|
#31 .. 09-11-06 UNO-Trek. 40 Jahre Star Trek
#30 .. 19-10-06 Die Schlacht um Algier
#29 .. 31-08-06 The Sound Of New Orleans ein Jahr nach der Flut
#28 .. 20-07-06 Rumänien 1990 - Can the Revolution be televised?
#27 .. 23-04-06 OZ - Foucault im TV-Serienformat
#26 .. 18-02-06 Der Heilige Geist und St. Marx
|
|
The Big Easy
Melting Pot, Ghetto, Themenpark - The Sound Of New Orleans ein Jahr nach der Flut, Part I
Historie von New Orleans
Ein Jahr nach Katrina
Grundstrukturen der US-amerikanischen Stadtentwicklung
Suburbanisierung
Mallkultur
Gated Communities
Die hausgemachte Katastrophe
"Ethnic Cleaning"
Historie von New Orleans
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts drang die französische Kolonialmacht von Neufundland bis zur Kanadischen
Seenkette vor und erreichte 1680 den Mississippi River. Am Einfluss des Missouri entstand 1682 St. Louis.
1683 erreichten französische Abenteurer die Mündung des Mississippi in den Golf von Mexiko und nahmen alle
am Fluss liegenden Länder für Franreich in Besitz. Diese Kolonie erhielt zu Ehren des französischen Königs
Ludwig XV. den Namen Louisiana. 1718 wurde New Orleans. unter dem französischen Namen La Nouvelle-Orleans
zu Ehren von Phillip II. Herzog von Orleans, gegründet.
In einem siebenjährigen Kolonialkrieg (1754-1763) zwischen England und Frankreich, bei dem es auch um
die Vormachtstellung in Nordamerika ging, mussten schließlich die französischen Truppen in Kanada
kapitulieren. Da Frankreich fürchtete, seine gesamten amerikanischen Kolonien an England zu
verlieren, trat es kurz vor Kriegsende (3.11.1762) Louisiana westlich des Mississippis sowie
New Orleans an Spanien ab.
Ab 1795 gewährte Spanien den USA in New Orleans das "Recht auf Niederlassung" und erlaubten den
Amerikanern, den Hafen der Stadt zu nutzen. 1801 ging Louisiana nach der Eroberung Spanien durch
Napoleon I. wieder an Franreich zurück. Zwei Jahre später (1803) verkaufte der französische Kaiser
Louisiana für 15 Millionen Dollar an die USA. Die Stadt wurde am 20. Dezember 1803 den USA übergeben.
Zu dieser Zeit zählte New Orleans ca. 10.000 Einwohner. Bis zum amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65)
diente der Hafen von New Orleans auch als wichtige Drehscheibe für den Sklavenhandel.
Das südliche Louisiana gehörte einst zu den am stärksten industrialisierten Regionen des Landes -
hier ballten sich Chemie-, Öl- und Plastikfabriken und eine bedeutende Schifffahrtsindustrie. Seit
den 1920er Jahren wird in Louisiana Öl gefördert, zunächst in den Feuchtregionen und entlang der Küste,
ab Mitte der 1940er Jahre auch "offshore". Vor "Katrina" gab es im Golf von Mexiko fast 6000 aktive
Plattformen, die 20 Prozent des US-amerikanischen Erdöls und 30 Prozent des nationalen Erdgases lieferten.
Lange Zeit zählte in New Orleans Petrochemie- und Ölfirmen wie Shell oder Texaco zu den wichtigsten
Arbeitgebern. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt seit den 1980er Jahren erlebte die Stadt
einen massiven Deindustrialisierungsprozess. Wer konnte, zog dem Kapital in der Hoffnung auf einen
neuen Arbeitsplatz hinterher. Zählte New Orleans in den sechziger Jahren etwa 630 000 Einwohner, so
waren es 2005 nur noch ca. 460 000 Menschen.
Auf diese Weise entstanden rings um New Orleans und entlang der Küste riesige Vororte. Die Ärmsten,
die sich weder Auto noch Eigenheim leisten konnten, blieben in der Kernstadt zurück. Vor dem Hurrikan
lebten fast 30 Prozent der Einwohner unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.(Zum Vergleich: Der nationale
Anteil liegt bei knapp 13 Prozent) Bei den Afroamerikanern, die ca. 70 Prozent der Bevölkerung stellten,
lag dieser Anteil sogar noch höher. In die Lücke, die der Abzug der Industrie hinterließ, stieß die Drogenökonomie.
New Orleans galt wegen der zahlreichen Gangs als einer der gefährlichsten Städte in den USA. Manche sprachen
sogar von einer US-amerikanischen "Dritte Welt-Stadt".
Ein Jahr nach Katrina
Der Hurrikan hat mehr als 200 000 Häuser zerstört oder schwer beschädigt, in New Orleans 110 000. Der
Kongress in Washington genehmigte zwar 17 Milliarden US-Dollar als Wiederaufbauhilfe, aber kein Hausbesitzer
in New Orleans hat bisher auch nur einen Dollar aus dem Fördertopf erhalten.
Die Behörden haben keine Anstrengung unternommen, die übers ganze Land zerstreuten Opfer zurückzuholen.
Allein in Houston, der nächsten Großstadt in Texas, leben ein Jahr nach der Katastrophe, noch 150.000
Katrina-Flüchtlinge aus Louisiana.
Die meisten Versicherungen haben sich geweigert, die Privatschäden zu bezahlen. Das Pionierkorps der US-Armee,
das für den Bau der Deiche in New Orleans zuständig ist, musste öffentlich das eigene Versagen eingestehen.
Die Stadt ist heute vor Hurrikan-Stürmen nicht besser gerüstet als vor einem Jahr. Das Corps kann allerdings
für bautechnische Mängel nicht rechtlich belangt werden, da es als Teil der Streitkräfte Immunität genießt.
Die offizielle Zahl von 1836 Toten und 705 Vermissten kann nur als Richtwert gelten. Es muss eher mit noch mehr
Toten gerechnet werden.
Allenfalls die Hälfte, vielleicht auch nur ein Drittel der Einwohner sind aus dem Exil zurück. Inzwischen
haben viele Evakuierte anderswo eine Bleibe, oder gar einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Die soziale
Infrastruktur in New Orleans existiert nur bruchstückhaft: Vier von fünf öffentlichen Schulen sind noch
immer geschlossen und nur ein Drittel der Spitäler ist geöffnet, weil es am medizinischen Personal fehlt.
Die Nostalgie-Straßenbahn im Zentrum fährt wieder auf und ab, aber ansonsten funktioniert der öffentliche
Verkehr kaum.
Selbst Optimisten glauben nicht mehr daran, dass New Orleans schon in wenigen Jahren wieder seinen alten
Bevölkerungsstand erreicht haben wird. Das Siechtum einer Großstadt, die ein fester Teil der amerikanischen
Seele schien, findet auf nationaler Ebene kaum noch angemessene Beachtung. Washington hat zwar Dutzende von
Milliarden Dollar für Nothilfe in der Katastrophenzone am Golf von Mexiko ausgegeben, aber bis heute sind
die Behörden nicht fähig, ein langfristig angelegtes Wiederaufbau-Konzept vorzulegen. Obwohl allen klar
ist, dass New Orleans schrumpfen wird, drücken sich die Entscheidungsträger vor der politisch brisanten
Festlegung, welche Stadtteile beim Wiederaufbau Priorität erhalten sollen. Entsprechende Empfehlungen
einer Planungskommission hat Bürgermeister Nagin aus wahltaktischen Gründen beiseite geschoben. Die Rede
ist nun von einem Strategieplan für Anfang nächsten Jahres.
Dabei ist das Risiko neuer Überschwemmungen hoch. Die Küste von Louisiana wird im voraussichtlich etwa
alle 10 Jahre von einem Hurrikan der "Katarina"-Stärke betroffen sein. Ein aufwendiges Dammsystem, das
die Stadt samt Umland selbst vor den stärksten Wirbelstürmen schützen könnte, ist zwar technisch machbar,
aber die Kosten für ein solches Großprojekt würden ca. 30 Mrd. Dollar betragen. Das ist ein Mehrfaches der
3,3 Milliarden, die der Kongress für die Reparatur der Dämme bewilligt hat. Experten prognostizieren, dass
irgendwann bis zu einem Fünftel von Louisiana, darunter auch New Orleans, für immer in den Fluten
versinken wird.
Grundstrukturen der US-amerikanischen Stadtentwicklung
Der Niedergang von New Orleans muss man im Kontext der US-amerikanischen Stadtentwicklung sehen. Drei
grundlegende Tendenzen seien hier kurz vorgestellt.
Suburbanisierung
Die Suburbanisierung gehört zu den wichtigsten Prozessen in der US-amerikanischen Stadtlandschaft. Die Tendenz zum
Wohnen in Vorstädten reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Das Ideal vom eigenen Haus mit Grundstück und ein
ausgeprägter Anti-Urbainmus entsprachen stets der normativen Grundhaltung der nordamerikanischen
Mehrheitsgesellschaft.
Besonders ab den 1940er Jahren setzte in den USA ein enormer Suburbanisierungsschub ein, der bis heute anhält.
Dank eines wachsenden Konsumpotentials und dem Besitz eines eigenen Autos begannen sich die Mitteklassen an den
Stadtrand abzusetzen. Der suburbane Lebensstil war und ist u. a. von dem Wunsch geprägt, Elemente des ländlichen
Lebens in den vorstädtischen Wohnort zu integrieren. Dies bezieht sich nicht nur auf die Gestaltung des Hauses
oder die Grundstücksgröße. Mindestens ebenso wichtig ist das Bestreben nach möglichst großer sozialer und
ethnischer Homogenität. Vor allem in den altindustrialisierten Metropolregionen hat sich ein starker
sozialräumlicher Gegensatz zwischen den durch Afroamerikaner geprägten Kernstädten und den überwiegend
"weißen" Suburbs herausgebildet. Umgangssprachlich wird dieser Dualismus durch die Formulierung "chocolate
city" und "vanilla suburb" treffend umschreiben.
Heute leben mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner in städtischen Regionen, davon der größte Teil im
suburbanen Raum. Entsprechend liegt der Anteil der suburbs an der städtischen Gesamtfläche bei über neunzig
Prozent. Ebenso beeindruckend ist die Verlagerung von Dienstleistungen und Industrie. Das "Verschwinden"
der industriellen Produktion aus den traditionellen Stadtkernen hat eine neue geographische Dynamik von
Wachstum und Schrumpfung ausgelöst. Die Schwerpunkte des ökonomischen Wachstums liegen gegenwärtig eindeutig
in der Peripherie.
Nicht zuletzt unter dem Einfluss der verstärkten Einwanderung aus Lateinamerika und Asien hat der suburbane
Raum der Metropolregionen in den vergangenen Jahrzehnten einen starken Zuwachs an Minderheiten erfahren. Aber
diese Entwicklung führte nicht zu einer Einebnung der räumlichen Abgrenzungen. Nach wie vor ist die Segregation
der Afroamerikaner von allen anderen ethnischen Gruppen besonders stark ausgeprägt. In der US-amerikanischen
Gesellschaft determiniert die "Race"-Frage offensichtlich den sozialen Status des Einzelnen. So sind z. B.
wohlhabende Weiße von wohlhabenden Schwarzen ebenso stark getrennt wie ärmere Schwarze von ärmeren Weißen.
Mallkultur
Mit der zunehmenden Stadtrandwanderung der Wohnbevölkerung verlagerte auch der Einzelhandel seinen Schwerpunkt
in die Peripherie. Mitte der 1950er Jahre entwarf man einen neuen Typus von Einkaufszentrum, der gewisse Cityfunktionen
ersetzen sollte. Es handelte sich dabei um eine Anordnung von Geschäften, die zunächst um einen offenen
Fußgängerbereich und später als vollständig überdachte und klimatisierte Gebäudeanlage errichtet wurden. Seit
Anfang der 1970er hat sich dieser Typus von Einkaufszentrum zur Shoppingmall weiterentwickelt. In solchen
Komplexen konzentrieren sich die unterschiedlichsten Konsumfunktionen: Kaufhäuser, Einzelhandelsgeschäfte,
Kinos, Gastronomie, Vergnügungsparks, Hotels und Büroflächen. Gegenwärtig verbringt die Mehrheit der
US-Amerikaner einen großen Teil ihrer Freizeit in Shoppingmalls und Themenparks.
Der Erfolg dieser Konsumeinrichtungen beruht auch auf dem Gegensatz zwischen idealisierter Nachbarschaft und
dämonisierter Kernstadt. Die Mall gilt als architektonische Verkörperung der suburbanen Werte und Normen. Sie
steht für einen idealisierten öffentlichen Raum, der frei von Unannehmlichkeiten des Wetters und Verkehrsbelästigungen
ist, sowie vor ungewollten Begegnungen mit "andersartigen" Menschen schützt. Zwar bevorzugt die Mittelklassenklientel
eine kontrollierte und sichere Umgebung, die sich deutlich von der Metropolenrealität abhebt, gleichwohl gibt es
eine weit verbreitete Nostalgie nach historischen Stadtformen. Mit der Suburbanisierung ist die öffentliche Sphäre
verloren gegangen und damit auch Bühnen für öffentliche Darstellungen, wie sie einst für Quartiere oder Zentren
typisch waren. Diesen Verlust versuchen die Mall-Betreiber durch inszenatorische Arrangements zu kompensieren.
Die dabei verwendeten architektonischen Konzepte basieren vor allem auf zwei Klischees: Entweder geht es um
die Simulation des heilen Kleinstadtlebens mit Marktplatz und "Downtown"-Straße oder um die Herstellung einer
urbanen Atmosphäre in Form von Passagen und Galerien.
Das Einzugsgebiet der Malls beschränkt sich nicht nur auf ihr regionales Umfeld, die Konsumkomplexe sind auch
als Touristenziele sehr beliebt. Die "Mall of Amerika" in Minneapolis zieht z. B. mehr Menschen an Disney
World. Themenparks wie Disney World und die Shoppingmalls stellen den vorläufigen Schlusspunkt zweier
Entwicklungen dar: die Transformation des Konsumverhaltens in einen Erlebnisvorgang und die Funktionalisierung
von Raumgestaltung für kommerzielle Vermarktungsstrategien. Dabei ist die bauliche und symbolische Umwelt der
Anlagen in hohem Maße von Images und Klischees geprägt, die durch TV, Film, Werbung oder populäre Musik
produziert werden und die jeweiligen Vorlieben der Konsumenten mit bestimmen.
Hatte es sich bei diesem Typus von Einkaufszentrum bislang um ein suburbanes Phänomen gehandelt, so findet
gegenwärtig eine neuartige Entwicklung statt. Seit den 1990er Jahren fließt ein erheblicher Anteil der
Investitionssummen aus der Konsum- und Unterhaltungsindustrie in die amerikanischen Kernstädte. Als
Ersatz für fehlende gewachsene Stadtzentren entstehen überall multifunktionale Urban Entertainment Centers,
in denen sich Konsum, Freizeit und Unterhaltung noch stärker gegenseitig ergänzen und stützen. Das
bekannteste Beispiel ist die Revitalisierung von Time Square/42. Straße in Manhattan, vormals eine
Mischung aus Vergnügungs- und Rotlichtviertel. Die Umwandlung dieses zentral gelegenen Distriktes steht
exemplarisch für die wachsende "Mallifizierung" der Innenstadt.
Gated Communities
In den USA prägt schon seit langem eine panische Angst der Mittelklassen vor der nicht-weißen Ghettobevölkerung
das gesellschaftspolitische Klima. Pathologisierende Erklärungsmuster für die Existenz einer "gefährlichen Unterklasse"
gehören zum festen Bestandteil der öffentlichen Debatte. Verelendung oder Armut werden dabei als Folge krimineller
Neigungen oder erblicher Veranlagungen betrachtet. Damit einhergehend hat sich in den letzten Jahrzehnten eine
repressive "Law & Order"- Politik durchgesetzt, die auch zu einem gewaltigen Anstieg der Einsperrungsrate
führte. Mit mehr als zwei Millionen Strafgefangenen haben die Vereinigten Staaten ein Inhaftierungsniveau erreicht,
wie man es eigentlich nur von Diktaturen kennt. Darüber hinaus versuchen die städtischen Behörden durch drakonische
Ordnungsmaßnahmen die metropolitanen Zentren von Bettlern oder Obdachlosen zu säubern.
Die Furcht vor Verbrechen, Gewalt und Drogen trägt dazu, dass die Mittelschichten sich möglichst von den
"Übeln der Großstadt" absetzen. Die Zersplitterung des amerikanischen Siedlungsraums "in ein Meer inselförmiger
souveräner Gemeinden" stellt keine "natürliche" Fehlentwicklung eines ungeplanten Stadtwachstums dar. Vielmehr
handelt es sich um einen - häufig rassistisch motivierten - Separatismus der Eigenheimbesitzer, der zugleich
von einer anti-etatistischen Ideologie zusammengehalten wird. Eine Angleichung der Lebensbedingungen durch
zentralstaatliche Institutionen, wie sie etwa hierzulande gesetzlich vorgegeben sind, gelten in den USA als
unnötig, sogar als fundamental 'unamerikanisch', da sie grundsätzlich dem amerikanischen Demokratieverständnis,
d.h. der Vorstellung von Selbstherrschaft und Selbstverwaltung widersprechen" Die Ideologie des Privatism hat
zu einem scharfen Dualismus zwischen einer verarmten Kernstadt und saturierten Suburban Neighborhoods geführt.
Während die städtischen Peripherien ökonomisch prosperieren, veröden große Teile der Zentren, in denen vor
allem Arme, Obdachlose und andere marginalisierte Gruppen zurückbleiben. Die Folgen für die Fiskal- und
Sozialpolitik sind verheerend. So schließt die weitgehende Autonomie der selbständigen Vorortgemeinden
auch das Recht ein, eigene Steuern zu erheben. Aufgrund eines fehlenden kommunalen Finanzausgleichs
bestehen zwischen den reichen Communities mit hohem Steueraufkommen und armen Gemeinden erhebliche
infrastrukturelle Unterschiede. Da Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser oder Bibliotheken zum
Teil durch die lokalen Steuern finanziert werden, fehlt es den armen Stadtvierteln an den nötigen Mitteln
für eine funktionierende Infrastruktur. Gleichzeitig versuchen die wohlhabenden Siedlungen durch
restriktive kommunale Flächennutzungs- und Bebauungsvorschriften unerwünschte Nutzungen auszuschließen.
Auf diese Weise gelingt es den Gemeinden weitgehend, die angestrebte soziale Homogenität herzustellen und die subalternen Klassen über die Einkommensbarriere auf räumliche Distanz zu halten.
Als neue Form der Sezession spielen seit den achtziger Jahren so genannte Common-Interest-Developments
(CIDs) eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei um Vereinigungen von Hausbesitzern, die öffentliche
Einrichtungen wie Parks, Schwimmbäder und Erholungszentren verwalten und kontrollieren. Mit dem Erwerb
einer Wohnanlage müssen die Eigner der Mitgliederorganisation beitreten und regelmäßig Gebühren für den
Unterhalt des Infrastruktur- und Versorgungssystems bezahlen. Gleichzeitig hat der Käufer eines Hauses
eine Reihe von Auflagen, Verpflichtungen und Beschränkungen zu befolgen, die vertraglich genau festgelegt
sind. Die Mitwirkung der einzelnen Besitzer bei der Definition der "gemeinschaftlichen Interessen" ist
erheblich eingeschränkt. Die Eingriffsmöglichkeiten der Managementleitung in das Privatleben der Bewohner
sind hingegen erheblich. In einigen Communities existieren Verordnungen, die das Gewicht der Haustiere festlegen,
die Farbe der Zimmerwände bestimmen und das Küssen im öffentlichen Raum untersagen. Andere Gemeinschaften
geben zeitliche Limits für auswärtige Besucher vor, verhängen nächtliche Ausgehverbote oder setzen das Recht
auf Pressefreiheit außer Kraft. Mitunter darf der Vorstand in den Häusern jederzeit Inspektionen vornehmen
oder sogar pornographische Schriften und Sexartikel aus dem Schlafzimmer des Wohneigentümers entwenden.
Strukturell weisen die CIDs gewisse Ähnlichkeiten mit den Shoppingmalls auf. In beiden Fällen handelt es sich
um Einrichtungen, die vom Niedergang des öffentlichen Raums profitieren und als Ersatz dafür ideale Enklaven
anbieten. Die Angst vor allen möglichen Formen einer bedrohlichen "Andersartigkeit" und die Sehnsucht nach
Harmonie und Stabilität treibt viele Angehörige der Mittelschichten in Gemeinschaften mit diktatorischen
Machtbefugnissen. Die Überwachung ihres Alltags durch eine private "Schatten-Regierung" erscheint vielen
nicht als illegitimer Eingriff, sondern vermittelt eher das Gefühl, in einer geschützten Umgebung zu leben.
Wie populär die CIDs in den USA sind, lässt sich daran ablesen, dass diese Wohnform mehr als vierzig Millionen
Menschen in Anspruch nehmen.
Heute sind Armen und Marginalisierte nicht mehr ausschließlich in den Kernstädten, sondern sind zunehmend auch in
den Suburbs präsent. Viele Vorort-Bewohner fühlen sich von dieser Entwicklung bedroht und versuchen ihre Wohnviertel
oder Siedlungen durch physische Barrieren und Sicherheitskräfte von der Außenwelt abzuschirmen. Ähnlich wie bei
den CIDs privatisieren diese Sicherheitskorporationen häufig öffentliche Aufgabenbereiche und kommunale Dienstleistungen.
Die Art der Befestigung kann von ständig besetzten Wachhäusern über eiserne Tore und Mauern bis hin zur
elektronischen Überwachung reichen. Solche "umfriedete Gemeinschaften" sind inzwischen zu einem weit verbreiteten
Phänomen geworden, das sich vor allem in den Metropolen und in den reicheren Regionen der Südstaaten beobachten
lässt. Nach den Schätzungen leben gegenwärtig mehr als acht Millionen Menschen in "Wehrgemeinschaften". Der Boom
von überwachten Enklaven steht für eine wachsende "Festungsmentalität" in Amerika. Abgetrennt von Krankheit, Armut
und "Andersartigkeit" besitzen die privaten Gemeinschaften keine Verbindung mehr zu den sozialen Dimensionen
des städtischen Lebens. Damit verfestigen sich auch die Klassenhierarchien zu einem Kastensystem. Der Wille zur
Vertreibung und Ausgrenzung ist tief in der amerikanischen Zivilgesellschaft verankert.
Die hausgemachte Katastrophe
Fest steht: Es waren im Fall von "Katrina", keineswegs allein Naturgewalten, sondern Menschen, die derartige
Resultate herbeiführen. In New Orleans wie auch entlang der Golfküste macht der Bau von immer neuen Vororten die
natürlichen Barrieren gegen Wirbelstürme und Flutwasser - sprich die Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens -
durch die Versiegelung kaputt. Ebenso gehen fast 40 Prozent der Küstenerosion auf das Ausbaggern des Mississippi
für die Schifffahrt und den Bau von Gas- und Ölpipelines zurück. Die Ursachen für das Küstensterben und das
daraus entstehende Gefährdungspotential sind seit Jahren gut dokumentiert. Ja man kann sagen, dass keine
Katastrophe in der Geschichte der USA jemals so exakt vorausgesagt wurde.
Nach einer ausführlichen Studie, die Ende der 1990er Jahre erstellt wurde, war definitiv klar, dass bei einem
Hurrikan der Stufe 4 die "buchstäbliche Zerstörung" der Stadt drohe. Die Deiche und Küstenbefestigungen von New
Orleans sind jedoch so ausgelegt, dass sie allenfalls einem Hurrikan der Stufe 3 standhalten. Zudem hatte eine
Computersimulation, die das Ingenieurscorps der US Army im Jahr 2004 durchführte, ergeben, dass schon bei
einem Hurrikan der Stufe 3 weite Teile der Stadt überflutet würden.
Die Antwort der Bush-Regierung auf solche Prognosen bestand darin, die drängenden Forderungen der Regierung
von Louisiana nach erweiterten Schutzmaßnahmen abzuschmettern. Und auch die Bundesmittel für Deichbauten,
vor allem für die Region N. O. wurden wiederholt gekürzt. Das verdankte sich den neuen Prioritäten der
Bush-Regierung, die seit "9.11." einen Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel für die Terrorbekämpfung
verwendet. Als der Chef des Ingenieurscorps der Armee gegen die Kürzung der Projekte zum Überflutungsschutz
protestierte, nötigte ihn Bush zum Rücktritt.
Auch bei der nationalen Katastrophenschutzbehörde wurden viele Programme zur Eindämmung von Flut- und
Sturmfolgen zusammengestrichen. Zudem ist diese Einrichtung seit 2003 in dem neuen Ministerium für "Homeland
Security" aufgegangen. Mit fatalen Folgen: Ein Großteil der Bundesmittel für Katastrophenschutz, die vormals
in lokale Projekte der Erdbeben-, Sturm-, und Flutprävention geflossen waren, wird für Antiterrormaßnahmen
verwendet.
Bereits im September 2004 hatte es auch heftige Kritik an Bürgermeister Nagin gegeben. Denn beim Nahen
des Hurrikans "Ivan" ein Sturm der Stufe 3, hatte er nichts unternommen, um die armen Einwohner zu evakuieren.
Während sich die Einkommensstärkeren mit ihren Autos absetzten, warteten die Armen in ihren Vierteln
vergeblich auf eine Unterstützung von außen. Als Reaktion auf diese Ereignisse ließ die Stadtverwaltung 30.000
Videos produzieren, die in den betroffenen Quarteiern verteilt werden sollten - wozu es nie kam. Die
Videobotschaft lautete: "Wartet nicht auf die Stadt, wartet nicht auf den Staat, wartet nicht auf das
Rote Kreuz... geht einfach weg." Das hieß im Klartext, die Armen sollten sich zu Fuß aufmachen, denn Busse
oder gar Züge für ihre Evakuierung waren in den staatlichen Plänen nicht vorgesehen. Als dann aber nach
"Katrina" verzweifelte Menschen zu Hunderten aus der Stadt fliehen wollten, wurden sie auf der Brücke,
die zum weißen Vorort Grentna führt, von der Lokalpolizei zurückgetrieben, die Warnschüsse über ihre
Köpfe hinwegfeuerte.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden in New Orleans so mit den Opfern einer Flutkatastrophe
umgegangen sind. "Oh all das Weinen und Beten wird dir nicht helfen - Wenn der Deich bricht, wirst du
alles verlieren", heißt es in einem Song, den die Bluesgitarristin Memphis Minnie 1929 aufgenommen hatte.
Zwei Jahre zuvor war der Mississippi über seine Ufer getreten und hatte auch New Orleans überflutet. Die
Schwarzen der Stadt wurden damals zusammen getrieben und während der Wasserspiegel stieg, hinderten
bewaffneten Truppen die Eingepferchten daran, zu fliehen. Der Historiker John M. Barry beschreibt in
seinem Buch "The Rising Tide", dass die Kapelle eines Dampfschiffes beim Ablegen höhnisch "Bye Bye Blackbird"
spielte. Auch die Flut von 1927 war auf Grund von Gier und menschlichem Versagen zur Katastrophe geworden.
Zu viele Dämme im Oberland des Mississippi hatten zu einem instabilen Flusssystem geführt. Fast 300.000
Afroamerikaner, die nach der Flut obdachlosen wurden, mussten in unzureichend versorgten Flüchtlingslagern
hausen. Das führte zunächst zu Aufständen, dann kam es zu einer massenhaften Abwanderung der Schwarzen in
den Norden, die Machtmonopole der weißen Großgrund- und Plantagenbesitzer fielen. Die Flutkatastrophe mit
all ihren politischen Folgen für Louisiana galt als eines der Ereignisse, die den Boden für Franklin D.
Roosevelts New Deal vorbereiteten. Parallelen zur "Katrina"-Krise drängen sich geradezu auf.
"Ethnic Cleaning"
Nach der Katastrophe hatte sich der schwarze Bürgermeister Ray Nagin, zu der Behauptung verstiegen, dass Gott
Hurrikan um Hurrikan schicke, um das Land dafür zu bestrafen, dass es "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen"
im Irak einmarschiert sei - und weil "wir uns nicht ausreichend um unsere Kinder kümmern in einer Gemeinde, in
der 70 Prozent aller Kinder nur ein Elternteil haben:" Offenbar in dem Bemühen, den von "Katrina" besonders
gebeutelten Schwarzen Mut zu machen und angesichts bevorstehender Bürgermeisterwahlen, versprach er seinen
Zuhörern: "Diese Stadt wird wieder eine sein, in der Afroamerikaner die Mehrheit stellen. Das ist Gottes Wille."
New Orleans, werde wieder "a chocolate city" sein.
Dabei ist es kein Geheimnis, dass die kommerziellen Eliten und ihre Verbündeten im Rathaus, die schwarze
Bevölkerung am liebsten aus der Stadt drängen würden. So überrascht es kaum, dass manche Leute, die von einem
weißen und sicheren New Orleans träumen, in "Katrina" ebenfalls eine göttliche Fügung am Werk sahen. Ein
führender Republikaner aus Louisiana vertraute einem Lobbyisten in Washington an, was er über die Ereignisse
dachte: "Endlich haben wir den ganzen sozialen Wohnungsbau in New Orleans abgeräumt. Wir hätten das nicht
tun können, aber jetzt hat es Gott getan." Schon kurz nach der Flutkatastrophe ließ auch James Reiss, ein
der alten Aristokratie entstammender Unternehmer, verlauten, dass die Machtelite von New Orleans darauf bestehe,
dass mit dem Wiederaufbau die alten sozialräumlichen Strukturen zerschlagen werden müssten. "Diejenige,
die den Wideraufbau dieser Stadt wollen, wollen ihn in einer vollständig anderen Art und Weise:
demographisch, geografisch und politisch. Die Art, wie wir hier gelebt haben, wird sich so nicht wieder
ereignen, oder wir sind weg."
Bereits im November 2005 hatte eine Gruppe von Städteplanern empfohlen, sich beim Wiederaufbau auf jene Teile
der Stadt zu konzentrieren, die hoch genug gelegen und damit im Überschwemmungsfall sicherer sind, und die
Wiederbesiedelung der niedriger gelegenen Gebiete zu vertagen. Diese, meist von Schwarzen bewohnten Gebiete,
sollten dann als Wasserrückhaltebecken fungieren. Das würde bedeuten, dass die Mehrheit der ärmsten Einwohner
von New Orleans nie wieder in ihre Wohnviertel zurückkehren könnte. Einige Offizielle geben auch ganz offen
zu, dass man "die Sozialfälle nicht zurückhaben" wolle, vielmehr stattdessen auf eine Diversifizierung der
Wohnviertel und den Bau eines Jazz-Centers mit ganzjährig bespieltem Freizeitpark setze. Der Wohnungsbeauftragte
der Stadt New Orleans macht dies in aller Deutlichkeit klar: "Die Sozialblocks waren die Rückzugsbiete einiger
der berüchtigtsten Gangs unseres Landes. Die Gangmitglieder waren dort willkommen und wurden versteckt, weil
sie sich bei den Einwohnern revanchiert haben. Jetzt sollen nur noch diejenigen Leute zurückkehren, die Jobs,
gute Zahlungsmoral und einwandfreie Reputation besitzen."
Ebenso äußern viele weiße Einwohner unverholen, dass der Massenexodus aus New Orleans auch seine guten Seiten
habe: Endlich sei man auf einen Schlag zahlreiche Sozialhilfeempfänger losgeworden. Unverblümt wird in diesen
Kreisen die Hoffnung geäußert, dass die Weißen erstmals seit den frühen siebziger Jahren wieder die
Bevölkerungsmehrheit stellen und damit die Vormachtstellung zurückerobern könnten.
Verständlich, dass die Wiederaufbaupläne bei den Afroamerikanern auf heftige Ablehnung stoßen. Paradigmatisch
ist dafür die Haltung von Cyril Neville. Das jüngste Mitglied der Neville Brothers lebt wie Hunderte andere
Musiker aus New Orleans im Exil - so wie auch Dr. John, Irma Thomas, Allen Toussaint und Fats Domino.
Neville will in Austin bleiben und seiner Geburtsstadt für immer den Rücken kehren. Bei einem im Fernsehen
übertragenen Benfizkonzert trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Ethnic Cleaning In New Orleans." Er spricht
zudem aus, was viele Afroamerikaner ablehnen: eine "Disneyfizierung" der Stadt mit Jazz-Themenparks und neuen
Hotels, ohne Rücksicht auf jene verarmten Neighbourhoods, die stets das Rückgrat dieser Kultur bildeten.
<< de retour || °° en haut
|
|