Heft 4/98

Das Haus, die Tafel, der Umzug
Interview mit Alfred Jachmann
(Mitglied des Vorbereitungskomitee für dasTreffen ehemaliger Häftlinge von Buna/Monowitz)

Vom 20. - 22. Oktober. 1998 fand in Frankfurt ein Treffen mit über 90 ehemaligen Häftlingen des Lagers Buna/Monowitz bei Auschwitz statt. Das Treffen stand wesentlich im Zeichen eines Wiedersehens der Menschen, die vor 53 Jahren im Lager der I.G. Farben überlebten, in dem sie - wie viele andere - durch Arbeit systematisch ermordet werden sollten. Die Veranstaltung wurde hauptsächlich mit dem Geld jüdischer Institutionen und Privatpersonen bezahlt. Die Nachfolgefirmen der I.G. Farben, Bayer und BASF, reagierten nicht auf mehrere Anschreiben der Veranstalter.

Die Idee, das Treffen im I.G. Farben-Gebäude stattfinden zu lassen, beinhaltete den Wunsch einer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Hauses, und damit auch der Geschichte des Nationalsozialismus. Der I.G. Farben Chemiekonzern plante und realisierte in Zusammenarbeit mit der SS das Konzentrationslager Buna/Monowitz. Zwischen 1942 und 1945 profitierte der Großkonzern aus der Zwangsarbeit von über 35.000 Männern. Nur wenige haben das Programm ›Vernichtung durch Arbeit‹ überlebt. Manche blieben dem Treffen fern: Menschen, die nach 1945 nie mehr in das Land gekommen waren, in dem ihre Ermordung geplant worden war und die durch die perfektionierten Vernichtungsapparate im NS den Tod ihrer Freunde und Familien erleben mußten.

Die Wahl des Veranstaltungsorts hing darüber hinaus eng mit dem bevorstehenden Umzug der Universität in das I.G.Farben-Haus zusammen, der von vielen der Überlebenden als große Chance angesehen wird, eine Auseinandersetzung über den Nationalsozialismus zu fördern.

Welche Art des Gedenkens ist im universitären Rahmen generell vorstellbar? Welche Aus-formung von Erinnerungskultur ist mit der Debatte um eine Gedenktafel am Gebäude des I.G. Farben-Konzerns in Frankfurt verbunden? Erste Aufschlüsse darüber gibt nicht nur die Art und Weise, wie im Zusammenhang mit dem Uni-Umzug über Erinnerung gesprochen wurde, sondern auch die Zeit, die es brauchte, um eine einigermaßen angemessene Form dafür zu finden. So war es nicht möglich, sich ohne den Druck der Überlebenden auf einen Text für eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Geschichte des Hauses zu einigen (siehe Interview).

Beispielhaft für den Umgang mit dem Nationalsozialismus ist die stattfindende Namensdiskussion um dieses Gebäude. Allein die Begründung, der Name »Poelzig-Ensemble« hebe einen Architekten heraus, der nach 1933 bei der NSDAP in Ungnade gefallen sei, soll vermuten lassen, daß es in der Architekturgeschichte keinerlei Übergänge, Korrespondenzen und Entwicklungen hin zur faschistischen Herrschaftsarchitektur gegeben habe. Der 1927 geplante Bau soll unter Nichtbeachtung seiner ursprünglichen Funktion als ästhetisches Architekturdenkmal rekonstruiert werden. Eine kritische Reflexion dessen, was dieser Bau repräsentiert hat, wird vermieden. An seine Stelle tritt statt dessen das Lob auf die Baukunst der Zeit kurz vor dem Beginn nationalsozialistischer Herrschaft. Mit der Bezeichnung des I.G. Farben-Gebäudes als Poelzig-Ensemble wird eine individualisierende und ästhetisierende Darstellung gewählt, in der die Geschichte des Hauses vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg verschwindet.

Auch wenn es sich bei Poelzig um eine widersprüchliche Figur in der Architekturgeschichte handelt, so kann selbst auf architekturhistorischer Ebene seine Anschlußfähigkeit an nationalistische Traditionen nicht geleugnet werden. Nicht nur das I.G. Farben-Gebäude selbst, das sogar den MacherInnen der Ausstellung »Macht und Monument«, die Anfang dieses Jahres im Architekturmuseumstattfand, als derart idealtypisch für Herrschaftsarchitektur galt, daß sie es für das Cover des Ausstellungskatalogs auswählten, auch Poelzigs Bauten, die sich an den Heimatkunststil der 10er Jahre anlehnten, dokumentieren dies.

Der Diskussion um die Namensgebung, die nicht auf den Zusammenhang von Architektur und Herrschaft rekurriert, entspricht in der historischen Forschung eine Haltung, die die aktive Rolle deutscher Großunternehmen bei ihrer Kooperation mit der SS nicht hinreichend anerkennt. Immer noch wird durch die vorherrschende historische Forschungsmeinung transportiert, daß sich die I.G.-Vorstände nur unter Druck der SS auf eine Kooperation im Lager Buna/Monowitz verständigt hätten. Neuere Forschungsergebnisse von Florian Schmaltz und Karl Heinz Roth hingegen weisen auf ein wesentlich früheres und stärkeres Eigeninteresse der I.G. am Lager Buna/Monowitz hin, als dies zuvor angenommen wurde.

Bei dem Treffen der Überlebenden war es keinem der Teilnehmer ein Anliegen, über »Wiedergutmachung« zu sprechen, trotzdem wurde es von den Medien teilweise dahingehend funktionalisiert.

Vielfach wurde das Treffen in einen Zusammenhang gestellt mit dem Schulterschluß der Vorstände von Unternehmen, die im Nationalsozialismus ZwangsarbeiterInnen ausgebeutet hatten, mit dem neuen Bundeskanzler. Schröder hatte sich dabei zum Anwalt und Schutzpatron der deutschen Wirtschaft gegenüber eventuellen Schadensersatzansprüchen ernannt.

Im Zusammenspiel mit der Reaktion der Unternehmen auf Sammelklagen von Anspruchsberechtigten muß die Suche nach pauschalierten Entschädigungsregelungen als Versuch verstanden werden (ähnlich wie 1957 in der Vereinbarung zwischen I.G. Farben und der Jewish Claims Conference), die endgültige Beendigung der Debatte um den Zusammenhang von nationalsozialistischer Herrschaft und kapitalistischer Wirtschaftsform zu erwirken.

Das Agieren der Uni-Leitung während der Planung des Umzugs in das I.G. Farben-Haus ist innerhalb dieses gesellschaftlichen Feldes durchaus stromlinienförmig. Eine Fortführung der vorherrschenden selektiven Ausblendung von Geschichte könnte die Hoffnung der überlebenden ZwangsarbeiterInnen zunichte machen, daß der Umzug für die Bearbeitung und die Suche nach denjenigen Elementen der Geschichte und Wirkung des Nationalsozialismus nutzbar gemacht werden kann, die im Kontext der bürgerlich-kapitalistischen Moderne als rational gelten.

Die Gedenktafel, welche bis jetzt die einzige Form der Erinnerung an die Geschichte des Hauses darstellt, kann keine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ersetzen. Wenn die Überlebenden den Appell an Jugendliche weitergeben, zu verhindern, daß heute so etwas wie die systematische Vernichtung der europäischen Juden nochmals geschehe, so ist damit nicht nur die genaue Rekonstruktion des Geschehenen verbunden. Vielmehr ist darin auch die Aufforderung enthalten, die Rolle Deutschlands und der Deutschen im Nationalsozialismus nicht nur als das ganz Andere der parlamentarischen Demokratie zu verstehen und sich gegen aktuelle Praktiken des Ausschlusses, des Rassismus und der Marginalisierung zu wehren.


Alfred Jachmann lebt in Frankfurt und hat sich zusammen mit anderen Mitgliedern des Rats der Überlebenden in die Diskussionen um das I.G. Farben-Haus eingemischt.

diskus: Mit dem Auszug der US-Army aus dem I.G. Farben-Gebäude stellt sich die Frage nach dessen Zukunft. Wurden Sie als Überlebender an den stattfindenden Diskussionen um die Nutzung des Hauses beteiligt?

Alfred Jachmann: Wir, die Überlebenden in Frankfurt, die wir nun mittelbar oder unmittelbar unter den Forschungen und Entscheidungen der I.G. am Schreibtisch zu leiden hatten, sind natürlich hellhörig geworden, als wir hörten, die US Amerikaner ziehen aus diesem Haus aus. Wir verfolgten die Diskussionen um die Zukunft des Hauses aufmerksam, ohne daran beteiligt worden zu sein. Es ist dem Fritz Bauer Institut zu verdanken, daß durch die Ausstellung ›50 Jahre Hessen‹ und ›Landsberg - Ein Ort wie jeder andere‹ zumindest das Thema Nationalsozialismus in diesem Haus aufgegriffen wurde. Damit konnte deutlich gemacht werden, daß dieses Haus nicht von seiner Geschichte losgelöst werden kann. Später hieß es dann, die Universität wird das Haus übernehmen. Wir sind mit dem Fritz Bauer Institut sehr schnell ins Gespräch gekommen, um gemeinsam zu überlegen, wie man die Interessen der Überlebenden angemessen berücksichtigen kann. Wir befürchteten, es könnte bei dem Anbringen eines Schildes »Universität Frankfurt« bleiben. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, darauf hinzuweisen, damit die Geschichte dieses Hauses nicht in Vergessenheit gerät.

diskus: Wie bewerten Sie es, daß nun die Universität dieses Gebäude beziehen wird?

A. J.: Ich betrachte es als etwas Positives, daß es durch Verhandlungen zwischen dem Land Hessen und dem Bund möglich geworden ist, die Universität dort einziehen zu lassen. Wenn die Universität guten Willens ist, Geschichte zu vermitteln und zu verstehen, dann hat sie in einem solchen Haus, von dem so viel Unheil ausgegangen ist, die Chance dazu. Auch wenn es sich bei diesem Haus um eine schreckliche Vergangenheit handelt, erscheint mir ein Umzug dorthin sinnvoller und fruchtbarer, als in ein Haus, das keine Vergangenheit hat. Meiner Ansicht nach birgt eine unmittelbare Nähe zur schrecklichen Geschichte dieses Hauses, auch durch die Architektur vermittelt, Aussichten auf das Verstehen und der Vermittlung.

diskus: Wurde mit der Entscheidung, die Universität dort einziehen zu lassen, auch diskutiert, wie man sich die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Hauses vorstellen könnte? Wie kam es zu der Entscheidung für eine Gedenktafel? Können Sie uns das Verfahren kurz skizzieren?

A. J.: Es begann etwas, was man als ausgesprochen unerfreulich bezeichnen muß, denn das Verfahren, einen Gedenktafeltext zu formulieren, dauerte mehrere Jahre. Die erste Version eines Textes wurde abgelehnt. Erst als die Initiative des Fritz Bauer Institutes und des Überlebendenrats in der Universität vehement vorgetragen wurde - da immer weniger der ehemaligen Häftlinge des Lagers der I.G. noch am Leben sein dürften, hatte man also keine Zeit zu verlieren - erkannte Professor Meissner die von uns vorgetragenen Argumente bezüglich des Treffens an, hegte aber Zweifel, daß es möglich sein würde, zu diesem Zeitpunkt einen Text für die geplante Gedenktafel präsentieren zu können. Er betonte, wie wichtig ihm diese Erinnerung sei, aber er hatte gleichzeitig immer wieder Einwände gegen die konkrete Verwirklichung des Projektes Gedenktafel. Es gelang uns jedoch, darauf hinzuweisen, daß wir auf eine angemessene Form der Erinnerung nicht verzichten können. In einem späteren Gespräch im hessischen Wissenschaftsministerium stellte sich heraus, daß es nicht einfach sein würde, einen Text zu verfassen, der die Zustimmung aller Beteiligten finden könnte. Unsere Aufgabe bestand zunächst darin, nochmals darauf hinzuweisen, daß es sich im Falle der Zwangsarbeiter der I.G. vor allem um Menschen jüdischen Glaubens handelte, denn das blieb in einer ersten Version eines möglichen Textes unberücksichtigt. Wir mußten einsehen, daß es nicht möglich war diese Tafel bereits für das Treffen der Überlebenden an den Haupteingang des I.G.-Gebäudes anzubringen, da in dieser Zeit am Haus gebaut werden sollte. Im Jahre 2001, wenn die Universität dort einziehen wird , werden wir die zuständige Person im Ministerium an das Versprechen erinnern, daß bei dem Anbringen der Gedenktafel auch Überlebende anwesend sein müssen. Das war letzlich ein Abschluß, der uns zufriedengestellt hat.

diskus: Vom 20. - 22.10.1998 fand in Frankfurt das Treffen der Überlebenden von Buna/Monowitz statt. Wie waren die Reaktionen der Überlebenden auf den Text der Gedenktafel?

A. J.: Zunächst entstand bei vielen der Angereisten das Gefühl, auch am Prozeß der Formulierung beteiligt werden zu wollen. Da es nun aber bereits eine verabschiedete Version gab, entstand die Idee, eine zweite Tafel mit einem eigenen Text zu erstellen, der sich stärker auf die Verfolgung durch die I.G. im Nationalsozialismus beziehen sollte. In der diskussion wurde man sich schließlich einig, daß mehrere Tafeln eher zu einer Nichtbeachtung oder Inflation denn zu einer Betonung der Geschichte des Hauses führen würden. Das Gelingen eines Gedenkens würde damit noch stärker in Frage stehen, als es ohnehin schon der Fall sein wird. Gedenktafeln sind meiner Ansicht eigentlich keine Form des Gedenkens, die zu einem angemessenen Umgang mit der Geschichte führen.

diskus: Welche Art der Erinnerungskultur erscheint ihnen alternativ zu Gedenktafeln angemessener?

A. J.: Diese Tafel ist eine Mindestanforderung, um zu dokumentieren, was in diesem Haus geschah, was hier entwickelt worden ist, um den perfektionierten Mord zu ermöglichen. Das ist jedoch nur die eine Seite. Wenn die Universität nicht die Bedingungen für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Geschichte schafft, was heißt, dieses Thema fest in den Lehrplan der verschiedenen Fakultäten aufzunehmen, dann nützt eine solche Tafel gar nichts. Die Universität ist der Ort, an dem junge Menschen ausgebildet werden, die keine Schuld auf sich geladen haben, die aber Verantwortung für eine Zukunft haben, in der es nicht wieder zu so etwas kommen darf. Erst in der Kombination von sichtbaren Zeichen und ständiger Reflexion im Rahmen von Lehrveranstaltungen ist für mich ein adäquater Umgang denkbar. Wenn ich in einem Haus mit solcher Vergangenheit sitze, bin ich auch verpflichtet, an irgendeiner Stelle zu verdeutlichen, wo ich mich hier befinde.

diskus: Während des Treffens fanden viele Begegnungen mit Jugendlichen statt, die in Gesprächen unmittelbar mit dem Thema Verfolgung im Nationalsozialismus konfrontiert wurden. Viele der Teilnehmer des Treffens sprachen davon, daß es sich voraussichtlich um das letzte Treffen dieser Art handeln könnte. Wie ist Erinnerung an den Holocaust denkbar, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?

A. J.: Die Generation der Zeitzeugen hinterläßt viele Dokumente, die von der Zeit ihrer Verfolgung sprechen. Dies beschränkt sich nicht nur auf Texte von Überlebenden. Inzwischen erweitert sich das Spektrum um Aufzeichnungen von Lebensgeschichten, die als oral history auf Videobändern in der Zukunft zur Verfügung stehen können. Ich halte beispielsweise die Arbeit der Spielberg Foundation für ganz wesentlich, da die Menschen in den Aufzeichnungen auch nach ihrem Tod präsent bleiben. Diese Art des Erinnerns erscheint mir viel wirkungsvoller als eine blanke Gedenktafel.

Wenn dies neben der gängigen historischen Forschung genutzt wird, so könnte das ein gelungenes Ergänzungsverhältnis darstellen.

Während dieses Treffens fand ein Abend mit wissenschaftlichen Vorträgen statt, an dem von jungen Historikern über das Thema Buna/Monowitz geredet wurde. Mein Eindruck war, daß hier keine Vermittlung zwischen Zeitzeugen und Historikern stattfand, sondern ein Ablesen von Faktenwissen. Um ein Korrektiv für die nüchterne historische Forschung sein zu können, müssen wir erreichen, daß unsere Perspektive in einem Dialog mit den Historikern angemessen Berücksichtigung findet.Damit Erinnern nicht zum inhaltslosen Ritual wird, ist es wichtig, die Sichtweise derer zu berücksichtigen, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geworden sind. Ich denke z.B. an den 9. November. Von Zeitzeugen gestaltet scheinen mir diese Gedenkfeiern bedeutsamer, als die offiziellen Pflichtübungen von Frau Roth und Herrn Eichel in der Westendsynagoge. Diese Veranstaltungen mögen notwendig sein, aber sie können nicht das ersetzen, was Überlebende aus eigenem Erleben berichten.

diskus: Sie saßen im Vorbereitungskomitee dieses Treffens und haben maßgeblich an der inhaltlichen Ausrichtung des Treffens mitgearbeitet. Die ursprüngliche Idee des Treffens bestand darin, ein Wiedersehen für die Überlebenden von Buna/Monowitz zu organisieren. Die Art und Weise der Darstellung in den Medien rükkte das Treffen jedoch viel stärker in einen Zusammenhang mit Entschädigungsverfahren gegenüber in Deutschland gegründeten Großunternehmen.

Parallel zu dem Treffen in Frankfurt lud Gerhard Schröder in Hannover Vorstände derjenigen Firmen zum Gespräch, die von Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter betroffen werden könnten. Schröder sieht sich selbst darin als Moderator zwischen ehemaligen Zwangsarbeitern und den Vorständen der Großindustrie. Von Sammelklagen insbesondere aus den USA ausgelöst muß die geplante Einrichtung einer Bundesstiftung und Schröders Gespräch wieder einmal als Reaktion von außen gewertet werden. Wie bewerten Sie diese neuen Entwicklungen?

A. J.: Zunächst möchte ich betonen, daß die Menschen, die sich nach teilweise über 50 Jahren das erste Mal wiedersehen konnten, nichts von alledem vergessen haben, was sie erleben mußten. Sie haben nichts vergessen und sie werden solange sie leben das was ihnen angetan wurde nicht vergessen können.

Was die Medien daraus gemacht haben, muß man extra beleuchten. Die Frankfurter Printmedien haben auf dieses Treffen meines Erachtens angemessen Bezug genommen, indem sie stark auf die Gespräche mit den Jugendlichen Bezug nahmen. Das Hauptanliegen der Teilnehmer war es, die Vergangenheit gegenüber der Jugend wachzuhalten und sich wiederzusehen. Obwohl es einigen der Angereisten tatsächlich finanziell nicht gut geht, so haben sie das Thema Entschädigung bei diesem Treffen nicht in den Vordergrund gestellt. Das entbindet die Verantwortlichen deshalb noch lange nicht, nun endlich etwas zu tun.Die Stellungnahme Herrn Schröders erschien mir als Betroffenem insofern problematisch, als er sich selbst als Schutz für die deutschen Wirtschaftsunternehmen versteht. Stattdessen sollten endlich diejenigen Unternehmen, die Zwangsarbeiter rekrutiert haben, aufhören, noch immer zu behaupten, »wir wollten überhaupt keine Zwangsarbeiter, die sind uns aufgezwungen worden«. Selbst wenn dem so wäre, so ist davon auszugehen, daß diese Unternehmen mit Zwangsarbeit Profite in Millionenhöhe erwirtschaftet haben. Ich habe 1942 in der Deutschen Waffen-Munitionsfabrik als 15jähriger Junge Zwangsarbeit hinter Draht geleistet. Wenn es schon keine rechtliche Verpflichtung gibt, Entschädigung zu zahlen, so ist es doch mindestens eine moralische.

Die Aussage, die Schröder gemacht hat, stärkt denjenigen, die Leistungen zu erbringen haben, den Rücken. Das halte ich für unverantwortlich, zumal es inzwischen ohnehin nurmehr einen kleinen Kreis von Menschen betrifft, die überhaupt noch Zahlungen entgegennehmen können. Durch die Vereinbarungen des Wollheim-Prozesses erhielt ich selbst für meine geleistete Arbeit 5.000 DM. Für meinen Vater, der 1944 einer Selektion zum Opfer gefallen ist, hat niemand eine Entschädigung erhalten, obwohl er über ein Jahr lang Sklavenarbeit leisten mußte. Ein Erbrecht auf Entschädigung gab es damals und gibt es auch heute nicht. Es geht also lediglich darum, denen die überlebt haben, noch etwas zukommen zu lassen. Einige der Überlebenden konnten nicht an dem Treffen teilnehmen, weil ihnen die finanziellen Mittel dazu fehlten. Insbesondere denen sollte etwas gezahlt werden, um sie damit in die Lage zu versetzen, ihren Lebensabend besser gestalten zu können.

diskus: Die Öffnung der Archive von großen deutschen Unternehmen, die von Enteignung und Zwangsarbeit in der Zeit profitiert haben, hat verschiedene Effekte. Sicher führt die Aufdeckung der Beteiligung an NS Verbrechen zur Möglichkeit konkreter Forderungen an diese Firmen. Über 50 Jahre nach den Verbrechen können jedoch nur wenige ihre Forderungen geltend machen. Durch die »schonungslose« Aufdeckung erhalten die Unternehmen jedoch ein Stück Rehabilitation zurück. Birgt vor diesem Hintergrund diese Form der Entschädigungsdebatte nicht auch die Gefahr einen Schlußstrich unter die Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Nationalsozialismus und Kapitalismus zu ziehen?

A. J.: Die heutigen Inhaber der Firmen, die damals mitgewirkt haben, sind nicht mehr dieselben wir damals. Es kann nur noch darum gehen, die neuen Inhaber davon zu überzeugen, daß die bestehende Kapitaldecke dieser Firmen sicherlich zu einem großen Teil aus Profiten mit der Zwangsarbeit stammt. Es kann also nur um einen Appell an das Gewissen der jetzigen Eigentümer gehen, damit diese eine moralische Verantwortung gegenüber den Opfern übernehmen. Man kann es nicht verhindern, daß die Unternehmen auf diese Weise zu der Aussage kommen könnten, »wir haben nun finanziell alles Erforderliche getan«. Das darf aber nicht bedeuten, daß ein Schlußstrich unter einen Teil der Vergangenheit ihrer Unternehmensgeschichte gezogen wird. Im Fall der I.G. Farben verhält es sich meiner Ansicht anders, da sich die I.G. jenseits der Profite mit Zwangsarbeit auch durch die Produktion von Zyklon B zusätzlich schuldig gemacht hat.

Mit Alfred Jachmann sprachen
Tanja-Maria Müller und Christian Kolbe.

Dieser Text wird im Jahre 2001 beim Umzug der Uni in Form einer GEDENKTAFEL am Eingang befestigt werden:
Dieses Gebäude wurde nach den Plänen des Architekten Hans Poelzig in den Jahren 1928 bis 1931 für die Hauptverwaltung der IG Farbenindustrie AG errichtet.
Dieser weltgrößte Chemiekonzern stellte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Produktionstechniken zwischen 1933 und 1945 zunehmend in den Dienst des nationalsozialistischen Terrorregimes, der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung. 1942 bis 1945 betrieb die IG Farben zusammen mit der SS ein Konzentrationslager bei ihren Werken in Auschwitz. Von den Zehntausenden KZ-Häftlingen, die für den Konzern dort arbeiten mußten, wurden die meisten ermordet. Mit dem Gas Zyklon B, das eine Tochtergesellschaft der IG Farben vertrieb, wurden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern viele Hunderttausende von Menschen, vor allem Juden, umgebracht.
Ab 1945 war das Gebäude Sitz der amerikanischen Militärregierung und des Hohen Kommissars für Deutschland. Am 19. September 1945 wurde hier die Gründung des Landes Großhessen proklamiert. Von 1948 bis 1995 befand sich in dem Haus das Hauptquatier des V. Corps der US Army.
Im Bewußtsein der Geschichte des Hauses hat es das Land Hessen 1996 für die Goethe-Universität erworben. Künftig soll es der Bildung und Forschung dienen.