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editorial

Arbeit ist immer und überall. Zu tun gibt's genug, um das alltägliche Leben geregelt zu bekommen. Essen organisieren, Zimmer klarmachen, Infos einholen, sich um seine Leute kümmern ... und notgedrungen auch noch lohnarbeiten gehen. Während die Grundbedingungen, unter denen all das zu geschehen hat, ernüchternd anhalten, werden die Ein- und Ausschlussmodi der Arbeitswelt gehörig durchgemischt. Aktuell wird ausgehandelt, welche Qualitäten die neuen Beschäftigungsverhältnisse haben, welche Eigenschaften als arbeitsrelevant gelten sowie was überhaupt als gesellschaftlich notwendige Arbeit anerkannt wird.

Das Leitbild langer, nach Position im Arbeitsleben ausgerichteter Phasen – sei es Ausbildung, Hausarbeit oder gesicherte Lohnarbeit – bröckelt. Statt standardisierten Lebensweisen gilt als zeitgemäss, sich permanent umzuschauen nach temporären Anstellungen, sich neue Qualifikationen draufzuschaffen oder gar den eigenen Job selbst zu erfinden. Die neue Hymne »Betreibe flexibles Management deines Selbst!« löst jedoch Disziplinierungen nicht auf, sondern etabliert neue formierende Zwänge. Um etwa in Jobsegmenten wie Medientechnologie und Sozialmanagement produktiv zu harmonieren, ist absolute Kontrolle der »ganzen Subjektivität« gefordert. Auch althergebrachte sexuelle Anforderungen – wie und wo auf welche Weise Frausein, Mannsein, hetera/o etc. sein müssen – werden keineswegs obsolet, sondern reartikulieren sich im modifizierten Setting.

Bei all dem fliessen auch Elemente linker, feministischer Kritiken an old school-mässigen Arbeitsverhältnissen spezifisch umgeformt in die neuen Arrangements ein. So propagiert die moderne Unternehmens-

führung etwa die Produktivität flacher Hierarchien und eines aufmerksam-menschlichen Umgangs. Die lancierte Stimmung von Familiarität im Betrieb und oftmals eher lose Anstellungsgarantien erschweren es, gemeinsame Interessen gegenüber den BesitzerInnen der Produktionsmittel zu formulieren oder gar durchzusetzen. Unter diesen Umständen nimmt Taktieren und Checken zu: Wie weit kann man sich anpassen oder auflehnen; wer von den KollegInnen geht nicht darin auf, zum prima Funktionieren des Ladens beizutragen; etc.?

Diskussionen um Arbeit kaprizieren sich allzuoft auf neue »Qualitäten« von (Lohn-)Arbeit. Irritierend ist dies, wenn dabei jene gravierenden Veränderungen ausgeblendet werden, die die Sicherung der Existenz immer »herausfordernder«, »chancenreicher«, also zum waschechten Problem machen. Veränderte Arbeitsverhältnisse bedeutet insbesondere Prekarisierung. Bezogen auf konkrete Anstellungsverhältnisse bildet diese schlicht das Pendant zur Flexibilität – freiere Arbeitszeitgestaltung etwa korrespondiert mit eingeschränkten Absicherungen. Neben diesen Anstellungsbedingungen wird aber auch die gesamte Lebensperspektive brüchiger. So grassieren auch unter Leuten, die mittlere bis höhere Bildungstitel in der

Tasche haben, für vieles hinreichend qualifiziert, bzw. qualifizierbar sind, ernste Sorgen um die eigene Existenzsicherung. Da nur die wenigsten entsprechende Finanzressourcen im Rücken oder das nötige »standing« aufweisen und angesichts ausgedünnter staatlicher Sicherungssyste-me und wenig tragfä-higer selbstorgansierter Unterstützungsnetze

herrscht Hektik um beständige Qualifikation, Stress (noch nie gingen so viele Bekannte mit Knirschschienen ins Bett) und oftmals Ratlosigkeit, was in einigen Jahren sein soll.

Gleichwohl reicht die Prekarität solcher sozialer Schichten nur in Ausnahmefällen an die Existenzgrenze heran, nach »unten« bleibt es in der Regel abgefedert. Dort hat das Zusammenspiel staatlicher und privatwirtschaftlicher Politik längst einen extra fiesen Niedrig-Lohn-Bereich etabliert. In diesem Bereich »Freigesetzte« werden verschärft in idiotische Arbeitsprogramme hineingezwungen: Hauptsache, die Leute tun was, statt nur staatliche Almosen zu kassieren.

Die Hochausgebeuteten werden entsprechend der Ideologie der Sauberen-Hände-Ökonomie nur gelegentlich sichtbar, etwa wenn sie an stickigen Verkehrskreuzen die FR verchecken. Ansonsten: Nachts Bürogebäude reinigen, in Küchen an der Spülmaschine stehen, bei Wohlbetuchten Kinder betreuen. Solche really bad jobs bleiben oftmals Illegalisierten vorbehalten, bei denen nicht nur die Existenzsicherung, sondern auch der Aufenthalt bedroht sind. So soll aktuell in Frankfurt ein Großteil der illegalisierten Sexarbeiterinnen abgeschoben werden.

Angesichts dieses Szenarios ist die Stimmung dementsprechend. Aktuelle Projekte, linke Arbeitsvernetzungen zu organisieren und die Lohnarbeitsgesellschaft zu attackieren, sind leider rar. Die allgemeine Depression wäre im Zusammenhang mit der eigenen Malaise der Existenzsicherung zu diskutieren. Nötig ist es, sich über Strategien von Arbeitsverweigerung,

-subversion und -kampf der letzten Jahrzehnte zu vergewissern und diese für die veränderten Verhältnisse upzudaten. Selten nur gibt‘s wenigstens lokale Siege zu vermelden wie etwa der zweier englischer Arbeitsloser, denen Weiterbildungsprogramme auferlegten, Krokusse zu pflanzen. Ihre gemeinnützige Arbeit führten sie so aus, dass im Frühjahr der Schriftzug »Piss off« hauptstädtische Grünanlagen zierte.

Redaktion diskus

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