grüne karte, rote karte

 

subjektivität & die liebe zur arbeit

 

 

Mini-disc an, Taste record. Pauline trifft sich mit Valentina im Münchener Café Arkaden. Beide bedauern, dass ihre Verständigung in Deutsch schwierig ist.

Valentina, seit zwei Monaten in München, ist eine nahe Freundin von Paulines Verwandten in Varna, Bulgarien.

Drei Tage später besuchen wir Luchezar in einem Münchener Start-Up Unternehmen; die Adresse erhielten wir über das lokale Arbeitsamt. Da wir drei Frauen sind, mit dem Plan eine Dokumentation zu drehen, läuft in der Firma eine Wette, ob wir von Mona Lisa, dem Mainstream-Frauenmagazin des ZDF kommen.

 

»Ich habe mir gedacht: ich hab richtig gut gelernt, jetzt muss ich richtig auch arbeiten, damit ich die Leistungen nutzen kann. Was fasziniert mich noch?

Ich komme immer um 8. Ich bin der zweite hier, weil ich Frühaufsteher bin. Ich mache meinen Rechner an und gucke, was ich heute machen muss. Natürlich kann man etwas oft nicht an einem Tag schaffen und man muss so rechnen, dass man eine Stelle erreicht, wo man am nächsten Tag wieder anfangen kann. Und manchmal kann ich meine Arbeit nicht zurücklassen am Abend und ich bleibe, bis ich diese Stelle gefunden hab.

Dann gehe ich nach Hause. Also ungefähr um fünf, sechs (pause) sieben, acht.

Unsere Arbeit ist nicht von der Zeit abhängig, sondern von den Ergebnissen. Und wenn du etwas nicht leicht machen kannst, musst du es schwer machen. Das braucht natürlich mehr Zeit.

Man versucht immer, zu Hause nicht an die Arbeit zu denken. Und das geht nicht, weil du den ganzen Tag, zehn Stunden, an etwas gedacht hast. Plötzlich kommst du von der Arbeit nach Hause und du kannst nicht aufhören. Und das bringt natürlich Ärger. Von der Freundin oder Frau oder von den Kindern, wenn du Kinder hast. Also ich kann es nicht schaffen, das in Ordnung zu bringen. Ich kann für mich sagen, dass ich das zu 80% schaffe, aber niemand ist super. Niemand kann sagen, dass er das 100% schafft.« (Luchezar, München)

 

 

Greencard & Kritik

 

Die Videobilder, die wir selbst beim ersten Besuch eines IT-start-up Unternehmens festhalten konnten, geben mehr oder weniger das Image einer fortschrittlich besetzten Internationalität von IT-Arbeit wieder, wie es in den Medien geprägt wird.1

 

Mit der Einführung der Greencard war seit Beginn des Anwerbestops von ArbeitsmigrantInnen 1973 die erste medial und parlamentarisch breit geführte Diskussion um Einwanderung in die brd verbunden, die positiv besetzt war. Die antirassistische Kritik an dieser Diskussion setzte zu Recht bei der Differenzierung in hohe und niedrige Bewertung von Einwanderung an, die sie zu zementieren schien: Die Greencard als hochbewertete und »nützliche« Arbeitsmigration, so die Argumentation, biete ein weiteres Mittel, um Asyl und andere Migrationsformen als nicht nützlich, als Belas-tung anzugreifen.

Die kritische Perspektive, die wir hier verfolgen möchten, kann jedoch allein durch eine Thematisierung dieser Spaltung nicht erfasst werden: es interessiert uns, wie die materiellen Bedingungen um die Greencard – sowohl die Migrationsgesetzgebung als auch die spezifischen Arbeitsbedingungen in der IT-Branche – dazu beitragen, soziale Normen hinsichtlich von Mobilität, langen Arbeitstagen und deregulierten Arbeitsbedingungen zu etablieren und zu festigen. Wir gehen davon aus, dass an den Arbeitsplätzen in der IT-Branche neben Konsumartikeln wie Chipdesign und Softwarelösungen auch Subjektpositionen, ›Arbeitssubjekte‹, produziert werden, die einen möglichen / erzwungenen Bezugspunkt für uns alle, nicht allein für IT-SpezialistInnen erzeugen.

 

 

Arbeitssubjektivitäten

 

»Ich könnte jetzt ganz persönlich und offen sagen, dass der Grund für meine Auswanderung Geld war. Mein Mann arbeitet seit 6 oder 7 Jahren nicht. Er ist arbeitslos. Meine Tochter studiert hier. Und mit meinem Gehalt als Professorin in Bulgarien kann ich überhaupt nicht alles bezahlen. Ich kann meine Familie nicht normal unterstützen. Das ist das wichtigste, das Geld. Es tut mir leid, es klingt sehr schlecht. Und ich mag es überhaupt nicht, über Geld zu sprechen, aber das ist die Wahrheit. Es ist komisch, das ich hier – man kann sagen, dass ich sehr hoch qualifiziert bin – und hier arbeite ich als Softwarentwicklerin und das ist nicht eine tolle Klasse für mich. Aber ich verdiene so viel Geld. Was ich hier in einem Monat verdiene, ist vielleicht so viel wie in einem Jahr in Bulgarien. So ist das. Und deshalb habe ich mich entschieden und habe mir die Mühe gemacht, alles in Bulgarien zurückzulassen, meine Freunde, meine Position an der Universität, die sehr hoch war.« (Valentina, München)

 

»Ich habe eine Woche lang überlegt und mich entschieden für die grüne Karte. Wenn man also die Bedingungen sieht, was Deutschland anbietet und was die andern Länder anbieten: zur Zeit für mich als Europäer und als Mensch ist es besser, wenn ich hier in Deutschland bleibe als zum Beispiel in den USA. Obwohl die Bedingungen, die Leistungen, die die grüne Karte bietet, schlechter sind als in anderen Ländern. Beim Firmenwechsel musst du immer neu beantragen und das bringt Angst für die Arbeitnehmer nach meiner Meinung.

(...)

Ich als Person, die seit vielen Jahren fern von zu Hause lebt, – da ist es nicht so wichtig, dass ich nach fünf Jahren wieder gehen muss. Entweder fliege ich irgendwohin anders oder ich gehe zurück nach Bulgarien. Ich kriege immer einen Job. Die Firma, bei der ich gearbeitet habe, kriegen mich nicht mehr nach fünf Jahren. Und das finde ich schlecht für deutsche Firmen.« (Luchezar, München)

Valentina distanziert sich von den ›Möglichkeiten‹ in der ökonomisch privilegierten brd, indem sie die Dequalifizierung beschreibt, die mit ihrer Migration einhergeht. Sie beschreibt zudem den mit der Arbeitsmigration verbundenen Verlust von Lebensqualität und sozialen Bindungen. Sie reist alleine nach Deutschland: Ein zusätzlicher Aufenthalt kommt nur für EhepartnerInnen und Kinder in Frage, nicht für FreundInnen. EhepartnerInnen erhalten zunächst keine eigene Arbeitsgenehmigung. Luchezar erwähnt keine sozialen Verbindlichkeiten, sondern charakterisiert sich über universale Kategorien wie ›Europäer‹ und ›Mensch‹. Dies legt eine klassische geschlechtliche Konnotation nahe, obwohl Valentina der geforderten Mobilität nur nachkommt, weil sie in ihrer Familie die Ernährerrolle übernimmt.

Im zweiten Teil seiner Aussage unterläuft Luchezar souverän die Darstellung von GreencardspezialistInnen als »Reservearmee«, indem er die deutsche Wirtschaftspolitik als verfehlt, die GreencardinhaberInnen dagegen als unabhängig charakterisiert. Man kann diese Aussage als widerständig lesen. Erst später fiel uns auf, dass die Restriktionen der gesetzlichen Regelung, die im ersten Teil des Zitats aufgeführt sind, im zweiten Teil dethematisiert werden: Anforderungen wie bedingungslose Mobilität oder Anpassung an einen als »unberechenbar« geschilderten Markt sind darin schon zur nicht mehr befragten Voraussetzung geworden, was wiederum nur innerhalb eines männlich codierten Modells von Lebensführung möglich ist. Diese Anforderungen werden paradoxerweise geteilt, gerade um gegenüber den gesetzlichen Einschränkungen eine persönliche Autonomie zu bewahren. Wir stellten uns die Frage, ob in der Arbeitsmigration und der Beschäftigung in einer IT-Firma die Subjektivität der Beschäftigten in einer besonderen Weise adressiert wird, die möglicherweise dazu beiträgt, dass sie sich selbst zu guten und produktiven Beschäftigten machen. Untersuchen möchten wir bestimmte Selbsttechnologien, d.h. Formen von Macht am Arbeitsplatz, die weniger repressiv oder formalisiert auftreten, sondern in die Selbstführung der Subjekte verlegt sind.

 

»Warum liegen meine Interessen im Bereich der integrierten Schaltung? Das kann ich vielleicht nicht erklären, aber warum machen Sie zum Beispiel solche Filme?« (Plamen, München)

Um uns im Feld der Greencard-Migration und der IT-Arbeit orientieren zu können, führten wir in München einige erste Videointerviews mit InhaberInnen von Greencards. Später setzten wir die Gespräche mit IT-Spezialistinnen in Sofia, Bulgarien, fort. Weil wir uns mit den Frauen dort häufiger treffen konnten, ergab sich eher als in München ein Projektcharakter und Austausch, in dessen Rahmen wir auch unsere eigene Lebensführung und unsere politischen Vorstellungen stärker thematisieren konnten. Entlang dieser Aus-sagen möchten wir aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln zunächst thesenhaft und probehalber untersuchen, wie materielle Bedingungen, persönliche Verhältnisse und die Produktion von Subjektivität an diesen Arbeitsplätzen zusammenhängen.

 

 

[ A ]  Die Fabrik im Kopf

 

»Die Verhältnisse in der Firma sind sehr toll. Das ganze Team besteht aus jungen Leuten. Das Durchschnittsalter ist 33. Ich fürchtete mich, dass ich mich unter diesen Leuten sehr viel älter fühlen würde, aber es ist nicht so. Ich bin natürlich auch wieder die einzige Frau. Und alle sind sehr nett. Ich habe keine Arbeitsprobleme.« (Valentina, München)

 

»Mein Computer ist ganz klar männlichen Geschlechts. Und wenn jemand anders die Tastatur oder Maus berührt hat - beispielsweise die Putzfrau oder so. Das ist mir unangenehm. Wenn ich morgens zum Computer komme, dann begrüsse ich ihn – ›Hallo, wie geht es dir? Was werden wir heute tun?‹ Für mich ist es ganz klar, dass es nicht nur ein Objekt ist, sondern irgendwie ein beseeltes Objekt, und wenn ich das nicht so sähe, dann würde ich wahrscheinlich verrückt. Mein Computer heisst Leon, nach einem Film mit Jean Renault.« (Kalina, Sofia)

 

Anders als bei der klassischen Maschine in der Fabrik, bei deren Bedienung körperliche und mechanische Aspekte im Vordergrund stehen, verlangt der Ar-

beitsplatz Computer den Einsatz des Geistes. Körper würden dazu nicht unbedingt gebraucht; oder nur

soweit sie »wesentlich Nahrungszuträger für den Kopf [sind], ausserdem hängen die Hände dran«. (Schachtner, S. 168)

Ähnlich wie Schachtner ihre Interviews mit ProgrammiererInnen interpretierte, drängte sich auch uns in München und Sofia der Eindruck auf, am Computer würde ein für wissenschaftliche Objektivierbarkeit und universelle Rationalität typischer Dualismus zwischen Geist und Körper forciert. Der Körper wird ruhiggestellt, er soll verschwinden. In paradoxer Weise entstehen dabei Anforderungen an einen dienstbaren Körper, unauffällig und unmarkiert, so, als wäre er

eigentlich nicht da: weiss, gesund und möglichst ohne Geschlecht, jung oder alterslos, asexuell. Entgegen

solchen dualistischen Beschreibungen erzwingt der Körper gelegentlich vehemente Aufmerksamkeit, et-wa an der Grenze seiner Belastbarkeit, indem er dem arbeitenden Kopf durch brüchige Gesundheit oder störende Schmerzen entsteht.

Ein anderes Argument gegen eine scharfe Hierarchie zwischen eigenständiger Kopfarbeit und einem ›dressierten‹ Körper formuliert Bettina Heintz entlang der Frage, inwiefern Kopfarbeit selbst Rationalisierungsprozessen unterworfen werden kann: Während Turing 1936 das theoretische Modell des Computers als abstrakte Maschine entwarf, materialisierte Emil Post dieselbe Idee erstaunlicherweise als Fabrik. Die Mechanisierung von Rechenabläufen war bei Post durch einen Fließbandarbeiter verkörpert. (Heintz, S. 166 ff.) Erst die kulturelle Re-Konstruktion des Computers als eine symbolverarbeitende Universalmaschine, die nicht nur rechnet, sondern eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen kann, setzte jedoch, so Bettina Heintz, seit den 50er Jahren veränderte Vorstellungen über das Denken selbst in Gang. Das ›Fliessband im Gehirn‹, interpretiert Denken als einen gleichfalls rationalisierbaren Prozess, bei dem der Unterschied zwischen simplem und genialem Gedanken aufgehoben ist, da beide sich in dasselbe Muster einfacher mechanischer Operationen zerlegen lassen. So »wird Taylor selbst zum Opfer seiner eigenen Theorie. Taylor hatte sich und seinen Kopf noch ins Planungsbüro gerettet. Dort meinte er, vor seinem eigenen Programm in Sicherheit zu sein.« (Heintz, S. 174)

Entsprechend vermuteten wir zunächst, dass die Arbeit per Greencard sich möglicherweise in der Kontinuität der Arbeitsmigration der 60er Jahre lesen lassen würde. Entgegen dem standortpolitisch geprägten Image hochbewerteter MigrantInnen an individualisierten Arbeitsplätzen würde sich die Programmierarbeit in der Migration als austauschbare und rationalisierbare geistige Arbeit kritisieren lassen. Ähnlich wie die Arbeitskräfte in deutschen Fabriken auf die Verlängerung mechanischer Apparate reduziert wurden, schienen die stereotypen medialen Abbildungen von GreencardinhaberInnen – Portraits am Rechner, so als wäre dieser ein Körperteil – darauf hinzuweisen.

Im Verlauf der Gespräche erhielten wir jedoch schnell den Eindruck, dass das, was die Subjekte einerseits reduziert – ein Denken gemäß formaler Logik und Regelhaftigkeit – andererseits ein kreatives Subjekt zu erfordern scheint: Es macht Spaß, innerhalb dieser Grenzen an der bestmöglichen Lösung zu tüfteln; man muss mit den Trends auf dem Laufenden bleiben; ein eleganter Code lebt von den besonderen Einfällen seiner ProgrammiererIn. Genossen wird auch ein Abstand zwischen der abstrakten Zeichenhaftigkeit der Programmiersprache und der erwarteten Stofflichkeit des Endproduktes (vgl. Geene, S. 51), welches gerade über seine Materialität und Funktionalität nicht nur die eigene Kreativität, sondern auch die Kontrollposition bestätigt.

Sherry Turkle zitiert eine 13 - jährige Interviewpartnerin mit der Aussage, wenn man einen Computer programmiere, entäußere man sich ein kleines Stück seiner selbt, das so zu einem kleinen Stück des Computers und auf diese Weise für einen selbst sichtbar werde. (Turkle, zit. nach Geene, S. 45) Offenbar gibt es eine Verbindung zwischen Computer und Selbst, im Sinne einer Selbstreflexion, aber auch im Sinne eines ›möglichen Selbst‹, der Vorstellung, dass die universellen Einsatzmöglichkeiten des Gerätes die eigenen potentiellen Möglichkeiten beschreiben und erweitern. Bei unseren Gesprächen fiel uns auf, dass die ProgrammiererInnen die Interaktion am Computer sogar als eine »Zusammenarbeit« charakterisieren. Sie richten auf den Computer Zärtlichkeit, Zuwendung und konfliktuöse Besitzansprüche wie auf eine Person; – eine soziale Disposition von ›Selbst‹, die sich in ihrem Selbstbezug eben nur berühren kann, wenn sie ihr eigenes Ich zum Gegenüber macht. Auffallend ist dabei, dass diese Subjektivierung des Rechners – wie es im Zitat Kalinas deutlich wird – oft einer heterosexuellen Logik folgt.

Folgt man diesen Aussagen und fasst die Beziehung zwischen Computer und ProgrammiererIn als interaktives Verhältnis, so lässt sich die Subjektivität der ProgrammiererInnen nicht allein von der Objektivität der Maschine her verstehen. Mit ›Rationalität‹, als einem Begriff des abendländischen Denkens, der das Subjektive, das Materielle und den Körper ausschließt, ist die Produktion und Reflexion von Subjektivität am Computer also kaum zu fassen. Unsere Überlegung ist, ob gerade indem am Rechner nicht nur Codes sondern auch in besonderem Masse Subjektivität produziert wird, das formale Arbeitsverhältnis, die ökonomische Rationalität, im Auftrag eines Chefs zu handeln, bis zu einem gewissen Grade verdeckt sind. Da Arbeitsbefehle und Rückmeldungen des Computers wie ›der Code war erfolgreich‹ unabhängig von Dritten zwischen dem Rechner und der ProgrammiererIn zirkulieren und direkt als Zuwachs an Subjektivität erfahren werden können, erscheint die Arbeit in unmit-

telbarer Weise so, als würde ein eigenes Interesse verfolgt. Die formalen Arbeitszeiten etwa gelangen für unsere GesprächspartnerInnen meist dann in das Bewusstsein, wenn sich der Körper mit Schmerzen meldet oder wenn andere Ansprüche, Wünsche dagegenstehen, wie es Luchezar im Eingangszitat mit der prozentualen Aufteilung seiner Aufmerksamkeit zwischen Arbeitsplatz und Zuhause beschreibt. Da zudem ein wichtiges Produktionsmittel – der Kopf – überall hin mitgenommen wird (Schachtner, S. 105), ist es möglich, die Arbeit auch weit über die eigentlichen Arbeitsstunden hinaus auszudehnen (auch wenn dieses Produktionsmittel manchmal stört – durch Gedanken die nicht dazu gehören). Plamen, den wir in seinem Münchner Einzimmerapartment trafen, schilderte uns seine langen Arbeitstage vor dem Hintergrund seiner individualisierten Arbeitsmigration: da er zu Hause wenig zu tun habe, denke er auch dort häufig über seine Arbeit nach. Lieber sei er jedoch in der Firma, wo er KollegInnen treffen könne, denn er habe in München bisher keine richtigen Freunde.

 

 

[ B ]  sexuell arbeiten

 

»Gibt es auch Frauen in Ihrem Team?« — »Als Programmierer gibts keine Frauen – noch. Das ganze Team will natürlich eine Frau haben. Ah, doch, wir haben eine. Sie ist Chinesin und ich finde sie sehr nett. Sehr gut als Programmiererin.« (Luchezar, München)

 

»Es ist tatsächlich so, dass es Tricks gibt. Also wenn ein Kollege schlecht aufgelegt ist und ich habe eine Frage an ihn, dann werde ich die Frage nicht gerade dann stellen. Wenn er ein bisschen besser aufgelegt ist, dann gehe ich zu ihm. Ich bin eine Person, die ziemlich stark auftritt, aber das mache ich dann eben nicht, ich trete dann so auf, ich zeige Schwäche, rede leise und sanft, und dann, wenn ich das habe, was ich wollte, dann trete ich wieder stark auf. (...)

Als ich angefangen habe, dort zu arbeiten, haben sie mir gesagt, ich soll keine Röcke anziehen, das würde sie dann dekonzentrieren. Ich hab mich damals aufgeregt darüber und im Sommer bin ich mal mit einem Rock gekommen, und sie haben alle gelacht und gefunden, es steht mir eigentlich gut. Ich mag eigentlich nicht mit Rock gehen, aber es war eine Ehrensache, das zu tun. Sie haben damals kommentiert, als ich mit dem Rock gekommen bin, dass ich bis dahin eigentlich einfach ein Typ war.« (Kalina, Sofia)

 

Der Arbeitsplatz Kalinas in Sofia ist nach ihrer Beschreibung vorwiegend männlich und heterosexuell besetzt und unterscheidet sich darin nicht von den Arbeitsplätzen, die wir in München vorgefunden haben. (Hetero-) sexuelle Anspielungen sind alltäglich, eine Äußerung wie der Vorschlag des Chefs, (weiblichen) Striptease zu bestellen, um die erschöpften Mitarbeiter(Innen) nach einem langen Arbeitstag bei der Stange zu halten, scheint eher die Ausnahme.

Innerhalb dieser Umgebung verfolgt Kalina eine Arbeitsethik – den Wunsch, ein guter Programmierer sein und im Sinne des ›universellen‹ Arbeitsplatzes als gleich anerkannt zu werden – und eine sexuelle Ethik, den Wunsch, die Unterordnung als Frau und die alltägliche Sexualisierung zurückzuweisen. In unseren Beschreibungen ›sexueller Arbeit‹ sind wir bisher davon ausgegangen, dass am Arbeitsplatz heterosexuelle Normen re/produziert und eingeübt werden. (vgl. Boudry / Kuster / Lorenz 1999; Kuster / Lorenz 2001) Diese Darstellung hat jedoch den Nachteil, dass sie nicht unterscheidet zwischen den formalen und informellen Regeln und Werten am Arbeitsplatz, dem tatsächlichen Verhalten der Subjekte, die dort arbeiten und ihrem Selbstverhältnis. Auf diese Weise lässt sich nur ungenügend formulieren, wie heterosexuelle Normen nicht nur wiederholt, sondern auch verschoben, umgearbeitet werden oder wie sich – daher der Begriff der Ethik – Handeln und Selbst der unterschiedlichen Subjekte innerhalb der (Selbst-) Reflexion verändern.

An Kalinas Computerarbeitsplatz sind die Körper der »guten Programmierer« unmarkiert und ausgeblendet. Markiert wird nur der weibliche Körper, im Alltag der Firma durch Bemerkungen der Männer über den Körper und die Kleidung von Frauen oder durch sexuelle Anspielungen. Diese Markierung »als Frau« setzt die »Gleichheit« unter Männern aufs Spiel. Zudem wird in ihr vorausgesetzt, dass es sich bei Kalina um eine heterosexuelle Frau handelt, die für das sexuelle Interesse der Männer potentiell empfänglich ist. Wäre sie nicht die einzige Frau in der Firma, würden solche Bemerkungen auch dazu beitragen, abgestufte Differenzen unter Frauen gemäss ihrer Attraktivität (Jugend, Herkunft, konventionelle Weiblichkeit) aus der Pespektive dieser Männer zu produzieren und damit eine Normalisierung im Sinne gesellschaftlich dominanter Normen herzustellen. Man könnte sagen, die Bedingungen der Greencard in Deutschland, die eine Beschränkung des Aufenthalts auf fünf Jahre vorsehen und durch die Bindung des Aufenthaltstitels an den Arbeitsplatz eine höchst prekäre Lebenssituation herstellen, stützen die dominant männliche Besetzung der IT-Arbeitsplätze zusätzlich ab, weil sie einem universalen Bild von Männlichkeit – jung und ungebunden – entsprechen.

Kalinas Versuch, Sexualisierung und die zugewiesene untergeordnete Position in der heterosexuellen Ordnung nicht anzunehmen, obwohl sie sich einer Markierung ›als Frau‹ nicht entziehen kann, hatte für sie zu Beginn ihrer Tätigkeit in dieser Firma praktische Konsequenzen: die Männer behandelten sie nicht als eine im Team, sie weigerten sich, Unterstützung zu geben. Kalina kann demnach nur ein »guter Programmierer« sein, indem sie Strategien entwickelt, ihre Performanz von Sexualität im Verhältnis zu ihrer Weiblichkeit beweglich zu halten: sie bestätigt den männlichen Kollegen, wenn er sich als Mann zu ihr als Frau verhält, um ihn im nächsten Moment in seinen Erwartungen auflaufen zu lassen. Sie redet leise, wirkt hilflos etc., um dann wieder stark aufzutreten. Erfolg haben, heisst hier, die Regeln der Heterosexualität besonders gut zu beherrschen, sich den Regeln zu unterwerfen, um dann wieder Distanz zu ihnen aufzubauen, sich zu »disidentifizieren«. Indem sie sich dem heterosexualisierten Verhältnis wieder entzieht, verändert sie auch das, was an ihrem Arbeitsplatz als »weibliches« Verhalten vorausgesetzt wird. Möglich ist ihr diese Verschiebung jedoch nur, weil sie überhaupt in der Lage ist, das Image weißer, heterosexueller Weiblichkeit überzeugend zu verkörpern.

Einmal kommt sie im Rock, obwohl die Männer sagten, sie solle das nicht tun, es würde sie »dekonzentrieren«. Man könnte sagen, es handele sich hier um eine Art sexueller Gewalt der Männer, nämlich, wie Butler es formuliert, der »vorgängigen Kennzeichnung« einer Handlung (Butler 1993, S. 111), die in einem heterosexuellen Verhältnis Bedeutung übernehmen wird: Wenn sie einen Rock trägt, produziert sie gemäss dieser Anordnung den Blick der Männer, ist verantwortlich für mögliche sexuelle / verbale Übergriffe und damit verbunden für eine Störung der Arbeitsabläufe. Paradoxerweise kann sich Kalina nur dadurch einen Handlungsspielraum erkämpfen, indem sie besonders feminin auftritt und dem projizierten Bild attraktiver Weiblichkeit, wenn auch nur für einen Tag, perfekt entspricht. Die vorgängige Kennzeichnung kann sie auf diese Weise thematisieren, jedoch nicht ungeschehen machen.

Deutlich wird an diesen Beispielen, dass es für eine Diskussion »sexueller Arbeit« notwendig ist, eine begriffliche Unterscheidung zwischen Geschlecht und Sexualität zu treffen, gerade um ihre unterschiedlichen spezifischen Verbindungen untersuchen zu können. Anders als für ihre männlichen Kollegen gibt für Kalina keine Möglichkeit, alle geforderten Positionen – in ihrem Fall Programmierer, Frau und heterosexuelles Gegenüber – zugleich zu besetzen. Sie muss die unterschiedlichen Erwartungen gegen einander verhandeln.

Die Beherrschung der Regeln und ihre Distanzierung erfordern eine besondere Befähigung und eine sexuelle Mehrarbeit, die es Kalina überhaupt erlauben, sich als Frau an diesem Arbeitsplatz aufzuhalten. Dies trägt auf der anderen Seite unmittelbar zu ihrem Erfolg am Arbeitsplatz bei und ermöglicht ihr, die Arbeitsanforderungen an eine Programmiererin besonders gut zu erfüllen. Wir sprechen von »sexueller Arbeit«, um zu betonen, dass die Arbeitsanforderungen ein sorgfältiges Management von Geschlecht und Heterosexualität einschliessen und dass eine begriffliche Trennung von »Arbeit« und »Sexualität« nicht möglich ist. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Beherrschung dieser sexuellen Regeln und den besonders langen Arbeitstagen, die Kalina – auch auf eigenen Wunsch – ableistet? Ansetzen ließe sich hier bei der Überlegung, dass die Sexualisierung des Arbeitsplatzes besonders in einer Firma Bedeutung erhält, in der Gespräche, gemeinsames Essen, Ausflüge im Team gegenüber der eher einsamen Tätigkeit am Computer eine wichtige Rolle für die Bildung von Arbeitsteams und für die Identifikation mit dem Arbeitsplatz übernehmen.

 

 

[ C ]  Normalität & Differenz

 

»Als ich hier angekommen bin, war von meinem Chef der erste Satz, dass in der Firma kein Ausländer schlecht angesprochen wird, also die Firma unterstützt die Arbeitsleistung und nicht Bürgerschaft oder Herkunft. Das gab mir sogar ein bisschen das Gefühl in die Richtung, dass ich in dieser Firma bleiben will.« (Luchezar, München)

 

»Ich fühle mich wie ein Kind, ich rede momentan so einfach wie ein fünf-jähriges Kind, und manchmal fühle ich mich so schlecht: Ich spreche in Gedanken mit den Kollegen in der Firma und ich sage ihnen, sehen Sie, ich bin nicht nur das, was sie kennen. Aber ich kann mich nicht zeigen, denn ich kann mich nicht ausdrücken und deshalb muss ich immer aufpassen. Das ist der Preis den man auch zahlen muss: sich zwar im Beruf zu beweisen aber nicht als Persönlichkeit.« (Valentina, München)

 

Sowohl die Mitarbeiterinnen als auch der Chef in Luchezars Firma betonen die nette Stimmung, die internationale Atmosphäre. Der Arbeitsplatz bestätigt zu-nächst den medial erweckten Eindruck, als würden soziale Unterschiede zwischen den Angestellten in Bezug auf Geschlecht oder Herkunft in der Firma keine Rolle spielen. Im beiläufigen Gespräch mit uns kennzeichnete der Firmeninhaber allerdings Differenzen nicht als neutral, sondern als eine Bereicherung, die durch die Vielzahl der in der Firma gesprochenen Sprachen entstehe oder daraus, dass »eine Mitarbeiterin aus China gelegentlich chinesisches Essen für alle kocht«. In welchem Verhältnis steht diese positiv besetzte Markierung zu der andererseits proklamierten Universalität? Sie rückt die Kultur der IT-Firma in die Nähe des gesellschaftlichen Konzepts von Multitkulturalismus, wie es in Deutschland ab den 80er Jahren aufgekommen ist. Dem praktizierten Assimilationszwang sollte eine Anerkennung von Differenz entgegengehalten werden, die jedoch vor allem als Erweiterung der Produktpalette sichtbar wurde.

In der IT-Firma werden allerdings keine Produkte hergestellt, deren Produktion von der angesprochenen Differenzierung abhinge: Um einE guteR ProgrammiererIn zu sein, sind Kompetenzen erforderlich, die sich eher durch ›Universalität‹ denn durch kulturelle Partikularität auszeichen – z. B. werden weltweit dieselben Computersprachen benutzt.

Wie in Teil A argumentiert, bietet paradoxerweise gerade der als universal gekennzeichnete Computerarbeitsplatz die Möglichkeit, die eigene Individualität als Besondere und tendenziell Unbegrenzte zu erfahren, nicht zuletzt, weil die sozialen Differenzen – in Bezug auf Alter, Herkunft, Geschlecht – sich dort weitgehend ausblenden lassen. Die sozialen Kontakte in der IT-Firma unter den MitarbeiterInnen verschiedener Herkunftsländer stehen dazu offenbar nicht selten in krassem Gegensatz. Wie Valentina uns schilderte, fühlt sie sich in der Firma sprachlich auf dem Niveau einer Fünfjährigen. Dass sie ihre Erfahrungen im Herkunftsland und an ihrem früheren Arbeitsplatz nicht teilen kann, wird vermutlich zusätzlich durch die hohe Konzentration der Gespräche im Team auf die Programmierarbeit noch abgestützt; ihre sozialen Kompetenzen – sie schildert das am Beispiel ihres trockenen Humors, der hier nicht verstanden wird – greifen nicht. Um das erste Beispiel wieder aufzunehmen, könnte man mit Bezug auf den von Encarnacion Gutiérrez Rodríguez beschriebenen Prozess der »Selbstethnisierung« vielleicht sagen, dass auch die Programmiererin, die kocht, durch die Übernahme der hier als »weiblich« und als »chinesisch« konnotierten Rolle einerseits überhaupt die Möglichkeit erhält, innerhalb der Firma eine Sichtbarkeit zu inszenieren. Andererseits reproduziert sie jedoch bei diesem Versuch den zugeschriebenen performativen Rahmen (Gutiérrez Rodríguez, S. 173) und integriert erstaunlich stereotype Merkmale von »Weiblichkeit« und »chinesischer Herkunft sein« in ihr Selbstbild. Gutiérrez Rodríguez spricht im Kontext der Migration von einer »zweiten Vergeschlechtlichung«, in diesem Fall, als »chinesische Frau«, bei der kulturelle Differenzen affirmiert werden, die im Herkunftsland möglicherweise keine Rolle gespielt haben. In diesem Prozess mögen auch die in der IT-Branche dominanten westlichen Fortschrittsvorstellungen, die sich auf Rationalität und Aufklärung beziehen, von Bedeutung sein. Nicht-westlichen Kontexten kann dann im Umkehrschluss die Rolle der Immanenz zugewiesen werden, die mit besonders traditionellen Bildern von Weiblichkeit, Geschlechterdifferenz und Heterosexualität besetzt wird.

Wie Valentina uns berichtete, ist es dennoch möglich, auch komplexere Erfahrungen aus dem bisherigen sozialen Kontext in das neue Arbeitsumfeld hineinzutragen, der Preis sei jedoch, eine zusätzliche Arbeit in solche Veränderungen zu investieren. Ohne bisher genaueres Material zum Zusammenhang von Geschlecht und Ethnisierung zu haben, gehen wir davon aus, dass auch hier eine sexuelle Arbeit nötig ist, in der die vorgängige Markierung als ethnisierte Frau aufgegriffen und verhandelt, angeeignet oder abgewiesen wird. Valentina beschreibt, dass sie einerseits »Bulgarin« sein, andererseits zunächst »fremden« Erfahrungen aufgeschlossen gegenübertreten möchte, ohne die eigene Persönlichkeit zu verlieren. Eine Arbeit, die nicht in der Produktivität der Firma aufgeht, dieser aber dennoch zuarbeitet: Die Arbeit als Programmiererin »gut« machen zu können, erfordert deutlich auch andere Qualitäten als einfach diejenige, elegante Codes zu schreiben.

Während Gutiérrez Rodríguez untersucht, wie Ethnisierungsprozesse Gemeinschaft unter MigrantInnen herstellen, erweckt die Betonung von Differenz in der besuchten IT-Firma den Eindruck, dass dort nicht eine Formierung ethnischer Gruppen, sondern eine Individualisierung der MitarbeiterInnen produziert wird. Man könnte sagen, dass die Programmiererin hier auf eine Weise ins Team integriert wird, die ihr Besonderes, »chinesisch zu kochen«, als Teil der international ausgerichteten Firmenkultur etabliert. Die Verhältnisse im Team werden über die Betonung der verschiedenen Differenzen organisiert. Da die Arbeitsverhältnisse in der IT-Firma besonders für Greencard-Arbeitskräfte sehr prekär sind, kann über die Firmenhierarchie zugleich verwaltet werden, welche Differenzen gestattet bzw. erwünscht sind. Wir gehen davon aus, dass die Betonung kultureller Differenzen in der Firma zudem Normen re/produziert, die im Firmenalltag nicht markiert werden.

Die Kulturalisierung von Differenz arbeitet daran, die Betriebshierarchie unsichtbar zu machen und blendet Forderungen nach Arbeitsrechten und gleicher politischer Repräsentanz aus. Sie dethematisiert etwa, dass es zwischen Deutschen, EU-BürgerInnenn, und MigrantInnen aus anderen Ländern aufgrund der deutschen Ausländergesetzgebung und dem Staatsbürgerschaftsrecht eine abgestufte Asymmetrie gibt. Einem Gesprächspartner fiel erst auf, dass eine gewerkschaftliche Vertretung in der Firma fehlt, als einer Kollegin ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den anderen gekündigt wurde und ein gemeinsames Vorgehen der anderen MitarbeiterInnen gegen diese Kündigung nicht recht in Gang kam.

 

Pauline Boudry, Brigitta Kuster, Renate Lorenz

 

 

 

 

1 —      Die hier (modifiziert) abgebildeten Stills stammen aus diesem Video-Projekt.

 

 

 

[ txt ]

¬          Boudry / Kuster / Lorenz: I cook for sex – Einführung, in: Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause, Berlin 1999

¬          Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt a. M. 2001

¬          Judith Butler: Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der ›Postmoderne‹, in: Der Streit um Differenz, Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1993

¬          Stephan Geene: money aided ich-design. techno/logie · subjektivität · geld. Berlin 1998

¬          Bettina Heintz: Die Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers, Frankfurt a. M. / New York 1993

¬          Kuster / Lorenz: Das Insourcing des Zuhause, in Widersprüche (Heft 78), Bielefeld 2000

¬          Encarnación Gutiérrez Rodríguez: Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivitäten im Zeitalter der Globalisierung. Eine postkoloniale dekonstruktive Analyse von Biographien im Spannungsfeld von Ethnisierung und Vergeschlechtlichung, Opladen 1999

¬          Christel Schachtner: Geistmaschine. Faszination und Provokation am Computer, Frankfurt a. M. 1993