diskus 3/00

Migration im Postfordismus

Staatlicher Antifaschimus und neue Regulierung der Arbeit

Im nachhinein ist man immer klüger. Vor allem wenn das Gegenüber nicht bekannte und unbekannte Gesichter sind, sondern dein eigener Text. Um eben jenen Duktus der späten Vernunft in der Narration über die Veranstaltung1 zu verhindern, will ich versuchen, die Spannung zwischen Text und Kontext, Haltung und Position, wie sie sich mir aufdrängte, aufzufangen. Aus diesem Grund entscheide ich mich für eine minimale Korrektur-Ergänzung meines Vortrags, da er und seine Form einen eigenen Beitrag zum beredten Schweigen an dem besagten Abend geleistet zu haben scheinen. Unmittelbar nach der Veranstaltung drängte sich mir die Frage auf, warum es inzwischen so dermaßen schwierig ist, über antirassistische Politikstrategien zu reden. Ich muss gestehen, wenn ich an den Abend zurückdenke, habe ich das Bild von starren Gladiatoren der Differenz vor mir – inmitten des linken Frankfurter Kolosseums allesamt verstrickt zwischen Publikumsbeschimpfung, fehlplatzierter Dis-tinktion und Kanak-Agitprop-Inszenierung.

Das könnte ein Grund für das Schweigen sein, aber keinesfalls die Erklärung. Was mich betrifft, kann ich offen sagen, dass mein Insistieren auf die Auseinandersetzung mit Alfred Schobert für eine thematische Verschiebung sorgte, die eher mit distinktionstaktischen Gesten innerhalb eines Politszenejargons zu tun hatte, als es zur Klärung der kommunikativen Verlegenheit beitrug, die sich im Raum ausbreitete. Diese entstand unter anderem durch Schoberts diskurstak-tische Platzierung des möglicherweise antisemitischen Migranten zu Beginn der Debatte, womit wieder einmal migrantische Selbstorganisierung desavouiert werden sollte.

Die tatsächlich interessante Frage, was für ein Gesellschaftsbild das antirassistische Plädoyer von Cornelius Yufanyi liefert und wie die paternalistische Duldung einer solchen Einschätzung der Kräfteverhältnisse hierzulande unsere Handlungsunfähigkeit zementiert, blieb ungestellt. Das antirassistische Schweigen macht aus Migranten unangreifbare Au-thentizitätsexemplare falscher Erwartungen und aus dem Rest frustierte Enttäuschte auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern.



Metaphysik des Rassismus

Die linke Debatte, die sich um eine Einschätzung des neuen staatlichen Antifaschismus bemüht, dreht sich vor allem um einen Punkt: believe or not believe the hype? Angesichts der unerwarteten Mutationsfähigkeit des linken Lieblingshassobjekts Staat und seinen ideologischen Staatsapparaten drückt sich im Wort believe eine gewisse Ratlosigkeit aus, die gewöhnlich in einer Demaskierungsanalytik des Staats-Antifa-Mutanten mit fatalen Effekten endet. So scheint es, als bliebe alles immer beim Alten, abgesehen von ein paar kosmetischen Modifikationen. Mark Terkessidis kann hier exemplarisch für diese analytische Ratlosigkeit zitiert werden: »In der neuen Kampagnenkultur geht es weder um Ursachenbekämpfung noch um durchgreifende Veränderungen, sondern um die permanente Anrufung eines Wir mittels einer gespenstischen Dauermobilisierung. Bereits morgen könnte es im Kampf um das »Ansehen Deutschlands« (Joseph Fischer) – also um die schönste Repräsentation eines neuen deutschen Wir – wieder opportun erscheinen, rassistische Anschläge wie bisher zu verschweigen. Schon morgen könnten wieder kriminelle Ausländer die Nazis als Generalbedrohung ersetzen.«

Nun leben wir tatsächlich in leicht dekonstruierbaren Diskursen, der Joker »staatliche Kontrollpolitik« könnte seine alten Lieblingsopfer wiederentdecken. Also: Vorsicht ist geboten. Wo bleiben aber die Wirkungseffekte dieser so schön ideologiekritisch weggedachten diskursiven Verschiebungen und was für ein Rassismusverständnis wird hier mitgeliefert? Believe or don’t believe the hype? Ist es tatsächlich egal, welche Repräsentationen, welche Diskurse auf der Ebene staatlicher Politik artikuliert werden? Was genau ist daran antirassistisch, was nicht?

Der Rassismus funktioniert nicht immer auf die gleiche Weise, es gibt mehrere Lösungen, mehrere Interventionsformen innerhalb der Staatsantifa-Einwanderungsdebatte. Ihre Durchsetzung hängt stark von den Formen der institutionalisierten Kompromisse ab, die der Antirassismus zu erzwingen bereit wäre.
Im Grunde wird unterstellt, dass Politiker einen unwandelbaren Rassismus, der im Dienste bestimmter ökonomischer Interessen steht, bei Bedarf aus dem Hut zaubern – der jeweiligen Konjunkturlage entsprechend. Diese Metaphysik des Rassismus impliziert, dass immer gleiche Ausschlussmechanismen die im-mer Gleichen unterwerfen.



Staats-Antifa und neue Einwanderungspolitik

Das Problem besteht aber darin, dass die aktuelle Antiglatzenkampagne nicht im Kontext einer Abschottungspolitik und offenkundiger rassistischer Diskurse stattfindet, sondern vor dem Hintergrund der gerade entfachten Einwanderungsdebatte. Kriminalisiert werden nicht mehr primär Kanaken und ihr Widerstand; vielmehr üben die Staats-Antifa und ihre anständigen Verbündeten aus der Mitte der Gesellschaft für eine modernisierte Politik rassistischer Stratifikation. Dabei geht es nicht um die Durchsetzung des Staatsmonopols auf Rassismus. Im Gegenteil. Die Durchsetzung des Gewaltmonopols in den bis dato geduldeten Refugien einer braunen Parallelgesellschaft ist ein wichtiges Moment eines Ordnungsdiskurses, der mit dem Modernisierungsprojekt der Berliner Republik korrespondiert. Die Skandalisierung des rechten Terrors als Normenbruch focussiert nicht nur die operative Zielfläche der Staats-Antifa-Antira, sie liefert vielmehr das regulative Legitimationsmuster für die Durchsetzung einer Problembewältigungspolitik, die den traditionellen Antirassismus und Antifaschismus mainstreamisiert. Aus Normalisierung und staatlichem Antirassismus wird eine neue Form rassistischer Herrschaft gemischt.


Krise des Antirassismus

Damit ist die Krise der Krise des Antirassismus – die sich schon länger abzeichnet, weil die Existenzweise des Antirassismus selbst die Krise ist – endlich offenkundig und die Original-Antifa hat maßgeblich damit zu tun. Verstärkt sie doch den fatalen Effekt der antirassistischen Arbeitsteilung zwischen Antifa, Antira und Flüchtlingspolitik. Der besteht in der Reproduktion der Defensivität des antirassistischen Spektrums durch die Reifikation der – für separat erkämpfbar gehaltenen – Aktions- und Politikfelder, deren Existenz von den Wirkungseffekten der rassistischen Herrschaft selbst in die Welt gesezt wurde. Es ist kein Zufall, dass sie in den Zeiten der usurpatorischen Staats-Antifa in eine Zuständigkeitskrise gerät, deren Überwindung sie durch eine »Professionalisierung« im Sinne von staatlich subventionierten NGOs und in der verzweifelten Suche nach Bündnispartnern aus dem linksliberalen Spektrum zu suchen scheint. »Also her mit dem Geld, um den gesellschaftlichen Kampf gegen die extreme Rechte so kompetent wie irgend möglich zu führen.« So Alfred Schobert in der Jungle World (37 / 2000).

Aber wo ist das Subjekt (oder die Subjekte) dieser gesellschaftlichen Kämpfe gegen die »extreme Rechte«? Ist es vielleicht die neumodisch vielbeschworene Zivilgesellschaft? Noch einmal werden die Subalternen, also die Kanaken, nicht sprechen können, und dies trotz bester Absichten der Antifa. Die staatlich gewollte und koordinierte neue Einwanderung mit ihrer qualifikationsbetonten Selektivität ist nicht nur einfach definitionsgemäß und an sich rassistisch, sie sorgt auch für eine grundlegende Veränderung der ethnischen Unterschichtung durch eine neue Zusammensetzung der ethnischen Arbeit. Angeworbene beziehungsweise anzuwerbende Leitungsfunktionäre und immateriell arbeitende Kanaken platzieren sich jenseits klassischer bad-jobs und dies unter Beibehaltung des Bedarfs an unqualifizierten und prekär beschäftigten Integrationsverlierern der zweiten und x-ten Generation oder Illegalisierten. Dadurch formieren sich nicht nur Möglichkeiten des Bruchs von identitären Zwangsverhältnissen des Elends, der ethno-identitären Segmentation der Arbeit, sondern es ergeben sich neue Möglichkeiten des Widerstands.

Die neue kanakophile Staatsantifa ist verankert in der Regulierung der Widersprüche und in den daraus entstehenden Kräfteverhältnissen, die sich angesichts einer Politik der modernisierten Stratifikation entlang ethnischer Kriterien herausbilden. Die Regulierung, die sie kontrollieren muss, um die Erneuerung zu verwirklichen, liefert die antagonistische Form, in der die Widersprüche zueinander stehen. In dieser Form muss sich sowohl der Rassismus notwendig realisieren, wie auch der Antirassismus sich an ihr notwendig messen muss, um sich ihm entgegenzustellen. Darin kommen die Existenzbedingungen, die Praxen und die Kampferfahrungen der Migranten zum Ausdruck.

Vassilis Tsianos,
Kanak Attak




Anmerkungen:
< 1 > Überarbeitete und geringfügig erweiterte Fassung des Vortrags, der auf der von Jungle World, Kanak Attak und diskus im Rahmen der Buchmesse organisierten Veranstaltung »don’t believe the hype II – Strategien gegen rechts« gehalten wurde. Neben dem Autor saßen noch Cornelius Yufanyi (The Voice) und Alfred Schobert (DISS) auf dem Podium. (back)


 
Zurück zum Inhaltsverzeichnis