dialektik des abschieds

ein karibischer amoklauf von fröhlichem zechen über schlechten sex zu bepissten baptisterien



der befreiungskampf der völker

Lange Zeit herrschte in der Linken ein nur selten hinterfragtes binäres Deutungsmodell zur Erklärung weltpolitischer Phänomene vor: Die Welt wurde analog der gesellschaftlichen Binnenstruktur „herrschender“ und „ausgebeuteter Klassen“ säuberlich in ein „imperialistisches Zentrum“ und eine „unterdrückte Peripherie“ eingeteilt. Bereits der umstandslos positive Bezug auf das „revolutionäre Subjekt“ Arbeiterklasse hatte sich jedoch spätestens seit dem Nationalsozialismus, der in allen Klassen der deutschen Gesellschaft breite Unterstützung fand, als problematisch erwiesen. Nicht weniger problematisch war die nun stattfindende „antiimperialistische“ Übertragung dieses holzschnittartigen Modells auf die nationalstaatlich organisierte postkoloniale Welt.

Liegt dem Klassenmodell unabhängig von der tatsächlichen Bewusstseinslage der Bevölkerung immer noch eine am Ziel der Emanzipation des Menschen ausgerichteten Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse zu Grunde, kann gleiches vom antiimperialistischen Modell nicht behauptet werden: Hier werden die Subjekte der Emanzipation, die Menschen, zugunsten eines „nationalen Befreiungskampfes der Völker“ zum Verschwinden gebracht. Die Kategorie „Volk“ ist dabei jedem Bemühen nach Emanzipation diametral entgegengesetzt. Sie homogenisiert die Individuen und ihre widerstreitenden Interessen zu einem repressiven Zwangskollektiv. Vermutlich ist die Beliebtheit dieser verkürzten Weltsicht vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie es erlaubt, die komplexen Abläufe der Weltpolitik mit relativ einfachen theoretischen Mitteln handhabbar zu machen. Zudem ist sie, wie systemoppositionell sie sich auch wähnen mag, in weiten Teilen zu den nationalistischen und völkischen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft kompatibel.

Anschlussfähig an rechte Ideologien sind antiimperialistische Theorien aber nicht zuletzt durch den in der Vorstellung von einem die Welt beherrschenden global operierenden Finanzkapital erkennbaren strukturellen Antisemitismus und der Fokussierung der Kritik auf Israel und die Vereinigten Staaten.


nie wieder deutschland

Seit Beginn der 90er Jahre erfuhr diese verkürzte Sicht auf die Welt in der Linken scharfe Kritik. Besonders die sich antinational oder antideutsch labelnden Teile der radikalen Linken wiesen den solcherlei traditionslinke Argumentationen durchziehenden Nationalismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus scharf zurück: Sie versuchten mit einigem Erfolg, auf den reaktionären Charakter des nationalen Befreiungskampfes in Kurdistan, Palästina oder dem Baskenland aufmerksam zu machen. Besonders die gefährliche Nähe antiamerikanischer Stereotype zu deutschnationalen Diskursen und die besondere Situation Israels als einem in Reaktion auf den von Deutschen verübten Massenmord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden gegründeten Zufluchtsort vor dem nach wie vor bestehenden weltweiten Antisemitismus wurden nun erstmals in breiterem Rahmen diskutiert.

Eine Linke, die nicht theoretisch wie praktisch für die Abschaffung aller Verhältnisse eintritt, in denen der Mensch ein „unterdrücktes, geknechtetes und verächtliches Wesen“ (Marx) ist, hat sich vom Ziel der Emanzipation des Menschen – bewusst oder unbewusst – verabschiedet. Bereits in den 70er Jahren zeigte die Debatte um „Hauptwiderspruch“ (Kapitalismus) und „Nebenwiderspruch“ (Patriarchat), dass eine Verengung des Blicks auf die Sphäre der Ökonomie den komplexen Herrschafts- und Diskriminierungsverhältnissen nicht angemessen ist. Eine ähnliche gelagerte Erkenntnis stand am Ende der Rassismusdebatten der späten 80er und frühen 90er Jahre: Eine Theorie, welche die Welt nur aus der Perspektive einer strukturell privilegierten weißen Mittelschichtslinken wahrnimmt, reproduziere – so die avancierteren linken Analysen – den rassistisch strukturierten Mainstreamdiskurs. Die vermehrte Rezeption dekonstruktivistischer Theorie schließlich führte zu der Erkenntnis, dass Sexismus und Rassismus nicht nur Apologien einer bestehenden Ungleichbehandlung von Menschen verschiedenen „Geschlechts“ oder verschiedener „Rasse“ sind, sondern dass die Kategorien „Geschlecht“ und „Rasse“ selbst nichts als gesellschaftliche Konstruktionen und ideologischer Schein sind. Eine Perspektive der radikalen Veränderung des Bestehenden ziele also nicht bloß auf die Bekämpfung sozialer Ungleichheit, sexistischer oder rassistischer Diskriminierung, sondern müsse die Basiskategorien der bürgerlichen Wirklichkeit – Wertvergesellschaftung, Geschlecht und Rasse – grundsätzlich in Frage stellen.

Durch den im Zuge der sogenannten „Wiedervereinigung“ Deutschlands sich immer offener zeigenden Nationalismus begannen sich zu Beginn der 90er Jahre Teile der Linken im Rahmen der Kampagne „Nie wieder Deutschland!“ neu zu orientieren: Die Beschäftigung mit dem deutschen Nationalismus und seinen Spezifika trat hier zunehmend in den Vordergrund linker Politik. Nicht zuletzt die rassistischen Ausschreitungen des tobenden Volksmobs von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie die wachsende Bedrohung durch eine sich immer stärker formierende gewalttätige Nazi-Subkultur bestärkten viele in der Erkenntnis, dass der Hauptfeind, gemäß des Liebknecht’schen Diktums, immer noch zuerst im eigenen Land steht. Nach außen hin deutlich gemacht wurde diese Haltung von Teilen der antinationalen und radikalen Linken mit dem Begriff „antideutsch“, der die neue Prioritätensetzung auf eine griffige Formel brachte. Als im zweiten Golfkrieg (1991) die ersten irakischen Raketen in Israel einschlugen und der Irak drohte, deutsches Giftgas gegen den jüdischen Staat einzusetzen, führte dies zum offenen Bruch in der deutschen Linken: Während der eine Teil in antiimperialistischer und friedensbewegter Tradition daran festhielt, den us-amerikanischen Waffengang am Golf mit der Parole „Kein Blut für Öl“ rundweg abzulehnen und sich dazu entschloss, die existenzielle Bedrohung des Staates der Überlebenden der Shoa zu ignorieren, stellten die sich nunmehr antideutsch verstehenden Teile der Linken an die Seite Israels. Der Kampf gegen den Antisemitismus – so das antideutsche Diktum – kann und darf sich nicht im Gedenken an die toten Jüdinnen und Juden erschöpfen, er muss dem Ziel verpflichtet sein, Antisemitismus hier und heute anzugreifen, egal ob er sich gegen in Deutschland, Israel oder sonst irgendwo lebende Jüdinnen und Juden richtet, offen, verdeckt oder als Antizionismus getarnt auftritt.


und das nein kann sich, ganz langsam, verwandeln in ein ja

Inhalte und Ausrichtung antideutscher Politik haben sich bei manchen beteiligten Gruppen und Einzelpersonen in den letzten Jahren jedoch deutlich verschoben, wenn nicht gar völlig gedreht: Ging es in den 90er Jahren noch vorrangig um eine Kritik der „deutschen Zustände“, also um eine Kritik an wiedererstarkendem Nationalismus, dem Normalisierungsdiskurs deutscher Geschichtsschreibung, zunehmendem Rassismus und völkischer Formierung, so sind die alles bestimmenden Schlagworte seit nine-eleven USA, Israel und Islamismus. Hätte das zu Beginn noch eine wichtige Erweiterung der eigenen Theorie sein können, so scheint die Kritik mittlerweile fast vollständig in diesem Dreieck gefangen zu sein und die theoretische Auseinandersetzung mit anderen Aspekten der deutschen Wirklichkeit zunehmend in den Hintergrund gedrängt zu werden.

Begonnen hat der schleichende Abschied von emanzipatorischen Positionen jedoch erst einmal auf einem ganz anderen Feld: Unter Rückgriff auf die Freud'sche Trieblehre wurde von manchen sich antideutsch labelnden Gruppen und Einzelpersonen – insbesondere aus den Reihen der Berliner Zeitschrift „Bahamas“ – versucht, Ansätze dekonstruktivistischer Geschlechtertheorie zu diskreditieren.

Einen ersten Höhepunkt fand diese Auseinandersetzung im Zuge der sogenannten „Berliner Vergewaltigungsdebatte“: Eine Berlinerin berichtete im März 1999 in der Zeitschrift Interim, dass sie von einem Bekannten vergewaltigt wurde: Der Mann hatte gegen ihren erklärten Willen mit ihr geschlafen. Da der Mann zu dieser Zeit auch in der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) aktiv war und diese zu dem Vorfall lange Zeit schwieg, schlug das Thema hohe Wellen in der Berliner Szene. Ein Jahr später entdeckte auch die Redaktion der Zeitschrift Bahamas das Thema für sich. Mit dem Artikel „Infantile Inquisition“ in der Ausgabe 32, dem kurze Zeit später die Sondernummer 34 „Hauptsache Sexualität“ nachgereicht wird, beginnt die antifeministische Debatte: Wird zunächst noch die in vielen derartigen Debatten auftauchende Frage des Definitionsrecht der betroffenen Frau ventiliert, die Vergewaltigung als „schlechter Sex“ dargestellt und einer gewaltförmigen Sexualität mit biologistischen Rechtfertigungsstrategien („die zur Sexualität gehörende ‚Grenzüberschreitung’“) das Wort geredet, gerät die Debatte schnell zur Generalabrechnung mit dem Feminismus und einer angeblich „lustfeindlichen“ Linken. Obwohl die Frau das Vorgefallene eindeutig als Vergewaltigung beschreibt, dichtet sich die Bahamas eine Story zusammen, in der es zum freiwilligen „Austausch von Zärtlichkeiten“ gekommen sein soll, was der Frau nachher leid getan und zum Erheben eines Vergewaltigungsvorwurfes bewogen habe:

„Eines Abends im Dezember 1998, irgendwo im widerständischen Berliner Bezirk Friedrichshain, hat eine Frau mit einem Mann geschlafen und es hat keinen Spaß gemacht. Vorausgegangen war eine verkorkste Beziehung und eigentlich hatte man längst miteinander Schluss gemacht. [...] Der Held des kleinen Dramas also hat es noch einmal wissen wollen und alles, was ihm an Charme und körperlicher Ausstrahlung zur Verfügung stand, noch einmal massiv zum Einsatz gebracht, fast wie in den besten Zeiten. Und es ist ihm gelungen, zum Ziel zu kommen. Er habe ihr Lust machen wollen, gibt die Frau später zu Protokoll, obwohl sie mehrfach gesagt habe, sie wolle nicht mit ihm schlafen. Mit der Frau sind tausende Schlüssellochgucker zu dem Ergebnis gekommen: ‚Es ist eine Vergewaltigung’.“ (Otto Zeiger, Bahamas 34)

Dass sich die von der Redaktion Bahamas zur Lächerlichmachung des Vergewaltigungsvorwurfes zusammengezimmerte Version nach eigenen Angaben auf nichts weiter zu stützen weiß, als auf ein in Berlin „kursierendes Gerücht“ [!], ist dabei nur eine Nebensächlichkeit. Der konkrete Vorfall ist ohnehin völlig egal. Es geht um mehr: Den – noch zögerlichen – Volksmob auf ihrer Seite wähnend, hält die Bahamas die Zeit für reif, endlich eine eingebildete „feministische Diskurshegemonie“ anzugehen. Ganz im Duktus mutiger neurechter Tabubrecher ist von einer „schweigenden Mehrheit“ die Rede, „der das ganze Patriarchatsgeschwafel längst bis obenhin steht, die sich aber feige duckt. Feige gegenüber einer angemaßten Hegemonie, feige gegenüber der eigenen Hilflosigkeit in der großen Frage: Lust“. (Justus Wertmüller / Uli Krug, Bahamas 32) Letztlich, so die Bahamas in einer auch aus anderen Diskursen bekannten Umkehr des Täter-Opfer Verhältnisses, sei nämlich die rigide Sexualmoral der Linken schuld an Vorkommnissen, wie dem eingangs beschriebenen; denn erst durch sie werde wie in einem „religiösen Internat“ die „Vorbereitung des Sexualakts für die Beteiligten zum peinigenden, Angst- statt Lustschweiß produzierenden Erlebnis. Der wilde Ausbruch in verrohte Stechermentalität muss da angelegt sein“. (ebd.)

Eine Frau, welche die sexuellen Begehrlichkeiten eines Mannes zurückweist und ein klares Nein artikuliert, bringt aus Sicht der Bahamas eigentlich ein Ja zum Ausdruck. Während der „Volksmund“ in derartigen Situationen davon zu berichten weiß, dass Frauen – und insbesondere „sexuell verklemmte Feministinnen“ – hin und wieder einmal „ordentlich gevögelt“ gehörten und im Grunde auch nichts anderes wollten, als einmal von einem „richtigen Mann“ „rangenommen“ zu werden, weiß die Bahamas diese vulgäre Ansicht psychologisch zu bemänteln:

„Es heißt zunächst immer Nein, wenn einer sich einem anderen in sexueller Absicht nähert. Ein jeder will es und zugleich sind alle gebeutelt von den tiefsitzenden Ängsten vor Zurückweisung, der Kränkung, des Unglücks. Die Lust ist nämlich wirklich eine Penetration, nicht nur im buchstäblichen Sinne beim Sexualakt, sondern auch im übertragenen. [...] Jedenfalls ist das Geheimnis der Verführung, wie es in vielen Werken der Kunst aus allen Epochen zum Thema erhoben und gestaltet ist, eine getreue Wiedergabe dieses Zwiespalts. Dem spontanen Nein gesellt sich eine Unsicherheit, die Sehnsucht nach Erfüllung, das leise Ja bei. [...] Es findet ein Wechselspiel aus Distanzierung und Annäherung statt und das Nein kann sich, ganz langsam, verwandeln in ein Ja, das nicht ausgesprochen werden braucht.“ (Justus Wertmüller / Clemens Nachtmann, Bahamas 34)

Nachdem eine Vergewaltigung zur Verführung verharmlost und ein Nein zum Ja geworden ist, können die Begriffe auf allen Ebenen weiter verwischt werden: Selbst im beiderseitigen Einverständnis ausagierte Unterwerfungsphantasien – die nichts, aber auch gar nichts mit dem beschriebenen Vorfall zu tun haben – können nun umstandslos mit realer, nicht-konsensueller Gewalt – bis hin zur Vergewaltigung – gleichgesetzt werden: „Besser an seine kindlichen und jugendlichen Doktorspiele und an manche mit Schuldgefühl belastete Erfahrungen des Erwachsenenlebens sollte sich derjenige erinnern, der von sich behauptet, er habe in Phantasie und im Liebesspiel nicht manches Mal die große Überrumpelung, das Genommenwerden vom ‚wilden Mann’, der durchaus von einer Frau gespielt werden kann, nicht schon lustvoll durchlebt.“ (Justus Wertmüller / Uli Krug, Bahamas 32)

Wenn das linke „Dogma“ der Ächtung sexualisierter Gewalt erst einmal geschleift ist, kann jetzt auch endlich daran gegangen werden, andere „Verirrungen“ des verhassten Diskurses um Feminismus und dekonstruktivistischer Gender-Theorie gleich mit zu erledigen, dachte sich wohl die Bahamas im Sommer 2002. Bei einer Veranstaltung der Bremer Gruppe „Les Madeleines“ zum Thema „Subjekt und sexuelle Verhältnisse“ rechtfertigte Justus Wertmüller die „medizinische“ Verstümmelung von intersexuellen Menschen (Zwittern). Der Redakteur der Zeitschrift Bahamas begann seine Auslassungen zum Thema „Entsexualisierung der linken Szene“ mit einem längeren Exkurs über eine Demonstration von Psychiatrie-KritikerInnen, KrüppelInnen, Lesben und Schwulen, Hermaphroditen, Transgenders und Feministinnen gegen Geschlechtsnormierung und Genitalverstümmelungen im Bereich der Medizin.

Zum näheren Anlass seiner „Reflexionen“ über den „desexualisierten“ Feminismus nahm er hierbei das aufrufende Plakat, welches ein erotisches Torso-Motiv des intersexuellen Fotografen Del La Grace Volcano verwendete. Für Wertmüller ist der Körper des dargestellten Hermaphroditen ein im eigenen Interesse chirurgisch und hormonell zu behandelndes Monster, das zugleich als Allegorie des „entsexualisierten Gender-Feminismus“ betrachtet werden könne:

„So sehr der Lust beraubt, dass der ideale Träger der Lust wie ein Bild aus dem Kuriositätenkabinett körperlicher Anomalien daherkommt, wie man es vor hundert Jahren mit wohligem Gruseln zu beschauen gewohnt war, gibt sich der Gender-Diskursant als wahrhaft desexualisiertes Ungeheuer zu erkennen“.

Die „gewaltsame Störung“ des Berliner Kinder- und Jugendgynäkologiekongresses an der Charité im März 2001 ist dann auch für den Bahamas-Redakteur ein „äußerst übles Anliegen“, da die chirurgische und hormonelle Zuweisung von Zwittern „in möglichst früher Kindheit“ als vernünftiger Umgang „mit dieser zweigeschlechtlichen Disposition“ zu bewerten sei. Insbesondere dann, „wenn man Vernunft am Höchstmaß von späterem sexuellen Glück“ messen wolle. Und dieses höchste Maß ist für ihn offenbar die gelungene heterosexuelle, vaginale Penetration, selbst dann, wenn sie an einer schmerzenden körperlichen Wunde vollzogen wird.

Verteidigend wurde im Nachhinein angeführt, dass man doch nur den „Schutz“ der Intersexuellen vor der Zurschaustellung durch die „Gender-Diskursanten“ im Sinn gehabt habe. Eine absurde Ansicht, gehörte doch die auf fraglichem Plakat abgebildete Person selbst zu den Organisatorinnen der Demonstration. Folgerichtig ließ daraufhin die von Intersexuellen gegründete „Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie“ (AGGPG) anwaltlich prüfen, ob den Aussagen des Bahamas-Redakteurs wegen ihres menschenverachtenden Charakters strafrechtliche Relevanz zukomme.


die behauptung, die deutschen seien fremdenfeindlich, ist eine lüge ...

Im Laufe der Zeit machte sich die von der Zeitschrift Bahamas maßgeblich vorangetriebene Roll-Back-Bewegung dann in immer neuen Bereichen unangenehm bemerkbar: Bereits während des Afghanistan-Krieges (2001) und noch viel stärker während der Vorbereitungen zum Irak-Krieg (2002/03) wurde bei bestimmten, sich selbst als besonders radikal gerierenden Fraktionen der Antideutschen (Bahamas, ADK, Brüche) ein „Kippen“ ihrer in den 90er Jahren erarbeiteten Positionen hin zu geschichtsrevisionistischen Verlautbarungen immer offensichtlicher: So verkündete die Bahamas schon 2001: „In dieser Hinsicht kommt momentan dem Koran eine ähnliche Rolle zu wie seinerzeit Hitlers Machwerk ‚Mein Kampf’ in Deutschland“ (Bahamas-Erklärung: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, September 2001). Im folgenden Jahr wird die bis dahin gültige Sprachregelung „Islamfaschismus“ von Justus Wertmüller in der Bahamas 39 zum Begriff „islamischer Nationalsozialismus“ „präzisiert“ und seit Anfang 2003 werden Demonstrationen zunehmend mit einer offenbar beim antiimperialistischen politischen Gegner abgeschauten Soli-Folklore mit Stars and Stripes-Winkelementen und markigen Sprüchen („Thank you Mr Bush!") bestritten.

Gleichzeitig zu diesen regressiven Tendenzen im Lager der Berliner Redaktion und ihrer über das Land verteilten Nachplapperer gab es auf der anderen Seite ein erschreckendes Wiederaufleben plattester antiamerikanischer Stereotype und eines sich als „Antizionismus“ nur schlecht tarnenden Antisemitismus, der einem von Seiten der Traditionslinken entgegenschlug. Und dies ist durchaus wörtlich zu verstehen: Allein in Frankfurt kam es im Laufe eines Jahres zu drei körperlichen Übergriffen auf israelsolidarische AntifaschistInnen.

Nichtsdestotrotz gab es aber auch ermutigende Gegenentwicklungen: Viele Linke waren nicht mehr länger bereit, antiamerikanische und antisemitische Meinungsbekundungen so ohne weiteres hinzunehmen und waren entsetzt von den gewalttätigen Übergriffen und der indifferenten bis zustimmenden Reaktion eines Teils der Szene.

Von den sich in ihrer Wagenburg verschanzenden Freundinnen und Freunden der Bahamas konnte dieser erfreuliche Aspekt jedoch überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Stattdessen wurde Stück um Stück der von der Berliner Zeitschrift im Februar 2002 in bierseliger Runde theatralisch verkündete „Abschied von der Linken“ praktisch umgesetzt:

„Ob man es nun Abschied von der deutschen Linken nennen will oder nicht, ein Diskussionstreffen antideutscher Kommunisten unter komplettem Ausschluss genau dieser Linken, war sie schon, die Aussprache vom 16. Februar und wahrscheinlich hat die Mehrheit der Teilnehmer deshalb im Anschluss daran so ausgiebig und vergnügt gezecht.“ (Bahamas-Erklärung: „Zum bundesweiten Treffen antideutscher Gruppen in Berlin“, Februar 2002)

Selbst der offenkundigste Schwachsinn dieser Zeitschrift wurde fortan in diesem Spektrum – wenn auch manchmal mit gewissen, den harten Zumutungen aus der Hauptstadt geschuldeten, zeitlichen Verzögerungen – nachvollzogen und antiproportional zum intellektuellen Wert der Thesen immer erbitterter gegen Kritik verteidigt: Mit persönlichen und psychologisierenden Beleidigungen wurde und wird insbesondere auf „Abweichler“ aus den eigenen Reihen reagiert, lächerliche Pamphlete wie etwa „Bush the Man of Peace“ wurden in den Rang diskussionswürdiger Beiträge erhoben, und selbst die primitiven rassistischen Karikaturen auf den Covern der letzten Bahamas-Nummern versuchte man als gelungene Satire zu rechtfertigen.

Insbesondere die Verharmlosung des deutschen Rassismus bis hin zur wohlwollenden Rezeption offener RassistInnen ist mittlerweile zu einem echten Problem geworden: So hat sich etwa der Bahamas-Autor Sören Pünjer inzwischen zu der bemerkenswerten Position vorgearbeitet, dass in Deutschland der Antirassismus und nicht der Rassismus das eigentliche Problem sei:

„Die Behauptung, die Deutschen seien fremdenfeindlich, ist eine Lüge. Denn Fremdenfeindlichkeit ist ein Beleg für eine aufgeklärte kapitalistische Gesellschaft. In Deutschland dagegen ist man von jeher fremdenfreundlich. Und Fremdenfreundlichkeit ist das Herzstück der antirassistischen Ideologie. Insofern kann man sagen: Das deutsche Problem besteht darin, dass Deutsche traditionell eher antirassistisch sind, weil sie nämlich weniger gegen andere Rassen und Kulturen sind, sondern vielmehr für diese.“ (Sören Pünjer, in: Conne Island Newsletter, Juni 2003)


sergeant wertmüller - the man of peace

Dieses Statement kann aber vor dem Hintergrund einer immer offeneren Apologie rassistischer Denkfiguren in der Bahamas kaum mehr überraschen. Erst in der Ausgabe 39 stellte sich diese Zeitschrift an die Seite der italienischen Journalistin Oriana Fallaci, die in ihrem Pamphlet „La rabbia e L’orgolio“ alle Register des rassistischen Ressentiments zu ziehen weiß. Nachdem in der Jungle World der Rassismus dieses Fallaci-Textes kritisiert wurde, fühlte sich die Bahamas, die Oriana Fallaci schon an anderer Stelle für ihren Einsatz gegen den Islamismus belobigt hatte, berufen, dem ihrer Meinung nach „falschen Eindruck“, der durch ein „verkürztes Zitieren“ der Schrift entstanden sei, durch Abdruck ganzer Textblöcke im Original „richtigzustellen“. Richtiggestellt wurde indes nur zweierlei: Oriana Fallaci ist eine Rassistin der übelsten Sorte und eine Zeitschrift, welche die Unverschämtheit besitzt, derartige Tiraden ungekürzt abzudrucken und Abschiebe- und Mordphantasien als Ausdruck tätigen Antifaschismus zu feiern hat sich endgültig jedes emanzipatorischen antideutschen Anspruches entledigt.

Im Stile eines Artikels der Nationalzeitung berichtet der in der Bahamas abgedruckte Essay Fallacis von einem Camp anscheinend mehrheitlich muslimischer Flüchtlinge am Florentiner Dom:

„Ich werde die Versammlungen nicht vergessen, mit denen die ‚clandestini’ letztes Jahr die Plätze Italiens füllten, um Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten. Die verzerrten, bösen, feindseligen Gesichter. Die erhobenen, drohenden, zum Einschlagen auf den, der sie beherbergt, bereiten Fäuste. Ich werde sie nicht vergessen, weil ich mich, mehr noch als ich mich beleidigt fühlte durch deren Anmaßung in meiner Heimat, verarscht fühlte von den Ministern, die sagten: ‚Wir möchten sie abschieben, aber wir wissen nicht, wo sie stecken’. Ihr Mistkerle! auf jenen Plätzen befanden sich tausende, und sie versteckten sich keineswegs. Um diejenigen auszuweisen, hätte es gereicht, sie aufzureihen, bitte-werter-Herr-setzen-Sie-sich, sie zu einem Hafen oder Flughafen zu begleiten und sie in ihre Länder zurückzuschicken.“ (Oriana Fallaci, zitiert nach: Bahamas 39)

Gegen den Rassismusvorwurf gegenüber Fallaci führt die Bahamas verteidigend ins Feld, dass die auf dem Domplatz campierenden Flüchtlinge ja schließlich das „Baptisterium“ des Doms „vorsätzlich bepisst“ hätten, „ein Muezzin auf dem Domplatz über ohrenbetäubende Lautsprecher die Gläubigen zum Gebet“ gerufen habe und „ältere Damen wie Fallaci nur mit Tritten in die Eier der Bedränger gegen die Allgegenwart moslemischer Bedränger ankamen“ (Lea Lichtenberg / Uli Krug, Bahamas 39). Dass das Bild des „in Vorgärten pissenden Asylanten“ die Folie zur Rechtfertigung der Übergriffe auf das AsylbewerberInnenheim in Rostock-Lichtenhagen lieferte, scheint bei Lichtenberg und Krug mittlerweile überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.

Besonders imponiert hat der ehemals antideutsche Zeitschrift offensichtlich die folgende Passage aus Fallacis Elaborat:

„Ich rief einen Polizisten an, der das Büro für Sicherheit in der Stadt leistete und sagte: Werter Polizist ..., wenn Ihr bis morgen nicht das beschissene Zelt fortschafft, dann stecke ich es an. Ich schwöre auf meine Ehre, dass ich es anstecke, und nicht einmal ein Regiment Carabinieri wird mich daran hindern können, und dafür will ich festgenommen werden. Mit Handschellen in den Knast, festgenommen. So komme ich in alle Zeitungen und Sender, die-Fallaci-festgenommen-in-ihrer-Stadt- weil-sie-sie-verteidigt-hat, und auf Euch spucken alle. Intelligenter als der Rest, entfernte der Polizist im Laufe weniger Stunden das Zelt. An Stelle des Zeltes blieb nur ein enormer und ekelerregender Schmutzfleck: das Resultat von einem über drei Monate dauernden Zeltlager.“ (Oriana Fallaci, zitiert nach: Bahamas 39)

Für die Bahamas ist so etwas natürlich kein Rassismus, sondern vielmehr „eloquenter“ Ausdruck des „aufrechten Antifaschismus“ einer Oriana Fallaci, die ihr christliches Italien mutig gegen den Ansturm der Muselmanen zu verteidigen weiß: „Was Fallaci anklagte, ist, wenn auch ungleich eloquenter, das, was deutsche Antifaschisten immer beklagen: Die Untätigkeit der Staatsmacht gegen faschistische Manifestation.“ (Lea Lichtenberg / Uli Krug, Bahamas 39)


Ähnlich wohlwollend wurde der Fallaci-Text dann auch in der neurechten Wochenzeitschrift Junge Freiheit besprochen:

„Fallaci holt nun nach, was die Multikulti-Ideologen des Westens politisch-korrekt unterdrücken: ‚In Italien jedoch, in Europa, können sie (die Einwanderer, d.V.) kommen und gehen, wie sie wollen. Terroristen, Diebe, Vergewaltiger, ehemalige Sträflinge. Prostituierte, Bettler, Drogenhändler (...) Einmal angekommen, werden sie auf Kosten der Einheimischen untergebracht (...) Will heißen, auf Kosten der Steuerzahler.’ Diese islamischen Zuwanderer bedrohen aus der Sicht von Fallaci die kulturelle Identität Italiens bzw. Europas: ‚Ich meine, dass unsere kulturelle Identität ... keine Immigrationswelle verkraften kann, mit der Menschen hereinströmen, die auf die eine oder andere Weise unsere Lebenswelt verändern wollen. Unsere Prinzipien, unserer Werte. Ich meine, dass bei uns kein Platz ist für Muezzins, Minarette, falsche Abstinenzler, den verfluchten Tschador und die noch verfluchtere Burkah. Und auch wenn welcher da wäre, würde ich ihnen diesen Menschen nicht geben.’ Diese Einwanderer dennoch nach Europa zu lassen, bedeute, ‚ihnen unser Vaterland zu schenken.’.“ (aus: Michael Wiesberg: „Der Westen muss sich wehren“, in: Junge Freiheit 37/02)

Im Unterschied zu Bahamas und Oriana Fallaci sieht die Junge Freiheit allerdings das „Vaterland“ nicht nur durch den Islamismus sondern auch durch die Amerikaner bedroht: „Denn nicht nur die schleichende Islamisierung bedroht Europa, sondern auch die Amerikanisierung [...] Der Kulturkampf gegen den Islam, zu dem Fallaci die Europäer aufruft, wäre also auch auf den American Way of Life hin zu erweitern.“ (ebd.)


die stimme der vernunft

Die intellektuelle Amokfahrt der Bahamas-Fraktion kennt, nachdem sie die letzten Brücken hinter sich abgebrochen hat, kein Halten mehr: Aus der CDU-Chefin Angela Merkel hört die Bahamas die „Stimme der Vernunft“ raunen und die deutschnationalen Zeitung „Die Welt“ wird als „Sachwalterin der Aufklärung“ gerühmt und der geneigten LeserInnenschaft zur Lektüre anempfohlen:

„Umso bewundernswerter ist vor diesem Hintergrund das, was Redakteure wie etwa Mariam Lau und Alan Posener in der „Welt“ leisten – deren Artikel werden aber regelmäßig immer noch übertroffen von den scharf durchdachten, polemisch treffsicheren und sachlich lehrreichen Artikeln des Redakteurs Hannes Stein.“ (Bahamas-Erklärung „Stein des Anstoßes“, Juli 2003)

Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die von der Bahamas belobigten Welt-AutorInnen natürlich nicht als liberale Ausnahmen in einem reaktionär-bürgerlichen Print-Medium, sondern als veritable rechte Hardliner.

So weiß etwa Mariam Lau über die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit erbauliches zu berichten: „Trotzdem hatte die zentrale Feier in Magdeburg etwas rundum Gelungenes. Der Dom, in dessen Schatten die Reden gehalten wurden, erinnerte an die Träume von der "translatio imperii", dem Mythos, nachdem das christliche Weltreich von den Römern auf die Franken - die Deutschen also! - übergehen werde, die es damals natürlich so noch gar nicht gab.“ (Mariam Lau, in: Die Welt, 7. Oktober 2003) und leistet sich an anderer Stelle „bewundernswerte“ Gedanken wie die folgenden: „Wer heute in Deutschland fleißig ist und Kinder großzieht, tut es, weil es eine beglückende Erfahrung ist, beruflich erfolgreich zu sein und mit Kindern zu leben [...] Bismarck, auf den wir stolz sind. [...] Das moderne Deutschland sieht sich auch in Firmen wie Degussa repräsentiert, die sich für den Umgang mit der deutschen Vergangenheit verantwortlich zeigen und die nun, glücklicherweise, auch nicht mehr von einer erpresserischen Moral daran gehindert werden.“ (Mariam Lau, in: Die Welt, 18. November 2003)

Der Welt-Redakteur Alan Posener übt sich derweil in offen deutschnationalen Bekundungen, ein Feld, das zu bedienen die Bahamas offenbar (noch) nicht bereit ist:

„Am Begriff der ‚deutschen Leitkultur’ störte den einen dies, den anderen jenes, doch führt kein Kritteln daran vorbei, dass der Weg aus Getto und Parallelgesellschaft nach Europa nur über die Integration in die deutsche Gesellschaft, vor allem durch die Sprache, und die Identifikation mit der deutschen Nation führt. Eine europäische Identität und Kultur losgelöst von der Nation gibt es genauso wenig wie eine europäische Sprache.“ (Alan Posener, in: Die Welt, 12. Juli 2003)

Eine tragische Entwicklung: Aus einer berechtigten Kritik an altlinken Ressentiments wie dem Antiamerikanismus wenden sich irgendwann Teile der radikale Linken unter Führung der Bahamas von der Linken gänzlich ab. Sie nennen es „Bruch“ oder „Abschied von der Linken“. Man sucht neue BündnispartnerInnen - und findet sie: Die Rassistin Oriana Fallaci, den deutschnationalen Alan Posener, Angela Merkels „Stimme der Vernunft“, den Mann des Friedens (Bush), den völkischen Ehrensudetenländer und Freund von Thomas von der Osten-Sacken Tilman Zülch, einen Berliner Vergewaltiger, Arnold Schwarzenegger und viele andere illustre Gestalten mehr.

Ironischerweise befindet man sich nun in einer Gesellschaft, wie sie reaktionärer, antikommunistischer und nationalistischer kaum sein könnte. Selbst offen deutschnationale Figuren werden als (längst nicht mehr „nur“) strategische Bündnispartner im Kampf gegen die neuen Hauptfeinde – „islamische Nationalsozialisten“ und Linke - umarmt. Die Etiketten „kommunistisch“ und „antideutsch“ werden da immer mehr zum objektiven Ballast. Man darf gespannt sein, wann auch diese letzten folkloristischen Reminiszenzen an bessere Zeiten mit theatralischer Geste, „vergnügt zechend“, abgeworfen werden.

Hieß es vor einigen Jahren noch mit gutem Grund, dass die Deutschen die Welt mindestens für die nächsten 1000 Jahre mit ihren großartigen Ideen in Frieden lassen sollten, so ist heute auch dieses Essential antideutscher Politik von Bahamas & Friends über Bord gekippt worden: Anscheinend hat man sich nun lange genug mit einer Kritik am deutschen Wesen herumgeschlagen, so dass nun endlich auch wieder einmal Feinde jenseits der deutschen Grenzen ins Visier genommen werden können. Ein derart weitreichender Paradigmenwechsel kann nun selbstverständlich nicht so einfach vollzogen werden, muss vielmehr geschickt an ältere Argumentationen rückgebunden werden. Soll etwa der Amerikaner Michael Moore kritisiert werden, so muss erst einmal nachgewiesen werden, dass er eigentlich ein „Gesinnungsdeutscher“ ist. Ein Streifen wie „Bowling for Columbine“ ist dann aus Sicht der Bahamas nicht einfach nur ein schlechter Film, der in Deutschland antiamerikanische Ressentiments bestätigt, sondern wird per se zu einem „deutschen Film“ erklärt. Unterschiedliche Rezeptionsbedingungen an unterschiedlichen Sprechorten, Deutschland hier – USA dort, können in dieser holzschnittartigen, letztlich germanozentrischen Weltsicht natürlich nicht mehr wahrgenommen werden.

Noch fataler wird es dort, wo diese sich antideutsch dünkenden Deutschen ihren kritischen Blick auf Jüdinnen, Juden und Israel wenden: Im Eindreschen auf die israelische Friedensbewegung und israelische Intellektuelle wie Moshe Zuckermann, die sich erdreisten, von der Bahamas-Linie abweichende Meinungen zu vertreten und dafür aus Deutschland belehrt werden, was gut und richtig für die Juden und Israel ist, zeigt sich der wahre Abgrund des Bahamas’schen Anti-Antisemitismus. Mittlerweile auch gute und schlechte Juden differenzierend, erwähnt die Berliner Zeitschrift ohne rot zu werden in ihrer Aufzählung derjenigen, die hierzulande noch zur „vernunftfähigen Welt“ zu rechnen seien, neben sich selbst und der Welt-Redaktion „jene Mehrheit der jüdischen Gemeinde, die sich noch nicht im Zuckermann-Diskurs verfangen hat“ (Bahamas-Aufruf: „Gegen die antisemitische Internationale“, Juni 2003).


integraler kommunismus

Mit der Selbstdemontage der Bahamas hat sich antideutsche Politik allerdings keineswegs erledigt. Sie ist – im Gegenteil – nötiger denn je: Antiamerikanismus, Antisemitismus und ein unreflektierter Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen sind in der Linken, wie in der deutschen Gesellschaft überhaupt, seit dem 11. September wieder auf dem Vormarsch.

Solidarität mit Israel, dem einzigen Land auf der Welt, das Jüdinnen und Juden zuverlässig vor Antisemitismus schützen kann, ist gerade im Land des größten Menschheitsverbrechens eine nicht verhandelbare Grundvoraussetzung für eine sich emanzipatorisch verstehende Linke. Ein Zurückfallen hinter diese Position darf auf keinen Fall zugelassen werden.

Die Fokussierung der Kritik auf global operierende Konzerne und Banken oder die USA als mächtigsten Akteur des internationalen Staatensystems ist nach wie vor die hegemoniale Theorie- und Praxisform der Linken, jedoch mit radikal linker Politik unvereinbar. Die radikale Linke hat den Kapitalismus als Modus der Vergesellschaftung zu kritisieren, nicht einzelne KapitalistInnen oder Kapitalfraktionen, sie hat die nationalstaatliche Verfasstheit der Welt zu kritisieren und nicht einzelne nationalstaatliche Entitäten.

Rassismus und Sexismus sind keine Randerscheinungen, Nebenwidersprüche oder vormoderne Relikte, sondern vielmehr in höchstem Maße wirkungsmächtige und funktionale Machtstrukturen. In den Konstrukten Rasse und Geschlecht werden gesellschaftliche Verhältnisse zu vermeintlich unhintergehbaren biologischen Tatsachen naturalisiert und gegen Kritik abgedichtet. Befreiung ohne radikale Aufhebung dieser gesellschaftlichen Basiskategorien ist undenkbar.

Das unrühmliche Ende der Geisterfahrt der Bahamas und ihrer SchülerInnen im tiefen Morast von Rassismus, Sexismus und deutschnationaler Presse könnte dabei immerhin eines klar werden lassen: Eine radikale Linke, die diesen Namen auch verdient, muss an vielen Fronten zugleich agieren. Antisemitische AntikapitalistInnen, rassistische Anti-AntisemitInnen, biologistische AntisexistInnen und andere antiemanzipatorische Vereinfachungen und Ein-Punkt-Bewegungen müssen dabei geduldig und beharrlich zurückgewiesen werden.

Nur über das Konzept eines INTEGRALEN KOMMUNISMUS, eines komplexen Begriffs von Befreiung, der die Kritik aller Momente repressiver Vergesellschaftung – Antisemitismus, Sexismus, Rassismus, Homophobie und die Zumutungen eines sich immer brutaler gebärdenden Kapitalismus – in sich aufzunehmen imstande ist, kann radikale linke Politik heute noch sinnvoll gedacht werden.


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