editorial

 

E...s blitzte nur kurz auf. Doch das reichte, um in die

 Bilderwelt der inneren Bedrohung ein neues Gesicht einzubrennen. In jenen Wochen im Herbst war es die erstarrte und tiefgekühlte Maske Mohammed Attas, dem »logistischen Kopf der Todespiloten«, die täglich auf den Titelseiten der hiesigen Gazetten und Bildschirmen ausgestellt wurde – und mit der der Link von New York und Kabul zu Deutschland hergestellt wurde.

In und mit diesem Bild haben sich die Vorzeichen der innenpolitischen Bedrohungs-Symbolik verändert bzw. erweitert. Viele rassistische Diskurse pochten bislang auf die Kriterien Sichtbarkeit und Masse: So wird hier zum einen auf der – einer vermeintlichen Fremdheit oder Assimilierungsunwilligkeit geschuldeten – Auffälligkeit von MigrantInnen insistiert. Bilder vom Hammelbraten, Trachten, einem Leben in Sippschaften, blockierten deutschen Autobahnen oder lauter Musik werden herangezogen. Zum anderen ist nicht von dem Migrant oder der Migrantin die Rede, sondern von Massen, Fluten oder Wellen.

Das Szenario, das sich am »Sleeper in Metropolis« entzündet, ist anders. Ihm zufolge kommt der Sleeper nicht als Masse, sondern versteckt in ihr. Er ist ein vernetzter Einzelner, Angehöriger der mobilen Intelligenz, der die hiesigen Spielregeln zu beachten weiß, sich unauffällig benimmt. »Atta« ist mitten unter uns, wohnt nebenan, studiert mit dir. In gewisser Weise knüpft die Bedrohungssymbolik hinsichtlich der Sichtbarkeit eher an den BSE- als an den Ausländerflut-Diskurs der vorangegangenen Jahre an: So wie die Kuh aus England kommt, hier aussieht wie ein Kotelett, aber ein Krankheitsträger ist, kommt auch der Terrorist aus dem Ausland, sieht hier aus wie ein Student, ist tatsächlich aber milzbrandgefährlich.

Die Kennzeichnung des Sleepers als allein, unauffällig, gefährlich impliziert in mehrfacher Weise die Konstruktion einer infiniten Bedrohung. Der Sleeper droht nicht als Massenphänomen, sondern als unentdeckter singulärer Fall. Anders als die »MigrantInnen« ist er nicht mit einem (besseren) Leben im Diesseits assoziiert, sondern mit seinem Leben als Mittel und Waffe. Er zielt nicht auf materielle Vorteile oder sein bessers (Über-)Leben, sondern auf Vernichtung. Er betrügt nicht durch seine Handlungen wie der Hütchenspieler oder der Sozialhilfeabkassierer, sondern täuscht durch seine ganze Person. Er fällt nicht ein, sondern taucht – ein und unter. Und da er nichts zu verlieren hat, scheinen keine Mittel und Drohungen gegeben, die ihn einschüchtern oder abschrecken könnte: Er ist potentiell immer unter uns.

Diese Art der Angstpolitik, die die Terrorismushetze der 70er Jahre durch die Komponente »aus-

ländisch« ergänzt und für die Jetztzeit aktualisiert, taugte in den vergangenen Wochen dazu, eine Dringlichkeit und Vehemenz staatlicher (Re-)Aktion zu begründen: Jetzt muss zurückgeschossen, verfolgt und aufgespürt werden. Um zu verhindern, dass der Sleeper zuschlägt, bedarf es neuer staatlicher Eingriffsrechte und Zugriffstiefen.

Doch so grell das Bild des Sleepers in der öffentlichen Bilderwelt aufgeflackert ist, so rasch ist es auch schon wieder zwischen die Zeilen gerückt. Eine kurzzeitige Konkretisierung sollte alle lernen lassen, wovor sich zu fürchten ist und wogegen Maßnahmen zu ergreifen sind. Längst braucht es keine Bilder Attas mehr. Das Szenario der neuen Angstpolitik ist eingeschärft und wirkt – jederzeit wiederabrufbar – drohend im Hintergrund. Das Bizarre und Erschreckende an der Welle der Sicherheitspakete ist, dass sie rollt, selbsttragend, und gar keinen Blick mehr auf das Objekt des Zugriffs zu werfen braucht. Dass der Terrorismus im eigenen Haus versteckt ist, ist zur wirkmächtigen Phrase geworden, die Alltagssorgen erfassen, Wahrnehmungen leiten und die ganze Debatte gegen Kritik immunisieren soll. Längst sind auch etliche kritische Stimmen ins Geflecht der Bedrohung verstrickt worden. Solche, die darauf verweisen, man möge differenzieren und den Islam nicht pauschal verurteilen. Oder solche, die auf einem ausgewogenen Verhältnis von Sicherheit und Freiheit insistieren. So redlich und wichtig solche Anmerkungen und Einsprüche auch sind – ihnen ist gemein, dass sie nicht mehr hinter die Prämisse der Bedrohung zurückkommen. »Terror« ist der diskursive Bodensatz, auf dem demokratisch debattiert werden darf und jenseits dessen Grenzen alles zu Mittäterschaft oder Symphatiesantentum deklariert wird. So hat Schily die Bedenken von Datenschützern damit gebrandmarkt, dass Datenschutz nicht zum Terroristenschutz werden dürfe.

Die Abstraktion vom Bild Attas in eine schwammige Welt allgegenwärtiger Bedrohung ermöglichte es gleichzeitig, noch fast jede anvisierte Gesetzesverschärfung als wichtig, angemessen und notwendig gelten zu lassen. Mit New York ist ein Anlass gefunden und mit dem Terrorismusbegriff ein Horizont geschaffen worden, um Deutschland außenpolitisch stärker mitmischen zu lassen und innenpolitisch weiter aufrüsten zu können. In rasender Geschwindigkeit wurden alle möglichen bislang nicht durchsetzungsfähigen Kompetenzerweiterungen staatlicher Apparate in eisenharte Gesetze gegossen. Dabei beziehen sich zahlreiche Gesetze nicht mal mehr pro forma auf die – ohnehin unbrauchbare – Definition von Terror, sondern zielen auf jene, die »gegen den Gedanken der Völkerverständigung« und das »friedliche Zusammenleben der Völker richten«. Vager und damit allseitig anwendbarer geht es kaum.

Der sicherheitspolitische Ruck ist gewaltig. An breiter Front werden Grenzen staatlicher Kontrolle und Repression niedergerissen, werden Bundesbe-hörden und Geheimdienste umfassend ermächtigt, in einem eklatanten Maße Informationen zu sammeln, zu speichern und abzugleichen. Zugriffe auf Kontenbewegungen, Passagierlisten oder Telekommunikationsmedien sind jederzeit möglich, bei zigtausenden Arbeitsplätzen in sogenannten sicherheitsrelevanten Bereichen hat der Verfassungsschutz das letzte Wort. Das Gros der Änderungen sind ausländerrechtliche Verschärfungen. Abschiebungen werden erleichtert, VISA-Anträge strenger überprüft, immer umfassender identitätssichernde Daten gesammelt und zwischen den Behörden ausgetauscht. Der Blick auf das Anti-Terror-Paket II zeigt, dass dabei nicht mal nur jene, die dem Szenario des Sleepers entsprechen, unter Generalverdacht fallen und zusätzlich verschärfter rassistisch-diskriminierender Sonderbehandlung unterliegen, sondern nahezu alle Gruppen ohne deutschen Pass. So sind auch Flüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen wurden, Objekte des Anti-Terror-Kampfes.

Es ist auffällig, dass einige Charakteristika, die dem Sleeper zugesprochen werden – hochqualifiziert, spezialisiert, mobil, individuell –, genau jenem Profil entsprechen, das bis »vor Kurzem« in Persona der IT-Fachkraft das Ideal der Einwanderungsdebatte darstellte. Wurde diese als Mitglied einer Info-Elite von der großen Zahl der Underclass-Migration positiv abgegrenzt, vermutet man nun auch innerhalb der gebildeten und ökonomisch nachgefragten Klasse von MigrantInnen gefährliche Spezialisten. Gleichwohl wäre es falsch, die neue Paranoia und sicherheitspo-

litischen Attacken als Ende des geplanten Einwanderungsgesetzes zu verstehen. Regierung und Wirtschaftslobbies wollen weiterhin die Arbeitskraftspezialisten, das entsprechende Gesetz verzögert sich zwar, wird aber kommen. Vielmehr folgen die Sicherheitspakete exakt der Logik, die auch der Einwanderungsdebatte zugrunde liegt: Es geht darum, die draußen zu halten bzw. leichter wieder los zu werden, die man nicht haben will, und lediglich jene auszu-sieben, die man auch haben will. Insofern ist Schi-

lys »Otto-Katalog« keine Gegenmaßnahme zur gewünschten selektiven Einwanderung, sondern ihre kontrollpolitische Optimierung.

Kritik an dieser Entwicklung hat es zur Zeit nicht leicht, auch nur einen Fuß in die Tür der Debatte zu bekommen. Möglicherweise ist aber genau die Vagheit der zentralen Begriffe des außen- wie innenpolitischen Regimes die Chance, die Tür aus den Angeln zu heben. Wenn die jetzige Politik im Namen der Sicherheit geführt wird, dann ist sie damit zu konfrontieren, dass es für den Mann aus Darmstadt keine Sicherheit darstellt, kürzlich eingesperrt worden zu sein, weil er in den USA Flugstunden genommen hatte. Und dass im Herbst eine Frau mit (und wegen) Kopftuch in Hanau auf der Strasse ins Gesicht geschlagen wurde. Und dass im Zuge derselben Politik, die beständig von Sicherheit schwadroniert, permanent Leute in Prekarität und Illegalität gebracht bzw. in miesen Lebensverhältnissen gehalten werden.

Das Sicherheitsgerede ist die Perspektive eine Mehrheitsgesellschaft, die beständig ausblendet, dass Sicherheit für viele erst einmal nicht damit zusammenfällt, zusätzliche Schlösser an den Fenstern ihrer Eigenheime anzubringen. Statt sich seine Sorgen derart vorschreiben bzw. -prägen zu lassen, wäre der herrschende Begriff von Sicherheit so unter Druck zu setzen, dass Plattitüden wie »für die Bürger« oder »von Terror« nicht dran kleben bleiben. Um eine Vorstellung von Sicherheit ins Spiel zu bringen, die herzlich wenig mit Polizei, Geheimdienste und Militär zu tun hat – allenfalls als Schutz vor ihnen.

 

Redaktion diskus

 

 

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