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Das große moderne Projekt: Soziale Ausgrenzung

Aber: Her mit dem schönen Leben!

Was wir zum Thema soziale Ausgrenzung denken 

Die gegenwärtige politische Situation der BRD ist durch ein merkwürdiges Paradoxon gekennzeichnet:

Auf der einen Seite herrscht allgemeine Verunsicherung, soziale Angst, programmhafte Phantasielosigkeit, beispielslose, aber trotzig bekennende intellektuelle Schlichtheit und Einfalt, Stillstand, Lähmung. Auf der anderen Seite lässt sich hektischer Aktionismus bei den politischen „Machern“ erkennen, gepaart mit frecher Selbstsicherheit. Dies verstärkt jedoch nur den morbiden Allgemeineindruck. Das Schlagwort der Modernisierung feiert unbelastet von jedem Inhalt fröhliche Urständ. Es gibt nichts, was nicht neu definiert würde. Alles soll antiquiert sein, Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

 Denn die einen sind so frei und selbstverantwortlich, dass sie – Unternehmer ihres Lebens – den ganzen Tag auch in Zweit- und Drittjobs versuchen, die Streichungen im Gesundheitswesen, in der Altersversorgung, im Sozialbereich auszugleichen.

 Die anderen, und oft sind es die selben, sind so gleich, dass sie im gemeinsamen Boot tüchtig rudern und den Gürtel enger schnallen dürfen, während eine erkleckliche Zahl es schafft, es sich im Boot bequem einzurichten.

 Und von Solidarität soll schon gar keiner mehr reden, ist sie doch vor allem das Einfallstor von Schnorrern, Sozialhilfebetrügern und von uns allen bezahlten Floridatouristen.

 Dann wäre da noch die Partizipation, auch ein unverzichtbares Fundament demokratischer Verhältnisse. Sie erfüllt sich heute vor allem im Shopping als Event, in der glücklichen Gemeinschaft von Obi et Aldi, im KaufhofkarstadtH&M-Rausch, im wohligen Geiz-ist-geil-Schauer.

 Keine Zukunft, irgendwie.

 Auch Politik wird modern formuliert: Aus dem Mandat der wählenden Bürger wird selbstherrliche Politikverwaltung, ein Besitztum. Beim Oberlehrerton mancher Politiker schrumpft der Souverän auf Schülermaß; mimosenhafte Gekränktheit ob der begriffsstutzigen und störrischen Wähler und dazu noch ein schwindelerregender, fast obszöner Mangel an Selbsteinschätzung und Selbstkritik.

Ein Beispiel: Alle Parteien kämpfen gegen das „Hauptübel unserer Zeit“, die Arbeitslosigkeit. Jeden Tag neue Pläne. Aber vor allem hält man an der Mär von der Vollbeschäftigung im traditionellen Sinne fest, die mit ein wenig gutem Willen, sprich längeren Arbeitszeiten, Senkung der Lohnnebenkosten, Gehaltskürzungen zu erreichen sei. Kein Wort davon, dass der Gesellschaft die Erwerbsarbeit im alten Sinne vielleicht schon ausgegangen ist. Kein Wort davon, dass der Arbeitsbegriff neu zu definieren sei, und zwar im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Überlegungen. Vielleicht ist dies nur Ausdruck eines begriffslosen Vor-sich hin-Wurstelns, aber die Folgen sind fatal: wer keine Arbeit hat, gehört gesellschaftlich nicht dazu.

 Was aber wächst in den Herzen der Ausgeschlossenen?

 Die Ausgrenzung nimmt für die Betroffenen dramatische Formen an. Arbeitslosigkeit und der Empfang von Sozialhilfe werden als eigenes Versagen empfunden. Solidarität wird dann zu einem Luxus. Neben der Entsolidarisierung gibt es eine wichtige Nebenwirkung: Jeder Arbeitslose wird zur Mahnung gegenüber den Noch-Arbeitsplatzbesitzern: So entsteht ein ungeheurer Disziplinierungseffekt; Unsicherheit und Nichtkalkulierbarkeit wirken sich lähmend auf jede Form kritischen Engagements aus. Das Gefühl eigener Bedeutungslosigkeit produziert Ohnmacht im Handeln, produziert das Gefühl, alles Handeln sei sinnlos.

 Unter dieser Oberfläche findet aber noch etwas anderes statt: Man kann nur vermuten, wie sich in einer solchen Situation die Wahrnehmung des jeweils Anderen verändert. Der Andere wird zum Fremden, aber nicht aufgrund seiner Eigenschaften oder seines Verhaltens, sondern aufgrund des notwendig teilnahmslosen Blickes des Einzelnen.

 Warum jetzt aber einen Kurzfilmwettbewerb?

 Es geht uns um das Sichtbarmachen der zuvor genannten Erscheinungsformen. Es geht um Folgen und Auswirkungen sozialer Ausgrenzung für die betroffenen Subjekte und die damit zusammenhängende Veränderung des Blickwinkels der Gesellschaft überhaupt. Und trotzdem oder gerade deswegen geht es um neue Lebens- und Zukunftsvisionen. Der Film kann als ästhetisches Mittel in eigener Weise aufklären, anders als die unmittelbar politische Analyse.

 Wir sind keine Spezialisten für Filmfestivals und wollen es auch nicht werden. Es geht uns um Wahrnehmung gesellschaftspolitischer Vorgänge in anderer Form als durch traditionelle politische Redeaufklärung: Sprache kann neue soziale Zustände auch verdecken, statt auf sie hinzuweisen, wenn Sprache hinter der Realität zurückbleibt. Vielleicht muss kritische Politik erst neue Wahrnehmungsformen lernen.

 : „Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.“ (Gotthold Ephraim Lessing)