diskus 3/00

garip dünya

Rückblick auf die Veranstaltung »Transgender: Bewegung und Begriff«
Am 26. Oktober 2000 fand im Studierendenhaus der Uni eine Veranstaltung mit dem Titel »Transgender: Bewegung und Begriff« statt. Es sollte sowohl um eine Kritik der hegemonialen zweigeschlechtlichen Ord-nung als auch um ein differenziertes Bild der bundesdeutschen Diskussion im Bereich Transgender bzw. Transgenderbewegung gehen.

Schon die große BesucherInnenzahl zeigte, dass die-ses Thema in Frankfurt viel zu selten diskutiert wird. Als ReferentInnen waren Gesa Lindemann, Michel Reiter und Nico Beger eingeladen. Wem diese Namen etwas sagten, wusste, dass hier drei unterschiedliche Positionen auf einem Podium vertreten waren. Dies zeigte sich auch in den Kurzreferaten, die alle so konzipiert waren, dass nicht nur Eingeweihte den Inhalt verstehen konnten, sondern die sich auf einer Ebene bewegten, die zum Diskutieren einlud.

Gesa Lindemann, die sich vor allem mit Transsexuellen und deren Erfahrungen auseinandergesetzt hat, widmete sich in ihrem Kurzvortrag dem Prozess der Geschlechtsumwandlung und machte daran die Rolle des Körpers als konstituierendes Element deutlich. Sie beschrieb, dass während des oft langwierigen Prozesses durch die Instanzen erst die Herstellung einer eindeutigen Geschlechtsidentität notwendig ist, um auch vor den Buchstaben des Gesetzes als transsexuell anerkannt zu werden.

Dadurch wurde deutlich, dass nicht nur der Körper dem 'inneren Gefühl' angepasst wird, sondern dieses 'innere Gefühl' durch den Prozess geformt und genormt wird. Das heisst, dass die Geschlechts-identität eines transsexuellen Mannes / einer transexuellen Frau oft erst während der psychologischen (Zwangs)'Behandlung' verfestigt wird. Auch die juristisch verlangten Veränderungen am Körper spiegeln das Ziel wider, einen 'Verstoß' gegen die binäre Geschlechterordnung möglichst unsichtbar zu machen. Dies zeigt sich daran, welche Körperteile vom 'einen Geschlecht' ins 'andere Geschlecht' mit hinübergenommen werden dürfen. Gesa Lindemann spricht hier vom »Körperteilschmuggel«, d. h. dass sowohl der Penis, die Gebärmutter und auch die Brüste an der Grenze »abgegeben« werden müssen, wobei z. B. die Eierstöcke mit »hinübergenommen« werden können.

Insofern wies Gesa Lindemann auf das komplexe Zusammenspiel zwischen Körper und Geschlechts-identität hin und plädierte für eine Diversifizierung entgegen dem Zwang, sich in genau ein Geschlecht von zweien einordnen zu müssen.

Michel Reiter hingegen stellte Intersexuelle in den Mittelpunkt seines Vortrags. Im Unterschied zu Transsexuellen wird das Zusammenspiel bzw. die Diskrepanz zwischen Körper und Geschlechts-identität bei Intersexuellen nicht erst im Erwachsenenalter thematisiert, sondern von Geburt an. Intersexuelle gelten bis heute als krank und damit als medizinisch zu behandeln, was zu Operationen und Zwangsgeschlechtszuweisungen führt. Damit wird deutlich, dass es sich hier nicht um die Anpassung des Körpers an eine 'gebildete' Geschlechtsidentität handelt, sondern um eine medizinische Behandlung ohne das Einverständnis der Person.

Werden Transsexuelle und Transgender in queertheoretischen Politiken als ein Beispiel für ein spielerisches Unterlaufen von Zweigeschlechtlichkeit gesehen, weist Michel Reiter darauf hin, dass die Kritik am Konzept Gender für Intersexuelle anders sein muss. So geht es nicht um Verschiebung bzw. Überschreitung von Gendergrenzen, sondern darum, deutlich zu machen, dass die Einordnung in eine binäre Geschlechterordnung für Intersexuelle von Geburt an erzwungen wurde. Denn, so Michel Reiter, ich kann »die Lust an Grenzüberschreitungen nicht nachvollziehen. Ich war und bin stets eine einzige Grenzüberschreitung für andere durch meine bloße Existenz und muss diese sozial gar nicht zelebrieren«.

Schließlich sprach Nico Beger über die politische Allianz zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Unter Transgender fasst er »verschiedene Entscheidungsphasen, anatomisch-biologische Besonderheiten, kulturelle Unterschiede und Ebenen des Geschlechtsausdruckes«. Dieser heterogen gefasste Begriff dient Nico Beger im politischen Kontext zur Thematisierung von verschiedensten Erfahrungen und Lebensweisen. Er führte als Beispiel seine Arbeit bei ILGA (International Lesbian und Gay Association) an, bei der es darum ging, nicht nur Lobbypolitik für Schwule und Lesben zu machen, sondern Geschlecht und sexuelle Präferenz als Konstrukte zu sehen, die sich gegenseitig bedingen und somit in engem Zusammenhang stehen. Gerade durch eine queere Politikperspektive ist für ihn die Verwobenheit dieser Kategorien in den Blick zu rücken. So ist Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung nicht zu begreifen, wenn nicht auch eine Kritik an der binären Geschlechter-ordnung formuliert wird, die nach wie vor »Penis = Mann = Sex mit Frau« vorschreibt. Dieses Verständnis führt dazu, Politik nicht auf eine eingeengte, scheinbar feste Identität zu gründen, sondern kann vielmehr den komplexen Zusammenhang von verschiedenen Kategorien in den Blick nehmen. Dies bedeutet, dass politische Arbeit nicht auf eine Gruppe von 'Betroffenen' festgelegt ist, sondern es vielmehr darum geht, diese Kategorien als etwas Konstruiertes und damit Veränderbares zu sehen und damit zu arbeiten.

In der Veranstaltung und vor allem in der Diskussion wurde klar, dass es nicht nur um die »richtige« Benennung ging, sondern sich daraus auch verschiedene politische Konzepte ableiten ließen. So wiesen sowohl ein Teilnehmer als auch Gesa Lindemann darauf hin, dass eine Transgenderbewegung, die sich auf das gemeinsame 'Transgender-Sein' stützt und daraus die Kritik an binärer Geschlechterordnung formuliert, Gefahr läuft, die Mitglieder je nach 'Subversionsgrad' zu werten. D. h., dies könnte dazu führen, Transsexuelle als konform zur Geschlechterordnung zu sehen, während Menschen, die den Weg der staatlich-juristischen Anerkennung nicht gehen, als politisch subversiver dargestellt werden.

Deswegen forderte Gesa Lindemann, politische Zusammenschlüsse nicht aufgrund einer »Gemeinsamkeit« anzustreben, sondern ein gemeinsames Ziel als Basis politischen Handels anzuvisieren.

Nico Beger hingegen verfolgt eher die Strategie, eine Kategorie Transgender in Institutionen und Gesetzen zu benennen und damit auch sichtbar zu machen. Allerdings blieb im Raum, ob mit dieser Sichtweise der Begriff Transgender und die Politik, die sich daraus ableitet, nicht gefährdet ist, zu einer Restkategorie zu werden, die nur additiv verschiedenste Menschen mit unterschiedlichsten Interessen und Hintergründen zusammenfasst. Sehr deutlich wurde dies durch die Einwände von Michel Reiter, der eine umfassende Gesellschaftkritik forderte und sich damit genau gegen eine Politik wandte, die sich vorwiegend auf eine bestimmte - wenn auch nicht-essentalistische gedachte - Kategorie gründet, denn gerade im Bezug auf Intersexuelle fragte Michel Reiter: »Welches Geschlecht sollten sie gehabt haben?«.

Am diesem Punkt zeigte sich eine grundsätzlich unterschiedliche Zielsetzung zwischen Nico Beger und Michel Reiter. Währende Nico Beger für eine Vervielfältigung von Geschlechtern durch Grenzüberschreitung und Verschiebung von Grenzen plädiert und auf die Anerkennung dieser Vielfalt hinarbeitet, strebt Michel Reiter eine vollständige Auflösung der Kate-gorie an. Die Vielfalt der Meinungen und Positionen auf dem Podium spiegelte sich auch bei den Teilneh-merInnen wider.

Die abschliessende Diskussion drehte sich vorwiegend um Fragen nach der alltagspolitischen Umsetzung. Das Spektrum reichte von der Frage nach der Sichtbarkeit von 'gender-non-konformem' Verhalten, z. B. in der Sprache, bis hin zu den möglichen Allianzen und Bündnissen für eine noch kaum existierende Transgenderbewegung.

In diesem Sinne blieben am Ende der Veranstaltung mehr Fragen offen als beantwortet wurden - gerade im Bezug auf eine bundesdeutsche Transgenderbewegung. Es wurde einer wichtigen und längst überfälligen Diskussion Raum gegeben, die gerade durch die Vielfältigkeit der Meinungen - nicht nur auf dem Podium - eine produktive und inspirierende war. Wir hoffen auf weitere Möglichkeiten, diese Diskussion fortzuführen!

Heike Raab, Trixi Schwarzer,
Karen Wagels, Mica Wirtz


Umherschweifende Stadtforschung
Das Thema Stadt als politischer Raum, das seit Mitte der 90er Jahre wieder verstärkt durch Debatten auch der Linken geistert, hat ein weiteres Artikulations-medium gefunden. Im Juli 2000 erschien die erste Ausgabe von dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, die vom Wiener »IWI - Kulturverein zur Förderung der Interdisziplinarität« vierteljährlich herausge-geben wird.

Im Kontext der Lettristischen und später der Situationistischen Internationale in den 50er und 60er Jahren bezeichnete der Begriff dérive eine Praxis, durch den städtischen Raum umherzuschweifen, sich auf experimentelle künstlich-künstlerische Art durch das »psychogeopgraphische Bodenprofil« der Städte zu bewegen. Solcherart sollte mit herrschenden stadträumlichen Arrangements gebrochen und »neue« Erfahrungen jenseits Kulturindustrie, Funktionalismus etc. möglich gemacht werden. Weckt der Titel der neuen Wiener Zeitschrift also Assoziationen subjektiver und kollektiver Subversion in und gegen bestehende Stadtstrukturen, nimmt sich der Untertitel »Zeitschrift für Stadtforschung« nüchterner, wissenschaftlicher, distanzierter aus. Insgesamt enthält das Labeling also einen programmatischen Kontrast aus Stadterforschung und -forschung. Im Editorial heißt es, dass der städtische Raum als Ort und Indikator gesellschaftlicher Restrukturierungen und Entwicklungen angesehen werden soll. Das Feld des Interesses wird dabei abgesteckt mit Stichworten wie »intensive Überwachung des öffentlichen Raums, Zero-Tolerance-Politik, Rassismus, Erlebniswelten und Muliplexe, Gentrifizierung, Migration und Integration, Stadtplanung, Wohnbaupolitik und Obdachlosigkeit, die Privatisierung des öffentlichen Raums, Gated Communitites, die Abschaffung des Sozialstaates und Standortpolitik«. Gleichzeitig wird der Rekurs auf die Stadt in der Tradition als Bezugspunkt utopischer Entwürfe und Repräsentationen verstanden. Die Stadt - sowohl Objekt der Ana-lyse als auch Ort des Protests, des Nicht-Kontrollierbaren bzw. Einhegbaren, der »anderen Praxis«.

Die Juli-Ausgabe von dérive enthält die zwei Schwerpunktthemen Sanierung des Wiener »Gürtels« und institutioneller Rassismus am Beispiel der »Operation Spring«. Der »Gürtel«, ehemals der Wiener Stadtwall, mittlerweile eine Mischung aus innerstädtischem Grünstreifen und Verkehrsschneise, ist in den vergangenen Jahren im Rahmen eines von der EU geförderten Urban Projects zum Objekt von »Revitalisierungs«- Arbeit geworden. Bei seiner Sanierung vollzog sich eine Tendenz, die ähnlich auch in anderen Großstädten beobachtbar ist: Ausgehend von der Betonung des unwirtlichen und bedrohlichen Charakters wird die planerische Neugestaltung öffentlicher Räume unter dem Banner des subjektiven Sicherheitsgefühls der Mehrheitsgesellschaft und der Wiederbelebung betrieben. Auch im Falle des Gürtels meint bzw. bewirkt Aufwertung die Verdrängung des Zwielichts, der dubiosen Gestalten und anrüchigen Nutzungsweisen.

Der im Editorial formulierte Anspruch, die jeweiligen Schwerpunktthemen »aus mehreren Perspektiven« zu beleuchten, heisst im Falle der Gürtelsanierung zweierlei: Zum einen fällt die gelungene Mischung verschiedener Abstraktionsebenen auf, mit der das Thema in den jeweiligen Texten beleuchtet wird. So ist der »Gürtel« Gegenstand mikrosoziologischer Studien des gebauten und genutzten Raums, die die diskreten Details der Wiederbelebungs- / Verdrängungspraktiken wie die Ansiedlung neuer Geschäfte, bessere Beleuchtung der Grünanlage oder die »Rodung« dunkler und uneinsehbarer Zonen einsichtig machen. Die Auseinandersetzung mit der Entstehung und Umsetzung der Sanierungskonzepte gibt Aufschluss über die komplexen institutionellen Abläufe und die Vielzahl der beteiligten Akteure an Prozessen städtischer Restrukturierungen. So nimmt Michael Zinganel die Verflechtung des städtischen Sicherheitsdiskurses mit den Konzepten, Begründungen und der legitimatorischen Kraft frauengerechter Stadtplanung kritisch unter die Lupe. Schließlich lassen sich abstraktere theoretische Reflexionen über Politiken der Kontrolle, des Ausschlusses und der Sichtbarkeit finden.

Zum anderen heisst »mehrere Perspektiven« jedoch auch, zwei Interviews mit federführenden institutio-nellen RepräsentantInnen zu publizieren, deren Posi-tionen und Arbeit Gegenstand der Kritik sind.

Im zweiten Schwerpunkt des Heftes beschäftigen sich mehrere Artikel am Beispiel der Operation Spring mit institutionellem Rassismus. Als Operation Spring werden die von Polizei und Drogenfahnung durchgeführten und von den Medien gefeierten Großeinsätze zur »Zerschlagung der nigerianischen Drogenmafia« bezeichnet, d. h. umfassende Lauschangriffe, Razzien, und Kriminalisierungen von afrikanischen MigrantInnen. In einem Artikel zeichnet Christoph Laimer nach, wie der Protest von MigrantInnen gegen gewaltsame Übergriffe und Tötungen bei Strassenkontrollen von den Beamten selbst zur Zementierung des Bildes der organisierten Drogenkriminalität benutzt wurde.

Daneben beinhaltet dérive zahlreiche Beiträge, in denen Projekte, Bücher und Filme vorgestellt werden, die sich mit dem Thema Stadt und öffentlicher Raum auseinandersetzen bzw. darin agieren. Beispielsweise finden sich in no. 1 zum Thema Antirassismus u. a. ein Beitrag über eine kulturpolitisch verhinderte Plakataktion des Medienkunstprojekts Klub Zwei und der Gruppe MAIZ und ein Text der MigrantInnengruppe »Tschuschenpower« (Tschusche ist das österreichische Pendant für das deutsche 'Kanake'), die für eine selbstbewusst-rebellische Politik gegen Rassismus eintritt.

Welche Kritikstrategien in dérive möglich sind und welche nicht, d. h. konkret, wie weit man sich auch auf staatlich-institutionelle Perspektiven einlässt, wirkt insgesamt noch nicht ganz ausgemacht. Mehrfach klingt eine Übernahme des »planerischen Blicks« durch. Am offenkundigsten ist dies in dem Artikel »Vom Wohnen mit Fremden Tür an Tür«, in dem die Ergebnisse einer empirischen Studie über die Abhängigkeit rassistischer Einstellungen von der »Kontakthäufigkeit und -freiwilligkeit mit AusländerInnen« vorgestellt werden. Da dabei völlig unproblematisiert mit der scheinbaren Evidenz der Kategorien Österreicher vs. Ausländer operiert wird, nimmt es nicht Wunder, dass sich letztlich sozialtechnokratisch für die gleichmäßige Verteilung von MigrantInnen im Stadtraum ausgesprochen wird - womit man flugs ins Fahrwasser einer Logik von Belastungsgrenzen geraten ist.

Sind die meisten Beiträge auch Wien-based, so lohnt sich die Lektüre insgesamt auch für die übrigen Stadtinteressierten und -aktivistInnen dieser Welt.

Es wird sich in den folgenden Ausgaben zeigen, wie es den MacherInnen gelingt, das dérive-Projekt an den Schnittflächen von wissenschaftlicher, alltagskultureller, künstlerischer politischer Praxis und Kritik - zwischen dérive und Zeitschrift für Stadtforschung - zu verorten. Es liest sich gut an.

Die zweite Ausgabe von dérive erscheint im November 2000 mit den Schwerpunktthemen »Wohnsituation von MigratInnen in Wien / Kritik des Integrationsbegriffs« und »Reclaim the Street / Politik und Strasse«. Zu bestellen bei: dérive, c/o IWI, Postfach 129, A-1061 Wien (50 ats bzw. 8 dm). Netzkontakt: www.derive.cjb.net; derive@gmx.at

Christian Sälzer


Chipkarten an der Fachhochschule - ohne uns!
Die Hochschulleitung der Fachhochschule Frankfurt am Main will Mitte nächsten Jahres den herkömmlichen (und bislang kostenlosen) Studierendenausweis durch einen sogenannten »Study-Chip« (mit Paßbild zur eindeutigen Identifikation) ersetzen. Dieses Projekt soll angeblich nur dem Service an uns Studierenden dienen. Im Gegensatz zum derzeitigen Studierendenausweis soll der »Study-Chip« erstens 20 DM kosten und zweitens folgende Funktionen beinhalten: er wird Geldkarte, Studierendenausweis, RMV-Fahrkarte, Bibliotheksausweis, Kontrollkarte (an Terminals können alle Studien-daten eingesehen und z. T. geändert werden) und auch Raumzugangskarte sein.

Zur »engen Kooperation mit der Frankfurter Sparkasse 1822«
Wie auch an anderen Hochschulen ist an dem Chipkartenprojekt ein ortsansässiges Kreditinstitut beteiligt. Und dies wohl nicht aus reiner Nächstenliebe: Die auf jedem »Study-Chip« installierte und ach so »kontoungebundene« Geldkarte der 1822 kann an der Fachhochschule ausschließlich mit einer »üblichen EC-Karte«, nicht aber mit Bargeld aufgeladen werden. Diese eindeutige Benachteiligung von nicht als EC-Karten-würdig bewerteten Studierenden ist inakzeptabel. Außerdem: Jedes Aufladen der Geldkarte kostet die Studierenden Geld, und zwar zwischen 1 DM und 2 DM. Studierende sollen künftig Geld dafür zahlen, dass sie Geld ausgeben. Und wer zahlt »nur« 1 DM? Natürlich der- oder diejenige, der oder die eine EC-Karte von der 1822 besitzt. Könnte es sein, dass seitens der 1822 doch ein Interesse besteht, gerade Studierende über diesen Werbeträger als zukünftige Besserverdienende an ihr Kreditinstitut zu binden?

Zum Servicegedanken der Hochschulleitung
Studierende werden, sollte der »Study-Chip« wirklich eingeführt werden, ihre Studiendaten, die nur mit einer PIN gesichert sind, einsehen und verändern können. Anmeldungen zu Prüfungen, Ausdruck von Leistungsnachweisen, Beurlaubungen und auch Exmatrikulation werden somit auch für mögliche Finder einer verlorenen Karte leicht möglich.

Zur Möglichkeit der Überwachung aller Studierenden
Nutzen Studierende den »Study-Chip« als Zugangskarte für Räume, so wird ihre Matrikelnummer und somit auch die Zeit ihrer Anwesenheit gespeichert. Dies geschieht natürlich nur, um bei eventuellen Sachbeschädigungen den Täterkreis einzugrenzen. Weiter gedacht ist der »Study-Chip« ideal, um das Studier- und Alltagsverhalten von Studierenden aufzuzeichnen und auszuwerten: Wer geht wann mit wem in die Mensa, wer ist nicht die vorgeschriebene Anzahl von Semesterwochenstunden auch wirklich anwesend, wer meldet sich zur Prüfung an, obwohl er oder sie zu oft im Seminar gefehlt hat, und wie praktisch wird der »Study-Chip« erst bei der Einführung von Studiengebühren sein?

Am Fachbereich Sozialarbeit haben sich sowohl die Studierenden auf einer Vollversammlung als auch der Fachbereichsrat gegen den »Study-Chip« ausgesprochen. Sollte die Hochschulleitung dieses Projekt nicht endgültig einstellen, wird der AStA aufgrund der Vielzahl von Risiken, ungeklärter datenschutzrechtlicher Fragen und der nicht auszuschließenden Profilbildung von Studierenden zum Boykott dieses »Study-Überwachungs-Chips« aufrufen.

Maren Kochbeck,
Hochschulpolitische Referentin
im AStA der FH Frankfurt


MoneyNations 2
Wien Kunsthalle Exnergasse
WUK 20. 10. - 11. 11. 2000

In Zeiten des Postfordismus werden Grenzen nicht beseitigt, sondern neu gezogen. Mit der Bedeutung dieser veränderten Geographie setzt sich das von Marion von Osten initiierte Projekt Money-Nations kritisch auseinander. Während in der ersten Veranstaltung in der Shedhalle Zürich die »Festung Europa« und die damit verschärfte Grenzpolitik gegenüber den Nicht-EU-Staaten im Mittelpunkt stand, untersuchte MoneyNations 2 in der Kunsthalle Exnergasse vorwiegend die Ausschlußmechanismen innerhalb eines Staates. Die xenophobe Politik der österreichischen Regierung dürfte Anlaß dieser thematischen Verschiebung gewesen sein. Ingesamt gesehen, gehen beide Veranstaltungen von einer engen Verquickung von Ökonomie, Kultur und Politik aus.

MoneyNations stellt auch in seiner eigenen Struktur den Mittel- / Westeuropa-Zentrismus in Frage. Aus verschiedenen Perspektiven werden die kulturellen und ökonomischen Entwicklungen des »Neuen Europa« betrachtet und analysiert. So wurde ein KorrespondentInnennetz aufgebaut, um die Diskussionen in anderen Ländern mit denen Westeuropas zu verknüpfen. Mit einem besonderen Augenmerk auf Rassismus und Sexismus untersucht dieser Per-sonenkreis Herrschaftsverhältnisse, die Europa in effiziente und nicht-effiziente Bereiche einteilen und dabei kulturelle Differenz als Mittel der Abwertung mißbrauchen. Armut und Ausbeutung vor allem der osteuropäischen Länder werden mit dem Hinweis auf korrupte oder mafiöse Strukturen verschleiert oder sogar legitimiert.

Am Beginn von MoneyNations 2 stand ein Kongress, an dem KünstlerInnen, TheoretikerInnen und politische AktivistInnen teilnahmen. Ein Schwerpunkt war dabei die Situation der Roma. Während Anna Wessely über die Zunahme gewalttätiger Übergriffe in Ungarn sprach, berichtete Andreas Lehner von Schwierigkeiten in Österreich, z. B. in der Erhaltung der eigenen Sprache. Ein anderer galt dem Verhält-nis von Geschlecht und »Staatsarchitektur«, einem Thema, dem sich in ihrer letzten Ausgabe die Wiener Zeitschrift »Vor der Information« widmete. Die große Zahl von Präsentationen sowohl antirassistischer Initiativen und Organisationen wie auch die Aktivi-täten von KünstlerInnen und FilmemacherInnen (Gülsün Karamustafa, Marion Baruch, Mark Saunders etc.) waren vermutlich der Grund dafür, warum kaum Zeit für Diskussion blieb. Vielleicht auch, weil die Unterschiede zwischen einer kulturellen Praxis, individuellen Hilfsleistungen und konventionellen Formen des politischen Kampfes wie Demonstrationen oder Resolutionen immer weniger als solche wahrgenommen oder einfach als sich ergänzende Maßnahmen gesehen werden. Dabei wäre eine Debatte um die Wirksamkeit symbolischer Akte (z. B. Deportation Class, ein Internetprojekt von »kein Mensch ist illegal«, das mit subversiver Energie Imageverschmutzung betreibt) einerseits und der Gefahr einer kompensatorischen Sozialabeit andererseits durchaus sinnvoll gewesen. Zudem gibt es fließende Übergänge, z. B. das Projekt »Macht und Gehorsam - Strukturelle Gewalt«, in dem KünstlerInnen mit Jugendlichen der 2. Generation von der SchülerInnenschule des WUK eng zusammenarbeiten. Theoretische Beiträge wie z. B. der von Brian Holmes, der über kulturelles und ökonomisches Mapping sprach, verknüpften politische und kulturelle Ansätze.

Im Unterschied zu Zürich konzentrierte sich die Wiener Ausstellung gänzlich auf das Medium Video, was einerseits dem derzeitigen Video-Boom entgegenkommt, andererseits eine Traditionslinie des Aktivismus fortführt. Den Fundus für diese Kompi-lation von Videoarbeiten bildete sowohl das bereits angesprochene Netzwerk MoneyNations TV als auch das Projekt EuroVisions2000, das sich die Aufgabe stellt, die historischen und gegenwärtigen Formen der Grenzbildung und ihrer Ausschlusspraktiken zu untersuchen. Alle Videos einzeln vorzustellen, ist hier nicht möglich, aber auf einige neuere möchte ich doch eingehen, vor allem auf jene, die über einen konventionellen Dokumen-tarstil hinausgehen. Mit vielfältigen Mitteln der Filmtechnik und der Computeranimation untersucht Angie Waller in ihrem Film »Loading Animated Version« (2000), in welcher Form die New Economy in die Ausbeutung »nicht-westlicher« Ländern verwickelt ist. Sie beschreibt mit viel Witz, warum amerikanische E-Business-Firmen stumpfsinnige Programmierarbeiten lieber in Ungarn machen lassen. »Migrasophia« (2000) von Zeigam Azizov erinnert zunächst an einen mit wenig Aufwand gedrehten Musikclip, in dem der Rhythmus des Oriental Techno-Tracks die Schnittfolgen und die Dramaturgie bestimmt. Erst als der Blick auf den Paß eines Abgewiesenen fällt, wird der politische Kontext deutlich. Das Video »Nordreise« (2000) von Marion von Osten, das in Zusammenarbeit mit dem Sans Papiers-Büro in Antwerpen entstand, beleuchtet die Situation der MigrantInnen in Belgien. Dass ein illegaler Aufenhalt nicht nur Rechtlosigkeit, sondern totale Unterbezahlung bedeuten kann, wird am Beispiel der Textilindustrie dargestellt.

Irgendwie ermutigend, wie selbstverständlich in der Kunsthalle Exnergasse politische und kulturelle Praxis zusammengeführt wurden, ohne dabei die Legitimation der jeweils an-deren in Frage zu stellen. MoneyNations 2 funktionierte wie sein Vorgänger sowohl als Verteiler unerwünschter oder wenig bekannter Informationen, aber auch als inspirierende Diskussionsplattform für die im Kampf gegen Rassismus Engagierten.

Justin Hoffmann

Dieser Kommentar ist dem Wiener Magazin springerin - Hefte zur Gegenwartskunst, 4 / 2000 entnommen.


Zur aktuellen Situation des TuCas
Am Freitag, dem 10. November wurde auf Anweisung der Uni-Leitung das Mobiliar des TuCas fast vollständig entfernt. Durch direkte Verhandlungen vor Ort konnte erreicht wer-den, daß die Theke und die Stahlschränke stehen bleiben konnten. Die Räumung verlief ohne Gegenwehr, da - aus verschiedenen Gründen - nur so die Möglichkeit gesehen wurde, das TuCa zu erhalten. Das mag para-dox klingen, ist aber nur aus der Situation heraus zu verstehen. Unbestreitbar kam es auch zu Fehlern im Verhalten während der Räumung, aber das TuCa-Kollektiv ist dabei, die Sache aufzuarbeiten, damit in Zukunft solche Fehler vermieden werden.

Am Montag darauf waren, entgegen aller Absprachen mit der Vizepräsidentin der Uni, einen Stehbetrieb aufrecht zu erhalten, die Türen zum Bereich des TuCa verschlossen. Im Laufe der VV am gleichen Tag wurde der Raum des TuCa dann neu besetzt. Daraufhin sicherte Präsident Steinberg schriftlich zu, daß der Stehbetrieb weiter laufen kann. Also läuft das TuCa weiter. Mittlerweile hat ein erstes Gespräch zwischen Uni-Leitung in Person der Vizepräsidentin, Vertretern des Asta und der Fachschaften 03 & 04, der Dekanin des Fb 03, dem Chef des Personalrates und dem TuCa-Kollektiv stattgefunden. Da es das erste Gespräch in einer solchen Runde war, wurden nur die unterschiedlichen Standpunkte ausgetauscht. Dabei wurde deutlich gemacht, daß Selbstverwaltung bedeutet, daß sich Menschen hierarchiefrei organisieren und den Café-betrieb selbst in die Hand nehmen. Nur eine solche Form der Organisierung kann den Freiraum gewährleisten, der durch das TuCa entstanden ist. Ein vom Asta betriebenes Café, die vom Präsidenten bevorzugte Variante, bedeutet dagegen einen ganz normalen kommerziellen Betrieb, der weder Freiraum schafft noch sonst irgendeine politische Aussage beinhaltet.

Um derzeit den Betrieb aufrecht zu erhal-ten und die nötigen Schritte für das Fort-bestehen des TuCa zu unternehmen, ist das TuCa auf Solidarität angewiesen. Diese kann sich verschieden ausdrücken. Zum Beispiel ist es erwünscht, daß Thekenschichten übernommen werden. Einfach mal vorbeischauen. Geplant ist außerdem ein politisches Frühstücksbuffet, allerdings nur, wenn sich Leute bereit erklären, bei der Umsetzung mitzuhelfen. Um den neusten Stand der Verhandlungen zu erfahren, um einen Kaffee zu trinken oder einfach so, solltest du im TuCa vorbeikommen.
Der Turm sind wir alle - TuCa bleibt !!!


Happy Birthday Leo
Der Kritiker der Waren- und Wortproduktion Leo Löwenthal wäre am 3. November 100 Jahre alt geworden

Wie lässt sich der Geburtstag von jemandem begehen, dessen Leben und Werk zentral mit der Kritik individualistischer Lobhudeleien und deren kulturindustrieller Zurschaustellung verbunden waren? Gelegenheit, dieses Dilemma vor Augen geführt zu bekommen, bot sich anlässlich der Eröffnungsfeier einer von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main ausgerichteten Ausstellung zu Ehren Leo Löwenthals.

In einem Aufsatz zur biographischen Mode vergleicht Löwenthal populäre Biographien mit Versandhauskatalogen. Die dargestellten Lebensläufe lassen sich nach Rubriken gliedern: Da sind die Superlative »alles ist das Beste, das Teuerste, die nie wiederkehrende Gelegenheit«; zum anderen die seelischen Verfassung: Wenn der Biograph von der Seele spricht, »legt er gleichsam verzückt die Finger an den Mund, weil es hier ums Heiligste geht (aber verkauft werden muß)«. Des wei-teren gibt es die 'einzigartige Handlung', das 'Mythos-Register', die 'Geheimnis-Liste' und schließlich die 'Schablonen von Einsamkeit und Tod', die das Individuum aus der Masse herausheben sollen und in der Überhöhung gleichzeitig verdinglichen. Demgegen-über wird das historische und gesellschaftliche Umfeld in Form von Namen, Briefen und Ereignissen fixiert. Zu gegebenem Anlass, wie eben auch in Frankfurt, werden solche Phrasen umgemünzt in große Worte und Gesten wie: »Verantwortung der Wissenschaft«, »Tradition der kritischen Theorie«, »großer Prophet«. Obligatorisch ist die verklärte Erinnerung der RednerInnen an die eigene Vorlesung bei Löwenthal als einem der »Großen« der Frankfurter Schule.

Löwenthal war sich mit Horkheimer und Adorno einig, dass dem Individuum in der spätbürgerlichen Gesellschaft keine Konsistenz zukommt. Die Vorstellung, nach der ein Mensch sein Leben aus eigener Kraft gestalten kann, wird durch gesellschaftliche Verhältnisse konterkariert, in denen es kaum noch gelingt, sich rasch genug anzupassen. Detlev Claussen hatte anlässlich Löwenthals neunzigstem Geburtstag darauf aufmerksam gemacht, dass ein sich fast über das gesamte 20. Jahrhundert erstreckendes Leben (Löwenthal starb am 21. 1. 1993) nur verfälschend als biographische Einheit sich darstellen lässt.

Die Frankfurter Universität verfährt jedoch nicht anders. Sie läßt Festreden halten, stellt Bücher, Dokumente und Bilder aus, die die Person Löwenthals »vergegenwärtigen« sollen. In Vitrinen dürfen wir auf ein großes Lebenswerk schauen. Der in dieser Weise Ausgestellte wird historisiert und in Beschlag genommen für die bessere Seite der deutschen Kultur. Man verehrt ihn als »Propheten«, der es 1933 und 1989 besser wusste als die anderen.

Leo Löwenthal gehörte zu denjenigen Protagonisten der »Frankfurter Schule«, die hierzulande nie den Bekanntheitsgrad erreichten wie Adorno, Horkheimer oder Marcuse. Der Grund war nicht nur sein Verbleiben in den USA, eine Entscheidung, die ihm in der BRD wohl keine Sympathien einbrachte, die offiziellen Adepten der Kritischen Theorie betonen immer gerne das »große Geschenk«, das Adorno und Horkheimer den Nachkriegsgenerationen machten, indem sie nach dem Krieg wieder nach Frankfurt zurückkehrten. Hinzu kam, dass vielen die Beschäftigung mit Literatur als bildungsbürgerlich kontaminiert galt, als komischer Auswuchs des Überbaus, mit dem man sich nicht zu beschäftigen brauche. Als marxistischer Literaturwissenschaftler war Löwenthal insofern immer ein Paradoxon, ein Ding der Unmöglichkeit. Überraschend war es deswegen auch nicht, dass das obszöne Wort Marxismus bei der Eröffnungsveranstaltung von niemandem in den Mund genommen wurde.

Inmitten der allgemeinen Langeweile, die von solchen Ver-anstaltungen auszugehen pflegt, gab es eine auffallende Betonung der sozialen Herkunft Löwenthals aus dem liberalen deutsch-jüdischen Großbürgertum. Anstatt dessen Ende und Vernichtung in Deutschland zu konstatieren, wollten die RednerInnen von Universität, Archivverwaltung und Stadt Traditionsbestände neu errichten oder an dieselben anknüpfen. Zwar sollen in Frankfurt immerhin die Archivbestände von Adorno, Benjamin, Horkheimer, Marcuse, Pollock und eben auch Löwenthals unter einem Dach zusammengefasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Nur ist die Schaffung eines solchen Archivs nicht mit einem intellektuellen sozialen Zusammenhang zu verwechseln, der vollständig zerstört wurde und sich auch nicht wieder aufbauen lässt. Der Wille, sich selber in eine Tradition zu setzen, die es nicht mehr gibt, zeigte sich auch in der wiederholten Nennung von Frankfurt am Main als der Heimatstadt Leo Löwenthals. Löwenthal selber hatte sich ganz nüchtern als deutscher Jude in Amerika betrachtet und Frankfurt als seine Vater - oder Geburtsstadt. Eine Heimat gab es für die Exilanten - auch für die Reemigrierten - ohnehin nicht mehr.

Erfrischend war demgegenüber Jan Philipp Reemtsmas sarkastisch vorgetragene Polemik in bezug auf den Umgang mit der vom ihm erworbenen und an die Universität und Stadt weitergeleiteten Bibliothek Leo Löwenthals. Die zugesicherte Eingliederung der Bücher ins Leo-Löwenthal-Archiv lässt in Frankfurt seit nun mehr zehn Jahren auf sich warten.

Nomi


Pioniertaten in immaterieller Arbeit
Informelle Netzwerke, vollständig angeeignetes Produktionswissen, Teamarbeit in flachen Hierarchien, autonom organisierter Produktionsprozess, flexible Arbeitszeiten - sind die Parallelen nicht allzu offensichtlich, um bloße historische Zufälligkeit anzunehmen?

Der Bankraub ist eine Tätigkeit, die handwerkliche, kommunikative, organisatorische und kreative Fähigkeiten vereinigt und das seit über hundert Jahren. Während der Phase forcierter Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde die unumgängliche Anhäufung von flüssigem Kapital in städtischen Zentren schnell zur attraktiven Zielscheibe illegalen Handelns. Die damit greifbar gewordene Gelegenheit, sich unter gegebenen kapitalistischen Verhältnissen die Möglichkeiten menschlichen Vermögens umfassend anzueignen, übt bis heute eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

Waren die ersten Banküberfälle in den 90er Jahren noch weitgehend von der Anwendung brachialer Gewalt bestimmt, zwangen technische Fortschritte - etwa in der Anfertigung von Tresoren und Schlössern - ein erfolgversprechendes Unterfangen bald zu technologisch informierteren und zunehmend raffinierten Vorgehensweisen. So ist es nicht verwunderlich, dass der gelungene Bankraub nicht nur in Unterweltskreisen als die vornehmste Form der illegalen Geldbeschaffung gilt. Insbesondere der gut geplante und weitgehend ohne Gewalt ausgeführte Coup kann sich breiter Wertschätzung erfreuen. Die dabei zu entwickelnde professionelle Leidenschaft kann sogar soweit gehen, dass die absolute Ausbeute an allgemeinem Äquivalent von den Ausführenden als sekundär wahrgenommen wird. »So gelang es Kimmel eines Tages, mit einem selbst-gebastelten Dietrich den Panzerschrank einer Schuhfabrik zu öffnen. Obgleich darin kein Bargeld zu finden war, bezeichnete Kimmel dies als seinen grössten Erfolg.« Erinnert uns das etwa nicht an die Mentalität, mit der heutzutage gehackt oder Opensource-Software entwickelt wird?

Indes war Kimmel Mitglied einer Jugendgang, die ab Mitte der 50er Jahre im Pfälzer Wald ihre Aktivitäten entfaltete und auch deswegen interessant ist, weil sie sich gleichsam als Projektionsfläche einer poplinken RAF geradezu anbietet. Nicht nur, dass diese von Schinderhannes inspirierten Jugendlichen inmitten der adenauerschen Restaurationsära und noch vor den Schwabinger Krawallen aktiv wurden, und innerhalb der Bevölkerung äusserst ambivalente Gefühle provozierten, auch scheint Andreas Baader nicht der erste bundesdeutsche Guerillero gewesen zu sein, der infolge von räuberischem Geldsegen eine Vorliebe für schicke Autos entwickelte. Dass diese Gruppe parallel zu ihren Aktionen nicht auch noch eine linksradikale Textproduktion hervorgebracht hat, macht sie angesichts der unglücklichen Historie der RAF-Erklärungen eher sympathisch.

Die Zukunft des Bankraubs ist ungewiss. Die Tendenz zum elekronischen Zahlungsverkehr legt eine Konzentration der Fähigkeiten auf internet-basierte Aktivitäten nahe, während die Umstellung des hiesigen Papiergelds auf den Euro zum Jahreswechsel 2001 / 2002 auf massive und materiell anwesende Geldmengen hoffen lässt.

Bodo Pallmer

Klaus Schönberger (Hg.): Va Banque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte. VLA, Schwarze Risse, Rote Strasse 2000. 325 Seiten im lachsfarbenen Design der Financial Times, DM 34,-


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