Heft 2/01 (Sondernummer Buchmesse)

editorial

Diese Ausgabe des diskus erscheint als Sondernummer zur Frankfurter Buchmesse.

Die ursprüngliche Idee, deren diesjähriges Thema Griechenland zum Anlass zu nehmen, um vor allem über den marxistischen Staatstheoretiker Nicos Poulantzas zu sprechen, hat sich aus gegebenem Anlass darin verwandelt, einige markante Ereignisse und Entwicklungen vor und nach dem 11. September miteinander zu verbinden.

Einen Griechenland-Schwerpunkt können wir dennoch vorweisen.

Klaus Ronneberger und Vassilis Tsianos rekonstruieren in ihrem Beitrag "Vergesst Distomo" die Geschichte der Debatte um die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland. Eine Geschichte, die auch bei Menschen mit zehn- oder zwan ähriger politischer Sozialisation und der damit verbundenen deflationären Entwicklung von Augenblicken der Empörung, anstelle jeder Mä§igung den Ruf nach dem sofortigen Einsatz des Morgenthau-Plans treten lässt (diskus lädt am 14.10. zu einer Veranstaltung mit den beiden Autoren ein).

Im zweiten Zimmer dieses kleinen Appartments wohnt ein Vortrag von Etienne Balibar, in dem er im Anschluss an Poulantzas die ge ärtigen Konjunkturen des "national-sozialen Staates" in Begriffen eines Kräfteverhältnisses und den materiellen Formen innerhalb derer es sich bewegt, analysiert. Ohne Staatstheorie keine Globalisierungskritik. Ohne gute Globalisierungskritik keine gute Bewegung. Ohne Bewegung gar nichts.

Ohne gute Überleitung kein gutes Editorial. Thomas Seibert war in Genua und ist lebend zurückgekommen. Er versucht in seiner Einschätzung, ähnlich übrigens wie Poulantzas, bestimmten dualistischen Fixierungen bei der Beurteilung der Situation zu entkommen, um einen freien Blick auf die Konfiguration der "Massen von Genua" zu bekommen (s. Veranstaltung von links-netz zu Genua am 10. 10.) Ein Blick, der sich mit dem Sound von New York in den Ohren geändert hat. (Natürlich auch mit den Bildern im Kopf: Siehe nicht nur zu gestörten Fern-sehreaktionen nach dem 11. 09. die Veranstaltung "Theoretisches Fernsehen" von b_books, diskus und plattenbau am 13.10.)

Die elf Thesen von no spoon sind eine immanente Kritik am hegemonialen Kriegsdiskurs. Immanent heisst, die inneren Wide üche des hegemonialen Blocks auszuleuchten, aufzugreifen, zu politisieren und darin eine andere Strategie zur Infragestellung dessen zu sehen, was uns nun bevorsteht. Weit aus dem Fenster: Auch eine Variante des communisme de l'interieur.

Noch in der Sendung am Abend des 11. 09. hatte die Redaktion der französischen Satire-Nachrichten-Sendung Les Guignols de l'Info (engl.: Spitting Image) Jose Bové (natürlich seine Puppe) mit der Frage konfrontiert, was er denn von den Anschlägen halte, er der doch einst mit seinen Bauerngenossen eine McDonalds-Filiale kleingehauen hatte. Antwort: Das gilt nicht, der McDonalds hatte nur eine Etage. Wie die oppositionelle Bauerngewerkschaft Confederation Paysanne, deren Mitglied Bové ist, aus den militanten Kämpfen von Larzac hervorgegangen ist, und warum deren Kritik an produktivistischer Landwirtschaftspolitik und neoliberaler Globalisierung – damit sind wir wieder in Seattle und Genua – sich vom nationalen Protektionismus unterscheidet, kann in Frieder Dittmars Artikel "Via Campesina" nachgelesen werden.

Dass es auch in zukünftigen Galaxien noch Kühlschrank- und Knastplaneten gibt, berichtet Christoph Spehr in "Die Säge der Benita Torres". Dass die Bewegung der Tomisten bis heute leidenschaftlich gerne Schreibtische zersägt, können wir hier noch erwähnen. Die Wahrheit über die Vulkanier wird aber noch nicht verraten.

Eine Sondernummer ist eine Sondernummer ist eine Sondernummer.

Redaktionskollektiv diskus-Sondernummer
(Ende September 01)