politiken aus dem
zwischen
aufregendem leben und den wirren der zeit gibt es manchmal noch immer das in
grau: alltag. so wäre es schön. so ist es nicht. statt dessen stimmt leider,
dass die meisten tage so sind: wie alle. im alltäglichen manifestiert sich
herrschaft als trott.2 hier schlägt sie tiefe wurzeln, wird sie täglich bis
ständig neu reproduziert. gleichzeitig ist hier ein ort, an dem sie ganz ohne
absicht ihre ungenauigkeit preisgibt, wo sie sich in missverständlichkeiten
verstrickt und heimlichen widerspensigkeiten begegnet. möglicherweise genug
grund, um die lupe in die hand zu nehmen und zwischen den steinplatten der
großen politik das magere unkraut in den blick zu kriegen. das ist heilsam
gegen das gefühl schrecklichen verlassenseins beim bügeln oder u-bahn fahren:
wenn das jonglieren mit großen theorien, das namedropping und philosophische
formelschieben seine engen grenzen preisgibt.
die
entgrenzung des politischen hinein ins tägliche dickicht hat dabei keinen
kompensatorischen effekt, soll nicht das kleinklein gegen die großen kämpfe
ausspielen. und überhaupt: ist das reden darüber, dass sich im alltäglichen
widersprüche brechen, dass es im-mer mal wieder meist unbemerkt funkt, erst mal
kein erschaffen von alltagspolitik. sondern nur das reden darüber, was sich
ohnehin ständig ereignet. so ist die angst unbegründet, das thematisieren von
und das agieren im alltäglichen könne knappe revolutionäre energien
absorbieren. denn da sind wir ohnehin: wuseln einzeln und in kleinen gruppen
durch den tag und zwischen den tagen umher. passieren arbeits-, wohn- und
sonstige plätze, flanieren durch soziale räume, durch stinkende städte. permanent
sind wir im alltäglichen präsent. lassen können wir das nicht. wa-rum dann
nicht was daraus machen?
das
paradigma des schmetterlings
die
chaostheorie erzählt gerne die geschichte vom schmetterling. der schmetterling
schlägt irgendwo in china eher unbeabsichtigt mit den flügeln und durch viele
seltsame umstände und eine reihe von dominosteinen entsteht so in europa ein
orkan. das ist ein schönes utopisches märchen. zwar bin ich auch recht
zuversichtlich, dass die vielen revolutionären demonstrationen, die ich besucht
habe, schon dutzende von reissäcken zum umfallen gebracht haben. aber leider
ist nie einer davon auf roland kochs kopf gefallen. schon deshalb mag es schlau
sein, sich an zusätzlichen und feineren taktiken zu versuchen.
was
die alltagsfliegen dabei vom schmetterling unterscheidet ist, dass es sich bei
ihnen nicht nur um einen handelt, und dass den schmeißfliegen unbegrenzt viele
flügelschläge, also immer neue würfe zu verfügung stehen. sie können landkarten
anfertigen, geeignete ziele ausspähen und an techniken feilen. so lässt sich
das chaos in jedem level neu erproben.
sprechen.
versprechen. umsprechen
tagelang
ziellos mit schmetterlingsflügeln zu rudern, ohne aussicht auf erfolg, macht
müde. deswegen macht es sinn, sich einen günstigen ort zu suchen, den gewählten
gegner auf seine schwachstellen hin abzuklappern, den alltagsfliegen eine
richtung zu geben. ist überhaupt etwas anderes möglich als das, was ist. ist
etwas anderes in sicht als aussichtslosigkeit?
einst
war die möglichkeit eines anderen lebens durch die existenz einer
revolutionären massenpartei garantiert. nachdem sich jene historisch blamiert
hatte, begann die suche nach neuen, zumeist kleineren utopischen wegweisern.
der gesellschaftskörper wurde nach widersprüchen durchkämmt, an denen sich
widerständige funken schlagen lassen könnten. je größer die ohnmacht, um so
notwendiger diese suche. denn wo sich die gesellschaft zu einer lückenlos
funktionierenden (totalität) zusammenzieht, kann mensch noch das nachdenken über
sympathischere zustände vergessen.
um
den traum, dass es auch anders sein könnte, konkret werden zu lassen, bedarf es
nicht des verklärten blicks in den sternigen himmel. im acker der sprache, der
diskurse wird sich eher etwas finden lassen (wenig ist weniger konsistent als
die herrschenden ideologien). meist reicht es, auf den wörtern nur lange genug
herumzukauen, und sie beginnen das gegenteil von dem zu behaupten, was sie
eigentlich zu sagen beabsichtigten. dann wird das passive zum dominanten. das
oben zum unten.
»oben«
bezeichnet im hegemonialen sprachgebrauch den ort der macht. die da oben, die
großen, das sind die herrschenden, die »über«legenen, die die »ober«hand
gewonnen haben. groß zu sein bedeutet in der hierarchie weiter »oben« zu
stehen. passend gilt »unten« als »unterlegen«, als »unter«worfen. »klein« steht
für schwäche, für ohmacht, hilflosigkeit, sogar unreife. dementsprechend klar
scheint sich das verhältnis dieser beiden positionen, von oben und unten,
zueinander zu gestalten. die großen schauen herab, während die kleinen
aufschauen. die hierarchie ist diesen begriffen ebenso eingeschrieben wie die
moralität schwarz und weiß. dabei geht ihre bedeutung über bloße räumliche
metaphorik weit hinaus. es handelt sich um kategorien, die unsere wahrnehmung
auf heimliche, aber sehr grundlegende weise strukturieren. ihre besondere
brisanz erhalten sie durch ihre verschränkung mit dem geschlechterdiskurs.
sowohl kurze männer als auch lange frauen beschreiben häufig ihr scheitern an
den geschlechternormen und die häufige neigung jenen »makel« durch
überkonformes verhalten auszugleichen. ähnliche schwierigkeiten in umgekehrter
richtung bereiten die körperlängen den transsexuellen und transvestiten, den
transgendancern. wo männlichkeit mit stärke also größe, weiblichkeit mit
weichheit, schwäche also kleinsein verkoppelt ist, liest sich die körperlänge
häufig als quasi natürliches hindernis der praktischen dekonstruktion von
geschlecht. bei genauem hinsehen aber entlarvt sich diese scheinbare
eindeutigkeit und plausibilität als notwendig widersprüchlich, mehrdeutig.
stehen nämlich ein kurzer und ein langer mensch voreinander, so begegnet der
kürzere seinem gegenüber mit »erhobenem« haupt und »aufrechtem« blick. fast
scheint es, als würde er arrogant die nase in die »höhe« strecken. die längere
person hingegen ist gezwungen, den blick (demütig) zu »senken«, mehr noch: sich
zu »verbeugen«, einen buckel zu machen. von größe ist bei den langen wenig zu
sehen. meist laufen sie mit gekrümmten rücken, mit reuig gesenkten köpfen durch
die gegend. einige müssen sich bei jeder tür, die sie passieren »bücken«.
nun
ließe sich meinen, die hierarchisierung der körperlängen habe ihre natürliche
materielle basis in der »tatsache«, dass ein längerer körper in der regel auch
mit einem höheren gewicht und größerer muskelkraft einhergeht. indessen würde
ein so verstandener materialismus eben jener naturalisierungsstrategie auf den
leim gehen, die unserer sprache eingesprochen ist. dabei braucht mensch sich
lediglich einige boxkämpfe im fernsehen anzuschauen um festzustellen, dass die
langen zwar längere arme haben, allerdings auch mehr haudrauffläche bieten.
überdies: reicht ein blick auf die statur gerhard schröders um bildlich vor
augen geführt zu bekommen, was von der entwicklung der produktivkräfte schon
lange beschlossene sache ist: dass sich körperstärke als kriterium für
mächtigkeit spätestens seit erfindung der fernfeuerwaffe historisch überholt
hat.
tatsächlich
gewinnt der subtext von groß und klein, der das oben als unten erscheinen
lässt, bei näherem hinschauen einiges an plausibilität. so sind den kurzen die
wenigsten regale zu hoch, den langen aber die meisten tische, spülen und stühle
zu niedrig. kaum können sie ihre stelzigen beine zwischen die sitzreihen der
busse quetschen und teuer kommt ihnen die ernäh-rung ihres gefräßigem
organismus zu stehen. ab einer gewissen länge dünnen sich die angebote an
schuhen und hosen aus, werden die füße nachts kalt, weil die betten zu klein
sind, und zwingen die häufigen beulen an der stirn dazu, sich vor jedem
türrahmen furchtsam zu verneigen. das mag der grund sein, warum das ipc, der
veranstalter der paralympics (spiele behinderter leistungssportler) bei seiner
neukonstitution im jahre 1988 lange darüber debattierte, ob basketball im
rahmen der pa-ralympischen und nicht der olympischen weltspiele ausgetragen
werden soll.
gerücht
der
letzte satz ist nicht wahr. aber er könnte wahr sein. zur wahrheit (zur
kulturellen intelligibelität) fehlt es ihm lediglich an macht, nicht an plausibilität.
welche wirkung hätte die verbreitung und anerkennung je-ner »wahrheit« auf
unsere handlungskonstituierenden vorstellungen von oben und unten, groß und
klein? welchen effekt hätte die ent-täuschung, dass es sich bei jener
»wahrheit« um ein (gezielt gestreutes) gerücht handelt, bezogen auf die soziale
konstruktion »behinderung«? beide diskurse, sowohl die hierarchisierung der
körperlänge als auch die definition von norma-lität und behinderung, könnten
kratzer, bestenfalls schrammen erhalten. wenn die bedeutung von körperlänge /
kürze, von unten / oben, von groß / klein, von behindert / normal praktisch
bewiesen auch anders, gar andersrum sein könnte (z. b. durch die anerkennung
eines solchen gerüchts), dann erweisen sich unsere gegenwärtigen vorstellungen,
diskurse, existenzweisen als künstlich, als von menschen gemacht. sie geben
damit auch ihre brüchigkeit, ihre veränderbarkeit preis. das ziel kann dabei
natürlich nicht sein einen diskurs lediglich in sein gegenteil zu verkehren,
die kurzen zu den großen zu machen. vielmehr geht es darum, die schale der
natürlichkeit zu knacken, die sich um das bestehende schließt. es geht darum,
die vollgesprochenen identitäten in schwingung zu versetzen, die uns an das
binden, was wir nuneinmal sind, also sein sollen. oft reicht es schon die
diskurse ernst, beim wort zu nehmen um sie gegen ihre intention zu kehren.
schön ist es zum beispiel, wenn indianer keinen schmerz kennen, denn: ich bin
kein indianer. noch schöner ist es, wenn nur mädchen weinen, nur jungs sich
prügeln: einfacher lässt sich ein geschlechtswechsel nicht haben.
natürlich
lässt sich nicht beliebig alles zu jeder zeit behaupten, aber dort, wo in der
hegemonialen spra-che lücken klaffen (wo die sprache ambivalent ist),
wo
eine wahrheit ihr eigenes gegenteil gleich mitbehauptet, können hebel angesetzt
werden. machen wir die mauselöcher in den mauern der diskurse zu
schießscharten. ergänzen wir den frontalen angriff durch trojanische pferde.
virus
ich
fahre gerne zug. ich habe die zeitung beiseite gelegt, aber die bunten und auch
grauen wände entlang der gleise lassen sich vortrefflich lesen. der zug legt
eine linie. er hat eine richtung, aber keinen ort. der zug ist nicht beliebig:
er fährt einen weg, hat aber keinen standpunkt. von hier aus, denke ich, ließe
sich prima und bequem politik machen. eine gelegenheit ergibt sich.
neben
mir sitzt eine tunte. uns gegenüber ein mensch, wie er im deutschen telefonbuch
steht. der mensch schaut offen sichtlich irritiert und explizit unbegeistert,
als die tunte beginnt, sich die nägel zu feilen. er hat seine füße tief unter
den eigenen sitz gezogen, um jeden körperkontakt zu vermeiden. jetzt
konfrontativ loszumaulen und stille diskriminierung anzuprangern, würde nur
defensivpositionen (reaktionen) produzieren. das telefonbuch würde alles
abstreiten und probably toleranzbekenntnisse abspulen. andererseits käme ein
gutgemeinter aufklärungsmonolog vermutlich ein wenig unvermittelt. ich würde
nur unaufmerksame aufmerksamkeit erhalten und wäre schnell als studendekopp
abgestempelt. ich packe eine tüte gummibärchen aus.
¬_ »möchten sie welche?« frage ich mein
gegenüber
¬_ »nein, danke«
¬_ »aber wissen sie, was ich nicht
verstehe?«, fahre ich unbekümmert fort »das problem mit den gummibärchen!«
¬_ »aha«
¬_ »jedesmal wenn ich mir welche kaufe
(klaue) steht da ›jetzt noch fruchtiger‹ drauf. aber ich weiß eigentlich nie,
was das für früchte sein sollen, die die bärchen imitieren«
¬_ »ich mag besonders gern die gelben. das
ist glaub ich ananas oder banane oder so«
¬_ (»ich mag besonders die roten, weil die
so schön rot sind«, sagt die tunte)
¬_ »ja eben. aber ist das nicht so
schrecklich langweilig, ständig auf natürlich und fruchtig und echt zu machen.
statt einfach mal zuzugeben, dass das, was die menschen herstellen und
überhaupt, was die so den ganzen tag lang machen schrecklich wenig mit natur zu
tun hat. wäre doch viel spannender: irgendwelche abgefahrenen geschmacksounds
zu produzieren«
¬_ »ja«, sagt das telefonbuch und lacht,
»da haben sie wahrscheinlich recht. hauptsache es schmeckt«
¬_ »sehen sie. und so ist das auch mit den
geschlechtern. die würden auch viel besser schmecken, wenn wir aufhören würden
ständig so ne olle und eigebildete natürliche natur nachzuäffen«, könnte ich
jetzt noch sagen. (sage es aber nicht.)
autoritäre
list und die praxis der lüge
die
vorstädte sind voll von bauklötzen, an denen müde kleine balkone in reih und
glied hängen. zu zeiten als es noch kein kabelprogramm gab, ging dort in allen
fenstern das selbe blaue licht gleichzeitig an und wieder aus3. zwischen den
wohnblöcken, in die die erwachsenen gesperrt sind, finden sich häufig
ordentliche grüngehege, in die mensch die kinder sperrt. als es noch kein
kabelprogramm gab, haben wir dort häufig wettrennen veranstaltet, bei denen die
gewann, die am schnellsten laufen konnte und als erste das vereinbarte ziel
erreichte. weil es keine objektive dritte gab – denn die schiedsrichterinnen
rannten selbst immer mit – kam es meistens zu streits, welche denn die
schnellste gewesen sei. wobei jede sich natürlich selbst dafür hielt. als
einmal auch nach mehrmaligen wettrennwiederholungen die diskussionen kein
ergebnis brachten, entschied ich die auseinandersetzung mit einer autoritären
list für mich: »ich bin am schnellsten, weil das ist wissenschaftlich bewiesen«
log ich den anderen in die verschwitzten gesichter. danach war ruhe. alle
glaubten mir. produktive unruhe regte sich leider keine mehr.
eine
solche strategie ist nicht selten, doch meist bei den gegnern zu finden. mensch
denke nur an die zahnpastareklame, bei der eine sonore stimme aus weissem
kittel, flotte schaubilder und expertisisches kauderwelsch die wichtigkeit der
warenneuheiten wissenschaftlich beweisen. in den eigenen reihen hingegen ist
ein solcher erfolg die ausnahme. denn die autoritäten, von denen marx eine ist,
der staat oder die wissenschaft aber hunderte, sind meist – und keineswegs
zufällig – auf der seite der gegner. zumindest, wenn sie sich äußern. das tun
sie allerdings selten. denn die meisten von ihnen sind entweder tot oder
verstauben in den gesetzbüchern, die kaum jemand kennt oder die jedenfalls in
konkreten auseinandersetzungen unglücklicherweise fast nie zur hand sind. ein
umstand, den sich zu nutze zu machen nicht gescheut werden sollte. die liste
dessen, was wissenschaftlich bewiesen ist, lässt sich umstandslos ausweiten auf
das, was verboten ist und vor allem auf die liste der pflichten, auf das, was
zu tun mensch leider gottes gezwungen ist. »natürlich« ist es verboten, die
bildzeitung aufgeschlagen im zug liegen zu lassen, mehr als einsfuffzig für
eine cola zu nehmen usw. im übrigen ist es wissenschaftlich bewiesen, besser
noch: die haben jetzt rausgefunden, dass maria – die mutter jesi – transvestit
war, dass identitäre selbstverhältnisse die krebswahrscheinlichkeit erhöhen und
deswegen personalausweise zukünftig warnende hinweise enthalten müssen. und
selbstverständlich leihe ich mir das fahrrad nicht zum spaß, sondern im namen
des gesetzes. ich würde die musik ja auch lieber leiser drehen, aber das darf
ich nicht, das ist nunmal mein job, schließlich bin ich von meiner
arbeitgeberin beauftragt, die ganze zeit hinter den sicherheitskräften
herzulaufen, da kann man nichts machen, so ist das nunmal, da müsse nun verständnis
aufgebracht werden, so sei das eben und ansonsten richten sie sich bitte an
meine chefin oder schlagen sie in der fdgo paragraf hundertneunundzwanziga
nach.
vielleicht
sollte, wer schwach ist, nicht davor zu-rückschrecken sich mit der kraft des
gegners gegen den gegner zu verbünden (ein alter judotrick). im land der henker
jedenfalls, wo die autoritäten recht haben, weil es die autoritäten sind (und
nicht – wie manche demokratische noch immer meinen – weil sie die besseren
argumente hätten), wo mensch nichts machen kann, weil es eben so ist wie es ist
(leider versteht sich), da lässt sich den autoritäten beinahe beliebig alles in
den mund legen, da lässt sich die richtung ihrer macht auch zuweilen in ihrem
namen umkehren. das schöne an dieser technik ist, dass sie nicht gefahr läuft,
lechts und rinks zu velwechsern. es handelt sich um eine zauberwaffe, die in
den händen des feindes wirkungslos wird. denn wer nicht an autoritäten glaubt
und sie nicht leiden kann, ist sozusagen autoimmun
gibt
es ein richtiges trinkgeld im falschen?
stimme:
»gutentagmeinnameistflötundhachwasbinichfröhlichinmeinemflexibilisiertenarbeitsverhältnisauffünfhundertzwanzigmarkbasiskündigungsschutzexklusivemitblickaufsautomeerdeswegen:lächelndblinkerndwaskannichfürsietun?«
widerstand?: »tschuldigung, eigentlich
wollte ich brötchen kaufen und nicht ihr gesicht!«
so verständlich und berechtigt solch
politisches ansauen sein mag, so hilflos ist es doch auch, weil es immer nur
den armen verkäufer sprich dienstleister sprich die charaktermaske trifft,
nicht aber die postfordistische produktionsweise, von deren fließbändern das
lächeln so tausendfach läuft. solch politisches ansauen wäre erfolgreich nur
dann, wenn es massenhaft geschähe, wenn es sich also
in
veränderter nachfrage niederschlüge. dann wäre schnell klar, dass sich mit
schlechtgelaunten und hässlichen kellnern mehr geld verdienen lässt, und die
bedienungen würden fortan manageriell angewiesen, mit hängenden mundwinkeln zu
bedienen. damit wäre – das leuchtet ein – wenig gewonnen.
dennoch
sitzen wir hier, in diesem schicken café und kommen nicht umhin verschämt aber
trotzdem den arm zu heben und die bedienung zu uns zu winken. inmitten des
kapitalismus trinken wir cocktails mit strohhalmen und wissen um den spärlichen
lohn für diese müh- und wuselige kneipenarbeit, wissen, dass das trinkgeld
bereits einkalkuliert ist, und wir somit so eine art outgesourcter arbeitgeber
sind. irgendwie müssen wir uns verhalten. wie?
in
der regel trifft sich die entscheidung ganz ohne unser zutun, denn wir neigen
dazu, denen besonders viel trinkgeld zuzustecken, die besonders höflich sind,
die uns freundlich und zügig bedienen, die irgendwie menschlich wirken und
korrekt arbeiten. dümmer könnten wir die uns zugesehene rolle in den
postfordistischen ökonomien der freundlichkeit, der aufmerksamkeit, der
authentizität und menschlichkeit nicht spielen. brav und mit einem hohen maß an
freiwilligkeit arbeiten wir an einer subjektivierung mit, an der uns wenig gelegen
sein sollte. eine subjektivierung, die die launen, mimiken und emotionen der
arbeitskräfte in beschlag nimmt, um sie wertförmig, also nach ihrer
verwertbarkeit zu strukturieren.
das
war der ddr nicht gelungen. in jener verwalteten welt, in der die kundin nicht
königin war und die bedienungen mürrisch, konnte den menschen nicht dieses
zentrale menschenrecht genommen werden: es sich scheiße gehen zu lassen, wenn
es ihnen scheiße ging (und daran sollte es keinen zweifel geben: es ging und
geht ihnen scheiße.) um genau dieses recht aber wäre heute der kampf zu führen.
ein kampf, der zur zentralen alltagspolitischen auseinandersetzung des
postfordismus werden könnte. worum es geht, ist die gesichter der menschen, die
eigenen gesichter, von jener versicherungsvertreterkrankheit zu befreien, die
sie in den letzten jahren so einhellig und nicht nur am arbeitsplatz befallen
zu haben scheint. die parôle: lasst euch eure schlechte laune nicht versauen!
abgesang
die
offensive auf das alltägliche resultierte aus ein-
gebildeten
oder realen niederlagen vor allem in der sphäre der produktion. aber sie
erweiterte die kritik um einen weiten bereich, befreite sie aus engführungen
und reduktionen und erschloss in den 70ern ein breites alternatives millieu.
anders zu leben und zwar schon heute, bedeutete ein praktischwerden der kritik
auf der höhe der bewegung, die die verfasstheit der gesamtgesellschaft nicht zu
stürzen vermochte, sich deshalb aber noch lange nicht mit dem
ewiggleichbleibenden trott zufrieden geben wollte. die linke subkultur war
werbung für ein anderes leben und kann dies heute (wo antirassistinnen die »mit
den wursthaaren« sind und che guevarra für den schlagzeuger von rage against
the machine gehalten wird) nur noch schwerlich sein. die erkämpften strukturen
bleiben rückzugsräume, orte der kommunikation und weiterhin anlaufpunkte für
die wenigen nachzüglerinnen, die noch kommen. aber ihr erhalt ist defensiv. ein
rückzugsgefecht, das gegen die wachsende ohnmacht eine linke identität, ein
schwächelndes wir absichern soll. die verteidigung der geronnenen ergebnisse
vergangener kämpfe, der institutionen, hat ihre motivation in dem wunsch, sich
wenigstens noch hier mit leuten zu treffen, die ähnlich denken, unter dem
selben leiden, wenigstens hier einen raum zu haben, wo ich nicht diskriminiert
werde, wo meine meinung, mein lebensstil nicht marginalisiert ist, das bier
keine acht mark kostet. die schwindenden bedingungen für die erfüllung dieses
richtigen bedürfnisses schaffen aber auch ständig neue grenzen, die wir immer
enger um unsere gehäuse ziehen. je kleiner unsere handlungsmacht, je spärlicher
unsere offensiven auf die große gesellschaft, umso eher konzentrieren wir uns
auf die auseinandersetzungen mit ähnlich denkenden, die uns wenigstens zuhören
(wer liest die konkret? die, die jungle world lesen. wer liest die jungle
world? die, die ak lesen.). um-so größer erscheinen uns aber auch die
differenzen in den eigenen linien, umso kleiner wird der kreis derer, von denen
wir uns wirklich verstanden fühlen. aus dieser höhle müssen wir wieder
hervorkriechen. die tunnel, die gänge, die zu graben sind, verlaufen unter der
mitte und durch die mitte hindurch.
wenn
sie subversiv sein will, muss die alltägliche politik sich heute in der politik
der normalen alltäglichkeit verorten. schwimmen müssen wir im brüchigen
marschrhytmus des post-fordistischen schlagers. wir müssen uns einnisten in den
banalen linien der übelriechenden normalität. es ist schön, am sandstrand des
autonomen zentrums zu sitzen. besser ist es mit einem säckchen sand im gepäck
durchs getriebe zu wandern (freilich findet sich der meiste sand am strand).
den besitzstand des sozialstaats, der szene, der institutionalisierten
klassenkämpfe zu wahren, mag notwendig sein. aber das bewahren – und sei es auch
kollektiv – macht konservativ und spaß macht es nicht. besser ist es aus vollem
herzen zu verschenken: lügen, gerüchte, viren. alltagsfliegen, schmeißfliegen,
schmetterlinge. geschenke der alltäglichen sabotage.
jamina
_ #
.. diebereien :
_ 1
.. der titel ist geklaut von: christel
adamczak / monika pfirrmann, geschichten aus dem alltag gekratzt, ein lesebuch
für erwachsene, stuttgart 1990
_ 2
.. herrschaft als trott hat sich
christian sälzer ausgedacht: theorien des alltäglichen, zur bedeutung des alltäglichen
im kapitalistischen reproduktionsprozess (magistraarbeit), frankfurt 2000
_ 3
.. das hat mir sebastian sierra barra
auf dem letzten nachttanzumzug erzählt. die erkenntnis, dass sich hinter den
synchronen blauen lichtern keine geheimnisvolle verschwörung versteckt, sondern
der banale alienismus (spehr) des zdf-abendprogramms, bedeutete nicht weniger
als den abschied von einer kindheit. natürlich kam danach gleich eine andere.