Theorie der polysexuellen Oekonomie

(Grundrisse)

 

 

Für einen kurzen Moment scheinen die bis hier herrschenden Gesetze ausgesetzt. Im Zentrum wie an der Peripherie des Tanzraums fügen sich instabile Konstellationen von 2 bis 5 Körpern ineinander, lösen sich wieder, entstehen neu in veränderter Zusammensetzung. Zirkulation der Münder, der Hände, der Hintern. In immer veränderten Kreisläufen, auf selten begangenen Wegen. Es gibt kaum Berührungsängste und wenig Angst unberührt zu bleiben. Niemand muss sich einschließen lassen, niemand soll ausgeschlossen bleiben müssen. Das Herkunftsgeschlecht darf zu Hause gelassen werden, im bekannten Schrank. Provisorische Homos oder Heten, Transen oder (ja, wie lautet eigentlich die Abkürzung für Cissexuelle?#1 – genau:) Cisten tanzen, stolpern, verfallen einander zeitweise und auf dem Weg zur Theke. Das Homosexualitätstabu bröckelt – wie so oft – zuerst bei den Frauen verschiedenen Geschlechts. Jetzt werden immer wieder lustvolle Schneisen geschlagen in die traditionellen wie die spontanen Pärchen. Wo sie entsteht wird die Zwei durchkreuzt. Dreifach: des Geschlechts (Mann/Frau), der Sexualität (Homo/Hetero), des Paars (Ich/Du). »Polysexuelle Aktivistinnen« positionieren ihre Körper zwischen den in Verdinglichung begriffenen Verbindungen. Nicht durch die normative Überwachung eines planwirtschaftlichen 5-Stunden-Plans, sondern in den Kategorien, mit den Mitteln des Begehrens selbst: durch die Schaffung attraktiverer Körperknoten. Eine polysexuelle Party, eine hochbeschleunigte Enteignungsmaschine.

Dann plötzlich, nur von Misstrauischen antizipiert, Circulation virtuosus: spätere Stunde, weniger Menschen, mehr Drogen, größere Angst. Eine unsichtbare Hand bittet zum (Standard)Tanz, mit eisigem Griff. Reprivatisierungstendenzen nehmen überhand. Reterritorialisierungwälle rollen über die Tanzfläche, die Bar entlang, über die Toiletten zu den Ausgängen. Immer wieder zu zweit verschwinden sie in den Taxen. Trieb oder so treibt die Leute auf den Markt und – zu zweit – wieder heraus. Die Heteroökonomie dominiert, »König Ödipus« triumphiert. Die kurzweilige Freiraumzeit endet, der langweilige Alltag beginnt. Und dauert im von Lohnabhängigen bevölkerten urbanen Raum im schlimmsten Fall vier Tage. Vereinzelte Einzelne bleiben gekrümmt auf Treppenstufen zwischen den Kippen zurück, schütteln Tränen aus schalen Bierflaschen. (That’s the way it goes. Aber welchen Weg geht Es eigentlich, welchen Gesetzen gehorcht eine Oekonomie des Begehrens, die solche Versagungen erzwingt? Welchen Regeln folgt eine Distribution, zu der die Möglichkeit von Unterkonsumtion notwendig gehört?) Von hier aus lassen sich noch andere Einblicke gewinnen, als der in die Flasche, auf letzten Schaum am braunen Grund. Wie immer so auch hier ist schlechte Laune der privilegierte Gemütszustand von Erkenntnis. [Denn die Enttäuschung verweist auf Hoffnung, ohne die sie nicht wäre; die Hoffnung verweist auf Erfüllung, auf die sie zielt. Dazwischen liegt eine Distanz. Das ist die einzige Größe, die aus revolutionärer Perspektive interessiert.]

A. Der Austauschprozess

1. Liebesmarkt

»Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiterinnen unter sich« (Marx/Engels 4, 473). So die Liebesarbeit. Der Liebesmarkt – nur paradigmatisch verräumlicht in Club, Kneipe, Netz: Party –basiert auf der Konkurrenz der Liebenden zueinander, wie jeder andere Markt einzig auf der Konstruktion von Knappheit. Es gibt genug Lover für alle, aber nicht alle bekommen einen ab, bzw. zehn. Eine immer wieder neu herzustellende und durch mächtige Institutionen abzusichernde Knappheit, ohne die keine Oekonomie betrieben werden könnte. Bedürfnis-Begehren, das subjektiv den Tausch motiviert, wird darin konstituiert. Der spürbare Mangel, zu stopfende Leere (seelisch/körperlich) ist aufwendig installiert. In monetärer Oekonomie durch die Trennung von Produktionsmitteln und Produzentinnen, durch die Institution des Privateigentums. In sexueller Oekonomie durch die Institutionen Heterosexualität, Monogamie, Individu(alis)ierung/ Singlierung, usw.

Der Reichtum sexueller Oekonomie erscheint als ungeheure Ansammlung unterschiedlichster Körper, die alle begehrbar sind – und tauschbar. Indes Beschränkung des Angebots durch die Matrix der Heterosexualität, d.i. Konkurrenz der Männer um die Frauen, Konkurrenz der Frauen um die Männer. Das Universum der Äquivalenz ist zweigeteilt, der Austausch von Beginn blockiert. Folglich Reduktion der Substituierbarkeit aufgrund des Homosexualitätstabus um volle 50%.#2 Ähnlich der Rassismus, wo er sexuellen Austausch verschieden farbig oder religiös markierter Körper untersagt.

Wie Zwangsheterosexualität und segregationistischer Rassismus ist aus Perspektive sexueller Oekonomie auch Monogamie (der festen Beziehung, Handelsabkommen, Abnahmegarantie) lediglich Marktbeschränkung. Allerdings eine, die die Körper der Zirkulationssphäre entzieht und in der Konsumtionssphäre bindet, die in der Regel der Erfahrung eine Sphäre (sexuellen) Nichtkonsums darstellt. Monogamie ist der Tausch von Freiheit gegen Sicherheit, die analog der Logik Konsumverzicht gegen Arbeitsplatz verfährt.

Doch auch die übrigbleibenden Körper tauschen sich nicht einfach, nicht unmittelbar gegeneinander aus. Gegenseitiger Gebrauch, Körper gegen Körper so lange Bedarf ist, so einfach könnte es sein. Aber ein feines Muster diffiziler Hierarchisierungen scheint den Austausch zu strukturieren. Es ist, als überwinterten im Alltag Phantasien standesgemäßer Heirat oder in Skalen legitimer Kreuzungen, Spuren von Rassenideologie. Zu beobachten an den Reaktionen auf deutlich ungleich reiches/schön konstruiertes Paar, deren Formel wie etwa in »Seinfeld« zu hören, lautet »s/he could do a lot better then her/him« (723, The Wait Out). Im Spin-Off von »Friends«, »Joey«, wird diese Logik auf den mathematisch-äquivalentiellen Punkt gebracht: »You want to choose someone at about the same level of hotness as yourself. You can go two points in either direction, but I wouldn’t do much more than that. . . . I, for example, am a 9. That means I could be with a 7 or a hypothetical 11. Another option for me would be a 4 and a 5. Three 3s. Or, but I wouldn’t recommend this, nine 1s« (102, Joey and the Student. Die Demonstration misslingt selbstredend, weil zu diesem gereinigten Fernsehraum ohnehin selten eine mittlere Zahl abwärts Zugang findet).

2. Ware Anziehungskraft

Die Sexuelle Oekonomie weist den Körpern offensichtlich Wert zu. Und zwar unterschiedlichen, unterschiedlich hohen. Was ist das gemeinsame Dritte, nach dem sich die Körper austauschen, was konstituiert den Wert der sexuiert-sexuellen Waren? Arbeit, sexuierte (geschlechtliche)-sexuelle, d. h. sexuierende (vergeschlechtlichende)-sexualisierende Arbeitszeit. Allerdings nicht Arbeitszeit als solche, nicht individuelle Arbeitszeit (dann wäre am schönsten, welche am längsten braucht im Bad [the Badman] – wie schön wäre das), sondern gesellschaftlich durchschnittlich notwendige, d.  h. normierte Arbeitszeit. Umfangreiche Arbeit im Vorfeld: der Mode folgen – informieren, einkaufen, anprobieren; den Körper pflegen – duschen, rasieren, epilieren, deodorieren; sich schön machen – schminken, pudern, stylen, spiegeln. Investitionen, die den Wert steigern sollen, Arbeit(an-der-Anziehung)skraft. Geschlechtliche Arbeit, die Geschlechter produziert: Witze machen/lachen, schauen/beschaut werden, an der Wand lehnen/tanzen usw. Die Ware, die die sexuiert-sexuelle Arbeit, appellative Arbeit produziert, ist die Ware Anziehungskraft. Ihr Wert bestimmt über Anzahl und Wert der sexuiert-sexuellen Waren, in die sich ein Körper tauschen kann.

Prozedur des Ankleidens, anzügliches Anziehen: Es kostet einige Arbeit, bis die Männer in Anführungszeichen die Bühne betreten können, die Frauen in Anführungszeichen kostet es sehr viel mehr Arbeit. Mehrarbeit ebenso in schwuler Oekonomie, (ehemals) etwas weniger in lesbischer. (Allerdings ist auch der – etwa lesbische – Bruch mit der Arbeit im Dienst des heteronormativen Körperideals und/oder die Konstruktion neuer/anderer Schönheitsnormen Aufwand/Anstrengung/Arbeit – eben Antiarbeit/Alterarbeit/Transarbeit).#3 Dies verweist darauf, dass der Charakter gesellschaftlich durchschnittlicher sexuiert-sexueller Arbeitszeit, d. h. der Norm, diversifiziert wird anhand der Kategorie des Produktionsmittelbesitzes, d. h.: den Normen. Sie instituieren unterschiedlich markierte Körper als Maschinerie unterschiedlicher Produktivität und bestimmen damit das Maß an appellativer Arbeit (labour of sexappeal), das diese zu verausgaben haben, um bestimmten Wert zu erzielen.#4 Produktive Maschinerie ist der dünne Körper, der bourgeoise Körper, der männliche Körper, der unverkrüppelte Körper, der cissexuelle Körper and so on. Die zu verrichtende Arbeit dieser Körper entsprechend niedriger als die des dicken Körpers, des proletarischen Körpers, des weiblichen Körpers, des verkrüppelten Körpers, des transgeschlechtlichen Körpers etc. Wobei etwa die rassisierende Norm paradoxe Maschinerie ist, die zugleich degradierend und exotisierend wirkt. Das Schönheitsregime (Statusregime) treibt die individuelle Arbeit zur Wertsteigerung mancher Körper ins Unermessliche. Gleichzeitig sind die Arbeiten unterschiedlicher Körper unterschiedlich. Manche Körper können ihr Scheitern an der Schönheitsnorm durch Machtakkumulation, intellektuelle Arbeit ausgleichen und werden in folge dessen i.d.R. männlich genannt.

Ab bestimmter Produktivkraftentwicklung, medizinischer Technologie kann das Schöne restlos nach dem Maßstab abstrakter Arbeit quantifiziert werden. So zumindest lautet die Ideologie, obwohl der Geburtstagswunsch >Neuer Körper< selbst in den Metropolen von seiner Erfüllung weit entfernt ist. So funktionieren die Normen (in unterschiedlicher Weise, Klasse anders als Farbe als Gesundheit) doppelt: als Maschinerie und de facto – Quantität schlägt um in Qualität – als Markt-Grenze. Ihre Überschreitung ist im Allgemeinen so wahrscheinlich wie dass der Scheibenwischer durch Mehr-Arbeit zur Millionärin wird – und scheitert aus demselben Grund: Nicht-Besitz an Produktionsmitteln. (Im Effekt territorial-vertikale Spaltung des Marktes in die Märkte, periphere und metropolitane, den Weißen Raum, Folge rassistischer Türpolitik, die analog den EU-Einfuhrbeschränkungen nicht-weiß markierte Körper vor den Grenzen hält und, ähnlich, das Klassenghetto, das Fluchtversuche schon an der Flirtsprache scheitern lässt.) Das aber ist für die Norm egal, die ungleiche Körper am gleichen Wert misst, sie damit als ungleiche hervorbringt und zu ungleichwertigen macht (vgl. Marx 19, S. 21). Diät, Schönheits-OP, Hormonbehandlung, Fortbildung, Hautaufhellung, Rhetorikseminar, Laserdioden-Haarentfernung etc. sind somit Arbeiten, die an der gesellschaftlich durchschnittlich notwenigen Arbeitszeit zu messen sind. Einige Körper brauchen aufgrund produktiverer Norm-Maschinerie täglich sage 2 Stunden, um bestimmte Anziehungskraft zu erhalten/erreichen (re/

produzieren), andere sage 6 Stunden unmittelbare oder mittelbare, in Geld umgesetzte und in OPs etc. investierte (Lohn)Arbeitszeit. Dennoch haben sie danach lediglich gleichen Wert. Gemessen an der Norm ist die zusätzlich in Diätstunden usw. investierte Arbeitsqual lediglich unproduktive Verausgabung, wenngleich notwendige.

Wie bei Ware im Allgemeinen und Ware Arbeitskraft im Besonderen, so ist auch bei Ware Anziehungskraft im Speziellen der Wert nicht identisch mit seiner Realisierung. Der oszillierende Preis der Ware Anziehungskraft lässt sich durch Verknappung steigern. Wie er durch allzu hohe Freilebigkeit sinken kann. »I kissed James«. »So what? Who hasn’t«. Auch das war traditionell geschlechtlich reguliert auf den Polen Held und Schlampe. Diese Restriktionen, Marktbeschränkungen sind weitestgehend entfallen, fristen ein spukiges Dasein als Residualexistenz. Zudem bleibt das beste und teuerste Produkt zuweilen unverkauft liegen, muss unter Wert, zu niedrigerem Preis veräußert werden. Es kommt zum Lagerschlussverkauf. In mancher Szene hat sich dafür so nüchtern wie treffend der Begriff »Resteficken« durchgesetzt.

Nach getätigtem Tausch beginnt der Konsum, aber (insert feminist critique) bekanntlich nicht die Freizeit. Sondern (wie vorher zirkulative jetzt) konsumtive Arbeit, sondern Reproduktion. Männer und Frauen (nahezu aller Geschlechter) behalten die Anführungszeichen an, auch wenn sie alle Kleidung abgelegt haben. Jetzt erst recht. Dann die Probe auf langjähriges Training, kostspielige Ausbildung: Atemtechnik, Laut-Leise-Passiv-Aktiv-Spiele, Genitalkunde, Autogene Trennung von Kopf- und Hand-Arbeit, Körpertechnologie, Orgasmusinszenierung. Dies aber nicht Gegenstand hier. Als Produktionsverhältnis, als Arbeit wird Sexualität untersucht von Kontrasexueller Theorie, die Theorie der Polysexuellen Oekonomie fasst Sexualität als Wertform, von der Seite des Austauschprozesses her.

3. Wert und Geld

Auch wenn es in sexueller Oekonomie Wert gibt, gibt es doch kein allgemeines Äquivalent, kein Geld. So kann der Phallus als allgemeines Äquivalent fungieren nur unter Bedingungen des historischen Patriarchats, der direkten Verfügung des Mannes über den Körper der Frau, des Eigentums des Vaters an der Tochter, des Gatten am Weib. Hier erscheinen Frauen als Waren, erwerbbare und entäußerbare Objekte mit bestimmtem Wert, den nur der Besitzer des Phallus (des Geldes) zu entrichten in der Lage ist. Marx: »Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehen, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in anderen Worten, sie nehmen«. Und in der Fußnote hierzu: »So zählt ein französischer Dichter […] unter den Waren, die sich auf dem Markt von Landit einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackergeräten, Häuten usw. auch ›femmes folles de leur corps‹ auf« (Marx 23, S. 99).

Auch wenn in diesem Beispiel Währungswechsel, Transformation in monetäre Oekonomie stattgefunden hat (Phallus -> Franc/Sterling) gilt: Weibliches Begehren kann sich in solchem Rahmen nicht entwickeln, Homosexualität sich nicht kapitalisieren, nur als außerökonomische existieren. Wenn es in sexueller Oekonomie ein allgemeines Äquivalent, phallisches Geld gab, dann doch kein Kapital. Auch ein Don Juan, Frauenheld, konnte seinen durch Warenkörper akkumulierten Sexappeal nur vermittelt in die Waagschale des geschlechtlichen Tauschs werfen, musste jeder neu den Eindruck vermitteln, dies sei wenn schon nicht der erste, so doch zumindest der letzte, beste Kreislauf. Von Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter also kaum eine Spur.

Frauen treten heute – zwei Frauenbewegungen später – als Rechtssubjekte, als freie Warenbesitzerinnen, Verfügerinnen über ihre Anziehungskraft auf. Deshalb gilt: Das sexuiert-sexuelle Subjekt/Objekt ist wie das proletarische ein doppeltes: Warenbesitzerin und Ware. Dabei ist die Möglichkeit der Verfügung über Ware Arbeitskraft verschieden von jener über Ware Anziehungskraft, weil der Preis von Nichttausch/Enthaltsamkeit nämlich Nichtkonsum/Hunger im zweiten Fall leichter zu entrichten ist. Dennoch ist ein Ausstieg aus der sexuellen Oekonomie kaum realisierbar. Der Zirkulationssphäre#5 entzogene, in RZB gelagerte, Anziehungskraft behält (sinkenden) Wert in Latenz und auch Entwertung bis Wertlosigkeit etwa infolge antinormativer (nicht-/intentionaler) Performanz markiert Positionen innerhalb des tableau économique. Letzteres führt eher als zu Verlassen der Oekonomie selbst zu Bildung/Erschließung (neuer) lokaler Märkte (z. B. Subkulturen), deren Wert-Skalen anders justiert oder von alternativen Schönheitsregimen reguliert sind und nicht notwendig in Hierarchie zu den hegemonialen Märkten stehen müssen. Allerdings wirkt auch ohne Geld die Tendenz – kulturindustriell vermittelten – globalen Levellings durch die Differenzierungen hindurch. Augenfälliger noch als an der weiblichen Warenbesitzerin wird die These eines allgemeinen Äquivalents sexueller Oekonomie (i.  e. Phallus) falsifiziert an der Existenz schwuler Oekonomie, die obwohl heute unschwer als ökonomische zu erkennen,#6 von früheren Theorien eher als Unterbrechung der Oekonomie, im besten Falle als Subversion theorisiert wurde.

Vor allem aber kann es in sexueller Oekonomie kein allgemeines Äquivalent geben weil nicht alle Körper gegeneinander tauschbar sind. Es ist als wäre mit Geld (z. B. Euro) nur die Hälfte der Waren (Knöpfe) kaufbar, während es für die andere Hälfte (Hosenträger) anderes Geld bräuchte, bzw. anderen Namen; eine periphere Übergangsökonomie ohne Peripherie, ohne Übergang. Die sexuelle Oekonomie bleibt hinter monetärer zurück, wir »ficken feudal«. Deswegen ist sie aber keine Gebrauchswertökonomie, keine Bedarfswirtschaft.

4. Einfache, einzelne, nicht zufällige Wertform

Die sexuelle Oekonomie befindet sich also in einfacher, einzelner, aber nicht zufälliger Wertform (Form I). Keine Ware kann hier zur allgemeinen, kann zur Geldware werden. Und auch die Starware, Trägerin außergewöhnlich hohen Werts, wird, obwohl von Tausenden begehrt, darum doch nicht zum allgemeinen Äquivalent. Sondern tritt ein nicht in totale, aber entfaltete Wertform (Form II): Star Ware a = x Ware b, y Ware c, z Ware d, usw. – weil die Ware mit der höchsten Anziehungskraft anziehend wirkt auf alle anderen. Wobei x, y und z hier weniger für Quantität, Anzahl von Körpern stehen, sondern eher für verschiedene Qualitäten, Markierungen, d.  h. Produktionsmittel, Maschinerie. Dennoch: wenn auch selten praktisch so doch virtuell (als Maß) kann der Wert des Körper mit hoher Anziehungskraft (etwa 10) durch eine Mehrzahl niedrigwertiger Körper (etwa 2 x 5) ausgedrückt werden.

Prinzipiell (kraft Universalität der Äquivalenz) könnten sich alle Waren ineinander ausdrücken/austauschen. Die Marktbeschränkung heterosexueller, rassisierender, etc. Regulation verhindert das. Auch bei der Star Ware (weder Keanu Reeves noch Johnny Depp können ihren Wert umstandslos gegen die Majorität männlicher Ware umsetzen). Während das Schönheits (Status) regime Werte festsetzt – und keine Grenzen. So kann Tausch unter ungleichen Waren stattfinden, kann sich die Star-Ware gegen alle profanen Waren umsetzen, aber nur in sehr spezifischen Kontexten (die Insel-Robinsonade) und in der Regel über Ausgleich auf anderem ökonomischen Niveau (Geld oder Altruismuskick) ist der höherwertige Körper bereit sich unter Wert zu entäußern. Aber auch bei gleichwertigem Tausch sind die Körper nicht notwendig gleich (ihre Positionen auswechselbar).

Gesetzt heterosexueller Tausch: Die geschlechtliche Hierarchie takes place in der Position, die die Körper und also (geschlechtlichen) Charaktermasken in der Austauschform einnehmen. Der männliche Körper befindet sich in der relativen Wertform, der weibliche in der Äquivalenzform. Marx: »Die Hose drückt ihren Wert aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses Ausdrucks. Die erste Ware spielt eine aktive, die zweite eine passive Rolle« (Marx 23, S. 63). Das heißt: Aktivität/Passivität,#7 Gespiegelt/Spiegelnd (achte auf die subversive Grammatik), Subjekt/Objekt, Geist/Körper, Begehren/Begehrt-Werden (nicht zu vergessen die Rückkopplungsform Begehrt-Werden-Wollen). Tendenziell einseitig drückt der weibliche Körper den männlichen Wert aus, erhält also scheinbar Wert erst durch ihn, im Austausch. »Allerdings schließt der Ausdruck: 1 Hose = 1 Rock oder 1 Hose = 1 Rock wert, auch die Rückbeziehung ein: 1 Rock = 1 Hose oder ›Rock wie Hose‹ « (ebd.). Genau diese Rückbeziehung ist in homosexueller Oekonomie gegeben, ist in heterosexueller Oekonomie blockiert. Allerdings nicht systemisch, nicht oekonomieimmanent. Sondern historisch kontingent durch politisch-sexuelle-juridische-symbolische Regulationsweisen. Butch/Femme, Bottom/Top verkomplizieren das Schema und denaturalisieren es.

5. Sexuelle und monetäre Oekonomie

Obwohl es in sexueller Oekonomie kein Geld gibt kann sie an monetäre angeschlossen werden. Quasi ein simpler Währungswechsel. Sexuiert-sexuelle Arbeitszeit wird gegen Lohnarbeitszeit bzw. Mehrarbeitszeit (Revenue) getauscht. Mit dem Hauptunterschied, dass in der Figur Kuppler/Zuhälterin eine Warenbesitzerin auftritt, die nicht gleichzeitig (in der gleichen Oekonomie) als Ware fungiert. Und Sexualpraxen anhand eines historisch variierenden Perversionsschemas direkt bepreist werden. Die geschlechtliche Hierarchie bleibt im Groben gleich.

Entscheidend für das Verhältnis von sexueller und monetärer Oekonomie ist aber Verknüpfung auf ganz anderem Niveau. Die sexuelle Oekonomie hat die kapitalistische zur Bedingung. Einmal als Voraussetzung der Konkurrenz die Konstruktion Individuum, materiell als Single-Haushalt, der bestimmte Produktivkraftentwicklung erheischt, dann als Warenmonade, in der fetischhaft sich der gesellschaftliche, (zwangs)gemeinschaftliche Zusammenhang deartikuliert (vgl. borderline 2004). Dieses Individuum ist notwendig das doppelt freie, frei zum einen von ständisch-ökonomischer Eheschließung, Leibeigenschaft unter dem Kommando der Institution Eltern, frei zum andern als Vereinzeltes, frei von der Verfügung über die Reproduktionsmittel, die nur kollektiv zu haben wäre. Trotz WG, Szene, Freundschaft trifft die polit-ökonomische Anrufung Subjekte als Einzelne: allein einkaufen, allein abwaschen, allein arbeiten, allein Steuern erklären, immer wieder Prüfung. So betreten die Einzelnen die Arena des Liebesmarktes, die Sphäre libidinöser Zirkulation als Vereinzelte, einander fremde, entfremdete. Der Fetisch Liebe – bürgerliche Konstruktion – ist Ausdruck + Verschleierung dieser Monadologie, Überwindung der Vereinzelung unter Beibehaltung der realen Trennung seine Ideologie. Deren Materialität fällt im großen Groben mit dem Ende des Familienbetriebs. »Aufhebung der Familie!« (Marx/Engels 4, S. 478). Die Einlösung dieser Prognose ist so überfällig wie seit langem bereits reale Tendenz.

Im Gegensatz zu früheren/anderen Modellen sexueller Oekonomie (Irigaray/Goux) kann die Theorie der polysexuellen Oekonomie auch Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit et all konsistent als ökonomische theorisieren. Somit weder Verschleierung der Devianz noch ihre Verklärung als das »ganz andere«. Theorie der polysexuellen Oekonomie ist darin Ausdruck eines historischen Prozesses, in den/m alle vergangenen Kämpfe um Integration und Verschiebung (Frauen/ Homos/Transen/usw.) münden und weiterhin treibend bleiben. Sie lässt historisch einzigartig die Möglichkeit einer sexuellen Oekonomie erblicken, die zum ersten Mal in der Geschichte nicht ständisch-feudal, nicht rassexistisch-segregationistisch strukturiert wäre, ein universeller (Welt)Markt, auf dem alle Körper als Waren auftreten, ineinander tauschbar sind (welche Verzögerung, siehe 1789).

B. Der Transformationsprozess

1. Kritik

Von hier aus erweist sich die Kritik der 70er/ff, die die monogame Beziehung und ihr emotionales Pendant Eifersucht mit den Kategorien Eigentum/Besitzanspruch kritisierte als als an ihrem Anspruch gemessen wenig antikapitalistisch. Es ist Kritik des fordistischen Akkumulationsregimes, die die in ehelichen, d. h. hier hetero- und cissexuellen Sparstrümpfen (wifebeater / Liebestöter) brachliegenden Werte rekapitalisieren, der Zirkulationssphäre zuführen will. Dementsprechend ist aus Perspektive der Liebesökonomie auch die Abschaffung von Patriarchat, Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität lediglich Liberalisierung des Marktes. Abschaffung der Monogamie somit Abbau von Protektionismus, seiner rigiden Strafzölle, engen Grenzen (damit auch der Lust ihrer Überschreitung). Begrüßenswerte Liberalisierung, d. i. Oekonomisierung: Abschaffung der Zwangsheterosexualität ist gleich Effizienzsteigerung um beinahe 100 %. Erwartbare Freisetzung von Kapazitäten im Sinne von Tausch/Verwertungs-Möglichkeiten bei Entmachtung der Paarmonogamie gestaffelt nach Alter zuweilen noch höher.

In entgrenzter Weise, der verallgemeinerten Erlaubnis der Demokratie d. i. tendenziell desexuiert, west hier die Falle sexueller Befreiung fort, deren Protagonisten sich befreit fühlen konnten auf Grundlage einer ideologisch abgesicherten ständigen Verfügbarkeit weiblicher Körper, die keine Komplikationen machen. Zudem ist die Realisierung der Universalität der Äquivalenz gleichbedeutend mit Totalisierung der Wertform, Minderung der Knappheit, gleichzeitig Ausweitung der Konkurrenz, d.  h. nicht »alle mit allen«, sondern »jede mit jeder«, also auch »gegen jede«. Die Liberalisierung ist keine Befreiung individuell/subindividueller Differenz, sondern ihre wertförmige Normierung. Somit einerseits Anhalten der ungleichen Verteilung von Produktionsmitteln (->Ausbeutung) andererseits verallgemeinerte Erhöhung des Produktivitätszwangs. Die Ideologie des work-out nennt diese Tendenz beim Namen.

Liberalisierung der Oekonomie ist also Abschaffung ihrer Begrenzungen, nicht bereits Abschaffung der Oekonomie, um die es geht. Gesucht wird ein Modus von Vergesellschaftung, der weder der (unterkonsumptiv-)krisenhafte des Single-Marktes ist, noch der des Paars, des Ehevertrags, Handelsabkommen auf Lebensabschnittszeit. Weder protokapitalistische Oekonomie allgemeiner Konkurrenz also, noch sozialistische, Planwirtschaft, die die Armut (eine und nur eine Ware Anziehungskraft für jede[n?]) für die Ewigkeit verwaltet. So gestellt, springt die Lösung des Problems unmittelbar ins Auge: Gesucht wird Communismus.

2. Party

Die (polysex) Party ist Teil der »wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (Marx/Engels 3, 35), wenn sie weder Zirkulation ist für spätere Konsumtion, Mittel für den Zweck der Zwei, noch autistischer Selbstzweck, isoliertes Vergnügen an der Aufhebung der Grenzen nüchterner Alltagsbekanntschaft. Wenn sie die Flirtinstrumentalität mit Abschleppzweck der Singlepartys ebenso überschreitet wie die genitale Reduktion der Körper, den narzisstischen Bodycount (Indifferenz bloßer Zahl: I fucked twelve tonight) der Sexpartys. Sie forciert die Tendenz fortschreitender Oekonomisierung wie sie in Richtung derer Aufhebung tendiert, wenn sie in der Universalität endloser Differenz, die die Körper einander als fremde nahe bringt, das Potenzial veränderter Vergesellschaftung ergreift. Universalität endloser Differenz, in der paradoxerweise die Trennung auf der Seite der Universalität angesiedelt ist, der Gleichheit der Wertvergesellschaftung (gleichWertigkeit), die >nachträglich< die voneinander Getrennten vergleichbar macht. Gleich sind die Körper, insofern sie alle der Herrschaft desselben Wertgesetzes unterworfen sind. Ungleich, insofern sie diese Herrschaft ungleich hart trifft. Erst an der einen Norm gemessen, werden sie als Mehr und Minder quantifizierbar, universell hierarchisierbar. Erst das Schönheitsregime bringt die Hässlichen hervor und mit ihnen die alle ergreifende Angst: übrig zu bleiben.

3. Liebe

Im Kontrast hierzu tritt das emanzipatorische Moment der Liebe hervor, welches besteht in ihrer tendenziell entwertenden/devaluierenden Funktion. Zu sehen an der in fester Beziehung einsetzenden Verwahrlosung in folge (beidseitiger) appellativer Arbeitszeitreduzierung. Deutlicher noch daran, dass innerhalb von RZB auf die Frage »findest du mich schön?« die Antwort »ja, weil ich dich liebe« folgt, was bekanntlich keine Antwort auf die Frage ist, sondern Eingeständnis des Verlusts von Urteilskraft. Als wäre Schönheit Privatanschauung und nicht objektiv gesellschaftliche Kategorie zur Klassifikation der Körper, d.  i. Herrschaft. Die Illusion, es könne hierin auch nur ein Jota subjektives Empfinden eingehen, ist die Verblendung der Liebenden, die zu retten ist.

Und gerettet werden kann nur, indem die Notwendigkeit dieser Ideologie sistiert wird. In sexueller Sehn-Sucht, libidinöser Bedürftigkeit, Fetisch Liebe kurz: Mangel (Knappheit) artikuliert sich lediglich spezifische soziale Organisation, die at the core kapitalistischer Vergesellschaftung liegt. Monadologie der Ware. Einsamkeit der Anziehungskraft, der Attraktion im Feld struktureller Repulsion. Das ist was nervt. Wie der Hunger beim Essen die Entfaltung der Geschmackssinne blockiert, so der grundlegende Mangel, der sich als verdinglichte also negative Abhängigkeit äußert, die Entfaltung der Lust. Bekanntlich gilt: L’amour est l’enfant de la liberté [die Liebe ist die Tochter der Freiheit]. Das lässt sich jetzt anders aufschlüsseln: Freiheit, die als positive nur kollektiv, nur kommunistisch zu haben ist, macht Liebe als notwendige, als fetischhaften Ausdruck der Unfreiheit überflüssig, genauer: hebt sie auf.

4. Partnerin, Single. Freundin

Das heißt die Entscheidung zurückzuweisen zwischen Freiheit (der Zirkulation) und Sicherheit (garantierter und garantiert beschränkter Konsumtion). Das heißt die Struktur zu fokussieren, die beide Pole dieser ausschließenden Entscheidung (inklusive der reformistischen Option »offene Beziehung«) einschließt, sie als binäre Alternative konstituiert. Die Sphäre des Austauschprozesses ist hierfür zu verlassen. Paar und Single erscheinen dann als zwei Seiten einer hierarchischen Dualität, die wie jede Dichotomie – natürlich – zu dekonstruieren ist. Das Singlesein als Abwesenheit der Paarbeziehung, als ihre temporäre Unterbrechung, die keine Alternative zulässt. Was übersieht, dass das Gegenteil von eingesperrt nicht notwendig ausgesperrt lautet, dass keine einsame Eins sein muss, wer nicht Teil einer zweisamen Zwei ist. Was übersieht, dass die Freundin nicht notwendig die Partnerin ist. Neither girl- nor boy-friend, just friend, friends. Sie sind das unsichtbare Dritte, die Leerstelle innerhalb der Dichotomie Single-Partnerin. Selbst Teil sexueller Oekonomie als Gesamtprozess der Reproduktion (Produktion, Zirkulation, Konsumtion), wenngleich deartikulierter, verschleierter. Wie die Frau die Arbeitskraft des Mannes reproduziert, so die Freundin diejenige der Frau. Es ist der Diskurs weiblicher Freundschaft, Supervision für die Beziehungsarbeit verrichtende Beziehungsarbeiterin, der die RZB stützt. »Wie läufts?«, »Habt ihr noch Streit?«, »Wie geht es ihm?« Beständiges unentgeltliches Beratungsgespräch. Heterosexualität und damit Zweigeschlechtlichkeit vorrausgesetzt nach folgender Regel: Meistens von Frau zu Frau, häufig von Mann zu Frau, manchmal von Frau zu Mann, von Mann zu Mann fast nie. Dabei kann die Freundin durchaus auch der beste Freund sein, der prototypisch unglücklich verliebt bei jedem nächsten Korb, Beziehungskrach, hoffnungsvoll helfend herbeieilt, in aller Regel leer ausgeht oder nach einer schließlich gewährten Beziehungsprobefrist auf Mitleidsbasis endgültig abgesetzt wird. Eine Rolle, die auch von einem Mädchen gespielt werden kann, solange das Lesbierinnentum nicht offiziell wird. Weswegen es für die metropolitane Partnerin nicht nur schick, sondern auch funktional ist, die Stelle direkt mit einem besten schwulen Freund zu besetzen.

Anyway, wie viele Mädchen haben es einander geschworen: dass ihre Freundschaft mehr bedeute als irgendeine Liebschaft, sich durch keinen dahergelaufenen Mann mehr erschüttern lassen werde? Meist gerade nach der Trennung von solchem. Und bis zur nächsten Bekanntschaft mit solchem. Vielleicht hat es das auf der anderen Seite auch gegeben, bei den Jungs, wie das früher hieß, zumindest dort, wo ein Rest von Zärtlichkeit gestattet war. Es waren wohlfeile Versprechen. Sie wurden so häufig gebrochen wie gegeben. Lange gehalten haben sie nie. Dennoch wurde an sie geglaubt. Eine lange Geschichte gebrochener Herzen, weniger glamourös als die der offiziellen Teenagerbiographie. Aber die Geschichte der nachhaltigeren Verletzung; ein anhaltendes Misstrauen gegenüber der Freundschaft konstituiert sie. Und eben darum bleibt sie lebendig. Das Versprechen wurde gegeben; immer noch uneingelöst harrt es seiner Realisierung. Wäre es nicht Zeit, das Versprechen zu erneuern? Nicht mit derselben messianischen Kraft wie damals versteht sich und ohne blindes Vertrauen. Aber die einfache Bitte würde ja reichen: Lass es uns noch mal versuchen. Diesmal enttäuschen wir uns nicht. Ich verspreche es.

5. Weiter

Und wenn die Bitte nicht reicht? Dann bedarf es anderer Mittel. Alle Romanzen stehen still, wenn dein zarter Arm es will. Wie die italienischen Reproarbeiterinnen den Haushaltsstreik (Reprostreik auf allen Ebenen - Sex/Kinder/Haushalt-Machen) erwogen, so erscheint auch jetzt der Freundinnenschafts-Streik als Option. Aber andersrum. »Die Kritik an der RZB muss da ansetzen, wo sie selbst auch ansetzt, an unzulänglichen Freundschaftskonzeptionen« (fremdgenese 2005). Es ist die Schwäche der Freundschaft selbst, die die RZB erst ermöglicht, indem sie sie nötig macht. Deswegen nicht streiken, nicht zurückziehen, sondern ausweiten, die Freundschaft durchaus auch normativ gegenüber der Partnerschaft privilegieren, die realen Tendenzen in diese Richtung weiter forcieren. Dabei ist die einfachste Technik der Ausdehnung, jene in der RZB erlernten und auf sie beschränkten Verhaltensweisen auszuweiten, die zu ihren bekannten unangenehmen Eigenschaften gehören: Beleidigt spielen/sein, sich anstellen, schmollen, zicken, Ansprüche stellen, kurz: der Szene eine Szene machen. All das was in reality »romantische« Beziehung von »rationaler« trennt (und was bereits angelegt ist im Modell Weibliche Freundschaft). Psychos veröffentlichen also. Wem das zu viel wird zieht sich zurück – zurück in die RZB, wo der wahre Terror der Intimität beginnt. Weiter. Verallgemeinerte Verantwortung, in der alle auch darauf achten, dass niemand abkackt. Nach Hause gehen zu dritt, viert, n-t. Restlos. Und wer sagt überhaupt, dass die Nacht irgendwann zu enden hat. Regelmäßige sleep-over – unter der Woche. Weiter. Beredte Offenheit, übergangsweise Verschwiegenheit, der es bedarf für die Sicherheit sich fallen zu lassen in dieses vielknotige Netz. Auch von hier lassen sich noch andere Einblicke gewinnen, wenig steht emanzipatorischer Theorie weniger als Monologie. Weiter. Mit der besten Freundin schlafen (have sex with your best friend). Und auch nüchtern. Im konsumtiven Austausch: Entwertung genitaler Währung and so on. Weiter. Gemeinsames Baden. Solange es Sonntage gibt: Institutionalisierung des ganztäglichen TV-Kuschelns in Unterwäsche. Größere Betten.

Winzige Bewegungen in Richtung anderer Vergesellschaftung, die Umwälzung aller materiellen Reproduktionsbedingungen bedingt oder nach sich ziehen müssen, usw. Weder Scholle/Familie noch Atom/Gen. Kollektivität auf erweiterter Stufenleiter, nicht als umfassender Kreis also, eher als Netz, Vielheit ineinander geschobener, proklamiert offener Ringe. Und nicht die Sicherheit prästabilierter Harmonie, die – bis dass der Tod uns scheidet – die Zukunft erlischen lässt. Still im Hintergrund schlummert hier die Gefahr repressiver Vergemeinschaftung. Da hilft auch kein Jammern es sei diesmal ganz anders gemeint. Stattdessen: die Ohren spitzen für dieses selige Schnarchen, darauf achten, dass es nicht plötzlich erstirbt und die Bestie erwacht. Vor allem also to keep in mind bei der magischen Formel knarzig-flirrender Freundschaftskontexte (vgl. Hörbe 99), dass die Freundinnenschaft nicht nur flirrend ist, sondern auch knarzig. Dann kann sie sein die freie Assoziation, die durch keine vorgehende Konstitution begrenzt wird, keine mögliche Verbindung aller möglichen Körper ausschließt. Allseitige Austauschbarkeit ist ihre Voraussetzung, die sie überwindet. Hier die mit Recht beerdigte Teleologie wieder ausgraben, denn die Oekonomisierung ist die schwere Artillerie, die die Idiotie der Heterosexualität, Borniertheit der Zweigeschlechtlichkeit and so on hinwegfegt, alles Ständische und Stehende verdampft. In ihr existiert die Lust nicht mehr nur innerhalb der engen Beschränkungen des Geschlechts, der Farbe, wenn auch noch innerhalb jener von Schönheit/Gesundheit, Genitalität. Dann: Wo der Markt verüberflüssigt wird, die normative Währung entwertet, beginnt Communismus, polysexuell.

Bini Adamczak

 

 

*.notes

 

  1__: Cissexualität – das Gegenteil von Transsexualität, statt (lat.) Jenseitigkeit also Diesseitigkeit, profane.

 

  2__: Der sexuellen Oekonomie entspricht bestimmte Psycho-Oekonomie. Sublimation, Substitution, die im Widerholungszwang die chronisch frei gewordene Stelle von Mutter, Vater, Pama, Mapa neu zu besetzen sucht, funktioniert nach der Logik geschlechtlicher Äquivalenz. Das Homosexualitätstabu behindert freies Fluktuieren der Wertausdrücke, Körper als Träger sexuellen Werts.

 

3__: Von diesem ehemaligen lesbischen Bruch mit den im Dienste des männlichen Blicks stehenden weiblichen Schönheitsidealen ist in l-word freilich kaum noch etwas zu sehen. Allerdings ist diese Kritik in der Serie präsent, weswegen sie in der zweiten Staffel den männlichen Voyeur selbstreflexiv mitrepräsentiert und sich dann in Folge 3.03 »lobster« vor dem Blick der nicht-bourgeoisen Butch vom Land selbst dekonstruiert.

 

4__: Maschinerie kapitalistischen Typs ist angeeignete tote Arbeit. Dies trifft auf die sexuelle Oekonomie regierende Norm nicht zu, wie es dort überhaupt auch keine Formverwandlung/Metarmorphose, Reproduktion welcher Stufenleiter auch immer im Kreislauf gibt, also auch kein Kapital.

 

5__: Streng genommen ist der Begriff Zirkulation hier falsch, da Zirkulation im Gegensatz zu Austausch nur unter der Bedingung von Geld existiert. Streng genommen.

 

6__: Schwule Oekonomie ist die sexuelle Oekonomie mit der höchsten Zirkulationsgeschwindigkeit. Schön zu sehen etwa an der GB-, mehr noch an der US-Serie Queer as Folks, wo zudem im vorgestellten Freundeskreis sexueller Wert beinahe unmittelbar in sozialen übersetzt wird.

 

7__: Dieses Herzstück der Theorie hat sich Zwi Schritkopcher ausgedacht.

 

 

*.ref

 

borderline 2004: Mein Gesicht, dein Spiegel. Einsamkeit im Kapitalismus, in: sinistramagazine, http://www.copyriot.com/sinistra/ magazine/ sin04/spiegel.html

 

 fremdgenese 2005: Die romantische Zweierbeziehung. Beleuchtung einer trotzigen linken Praxis, in: sinistramagazine. http://www.copyriot.com/ sinistra/magazine/sin05/rzb.html

 

Goux, Jean-Joseph 1975: Freud, Marx. Oekonomie und Symbolik, Frankfurt-Berlin-Wien

 

Hörbe, Kim Hannah (t. a. f. k. a. Hörbe, Wolfgang / Mecha, Monika) 1999: Trans Queerrr Express *(you make me) feel like ...*, in: diskus 3/99, http://www.copyriot.com/diskus/3_99/5.htm

 

Irigaray, Luce 1979: Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin  

 

Marx/Engels 3: Die deutsche Ideologie, MEW 3

 

Marx/Engels 4: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 3

 

Marx, Karl 19: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19

 

Marx, Karl 23: Das Kapital Bd. I, MEW 23