diskus 1/00

Cyborg-Pop

Ein Ausflug in die Geschlechterwelt des Manga - und anime-Science-Fiction

Im letzten diskus wurden in »Cyborgbaustelle aus Miszellen« Potentiale feministischer Cyborg-Entwürfe angesichts einer dominierenden heterosexistischen Technoscience ausgelotet. Der folgende Text behandelt ein spezielles Terrain populärer Cyborg-Mythen: Verschiedene aus Japan kommende Comics (manga) und Zeichentrickfilme (anime) aus dem Science-Fiction-Genre werden besonders in bezug auf das sich in ihnen ausdrückende Verhältnis von Technologie und Geschlecht untersucht. Alle behandelten Produkte sind oder waren auf dem deutschen Markt als Comic-Hefte und/oder als Videos erhältlich. Der Film Ghost in the Shell lief vor etwa drei Jahren in deutschen Programmkinos. Werden Hefte und Filme in der Comic-Szene vermehrt rezipiert, so verbreiten sich die typischen Bilder des Genres zunehmend auch in anderen Kontexten - in Mode ist etwa die Verwendung von Manga-Zeichnungen als Anreisser auf Techno-Party-Flyern. (Red.)

»Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.«
Theodor W. Adorno

Die Kämpferinnen im Science-Fiction (SF)-Genre der japanischen manga und anime stehen in der Tradition der US-amerikanischen und franco-belgischen Superheldinnen wie Superwoman und Barbarella. Ihre extrem stereotypisierten Körper entsprechen stark sexualisierten Bildern von zarten Teenagern und erwachsenen Frauen, von weiblichen Körpern nackt oder in eng anliegenden Kampfanzügen, dynamisch und immer wieder der Zerstückelung in Kampfszenen ausgesetzt. Die SF-manga und -anime sind keine Pornos im engen Sinne, aber dennoch Ausdruck der Kapitalisierung von Sexualität und somit pornographische Waren. Pornographie ist keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern Ausgangspunkt vielfältiger Darstellungsweisen von Sexualität, die durch verschiedene Zensurmechanismen geformt werden (vgl. Butler 1997) und an dem sozialen Management von Sexualität in der spätkapitalistischen Gesellschaft teilhaben. Die Körper der SF-Heldinnen lassen sich als Vokabular dieses sozialen Managements verstehen. (vgl. Singer 1999)

fight against perversion

Gezeichnet werden diese Bilder komplementär zu einer in der Regel männlich besetzten Technowelt, die von den Heldinnen bekämpft wird, zugleich aber den Rahmen festlegt, in dem sie überhaupt agieren können. In der anime-Serie Iczer One kommt dies beispielsweise in einer einem normmännlichen Muskelkörper nachgebauten überdimensionierten Kampf- maschine zum Ausdruck. Um gegen die gewaltsame Kolonisierung der Erde durch die Nomadinnen Cthulhu - die nach einer endlosen Reise durch das All zur Ruhe kommen wollen - zu kämpfen, muss die abtrünnige Androide Iczer sich mit einem Menschen vereinigen. Die als Vamp mit Katzenohren und im Bikini dargestellte Iczer wählt Nagisa aus, eine in einer Kleinfamilie lebende Siebzehnjährige. Die Cthulhu besitzen Technologie und dämonische Kräfte und setzen sie im Kampf ein. Ihre Technologie ist körperlos wie ihre für den Kampfeinsatz produzierte Androide Iczer 2. Die Gegenwaffe von Iczer stellt die bereits erwähnte Kampfmaschine dar, ein Körperpanzer, in dem Iczer und Nagisa zur Vereinigung ihrer Kräfte eine erotisch-technologische Symbiose miteinander eingehen: an den nackten Mädchenkörper Nagisas sind Kabel angeschlossen. Damit wird diejenige Technologieform der anderen positiv gegenübergestellt, die mit dem als nicht-technologisch gedachten menschlichen Körper eine symbiotische Verbindung eingehen kann. Die als dämonisch und übermächtig negativ konnotierte Technologie der Cthulhu ist mit einem Sexualitätsdiskurs verknüpft: Die feindlichen Cthulhu praktizieren lesbische Liebe, wie in den ersten Sequenzen des Films über die Andeutung einer Bettszene klar gemacht wird. Iczer und Nagisa führen in diesem in der Tradition der Mädchen-manga (für Mädchen bestimmt) stehenden Science Fiction mit ausschließlich weiblichen Hauptfiguren letztendlich ihren Krieg gegen alles, was nicht der gesellschaftlichen Sexualnorm entspricht. Sind die Monster der lesbischen Liebe und der körperlosen Technologie besiegt, kann Nagisa wieder in ihre Kleinfamilie und ihre andere Hälfte, die Androide im Kampfbikini, zu den Cthulhu zurückkehren, deren negative Seiten der Techno-Gewalttätigkeit und des erotischen Exzesses sie vorher bekämpft hatten. Der Kampf in den Actionszenen des Films erzählt von Körperdisziplinierung, der Sexualitätsdiskurs von der heterosexuellen Normierung als Verwaltung und Nutzbarmachung des erotischen Exzesses. In den auf dem deutschen Markt erhältlichen SF-manga und -anime gibt es unglaublich viele dieser entweder auf männliche oder weibliche Teenager, selten auf beide Geschlechter zugeschnittenen Geschichten der Initiation in die heterosexistische Erwachsenenwelt. In der manga-Serie Neon Genesis Evangelion muss ein Vierzehnjähriger mit einem gleichaltrigen Mädchen eine Symbiose eingehen, die durch einen Tanz, in dem die Bewegungen genau aufeinander abgestimmt sind, symbolisiert wird. Nur so können die beiden die Kampfhandlungen der Maschinen Eva 01 und Eva 02 im Einsatz gegen gigantische, den Menschen bedrohende Engel koordinieren. Gedoppelt wird der zwangsheterosexuelle Diskurs durch die zum Teil vaginaartige Form der Eva-Kampfmaschinen und den verschiedenen gegnerischen Engeln, die beispielsweise die Form eines erigierten Schwanzes, zum Teil abstrakt die Form einer mit der Spitze nach oben gerichteten Pyramide annehmen. Ein echter populärer Aufklärungsroman für Jugendliche, der nicht nur dokumentiert, wie sexuelle Kontrolle durch Anreiz funktionieren kann, sondern auch die doppelte Wirkungsweise von Zensur in Japan und andernorts als einschränkend und als produktiv vorführt. Genitalien dürfen nicht gezeigt werden: also wird etwas anderes als Genital gezeichnet. Neon Genesis Evangelion bedient wie viele der nicht explizit pornographischen manga übrigens auch noch ein anderes Klientel: Zeichenhaft wird über eine Brille, die auf dem Nachtisch liegt, eine sexuelle Beziehung zwischen einer Vierzehnjährigen und einem erwachsenen Mann angedeutet. Zwischen der kontinuierlichen Enttabuisierung und Retabuisierung von sexuellen Praktiken findet eine Vervielfältigung des Möglichen und des gesellschaftlich Zulässigen statt, die normverletzend sein kann, nie aber die heterosexistische Ökonomie in Frage stellt. Nicht zu übersehen ist die Reproduktion religiöser Mythen in SF-Comics. Nicht erst seit Star Wars, sondern von Beginn an gehen im Comic Science Fiction und Fantasy, Technologie und Magie, eine enge Verbindung miteinander ein: Science Fantasy. Gewalttätige Technologie wird dämonisiert und ihr eine gesellschaftlich kompatible, magisch-faszinierende Technologievariante gegenübergestellt, die sich insofern mit dem Geschlechterdiskurs verbindet, als dass sie innnerhalb des SF-Genre des manga und anime sehr oft weiblich besetzt ist. Ein weiteres, aber vergleichsweise simples Beispiel für eine Geschichte der Initiation in die heterosexistische Ordnung stellt die anime-Serie Moldiver dar: Hier schlüpfen Bruder und Schwester abwechselnd in das maskuline Superheldenkostüm des Captain Tokyo, um gegen das Wirken feindlicher Androiden vorzugehen. Am Schluss versagt das männliche Kampfkostüm und die Protagonistin Mirai stürzt ab: falsch programmiert. Jetzt muss doch ihr großer Bruder helfen, der sie schnell umprogrammiert: Mirai kann nun - angesichts ihres Schwarms - ihren Einsatz als durchgestylte Frau im Kostümchen (»und vor allem: ich sehe gut aus«) und nicht als Mann mit Muskelpaketen vollenden. Die Überschreitung der Geschlechtergrenzen, das Spiel mit geschlechtlicher Ambivalenz ist nur eine Möglichkeit innerhalb eines Moratoriums und wird alsbald wieder ausgeschlossen.

fight against identity


Für ein erwachsenes Publikum sind manga und anime Ghost in the Shell produziert worden. Die Protagonistin, eine Cyborg, kämpft im Namen des Geheimdienstes Section 9 als Major gegen einen Dämon, der körperlos und als künstliche Intelligenz ohne psychische Form die gesellschaftliche Ordnung bedroht. Wer lebt und wer nicht lebt, ist nur bestimmt durch das Vorhandensein bzw. das Fehlen eines ghosts, einer psychischen oder seelischen Form. Die Cyborg Major Motoko Kusanagi ist eine Meisterin der Cyborg-Philosophie. Ihre langen monologhaften Reden werden von Selbstzweifeln ausgelöst: Ist sie wirklich eine Cyborg oder vielleicht doch nur eine Maschine mit einprogrammiertem Erinnerungsvermögen? Motokos Identitätsprobleme werden gelöst durch die Symbiose mit einer/einem feindlichen Androiden (äußerlich ein verstümmelter weiblicher Körper, im Film mit einer männlichen tiefen Stimme). In einem Mädchenkörper kann sie gegen Ende des Films ihrem männlich-maschinellen Kampfpartner Batou in seinem bürgerlichen Wohnzimmer sagen, dass sie ihren neuen Zustand der Identitätslosigkeit bejaht: Sie ist weder Major der Kampftruppe noch das Programm, mit dem sie sich vereinigt hat. Sie gibt vor, nicht mehr durch die Grenzen ihrer Persönlichkeit eingeengt zu werden. Sie möchte nun ganz aufgehen im Netz, das alles zu bieten scheint: »Das Netz ist weit und unendlich«. Dass nichts von ihrer vorherigen Identität geblieben sei, dem ist nur bedingt zuzustimmen. Es ist nicht zu übersehen, dass sie ihr Geschlecht beibehalten hat. Der nach der Zerstückelung im Kampf mit der/dem feindlichen Androiden verloren gegangene Körper einer erwachsenen Frau wird ersetzt durch einen Mädchenkörper, den ihr Cyborg-Kollege in aller Eile auf dem Schwarzmarkt erstanden hat. Motoko ist und bleibt eindeutig weiblich. Sie geht in ein Netz ein und darin auf. Dies entbindet sie nicht ihrer Verpflichtung zur Reproduktion. Batous bürgerlich-wohligem Heim (Motoko: »Die Einrichtung hier zeugt von sehr gutem Geschmack«) konnte sie den Rücken kehren. Sie schlägt sein Angebot aus, für immer dort zu bleiben, bezeichnet sich selbst als neugeborene Frau und vereinbart noch schnell als Ausdruck von Intimität beim Herausgehen ein Password mit ihm - falls sie sich wiedertreffen. So wird im Genre die Verabschiedung traditioneller Geschlechterrollen zur Darstellung gebracht, nie aber ohne Geschlecht wieder neu zu mythisieren: Motoko wird im Netz nicht ein neues, nur ein modifiziertes Geschlecht annehmen, wie sie in der Symbiose mit dem/der Androiden sich erst reproduzieren konnte, wird sie nun - weiterhin in einem weiblichen Körper vergeschlechtlicht - »Nachkommen produzieren und ins Netz einspeisen«. Ghost in the Shell markiert eine Wendung von Science Fiction als Gegenüberstellung von gesellschaftlich akzeptabler und inakzeptabler Technologie hin zu einer beinahe rückhaltlosen Affirmierung von Technologie unter Beibehaltung des Geschlechtergegensatzes. Die Geschlechterkostüme, die den Androiden und Cyborgs bleiben, scheinen als ›natürlich‹ oder ›biologisch‹ codiert in diesem SF-Genre das letzte Widerstandsmoment gegen die Durchtechnologisierung zu bilden.

kill the butterfly


Selbst Teil der weit verzweigten Sexindustrie einer Gesellschaft, in der Pornographie eine wichtige Funktion der Produktion und der Kontrolle von Lüsten übernommen hat, verbirgt Science Fiction nicht, wo die Prügel liegen, die Donald Duck oder Motoko erhält. Die Körper der Androiden und Cyborgs sind Hüllen, Kostüme, Masken. Sie sind hergestellt und austauschbar. Selbst Ausdruck eines unerbittlichen Geschlechterdiskurses, wird die Produktion eines solchen verdeutlicht, und Brüche werden sichtbar gemacht. Die Waffe, die Cyborg Battle Angel Alita auf einen Schmetterlinge richtet, statt ihn mit großen Augen zu bewundern, könnten andere Cyborgs in anderen Geschichten auf die Symbole des Patriarchats und seinen Geschlechtszuschreibungen richten. Oder sie könnten sich die verschiedensten Geschlechtskostüme von der Stange kaufen. Oder sie könnten ...

Michaela Lönneberger

txt:
  • Theodor W. Adorno/ Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. S. Fischer Verlag, 1969
  • Jacqueline Berndt: Phänomen Manga. Comic-Kultur in Japan. Edition q, 1995
  • Offe, Claus (Hg.) 1984: Arbeitsgesellschaft, Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. FfM/N.Y.
  • Judith Butler: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin Verlag, 1997
  • Bernd Dolle-Weinkauf: Comics. Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945. Beltz Verlag, 1990
  • Michaela Lönneberger: Bilder-Sprache. Kinder, Comics, Wissenschaft, in: links 306/302, 1995
  • Linda Singer: Sex und die Logik des Spätkapitalismus. b_books, 1999

Comics und Filme:

  • Iczer One, I und II. anime. R: Toshikiro Hirano. Cinemabilia, 1999.
  • Yoshiyuki Sadamato/Gainax: Neon Genesis Evangelion 1- 4. manga. Carlsen Verlag, 1999. Auch erhältlich als anime bei A.D. Vision (R: Hideaki Anno).
  • Moldiver. Teil 1 - 6; R: Hirohide Fujiwara; erhältlich bei a.c.o.g.
  • å Masamune Shirow: Ghost in the Shell. anime. Manga Video, 1996. Auch als manga in drei Teilen erhältlich bei Feest Comics.
  • Yukito Kishiro: Battle Angel Alita. manga. Carlsen Verlag, seit 1996 zahlreiche Bände.

manga und anime im Internet:

  • www.neo-ami.de/index.shtml (Rezensionen)
  • jasms.freepage.de/index.html (Übersicht)
  • www.informatik.hu-berlin.de/~carow/anime.html
  • www.geocities.com/Tokyo/Ginza/7639/msring.html (Masamune Shirow Webring mit Suchmaschine)
  • home.snafu.de/n.adam/manga/ghost_e.htm (zu Ghost in the Shell)