass dann die Codes irgendwie umdefiniert werden. Wenn irgendein Typ kommt und seinen Mackerscheiß macht, dann kommt das halt nicht gut an und dann werden die Regeln irgendwie durch Blicke, durch Rempeln oder so anders neu hergestellt. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob es nicht auch ein Problem ist, dass die Party gewissermaßen der prädestinierte Raum für solche Öffnungen ist. Während es im Alltag darum geht, spießig zu sein und den Normen zu entsprechen, gibt es in Partyräumen ganz andere, hedonistischere Normen, weil auch der größte Spießer ausgeht, um sich gehen zu lassen.

 

DISS: Ich glaube, dass diese veränderte Normativität ein Rahmen ist, der sich nutzen lässt, indem Normen nicht einfach in Form der klassisch politischen Matrix umgekehrt werden, so dass Mackerverhalten, Heterosexualität, Eingeschlechtlichkeit als böse, sexistisch, unmoralisch codiert wird. Sondern dass es auf der Folie der Partynormen einfach als nicht cool, irgendwie unlocker, altmodisch bezeichnet wird.

 

SCUM: Darüber hinaus gibt es ja auch noch die Idee, mit Mackern umzugehen. Polysex-People sind keine Störenfriede. Polysex-People leben davon, beweglich zu sein mit sich und anderen, und nicht davon, Fronten aufzubauen.

Überspitzt würde ich sogar sagen, ich bin selbst einer. Macker können ganz schön cool und locker sein. Anstelle des Ausschlusses würde ich eher sagen: Macker? We fuck'em.

 

SUB: Also ich würde gerne nochmal zu bedenken geben, dass fast jeder, der ein Coming Out in irgendeiner Form hinter sich hat, sich auch anders im öffentlichen Raum bewegt, und viele, die ich kennengelernt habe, bewegen sich mit einem nicht zu unterschätzenden Selbstbewusstsein. Dieses Bewusstsein kann dazu verwendet werden, im ganz polysexuellen Sinne, immer wieder mit irgendwas rauszukommen.

Aber dennoch oder auch deswegen finde ich es wichtig, bei unseren Veranstaltungen Leute dabei zu haben, die kein Coming  Out hinter sich haben, die bisher nicht soviel über Sexualität und Geschlecht und den damit verbundenen Normen und Zwängen nachgedacht haben, weil sie es einfach nicht mussten, weil ihr Verhalten einfach schon immer akzeptiert war. Und ich versuche auch, so in Räume reinzugehen und mir klarzumachen, dass da Leute vor mir stehen, die einen ganz anderen Background haben.

 

OK: Und sind nicht gerade so Partys eher der Ort, der ganz stark nonverbal funktioniert, also wo eben auch Aufklärung anders funktioniert. Nachts sehen alle irgendwie besser aus als tagsüber und das ist ja auch eine Form der Sprache – also ist auch eine Form der Kommunikation, aber eine, die irgendwie anders verläuft. Und dass man jemanden vor sich stehen hat, dessen Sexualität und Geschlecht unbekannt sind, das kann ja auch einen besonderen Reiz ausmachen. Und wenn sich etwas aufgelöstes, auflösendes, polysexuelles ereignet, dann ist das, wenn am Aufklärungsbegriff festgehalten werden soll, eben praktische Aufklärung.

 

Es unterhielten sich: Diss, Kuss, Ko, Ok, Sub und Scum.

Die letzte Polysex Party fand am 4. Juni 2006 im Hafen2 in Offenbach statt. Mehr Infos gibt es bei: unitedsubscum [at] gmx.de.