diskus 3/00

editorial

Deutsche Wasser sind tief – manche ertrinken darin. Das Ereignis »Sebnitz« markiert den vorläufigen Endpunkt einer vermeintlichen Einhelligkeit. Im Sommer und auch noch im deutschen Herbst 2000 schien sich die Mehrheit einig: Deutschland hat ein Glatzenproblem. Mit der »Wende« im Fall Joseph und den neusten Erkenntnissen im Prozess über den Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf wittern jene Morgenluft, die immer schon linke Propaganda am Werk sahen. Wird Deutschland einig Antifa jetzt zu-rückgepfiffen? Als die CDU die Leitkultur ins Spiel brachte, ließ sich dies noch als Versuch deuten, die Perspektive weg von den Neonazis und hin zu »assimilationsunwilligen Ausländern« zu verschieben. Redeten die einen noch von der Kultur des Anstands, hatten die anderen sie schon längst und seit jeher für sich veranschlagt und wendeten nun den Kulturbegriff in neuem Gewand als Zugangsvoraussetzung der deutschen Gesellschaft.

Dass die Zeugen im Fall Sebitz gekauft oder Alkoholiker gewesen sein sollen und dass die Bombenwerfer von Düsseldorf keine deutschstämmigen Eltern haben, bietet nun verbesserte Möglichkeiten, die Gegenoffensive zu wagen: »Übereilt« (FAZ), gar »hysterisch« (Spiegel) sei der Verdacht gewesen, deutsche Rechte hätten ertränkt und gezündelt.

Ist damit der letzte Akt des Sommertheaters Staatsantifa gespielt? Schon wird gemutmaßt, in Deutschland geht die rassistische Normalität weiter, ohne dass sich noch über die hässlichen Facetten groß aufgeregt wird. Tatsächlich rudern aber die rot-grünen MeinungsmacherInnen zunächst einmal nicht eiligst zurück. Es gebe keinerlei Veranlassung, von der Thematisierung von Rassismus und Rechtsextremismus abzulassen, so etwa Schröder und die FR unisono. Ob das Ende des Staatsantifa-Spektakels gekommen ist oder sich fortsetzt – darin spiegelt sich die Frage, was der Hype eigentlich war und ist.

Für Teile der Linken war das Ganze nie mehr als Heuchelei bzw. heisse Luft; und es war auch richtig, auf die staatliche Rede gegen den Straßenrassismus mit einer Breitseite Kritik an dem hoheitlichen Rassismus zu reagieren, der sein Monopol auf legitime Gewalt und Abschiebung zu verteidigen suchte. Tatsächlich ging es im zivilgesellschaftlichen und staatlichen Aufbegehren gegen Nazi-Glatzen und NPD nie da-rum, die Bedingungen für eingewanderte und einwandern wollende Leute dahingehend zu verändern, dass sie als solche nicht markiert und positioniert wären; Asyl- und Ausländergesetz standen nie zur Debatte. Der Staat kann sich als Behüter der »Schwachen« gerieren, wenn Schlägertrupps unterwegs sind, die diejenigen verprügeln, die erst staatlicherseits zu Schwachen gemacht wurden. Ansonsten wird weiter grenzpatrouilliert, der BGS von der Leine gelassen, interniert und ausgeflogen. Rassismus? L’ état, c ’est moi!

Gleichwohl erscheint es verkürzt, sich auf eine »alter Wein in neuen Schläuchen«-Sichtweise zu beschränken. Die Ideologiekritik-Schiene, die im Hype bloß heisse Luft sieht, greift zu kurz, da derzeit tatsächlich eine Auseinandersetzung um ein modernisiertes Nationen- und Staatsverständnis stattfindet. Neben dem Aufstand der Anständigen zeigen auch die Debatten um doppelte Staatbürgerschaft, Green Card und Leitkultur, dass sich der NeueMitte-Republikanismus politisch, ökonomisch und kulturell um eine Absetzung vom konservativen, völkelnden Nationalismus müht.

So demonstriert das rot-grüne Modernisierungsprojekt zum Wohle der Nationalwirtschaft Flexibilität. Die Einführung der Green Card steht für die Bereitschaft, die als Standortnachteile ausgemachten Lücken in der nationalen Arbeitskraftzusammensetzung mittels eines selektiven Zugriffs auf ausländische Hochqualifizierte zu stopfen.

Auch der Umgang der Berliner Republik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verändert sich, wie schon während des Kosovokrieges durchexerziert wurde. Das deutsche Erbe wird nicht – wie auf konservativer Seite üblich – weg- bzw. schöngeredet oder für beendet erklärt, sondern zur Folie genommen, vor der eine besondere Moralität zelebriert und inszeniert werden kann. Gerade weil die Vergangenheit als schändlich gilt, soll Deutschland 2000 geläutert, wachsam und verantwortungsbewusst sein. Einerseits werden hierdurch Kriegseinsätze legitimiert, andererseits kann das derzeitige Ausmaß an heimischer rassistischer und insbesondere antisemitischer Gewalt nicht hingenommen werden. So hat es seine eigene Plausibilität, dass der Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge zum Auslöser des »Aufstands der Anständigen« wurde.

In diesem Sinne zielt die Kampagne nicht nur auf die Innenverhältnisse der Republik, sondern soll ihre Effekte auch nach aussen hin zeigen. Eifrig wird an einem neuen Image Deutschlands gebastelt: als modernes, weltoffenes und sich seiner Verantwortung für die eigene Geschichte bewusstes Zentrum Europas soll es auf der Höhe der Zeit diese selbst maßgeblich prägen.

Festzustellen, dass sich Rassismus und die Definition von Nation verändern, heisst keineswegs, Veränderung allein schon als positiv zu bewerten oder sich gar mit dem neuen Modell anzufreunden. Es geht nicht bloß um die abstrakte Frage, welches Projekt mehr oder weniger rassistisch ist, sondern vielmehr darum, wie die verschiedenen Rassismen und Ausgrenzungsstrategien jeweils funktionieren. Das heisst aber, die Bewegungen des Staatsprojekts samt seiner zivilgesellschaftlich hegemonialen Kräfte wahrzunehmen und die eigene Positionierung, während 16 Jahren Kohl-Regierung eingespielt, entsprechend zu verändern. Nachhaltig verwirrend wirkt es, wenn von Regierungsseite plötzlich Themen und Parolen aufgegriffen werden, die bis vor kurzem noch der marginalen Linken vorbehalten waren. Symptomatisch für die Schwierigkeiten der Linken, das derzeitige Durcheinander auf den Begriff zu bringen und sich zu positionieren, war der Verlauf der von Jungle World, Kanak Attak und diskus organisierten Veranstaltung »don’t believe the hype II. Strategien gegen rechts« Mitte Oktober in Frankfurt. Während die auf dem Podium vertretenen Referenten trotz unterschiedlicher Positionen kaum in eine produktive Auseinandersetzung kamen, waren die Wortmeldungen der ca. 200 anwesenden Interessierten und AktivistInnen eher von einer ratlosen Schweigsamkeit geprägt, in der gerade noch die eigenen Unsicherheiten mit der neuen Situation artikulierbar waren. Umso bedauerlicher, als die auf der Veranstaltung vertretenen Positionen durchaus Stoff für eine solche Auseinandersetzung hergeben würden:

Dass vor allem das Ausländerrecht und erst in zweiter Linie Nazis ein Problem für Asylbewerber in Deutschland sind, machte Cornelius Yufanyi von der migrantischen Organisation »The Voice« deutlich, die zur Zeit eine Kampagne gegen die Residenzpflicht von Asyl-bewerberInnen durchführen. Ein wirksamer Selbstschutz gegen rassistische Übergriffe wird aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der Kriminalisierung von Ansätzen politischer Selbstorganisation weitgehend erschwert. Die repressive Verfolgung alltäglicher Handlungen durch rigide Ausländergesetze bewirkt, dass nicht nur Angriffe von Nazis, sondern auch die Polizei als ständige Bedrohung im Hintergrund steht. Auch eine zum Teil paternalistisch-humanitäre Flüchtlingsbetreuung helfe da nicht viel. Um selbst handlungsfähig zu werden, müssten grundlegende Rechte auch für Flüchtlinge gewährleistet bzw. durchgesetzt werden.

Von einer Krise des herkömmlichen Antifaschismus und Antirassismus, der zwar nicht erst durch die rot-grüne Modernisierungspolitik erzeugt, aber nun sichtbar werde, geht Vassilis Tsianos (Kanak Attak) aus. Auf die Veränderungen könne weder mit herkömmlicher Ideologiekritik, die von einem unveränderbaren Rassismus ausgehe, noch mit der Fortführung der klassischen Antifa- und Antirassismus-Politik angemessen reagiert werden. Diese traditionellen Positionen würden vielmehr im Anti-Glatzendiskurs der Staats-Antifa »mainstreamisiert«. Die neue Qualität einer sich abzeichnenden modernisierten Politik ras-sistischer Statifikation, die mit dem Modernisierungsprojekt der Berliner Republik korrespondiere, könne damit jedenfalls nicht erfasst werden. Was den Initia-tiven und Gruppen in Zeiten einer ursupatorischen Staats-Antifa bleibe, so sie denn die eigene Position nicht grundlegend überdenken würden, sei dann nur noch eine »Professionalisierung im Sinne von staatlich subvebtionierten NGOs« und die »verzweifelte Suche nach Bündnispartnern aus dem linksliberalen Spektrum«. Erfolgversprechender sei es, sich auf Möglichkeiten des Bruchs von identitären Zwangsverhältnissen und daraus entstehenden neuen Widerstandspraktiken zu beziehen, die sich im Zuge der ausländerrechtlichen Reformen und der veränderten Zugangsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt herausbilden.

Von der Position eines »pragmatischen Antifaschismus« aus, dem es um Fortschritte hier und jetzt geht und der »Verbesserungen nicht bis zur Revolution hinausschieben mag«, stellt sich die Situation für Alfred Schobert (DISS) folgendermaßen dar: einerseits ein seit 1989 zunehmender Antisemitismus und Rechts-extremismus, andererseits die Möglichkeit, im Windschatten der rot-grünen Mobilisierung die Kontinuität des spezifischen deutschen »völkischen Nationalismus« zu unterbrechen oder gar zu beenden. Dies geschehe jedoch nicht von selbst, die Antifa könne vielmehr ihre vorhandenen Kompetenzen nutzen, um die Veränderungen so weit wie möglich voranzutreiben. Ob ein neuer Antirassismus sich aber vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antisemitismus über die »Interessen von Migrantinnen und Migranten« bestimmen lasse, wie bei Kanak Attak, sei fraglich. Die hier lebenden Juden könnten ja kaum generell als Migranten gelten.

Um die gegenwärtige Krise des Antirassismus zu verstehen, mag es hilfreich sein, zwischen zwei verschiedenen Aspekten zu unterscheiden. Die ältere Tendenz ist eine zum Paternalismus neigende Flüchtlingsunterstützungspolitik, die angesichts zunehmender Selbstermächtigung und Organisierung von MigrantInnen in Frage gestellt wird. Dazu kommt spätestens seit dem Regierungswechsel eine Übernahme und Reartikulation linker Themen durch Rot-Grün. Angesagt erscheint daher eine doppelte Neupositionierung.
Das Auftauchen neuer migrantischer Akteure auf dem Feld des Antirassismus zwingt eine »Unterstützungs«-Linke, die nun nicht mehr exklusive Akteurin ist, dazu, sich demgegenüber zu äußern und neue Bündnisse einzugehen.

Zum anderen unterminiert ein Diskurs, der nicht mehr auf restriktive Abschottung, sondern auf produktive Einwanderung setzt, die inhaltliche Ausrichtung bisheriger antirassistischer Kampagnen. Diese konnten sich gegenüber einer regierungsamtlichen »das Boot ist voll«-Rhetorik recht einfach positionieren. Das rot-grüne Einwanderungsversprechen macht eine um einiges anspruchsvollere Auseinandersetzung mit dem in Reform befindlichen staatlichen Rassismus notwendig. Eine genauere Beurteilung konkreter Maßnahmen kann dabei helfen, bestimmte gesellschaftliche Tendenzen vor dem Hintergrund neu zu formulierender Ziele zu verstärken.

Anlässlich des nächsten Grenzcamps, das im Sommer 2001 im Rhein-Main-Gebiet stattfinden wird, können die Diskussionen weitergeführt werden.

Redaktion diskus


 
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