Heft 1/99

Dieser Song gehört uns!
Interview mit Imran Ayata, Laura Mestre Vives und Vanessa Barth von "Kanak Attak"

Nicht erst die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft hat deutlich gemacht, daß diejenigen Positionen, die sich gegen die Unterwerfung von MigrantInnen unter die Hegemonialkultur und ihre Sortierung nach sozialen und politischen Kriterien wenden, gesellschaftlich marginalisiert sind. Insbesondere in der Opposition gegen die Unterschriftenkampagne der CDU/CSU war es kaum möglich klarzustellen, daß auch der ursprüngliche rot-grüne Gesetzentwurf innerhalb dieses dominanzkulturellen Mainstreams zu verorten ist.

Kanak Attak, ein Zusammenschluß von Leuten mit und ohne deutschen Paß, versucht dem rassistischen Mainstream, den staatlichen und anderen alltäglichen Rassismus mit einem Mix aus Politik, Theorie und künstlerischer Praxis etwas entgegenzusetzen. Das Manifest Kanak Attak und basta! ist inhaltliche Plattform dieses Projekts. Attackiert werden auch traditionelle Formen der MigrantInnenpolitik, der Multikulturalismus und selbsternannte Ausländerfreunde. In dem Interview mit drei Kanak Attak-Leuten aus Frankfurt/M. werden diese Kritiken weiter ausdifferenziert. Deutlich wird dabei, daß es neben dem Lancieren von Themen und Argumentationen um das Ausloten neuer Formen des politischen Handelns geht. Relevante Bezugspunkte sind dabei nonkonformistische Praktiken und Sichtweisen von MigrantInnen selbst, denen u.a. eine Bühne gegeben werden soll.

Die von Feridun Zaimoglu in dem Buch »Koppstoff« (Rotbuch) veröffentlichten Gesprächsprotokolle mit Migrantinnen können als ›Dokumente‹ einer solchen ›Neuen Haltung‹ gelesen werden. Kämpfen oder Klappe halten ist darin nur eine Stimme zum Alltag in Deutschland.

Red.


diskus: Was ist die Idee des Projektes und wie ist es entstanden?

Imran: Kanak Attak ist vor mittlerweile eineinhalb Jahren im Rahmen eines Urban Skill Festivals in Zürich entstanden. Irgendwo in den Bergen, nach ein paar Drinks und Gesprächen über Almanya, kam die Idee auf, ein Projekt zu realisieren, das Politik mit Pop-Elementen vereint, und zwar erstmals aus der Sicht von Migranten oder Kanaken, das heißt, ein Projekt, das sich mit den politischen Verhältnissen, dem Rassismus in Deutschland auseinandersetzt. Wir waren uns schnell einig, daß wir uns in Form und Inhalt von den vorhandenen Aktivitäten von Migranten unterscheiden wollten. Raus aus den Nischen und uns zugewiesenen Räumen, ran an die Öffentlichkeit. Wir wollten Themen pushen, die selbst in linken Zusammenhängen noch kaum diskutiert wurden.

Vanessa: Die Grundidee war die, mit einer Mischung aus Kultur und Politik eine Tour durch verschiedene deutsche Städte zu machen und im Vorfeld eine Maxi-CD zu veröffentlichen, mit einem Kanak Attak Song und verschiedenen Remixes. Mittlerweile ist die Touridee auch etwas konkretisiert worden, es soll eine Kanak History Revue geben, die aus der Perspektive von Migranten die Geschichte der Einwanderung nach Deutschland und des Rassismus erzählt. Uns geht es dabei vor allem um den Alltag von Migranten, ihre kulturellen Praxen und ihren Widerstand gegen den Rassismus. Diese Geschichte steht nirgends geschrieben.

Laura: Bei dieser Tour geht es darum, Mißtöne zu produzieren, den Dialog aufzukündigen, in dem es als unziemlich gilt, den Rassismus, der den Leuten massiv entgegenschlägt, beim Namen zu nennen. Das Ende der Dialogkultur eben.

diskus: Wer macht denn so mit bei Kanak Attak?

Vanessa: Das sind mittlerweile um die fünfzig Leute aus verschiedenen Städten, die aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen. Einerseits aus verschiedenen politischen Spektren, Ausländerbeiräte, Migrantengruppen, wie z.B. »die Unmündigen« aus Mannheim. Hier in Frankfurt machen einige ehemalige Beute-Redaktionsmitglieder mit. In Berlin gibt es eine personelle Anbindung an den Salon Oriental, eine Gruppe Transvestiten, die Edutainment-Shows machen und jeweils im Anschluß unter dem Motto Gayhane Oriental-Platten auflegen lassen und so weiter. Leute, die im weitesten Sinne antirassistische Arbeit machen.

Imran: Relativ unterschiedlich sind die Leute auch in bezug auf das, was sie so beruflich machen: Journalisten, Theaterleute, Filmemacherinnen, Theoriefraktion und so weiter.

Vanessa: Und es machen eben auch Deutsche mit. Es ist ganz maßgeblich für das Projekt – obwohl der Name einen anderen Eindruck erweckt –, daß Deutsche und Nicht-Deutsche zusammenarbeiten, so unscharf diese Begriffe dann auch immer sind.

Laura: Es sind auch Leute dabei wie ich, die sich lange Zeit in eine Identitätspolitik eingeschrieben haben und für die Kanak Attak nun die Alternative dazu ist. Kanak Attak ist auch ein Projekt, das versucht, aus den Fallstricken der Identitätspolitik zu lernen.

diskus: Wenn Ihr sagt, es soll ein breites Spektrum sein, was verbindet diese Leute, was ist der gemeinsame Nenner zwischen den verschiedenen Positionen?

Imran: Die Verbindung besteht einmal in der Abgrenzung zu den Formen der politischen Organisation, wie sie z.B. in der herkömmlichen Migrantenpolitik üblich sind. Damit meine ich in erster Linie eine an der Community orientierte Politik. Aber auch der Gestus, wie man auftritt, politisch agiert und künstlerisch aktiv ist, sollte eine neue Haltung zum Ausdruck bringen. Kein Jammern darüber, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, keine Opfer-Nummer und keine Anbiederung an den Mainstream mit seiner Toleranz-Leier.

Vanessa: Verbindend war, glaube ich, einfach auch das Label. Mit dieser Provokation, dieser Rotzigkeit konnten viele spontan was anfangen, obwohl wir anfangs auch stundenlang über den Namen Kanak Attak diskutiert haben. Und ich glaube, daß diese Bezeichnung und die Haltung, die dahinter steckt, die Leute zum Teil über inhaltliche Differenzen hinweg zusammenhält.

Laura: Das Gute an diesem Namen ist auch, daß er klar die Konstruiertheit zum Ausdruck bringt, daß er sich nicht mit vermeintlicher Selbstbestimmtheit verwechseln läßt, weil er den Rassismus transportiert, aus dem man nicht einfach mit gutem Willen oder Begriffen rauskommt.

diskus: In Eurem Manifest grenzt Ihr Euch ja ziemlich stark gegen klassische Politikformen und damit von einer bestimmten Repräsentationspolitik ab: also klassische Gleichstellungspolitik und Lobbypolitik, sozusagen für Ausländer. Gleichzeitig sagt Ihr aber, daß es darum gehen soll, einer neuen Haltung eine Bühne zu geben. Das ist ja selbst eine Form der Repräsentationspolitik. Die Frage ist: Was macht diese neue Haltung aus, und wie bezieht Ihr Euch darauf politisch? Glaubt Ihr, daß diese Haltung vorfindlich ist und man sie nur organisieren oder politisieren muß, oder besteht der Anspruch, sie überhaupt erstmal herzustellen?

Imran: Beides. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, wo kulturelle Praxen und politische Äußerungen von Migranten erkennbarer sind, spielt dies in Deutschland kaum eine Rolle. Wer aber genauer hinschaut, merkt, daß es in letzter Zeit vor allem von jungen Migranten Versuche gibt, dies zu brechen. Besonders im Kulturapparat. Das hat eine neue Qualität. Hier finden sich Ansätze, die nicht in die Exoten- oder Authentizitätsschublade passen und sich auch nicht von dem Multi-Kulti-Blabla einverleiben lassen wollen. Meistens handelt es sich dabei um vereinzelte Bemühungen, die wiederum durchaus eine mobilisierende Funktion für andere haben. Ein Stück weit will Kanak Attak diesen Leuten und ihrer Arbeit eine neue Plattform geben und diesen Prozess stärken.

Vanessa: Die Herangehensweise ist die, daß es Sachen oder Leute gibt, die uns auffallen, und die sprechen wir dann an, mit dem Manifest, der Projekt-idee und so weiter. Wer damit was anfangen kann, macht dann mit. Von daher verstehen wir uns nicht als Sprachrohr irgendeiner Haltung, wir vertreten selbst bestimmte Positionen und versuchen Dinge zu bündeln, die davon etwas in sich tragen.

diskus: Wen wollt Ihr mit Kanak Attak ansprechen? Die zweite Generation, Flüchtlinge oder einfach alle Nicht-Deutschen? Und an welche Öffentlichkeit richtet Ihr Euch?

Imran: Den Paß oder die Herkunft wollen wir gerade nicht zum Kriterium machen. Trotzdem: Wenn wir Leute dafür gewinnen wollen mitzumachen, gibt es eine Sensibilität dafür, vor allem Migranten anzusprechen, Leute, für die Rassismus kein Seminarthema ist. Das halten wir politisch für wichtig und interessant, weil deren Perspektive nicht ausreichend präsent ist.

Vanessa: Ich würde sagen, die Intervention, auf die Kanak Attak aus ist, das Ende der Dialogkultur zu erklären, richtet sich klar an den Mainstream, den man aber oft an ganz unerwarteten Ecken wiederfindet, z.B. auf linken Veranstaltungen. Und zu Eurer Frage, ob Flüchtlinge oder Zweite Generation: Kanak Attak versucht ja gerade, da keine Trennlinie zu ziehen und Lobbypolitik für die eine oder andere Gruppe zu machen, also diese Spaltung, die ja von der staatlichen Politik vollzogen und leider viel zu oft reproduziert wird, nicht mitzumachen.

diskus: Ihr arbeitet relativ stark mit popkulturellen Codes. Welche Verbindung seht Ihr zwischen Pop und der sogenannten MigrantInnenkultur?

Imran: Es ist schon typisch, daß bestimmte kulturelle Praktiken mit Migranten in Verbindung gebracht und andere als mit ihnen nicht kompatibel definiert werden. Ali und Svetlana machen eben nicht nur Rap. So einfach ist das im Grunde. Wenn ich vorhin von Bündeln und Plattform sprach, dann auch in dem Sinne, diese Heterogentiät abzubilden. Wir kommen bestimmt nicht mit einer türkischen Version von Public Enemy. Diese Vorurteile wollen wir gerade attackieren. Nur, daß diese popkulturellen Codes auch in der Politik in diesem Bereich angewandt werden sollen, ist sicherlich neu.

diskus: Wir wollten mal auf das Integrationsthema zu sprechen kommen. Das gegenwärtige Integrationsmodell heißt: Vollkommene Assimilation an die Mehrheitskultur. Andererseits funktio-niert Rassismus auch über die Ethnifizierung von Differenzen. Im Manifest scheint Ihr Euch eher auf die Seite des Partikularismus zu stellen, insofern es vorrangig gegen den Integrationsanspruch im Sinne von Assimiliations- und Anpassungsdruck geht. Wie beurteilt Ihr dieses Spannungsverhältnis, sich einerseits von einem Gleichheitsmodell abzugrenzen, andererseits auch Differenzpolitik zu kritisieren, die Differenzen ethnifiziert? Ist das nur der aktuellen politischen Konstellation geschuldet, daß Ihr Euch eher auf die Seite der Andersheit, des Nicht-Angepaßten stellt? Wie steht es mit der Gefahr, wiederum solche Differenzen zu produzieren, bzw. auf welche Differenzen bezieht man sich denn ganz praktisch?

Laura: Also dieses Moment der Differenz, das wir befürworten ist ja nicht nur eins, das ethnisiert werden kann, sondern auch ganz klar eine politische Differenz, eine Differenz zum Mainstream, oder auch gegen einen Konformismus. In diesem Land bist du ja schon nicht konform, wenn du mit dem Fahrrad gegen die Einbahnstraße fährst oder über Rot läufst. Das handelt dir auch schon irgendwelche blöden Bemerkungen ein. Dazu brauchst du ja nicht mal schwarze Haare zu haben. Also die Aggression, die du erfährst, wenn du dich nicht konform verhältst, ob ethnisiert oder nicht, ist einfach in Deutschland supermassiv. Wenn man eine Differenzhaltung stark macht, geht es auch darum, sich Freiräume zu schaffen im Sinne von: diesen gewalttätigen gesellschaftlichen Druck erträglicher zu machen.

diskus: Es impliziert ja eine Art von Souveränität, dieses Spiel der Abwehr oder Annahme von Ethnifizierungen überhaupt spielen zu können. Eine bestimmte Form von Assimilation ablehnen zu können, bedeutet auch, daß man eine bestimmte Subjektposition einnehmen kann. Daß man es sich, zugespitzt gesagt, auch erlauben können muß, nicht konform zu sein.

Vanessa: Naja, aber es geht ja nicht darum, diese Strategie zu verallgemeinern. Es ist doch so, daß Leute hierher kommen und sich gegen diverse Widrigkeiten selbstverständlich auch zur Wehr setzen und zwar auf die verschiedensten Weisen. Sie kämpfen gegen die Flut von ausländerrechtlichen Bestimmungen, die ihren Alltag reglementieren, sie bleiben nicht in ihren Sammelunterkünften, fälschen ihre Papiere oder werfen sie weg. Da gibt es eine ganze Menge.

diskus: Und das zu zeigen, soll ein wesentlicher Bestandteil der Kanak History Revue sein?

Vanessa: In gewissem Sinne, ja. Es gibt eine lange Geschichte des selbstorganisierten Widerstands und es gibt gute Gründe dafür, daß diese widerständigen Strategien nicht öffentlich werden. Jedes Schlupfloch, das bekannt wird, wird von den Behörden so schnell wie möglich gestopft, etwa mit neuen Verwaltungsvorschriften. Und natürlich haben auch die Unterstützervereinigungen meistens kein Interesse daran, daß diese Seite bekannt wird, denn nur ein wehrloses Opfer ist ein gutes Opfer, für das man eine gute Presse oder Spendengelder bekommt. Erfahrungsgemäß denken aber viele Migranten auch selbst so. Wir finden aber, es ist wichtig zu sagen: Ihr könnt Euch noch so viele Regelungen ausdenken, Ihr werdet es trotzdem nie schaffen, eine Maxime wie »ab sofort Null Einwanderung« durchzusetzen!

Laura: Und wir wollen das Feld für das erweitern, was als politisch gilt. Nach dem Motto: Die sind ja gar nicht politisch, die wehren sich doch nur gegen Regelungen, die ihren Alltag einschnüren oder gegen Erniedrigungen, wie es mal ein Autonomer aus Frankfurt bezogen auf Jugendliche aus der Ahornstraße ausdrückte. Uns geht es um einen Politikbegriff, der sich am Alltäglichen orientiert, ohne die Definitionsmacht über das, was traditionell als politisch wahrgenommen und normativ als politisch gewertet wird, unkritisch auszuüben. Ich meine die sogenannten Unpolitischen sollen auch unpolitisch bleiben dürfen, und trotzdem sollen sie ernst genommen werden.

diskus: Ist das im Kontext der Kritik an Repräsentations- und Lobbypolitik zu verstehen, die auch in dem Manifest formuliert wird? Nicht bestimmte Interessen zu definieren, die den Leuten zugeschrieben werden, um diese dann politisch zu artikulieren, sondern eine ideologische Auseinandersetzung mit dem Mainstream zu führen, was ist selbstverständlich und common sense und was nicht?

Vanessa: Ja klar. Mich rief eine Hamburger Journalistin an, die das Manifest gelesen hatte und was über Kanak Attak schreiben wollte. Sie wollte dies und das wissen und plötzlich fragte sie: Sag mal, wollt Ihr eigentlich Krieg? Das ist beispielhaft für die Haltungen, mit denen man da konfrontiert ist.

diskus: Vielleicht könnt Ihr noch präzisieren, warum und wie Ihr Euch vom Multikulturalismus abgrenzt. Was für eine Funktion hat diese Abgrenzung, und wie sieht eure inhaltliche Kritik daran aus?

Laura: Zunächst einmal muß man sagen, daß der Multikulturalismus oder der Diskurs darum auch Räume aufgemacht und erweitert hat und daß Kanak Attak davon auch profitiert. Zum Beispiel ist diese im Kontext des Multikulturalismus entstandene Perspektive, daß die Präsenz »anderer« oder »fremder« Kulturen eine Bereicherung darstellt, einerseits ganz in Ordnung, weil es eine Art Einschreibung ist in dem Sinne: Es sind nicht alle gleich, und das ist auch gut und richtig so. Aber andererseits ist das ja nichts, was die gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse, die Verteilung von Definitionsmacht angreifen oder essentiell verändern würde. Also keine Bearbeitung der Frage, wer hier wen zu was definiert.

Imran: Das MultiKulti-Projekt hat politisch in Deutschland nicht die Bedeutung erhalten, wie es seine Promoter vielleicht gerne gehabt hätten. Trotzdem ist die Idee nicht zu unterschätzen. Sie bot einigen Migranten und Migrantinnen die Option, sich in die hegemonialen politischen Strukturen zu integrieren, die eigenen Spielräume zu vergrößern oder auch neue Ressourcen zu erschließen. Mit dem Aufkommen des Multikulturalismus haben viele Migranten ihre politischen Aktivitäten auch neu strukturiert. Viele, die sich vorher mit der politischen Situation in ihren Herkunftsländern beschäftigten, konzentrierten sich, nun eher kulturalistisch argumentierend, auf ihre Situation in Deutschland. Hier hat die Popularisierung von Multikulturalismus eine wichtige Rolle gespielt.

diskus: Wie schätzt Ihr die Auseinandersetzung um das Thema Doppelte Staatsbürgerschaft ein? Was ist Eure Position dazu?

Laura: Unsere Position ist, kurz gesagt, die, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, daß man die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, wenn man hier lebt, und daß das nichts ist, was man sich erkämpfen oder anderen begründen müssen sollte, sondern ein Grundrecht. Noch besser wäre die Entkoppelung von Staatsbürgerschaft und Nationalität. Dann wären die Deutschen nur noch einige von vielen. Wobei sich natürlich mit der deutschen Staatsbürgerschaft das Problem des Rassismus noch nicht erledigt hat. Mit dem Paß bekommst du erst mal auch ein Werkzeug. Diese Sichtweise unterscheidet sich sowohl von dem rot-grünen Modell, daß der Paß am Anfang eines Integrationsprozesses stehen müsste, als auch von dem konservativen Modell, wonach erst die Integration und dann der Paß kommen müsse.

Imran: Darüber hinaus bringt die Staatsbürgerschaft Leuten eine politische Absicherung, Schutz vor Abschiebung, Anspruch auf Sozialhilfe, kurz ein Stück Lebensqualität. Anderseits kennt man ja die hiesige ausländerrechtliche Praxis, und da steht zu befürchten, daß aus einem solchen Gesetz ganz schnell ein Instrument wird, um zu selektieren, wer in den Club Deutschland rein darf und wer nicht. Wer ökonomisch, politisch und kulturell kompatibel ist.

Vanessa: Absurd an den Auseinandersetzungen um die Kampagne war auch, daß man in die Position gedrängt wurde, die CDU in dieser Frage besonders Scheiße zu finden, wo doch auch der Gesetzesentwurf von Otto Schily eine Katastrophe, in manchen Punkten sogar eine Verschlechterung im Vergleich zum Status quo war.

Laura: Ein ganz starkes Motiv in dieser Debatte war ja die Haltung vieler Deutscher, nicht zu kurz kommen, keinen Nachteil gegenüber den Migranten haben zu wollen. Das ist ein auffälliges Muster, das mir sehr oft begegnet. Zum Beispiel gehen Leute sehr mißtrauisch damit um, daß ich fließend Deutsch spreche, aber noch eine andere Sprache und einen anderen Zugang habe.

Imran: Ein wichtiger Punkt für uns ist auch, zu sagen, daß dieser Gesetzentwurf, wie schlecht auch immer, kein Gnadenakt von Rot-Grün, sondern Ergebnis eines langen politischen Prozesses war, an dem viele Migranten mitgewirkt haben. Seit den 80er Jahren gibt es viele Aktivitäten von Migranten auf diesem Gebiet. Das wurde völlig ausgeblendet. Mal ganz zu schweigen davon, daß die Debatte völlig davon dominiert war, ob das gut oder schlecht für Deutschland oder die Deutschen wäre.

diskus: Aber es ist ja vielleicht nicht unproblematisch, einerseits auf der Beschreibungsebene angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sehen zu müssen, daß solche Rechte alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind, aber andererseits, vielleicht auch aus dem Unmut heraus, dafür noch argumentieren zu müssen, zu sagen, es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Denn die Frage ist genau, wie das Verhältnis zwischen der Festlegung, daß das nicht selbstverständlich ist und dem Modus, das zum common sense machen zu wollen, aussieht. Was ihr kritisiert, ist ja diese ewige Begründungsstrategie, das sei gut für Deutschland, zumindest auf keinen Fall ein Schaden und so weiter. Wie kann man diese Selbstverständlichkeit, von der Ihr sprecht, über die einfache, wiederholte Proklamation hinaus, wirklich herstellen?

Imran: Das ist nicht einfach. Welche gesellschaftliche Bedeutung und Kraft haben wir schon? Kanak Attak ist ein Angebot, und wir werden sehen, ob wir Verbündete finden. Daß Leute vor allem aus der Migrantenpolitik uns mitunter zu aggressiv finden und Aleman-Berufslinke uns Ethnopolitik vorwerfen, hält uns nicht auf. Letztlich haben wir Lust, Politik zu machen. Wir wissen, daß wir nicht von Null, sondern von minus Zehn starten.

diskus: Was soll in Zukunft bei Euch passieren?

Laura: Zunächst gibt es eine Filmreihe, Kanak Attak.film, in Berlin. In diesem Rahmen werden wir auch eine Veranstaltung mit Mogniss H Abdallah von IM'Média aus Paris machen, wo wir seinen Film »Douce France« zeigen und eine Diskussion über antirassistische Politik in Frankreich und Deutschland führen wollen, zusammen mit Leuten von MIB (Mouvement des Immigrés et des Banlieues) jenseits der Sans Papiers-Romantik, die hierzulande ausbricht, sobald in diesem Zusammenhang von Frankreich die Rede ist.

Vanessa: Also erstmal steht die Recherche für die Kanak History Revue an und die Proben, die Dramaturgie, die Planung und Organisation und so weiter. Musiker, die unser Projekt unterstützen, haben in Heidelberg und Hamburg einen Song aufgenommen, der demnächst veröffentlicht werden soll.

Das Interview führten Serhat Karakayali und Uli Spenkoch