4.2. Der DJ - postmodener Autor in der Techno-Kultur?
4.2.1. Michel Foucaults Konzeption des Autors
Foucaults Aussagen zur Kategorie des Autors finden sich verstreut über seine gesamten Schriften und Interviews. Dabei kämpft er auch immer wieder vor allem in Vor- und Nachworten zu seinen Büchern damit, für sich selbst und sein Schreiben die Funktion Autor außer Kraft zu setzen und wünscht sich beispielsweise, anonym zu schreiben oder tritt als "Der Philosoph mit der Maske" auf. (ANM: Christian Delacampagne: Der Philosoph mit der Maske (Interview mit Michel Foucault)
Als zusammenfassenden Überblick seiner Arbeiten zur Autorfunktion bietet sich die Transkription eines Vortrags an, den er 1969 vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie hielt und der unter dem Titel "Was ist ein Autor?" vorliegt.
Der Autorbegriff stellt demnach den "Angelpunkt für die Individualierung in der Geistes-, Ideen- und Literaturgeschichte, auch in der Philosphie- und Wissenschaftsgeschichte" (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 10) dar. Foucault konstatiert zwar: "Es wäre sicherlich absurd, die Existenz des schreibenden und erfindenden Individuums zu leugnen" (ANM: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 21), dennoch gilt: "schon seit geraumer Zeit haben Kritik uhd Philosophie von diesem Verschwinden oder diesem Tod des Autors Kenntnis genommen." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 12)
In den häufig an die zentrale und ehedem vom Autor besetzte Stelle tretenden Begriffen des Werks und des Schreibens sieht Foucault mißlungene Versuche, sich der Autorkategorie zu entledigen. Beide Begriffe können nicht ohne den implizierten Begriff des Autors gedacht werden. Indem ihre Verwendung den Anspruch hegt, die Autorkategorie systematisch zu negieren, setzt sie diese wieder negativ in den Rang eines konstituierenden Stifterbegriffs ein.
Die Funktion Autor
Die vertiefende Analyse beginnt beim Namen des Autors. Dieser hat eine bestimmte Funktion im Diskurs: er dient zur Klassifikation, mit ihm können Texte gruppiert, abgegrenzt und in Bezug gesetzt, andere ausgeschlossen und entgegengestellt werden.
Die Kategorie Autor bringt also eine bestimmte Gruppe von Diskursen in einer bestimmten Seinsweise hervor, erst sie gruppiert diese Diskurse. Ausgangspunkt der Überlegungen zum Autor ist also nicht dessen konkrete Person, sondern die Beschreibung des Autors als einer spezifischen Funktion. Diese Autorfunktion macht aus einem Individuum erst einen Autor.
Foucault gibt vier Merkmale an, an denen die Funktion Autor erkennbar ist:
a) "Sie ist an das Rechts- und Staatssystem angebunden, das die Gesamtheit der Diskurse einschließt, determiniert und ausdrückt."
(ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 23) Diese Anbindung funktioniert vor allem via der Kategorie Eigentum, die, im 18.Jahrhundert eingeführt, den Autoren das Eigentum an den von ihnen hervorgebrachten Werken garantiert.
b) "Sie wirkt nicht einheitlich und gleichmäßig auf alle Diskurse zu allen Zeiten und in allen Kulturformen." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 23) Demnach stellt sich die Frage nach dem Autor nicht immer und zwangsläufig; die Existenz der Funktion Autor stellt also in diesem Sinne keine ahistorische Konstante dar. Desweiteren notiert Foucault Differenzen in der Bedeutung der Funktion beipielsweise zwischen Literatur und Naturwissenschaften. In letzteren wird der angenommene Wahrheitswert einer Aussage oder eines Textes bereits durch dessen Auftreten im Referenzrahmen 'Naturwissenschaft' konstituiert, d.h. der Ort und die Situierung einer Aussage in einem spezifischen Diskurs vorentscheidet über dessen Bedeutung. Die ebenfalls Bedeutung konstituierende Autorfunktion bleibt hier zunächst außen vor, auch wenn sie grundsätzlich auch hier auftreten kann. (ANM: Man muß sich nur einmal vorstellen, daß irgendwo ein bislang unbekanntes Manuskript Newtons oder Einsteins auftaucht, das die Existenz eines neuen phsikalischen Gesetzs postuliert.)
Vergleicht man demgegenüber das Feld der Literatur, fallen einem sofort Wendungen wie 'der neue Grass-Roman' ein. Hier wird die Bedeutung eines vorliegenden Texts zunächst ausschließlich von der Autorfunktion konstituiert, die den neuen Text an ein bekanntes Individuum, dessen Texte als bedeutungsvoll codiert sind, koppelt und dieses mittels des durch diese Operation losgetretenen Diskurses quasi als Autorsubjekt aktualisiert.
c) "Sie läßt sich nicht dadurch definieren, daß man spontan einen Diskurs einem Produzenten zuschreibt, sondern dazu sind eine Reihe spezifischer und komplizierter Operationen nötig." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 23)
Um diese Operationen genauer zu umreißen, können die vier Kriterien des heiligen Hieronymus herangezogen werden: demnach wird der Autor erstens durch ein bestimmtes, ihm zugeschriebenes Wertniveau bestimmt, er wird zum Zweiten als "Feld eines begrifflichen und theoretischen Zusammenhangs definiert" (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 21), drittens geht es darum, ihn als Funktion zur Stiftung stilistischer Einheit zu konstruieren und ihn schließlich viertens historisch zu situieren. Der Autor wird also als bestimmter geschichtlicher Augenblick und Schnittpunkt einer Reihe von Ereignissen definiert, so daß die infragekommenden Werke auch über biographische Daten selektiert und zugeordnet werden können.
"Nun definiert die moderne Literaturkritik (...) den Autor kaum anders: Autor ist derjenige, durch den gewisse Ereignisse in einem Werk ebenso wie deren Transformationen erklärt werden können, deren Deformationen, deren verschiedene Modifikationen (und dies durch die Autorbiographie, die Suche nach der individuellen Sichtweise, die Analyse seiner sozialen Zugehörigkeit oder seiner Klassenlage, die Entdeckung seines Grundentwurfs). Der Autor ist ebenso das Prinzip einer gewissen Einheit des Schreibens, da alle Unterschiede mindestens durch Entwicklung, Reifung oder Einfluß reduziert werden." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 21)
d) Die Autorfunktion muß dabei nicht zwangsläufig auf ein reales Individuum verweisen, "sie kann gleichzeitig mehreren Egos in mehreren Subjekt-Stellungen Raum geben." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 23)
Ein Autor kann also durchaus Perspektivenwechsel vollziehen, quasi von mehreren Egos aus schreiben, ohne daß hiervon die Gültigkeit der Autorfunktion tangiert wird.
Foucaults kritische Analyse der Funktion Autor muß auch als Kritik der sozialen Kategorie Autor verstanden werden. Die Funktion stellt fraglos nichts weiter als ein Ordnungsprinzip der Diskurse dar, verknappt und gruppiert diese. Darüber hinaus fungiert der Autor als Prinzip, das den Mittelpunkt des Zusammenhalts dieser gruppierten Diskurse darstellt, und diesen als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen dient. "Man verlangt, daß der Autor von der Einheit der Texte, die man unter seinen Namen stellt, Rechenschaft ablegt; man verlangt von ihm, den verborgenen Sinn, der sie durchkreuzt, zu offenbaren oder zumindest in sich zu tragen. Man verlangt von ihm, sie in sein persönliches Leben, in seine gelebten Erfahrungen, in ihre wirkliche Geschichte einzufügen. Der Autor ist dasjenige, was der beunruhigenden Sprache (...) ihre Einheiten, ihren Zusammenhang, ihre Einfügung in das Wirkliche gibt." (ANM: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 21)
Zusammenfassend stellt die Funktion Autor zunächst ein allgemeines Prinzip dar, nach dem Diskurse gruppiert, geordnet und kontextualisiert werden.
Sie ist über die juridische Ebene der Kategorie des Eigentums von Diskursen beziehungsweise - allgemeiner gefaßt - kultureller Zeichen und Produkte an das Rechts- und Staatssystem angebunden.
Als allgemeinste Beschreibung der Wirkungsweise der Autorfunktion können die vier Prinzipien des heiligen Hiernonymus angegeben werden: die Kriterien des konstanten Wertniveus, begrifflicher Zusammenhang, stilistische Einheit und der Autor als historischer Punkt konstituieren die Funktion Autor.
4.2.2. Erste Überlegungen zur Autorfunktion in der Technokultur
Die Foucaultschen Vorgaben
Vorab muß sich eines zentralen Problems vergegenwärtigt werden: Michel Foucaults Analysen zur Kategorie des Autors beziehen sich auf Untersuchungen der Philosophie-, Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Insofern ist auch das theoretische Konzept der Autorfunktion aus denselben abgeleitet und entwickelt worden. Das zugrundeliegende textliche Material ist demzufolge wissenschaftlicher Art.
Foucault schränkt seine Arbeit selbst ein: Er "möchte (...) die historisch-soziologische Analyse der Autor-Person beiseitelassen" und lediglich "den Bezug Text-Autor ins Auge fassen, die Art, in der der Text auf die Figur verweist, die ihm, wenigstens dem Anschein nach, äußerlich ist und ihm vorausgeht." (ANM: Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 10)
Diese Autor-Person wird jedoch in der folgenden Untersuchung durchaus eine Rolle spielen. Es wird zu diskutieren sein, inwiefern der DJ als Musiker, Komponist und damit in Rollen, die potentiell dem Autor vergleichbar sind, inszeniert wird.
Daher wird die Techno-Kultur unter dem Aspekt der Vergleichbarkeit der Kategorie Autor und mit den dort vorliegenden potentiellen Äquivalenten des DJ's in seinen Rollen als Komponist und Musiker diskutiert.
Die theoretische Vorlage Foucaults kann etwa so zusammengefaßt werden: ich gehe davon aus, daß sich die Funktion und auch die soziale Kategorie Autor erst im Diskurs, also durch die Sprachspiele herstellt. Sie ist diesen nicht vorgängig und somit nicht an sich gegeben. Der Autor ist nicht gleich der Produzent der kulturellen Zeichen. Zu untersuchen ist, ob und vor allem wie Funktion und Figur produziert werden. Argumentativ wird sich das weitere Vorgehen an den von Foucault gegebenen vier Erkennungsmerkmalen der Autorfunktion orientieren.
Im Folgenden soll die Figur des DJ's als potentiellem Entwurf des Autor-Künstler-Subjekts in der Techno-Kultur anhand der mit Foucault erarbeiteten Begrifflichkeiten analysiert werden. Dabei werde ich zwischen dem Produzenten von Techno-Musik, verstanden als Plattenproduzent, und dem quasi live Platten auflegenden DJ unterscheiden. Es wird zu klären sein, inwieweit in der Techno-Kultur Organisationsweisen und Phänomene vorliegen, die die Gültigkeit der Autor-Funktion infragestellen, suspendieren oder zu einer Neu-Definition dieser zwingen.
Weiter ist gleichfalls zu fragen, welche Mechanismen andererseits wirken, um der Autorfunktion zur Gültigkeit zu verhelfen.
Es soll also diskutiert werden, wie sich die Autorfunktion konkret in der Techno-Kultur entfaltet. Von besonderem Interesse sind dabei die Modifikationen und Verschiebungen, die sie im Vergleich zu ihrer Existenz in anderen kulturellen Formationen erfährt.
Der Autor und die fehlende Stimme
Im Kontext der Frage nach dem Autor kann zunächst die bereits in Abschnitt 3.2. analysierte Tatsache, daß in Techno-Musik in der Regel weder gesungen noch gesprochen wird, noch einmal aufgegriffen werden. Die Existenz von Gesang und eine dominante Rolle der menschlichen Stimme stellen fraglos ein weitgehend übereinstimmendes Spezifikum von Popmusiken der letzten Jahrzehnte dar. Diesbezüglich unterscheidet sich Techno-Musik substantiell von fast allen anderen popmusikalischen Stilen. (ANM: Sicherlich gibt es auch hier Ausnahmen. ...)
Es kann formuliert werden, daß die Abwesenheit der menschlichen Stimme sicherlich einen wesentlichen Einschnitt darstellt, mittels dessen sich die Techno-Musik auch hinsichtlich der Existenz eines sich in der Musik ausdrückenden schöpferischen Subjekts, deutlich von anderen Popmusiken unterscheidet. Die Verwendung der menschlichen Stimme, deren Gesang zudem meist eine Geschichte erzählt, kann als eine der wichtigsten Techniken bezeichnet werden, mittels der in der Popmusik das Thema des Autors, des schöpferischen Künstlers und des Subjekts installiert und somit erst produziert wird. Wie in 3.2. gezeigt, kann diese Bewegung, die Techno-Musik gegenüber anderen Popmusiken vollzieht, mit Roland Barthes als Dekonstruktion des Zuhörens beschrieben werden.
4.2.3. Der Produzent der Techno-Musik als Autor
In diesem Abschnitt soll die Situation des musik- und plattenproduzierenden Techno-Musikers hinsichtlich der Frage des Autors thematisiert werden. Dabei wird sich das Vorgehen auf zwei spezifische Aspekte dessen konzentrieren, die als Charakteristika der Techno-Kultur ausgewiesen werden können.
Dabei handelt es sich zum Einen um die Frage, inwiefern diese Musikproduzenten überhaupt als benannte und benennbare Individuen kenntlich gemacht und darauf aufbauend zu Autoren konstruiert werden.
Zum Zweiten sollen mit Sampling-Technologie und dem Trackformat des Remixes zwei spezifische Produktionsweisen von Technomusik im Hinblick auf die enthaltenen Implikationen für die Funktion Autor genauer untersucht werden.
Die Identifizierbarkeit von Techno-Musik
Schaut man sich die Aufmachung von Techno-Platten an, sind mehrere Dinge auffällig. Die visuelle Gestaltung der Platten und Plattencover ist in der Regel äußerst minimal gehalten. Sie besteht - wenn überhaupt - zumeist nur aus abstrakten Graphiken und wird, im Unterschied zu anderen Populärmusiken kaum von Fotos der Musiker geziert. Liner Notes wie etwa in der Rockmusik oder exzessiv lange Gruß- und Respektbekundungslisten wie im Hiphop existieren nicht. Sowohl die Liner Notes als auch die Grußlisten können dabei als Techniken angesehen werden, mittels derer in der Regel die betreffenden Platten kontextualisiert werden.
Diese Kontextualisierung entfaltet sich durch das Streuen von Referenzpunkten, indem beispielsweise bestimmte andere Musiker gegrüßt, inspirierende Bücher aufgeführt oder erläuternde Informationen zu den Musikproduzenten, der Entstehung der Platte oder zugrundeliegenden künstlerischen Konzepten gegeben werden. Diese Referenzpunkte situieren damit gleichfalls den konkreten Musiker, um dessen Platte es sich jeweils handelt, indem sie ihm vielfältigste Referenzen assoziieren. Der Aspekt läßt sich auch unter dem Begriff der Subjektivierung und als Inszenierung von Autor-Subjekten fassen. Mittels der angegebenen Referenzen stellen sich die jeweiligen Künstler/Musiker in bestehende kulturelle, politische und soziale Kontexte, werden also attribuiert und somit als Subjekte beschrieben beziehungsweise konstruiert.
Im besten Fall erfährt man auf Techno-Plattencovern den Namen der Musiker. Die Herstellung von personellen (etwa durch Querverweise und Danksagungen) oder anderen kulturellen Kontexten findet hier kaum statt. Oft ist es der Fall, daß man gar nichts erfährt - weder über die Musiker, noch den Titel der Platte, noch die Namen der einzelnen Tracks - von darüber hinausgehenden Referenzen ganz zu schweigen. Für die potentiellen Plattenkäufer heißt dies, daß man die Platten durchhören muß, da sonst keine Hinweise auf ihren Inhalt vorliegen. Normalerweise fungieren im Kontext von Techno-Musik hierbei noch die Namen der veröffentlichenden Plattenfirmen als Hilfe, da die Labels in der Regel relativ einheitliche Musikstile produzieren. Die vor-selektierende Sortierung der für den Einzelnen interessanten Platten funktioniert also primär über die Kenntnis bestimmter Labels beziehungsweise deren Stils und weniger über die Namen der Musiker (was der Kategorie des Autornamens entspräche).
Über die Varaiante der fehlenden Angaben zur Identität des Musikers hinaus existieren weitere Spielarten, diese Identität zu verschleieren.
So ist es keineswegs der Normalfall, die produzierte Musik unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen. Die verschleiernde Technik von Pseudonymen wird vermutlich nirgends derart häufig benutzt wie in der Techno-Kultur.
Viele Techno-Musiker veröffentlichen unter den verschiedensten Pseudonymen auf den verschiedensten Labels die unterschiedlichste Musik. So produziert beispielweise Luke Slater nicht nur unter seinem eigenen Namen Platten, denn: "Sein Debut erschien vor nunmehr neun Jahren auf einem Label namens Jelly Jam, seit Anfang der 90er folgten inzwischen zahllose Platten unter den Pseudonymen Morganistic (auf Irdial bzw. Neuron Input), 7th Plain (GPR), Planetary Assault Systems (Peacefrog) und die X-Front-Serie (ebenfalls Peacefrog)." (ANM: Holger Klein, Luke Slater - Rebel Music, GROOVE 49, Dez. 97, S.29) Zusammenhänge wie diesen erfährt man in der Regel nur in Techno-Zeitschriften, da sich auf den Platten lediglich das Pseudonym oder der Projektname findet.
Die verschiedenen Pseudonyme fungieren im Fall Slaters als Namen, die jeweils einer bestimmten stilistischen und soundspezifischen Form von Musik gegeben werden. (ANM: Vgl. hierzu seine Ausführungen im gleichen Interview über die Differenzen seiner Platten als Planetary Assault Systems und als Luke Slater, in: Holger Klein, Luke Slater - Rebel Music, Groove 49, Dezember 1997, S. 28-31) Slater verwendet also ein Codierungssystem, demnach seinen verschiedenen Veröffentlichungen verschiedene Namen zugeordnet werden, um so eine gewisse stilistische Einheit dessen zu erreichen, was jeweils unter einem bestimmten Pseudonym erscheint.
Aus dem Wissen darum, daß die konkrete Person Luke Slater eine Platte produziert hat, können demnach also keine näher spezifizierenden Informationen über die auf der Platte enthaltene Musik entnommen werden.
Es können also auch bei bekannter Identität des Musikers keine zwingenden Rückschlüsse auf die konkrete Musik gezogen werden. Die Kenntnis des individuell benennbaren Autors scheidet so als Kriterium, nach dem das kulturelle Produkt Techno-Musik geordnet und gruppiert werden kann, weitgehend aus.
Verglichen mit anderen Musikstilen erscheint das gezielte Erwerben von Techno-Platten daher ungleich schwieriger, da es in den seltensten Fällen möglich ist, die Platten unmittelbar einem Autor/Musiker zuzuordnen. Dementsprechend sind die Platten in den Läden meist auch nicht nach den Kriterien Autor/Musiker, sondern nach Labels sortiert.
Der Autor funktioniert hier also nicht als primäres Identifizierungsmerkmal und auch nicht als primäres Prinzip der Gruppierung der Musikveröffentlichungen. Daher kann auf eine deutliche Relativierung der Bedeutung der Autorkategorie hinsichtlich der Gruppierung von Diskursen - wie Foucault sagen würde - beziehungsweise, - wenn der Gedanke auf den Kontext Techno-Platten übertragen wird, - hinsichtlich der Gruppierung und Ordnung der Platten geschlossen werden. Die Funktion Autor erfährt also durch die im Rahmen Techno-Kultur gängige Art und Weise der (Nicht-)Kommentierung der konkreten Musik durch auf den Plattencovern schriftlich vorliegende Informationen, eine Einschränkung ihrer Gültigkeit und strukturierenden Funktion. Es kann hier durchaus von einer Tendenz der Dekonstruktion der Autor-Funktion gesprochen werden.
Sampling und das Problem der Remixe
Eines der wichtigsten Produktionselemente von Techno-Musik ist das sogenannte Sampling. Unter Samples versteht man meist relativ kurze Einheiten von Sound, Musik oder Geräuschen, die digital aufgezeichnet werden. (ANM: Vgl. Christof Meueler, Auf Montage im Techno-Land, in: SPoKK (Hrsg.), Kursbuch Jugendkultur, S. 245; Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 228ff) Als derart aufgezeichnete werden sie in Techno-Tracks eingebaut, was konkret sowohl in der Form eingestreuter zitathafter Zwischengeräusche, als auch in der Verwendung des Samples (beispielsweise, wenn es sich um eine Rhythmus- oder Beat-Figur handelt) als grundlegende Struktur des Tracks geschehen kann. Tracks können auch nur aus Samples bestehen. In Form eines Samples kann prinzipiell jedes mögliche Geräusch, über Mikrophon aufgenommen, als auch jede zuvor auf Tonträgern veröffentlichte musikalische Sequenz in die Techno-Musik integriert und und zu einem Teil dieser werden.
In der Techno-Musik findet sich nun "die entfesselte Nutzung der digitalen Klangspeicherung als zentrales Kompositionselement. Sampling wird damit zum ästhetischen Programm. Der Diebstahl bei anderen Platten ist Teil der Bedeutung des neuen Textes." (ANM: Ulf Poschhardt, DJ Culture 277)
Interessant ist die damit ins Spiel gebrachte Sichtweise, dernach Sampling eine Form des Diebstahls ist. Der Begriff des Diebstahls kann nur in Bezug auf ein, in welcher konkreten Form auch immer vorliegendes Eigentum verwendet werden und verweist auf das Eigentumskriterium in Foucaults Konzept der Autorfunktion. Der Fall der Samples kann zwar auch ökonomisch und materiell unter dem Begriff des Diebstahls verwendet werden, wie etwa, wenn ein Track ein Sample benutzt und damit zu einem auch ökonomisch relevanten Verkaufserfolg wird, muß jedoch in erster Linie als Diebstahl kulturell-schöpferischen Eigentums betrachtet werden. Poschardt führt hierzu den britischen Pop-Theoretiker Simon Reynolds an, der in konservativ-kulturkritischer Manier den Bannstrahl auf die Sampling-Methode richtet: "Blip culture means the death of sequential, linaer thought, an erosion of people's ability to plan and manage their lives. There is only a NOW that is either blissed-out, or dreadful. (...) With one push of the button, black heart becomes white noise, detached from its original context, a piercing bleep in your cranium, an abstraction." (ANM: Simon Reynolds, Sampling, in: Ders., Blissed out. The Raptures of Rock, London 1990, S. 169ff, Zitiert nach: Ulf Poschardt, DJ Culture, Rogner und Bernhard, Hamburg 1995, S. 279)
Reynolds kontextualisiert das Aufkommen der Sampling-Methode im Rahmen einer allgemeinen Dezentrierung der Subjekte. Die Argumentationsbewegung Reynolds'analysiert den Zerfall der linearen Wahrnehmung von Geschichte und den Einbruch des Diskontinuierlichen in die strukturelle Verfaßtheit von Popmusik. Derart gefaßt folgert er den "Tod des Soul" und "die Irrelevanz der künslerischen Leidenschaft". (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 279)
Reynolds` Kritik erinnert hier nicht von ungefähr an die Abwehrkämpfe modernen Denkens gegen postmoderne und poststrukturalistische Ansätze.
Die Methode des Samplings ist allerdings mit der Techno-Kultur "so normal geworden, daß nur noch wenige von Stehlen und Plündern, die meisten aber von einer Form des musikalischen Zitats sprechen, (...) die aber aus der Popmusik nicht mehr wegzudenken ist." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture 278)
Eine spezifische Form des Techno-Tracks ist der sogenannte Remix. Remixe spielten bereits vor der Entstehung von Techno-Musik in der Disco-Musik der 70er-Jahre eine Rolle. Hier entstanden die ersten Remixe, die nach Ulf Poschardt vor allem darauf konzipiert waren, die Discotheken-DJ's mit längeren und dem Bedürfnis der Tanzenden nach einem kontinuierlichen Rhythmus entsprechenden Track-Versionen zu versorgen. Remixe waren oft wesentlich länger als die ihnen zugrundeliegenden Versionen, weswegen sich das in der Techno-Musik inzwischen gängige Format der Maxi-Single bildete. (ANM: Vgl. Ulf Poschardt, DJ Culture, Rogner und Bernhard, Hamburg 1995, S. 122ff.)
Andere Musikstile, in denen Remixe eine nennenswerte Rolle spielten, exisitierten kaum. Allenfalls kann hier das Songformat der Dub-Version, die aus dem jamaikanischen Reggae bekannt ist, angeführt werden. Dub-Versionen zeichnen sich normalerweise dadurch aus, daß sie eine leicht variierte Form des Original-Stcks darstellen, in denen als primäres Differenzierungsmerkmal meist die Gesangsspur fehlt.
Unter einem Remix versteht man eine Neubearbeitung eines bereits bestehenden Tracks, die sowohl vom gleichen Produzenten, als auch von ausgesuchten anderen gemacht sein kann. So finden sich häufig auf einer einzigen Platte mehrere Bearbeitungen des gleichen Tracks, die jedoch durch das Zuhören nicht unbedingt auf eine urspüngliche Fassung rückbezogen werden können. So ist es kaum möglich, die ursprüngliche und die remixte Fassung eines Stücks durch bloßes Zuhören zu unterscheiden.
Darüber hinaus können Remixe die Stilistik des Ausgangstracks völlig verändern, so kann beispielsweise ein House- oder Techno-Track jederzeit in einen Drum'n'Bass-Remix transformiert werden und umgekehrt. (ANM: Als Beispiele: Laurent Garnier, Crispy Bacon, Part 2, Gilb'r Versatile Mix, F-Communications, Paris 1997; Ken Ishii, Extra, Wagonchrist-Remix, R & S Records, Brssel 1995)
Veröffentlicht werden Remixe fast immer auf Platten der Musiker, von denen die urspüngliche Fassung des jeweiligen Tracks stammt. Auch die Schreibweise, in der ein Remix beispielsweise auf den Plattencovers oder in Techno-Zeitschriften auftaucht, sieht so aus, daß der Produzent des ursprünglichen Tracks als Produzent auch des Remixes angegeben wird und der Name des Remixers neben dem Titel des Tracks zu finden ist.
Regeln, die genauer definieren, was ein Remix ist, beziehungsweise die klären, wann es sich um einen Remix handelt und wann um einen völlig neuen Track, existieren im Prinzip kaum. Als einzige kann die Bedingung genannt werden, daá ein Remix gesamplte Sounds aus dem zu remixenden Track als sein Ausgangsmaterial verwendet. Ob und wie er diese allerdings durch die zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten oft bis zur völligen Unkenntlichkeit verändert, bleibt dem oder den Remixern überlassen. Ebenso können diesem Ausgangsmaterial beliebig andere Sounds oder Samples hinzugefügt werden.
Prinzipiell können zunächst einmal alle möglichen Tracks remixt werden. Dies gilt zwar in erster Linie für Techno-Tracks, findet inzwischen jedoch auch in anderen Popmusiken seine Entsprechung. Als Beispiel können die zahlreichen Remixe angeführt werden, die mittlerweile auch von Rock- und Popsongs vorliegen. Das Produktionsprinzip bleibt dabei jedoch stets das Gleiche: Ein bestehender Song wird als Ausgangsmaterial genommen und wie skizziert beliebig neu bearbeitet. (ANM: Als bekannteste Beispiele können Everything but the Girl, Run DMC, Tori Amos oder Björk angeführt werden)
Das techno-spezifische Phänomen der Remixe wirft nun bestimmte Probleme hinsichtlich der Frage nach der Autorschaft der in Frage kommenden Remix-Fassungen der Tracks auf. Auf sinnbildlichste Art und Weise stellt sich das Problem vielleicht für die potentiellen Plattenkäufer. Wo sucht man nach einem remixten Track, auf einer Platte des Produzenten des Ausgangstracks oder auf einer des remixenden Produzenten? Das Problem läßt sich Foucaults Aussage, dernach die Kategorie des Autors als Gruppierungsprinzip von Diskursen funktioniert, vergleichen. Im weiteren Sinne sind damit die entscheidenden Fragen hinsichtlich der Autor-Kategorie formuliert: wer ist der Produzent des Remixes? wessen schöpferisches Tun findet sich in ihm wieder? wem gehört also der Remix im Sinne der Autorenschaft? wer ist also der Autor des Remixes?
Der gesamte Katalog der aufgeworfenen Fragen läßt sich im Falle von Remixen nicht eindeutig klären. Sowohl die Ausgangsversion als auch ihr Remix stellen eigenständige, in sich abgeschlossene und funktionsfähige musikalische Einheiten dar, können also im Sinne der Werkkategorie verstanden werden. Die Frage nach dem Autor des Remixes kann also gleichfalls nicht eindeutig identifizierend beantwortet werden.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die grundlegende künstlerische Vorgehensweise der Produktion von Techno-Musik, das Verwenden von Samples als Ausgangsmaterial, die pragmatische Zuordenbarkeit der einzelnen Tracks zu jeweils verantwortlichen Autoren erschwert und teilweise suspendiert. Die Gültigkeit der Autor-Funktion wird dadurch eingeschränkt, die Bedeutung der Kategorie Autor erheblich relativiert.
Im Rückgriff auf Foucaults Analysen zum Autor kann formuliert werden, daß Sampling-Methode und das Trackformat der Remixe die Gültigkeit der Autorfunktion insbesondere hinsichtlich des Kriteriums Eigentum in Frage stellen. Dies gilt weniger in Bezug auf ökonomisches Eigentum, denn die Remixe sind entweder Auftragsarbeiten oder aber zumindest mit den Produzenten der ursprünglichen Tracks abgesprochen, so daß es zu keinen nenneswerten Streitigkeiten kommt. Dafür stellen Sampling und Remixe umso deutlicher die Figur des schäpferisch-künstlerischen Autorsubjekts in Frage, lassen also ungeklärt, wem man den Track als kulturelles oder künstlerisches Eigentum zuschreiben kann, wer also als Schöpfer des Remixes anzusehen ist.
Ein eindeutig identifizierbares Autor-Subjekt liegt hier demnach nicht vor.
Dies impliziert auch gewisse Schwierigkeiten, die von Foucault angegebenen vier Kriterien der modernen Literaturwissenschaft auf das Techno-Track-Format des Remixes zu beziehen. Zumindest aber auf zwei der Kriterien, jene des konstanten Wertniveaus und der stilistischen Einheit, kann die Analyse des Remixes bezogen werden.
Da Remixe den Ursprungstrack beliebig und oft bis zu dessen Unkenntlichkeit verändern, kann kaum von einem gegebenen gleichen Wertniveau der beiden Track-Fassungen ausgegangen werden. Die Einheit des Wertniveaus scheint ohnehin kaum wissenschaftlichen Ansprüchen genügend bestimmbar. Es können kaum Kriterien und Indikatoren, also quantitaive und qualitative Maßstäbe vorgestellt werden, die es erlauben würden, eine potentielle Konstanz des Wertniveaus vertretbar zu bestimmen.
Wie bereits angesprochen, variieren Remixe häufig den Technostil der Tracks, weswegen auch das Kriterium der Autorfunktion, demnach eine stilistische Einheit der Werke unterstellt wird, hier nicht zur Gültigkeit gebracht werden kann.
4.2.4. Deejayen - Reproduktion und postmoderne Performanz
Im Folgenden sollen nun zwei Aspekte der Situation des Platten auflegenden DJ's hinsichtlich der Frage nach dem Autor thematisiert werden.
Die Strukturiertheit des Raums
Erste Hinweise können aus dem Vergleich gewonnen werden, der zwischen der Situation des DJ's auf einer Party und den jeweiligen Settings, in denen die Musikbands, Orchester oder Sänger anderer Musiken auftreten, gezogen werden kann.
Im Normalfall steht der DJ hinter seinen Plattenspielern am sogenannten DJ-Pult und verrichtet seine Arbeit. Bisweilen stehen DJ und Pult auf einer Bühne, die allerdings - abgesehen von kommerziellen Groß-Raves - kaum die Funktion hat, ihn für das Publikum sichtbar zu machen. Es geht eher darum, daß er die Möglichkeit hat, zu sehen, wie seine Musik aufgenommen wird, damit bei Nicht-Gefallen stilistische Korrekturen angebracht werden können. Im Vergleich etwa zu Rock-Konzerten fällt auf, daß trotz der bei Techno-Parties üblichen großen Beleuchtungsanlage keine Scheinwerfer auf ihn gerichtet sind. Architektonisch ist der Party-Ort meist so strukturiert, daß er keinesfalls auf den DJ und sein Pult als potentiellen Mittelpunkt hin ausgerichtet ist. Eine räumliche Anordnung, die durch Plazierung der einzelnen Komponenten eine Situation schafft, in der die Blicke und Aufmerksamkeit der Anwesenden aufgrund der Strukturierung des Raums auf ein Zentrum fixiert werden, existiert also nicht.
Für den Techno-DJ Westbam läuft derartiges den Grundprinzipien der Techno-Kultur zuwider: "Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß die Bühne bei Techno die Tanzfläche ist - und nicht das DJ-Pult, In dem Moment, wo es nicht mehr so ist, läuft es für mich in die falsche Richtung." (ANM: Westbam, zitiert nach: Uwe Buschmann, Westbam, S. 76)
Wenn Westbam die Tanzfläche als Äquivalent einer Bühne setzt, kann dies auch als Hinweis darauf verstanden werden, daá in der Techno-Kultur ein, im Vergleich zu anderen Musikformen, ungleich höherer Stellenwert den konkreten - meist tänzerischen - Performanzen der Beteiligten zukommt. Aus Techno-Parties geht man demnach, um die Parties selbst perfomativ und tätig mitzugestalten und nicht, um anderen bei künstlerischen Performanzen zuzusehen oder zuzuhören.
Der Autor des Abspielens von Platten
Im Folgenden soll nun die Situation des DJs, der auf einer Party Platten abspielt, diese in- und übereinander mischt, dabei also musikalisches Material verwendet, das er nicht selbst produziert hat, beleuchtet werden.
Es liegt auf der Hand, daß die auf Musik anderer zurückgreifende musikalische Tätigkeit des DJs Unvereinbarkeiten mit der klassisch-traditionellen Vorstellung des Künstlers, verstanden als schöpferisches und Neues produzierendes Subjekt, mit sich bringt. In diesem Sinne kann formuliert werden, daß dem Deejayen durchaus reproduzierende Aspekte zueigen sind, die zunächst kaum mit der Figur des traditionellen Künstler-Subjekts beschrieben werden können.Allerdings greifen DJs beim Mixen durchaus in die verwendeten Platten ein. Die Tracks werden nicht ausgespielt, sondern der DJ sucht die für ihn interessantesten Stellen aus, um diese in den laufenden Mix zu integrieren. Hinzu kommt, daß die Platten meist mit veränderter Geschwindigkeit abgespielt werden, was schon zur Synchronisierung der jeweiligen Beatstruktur unvermeidlich ist. Sascha Kösch fasst beispielsweise die verwendeten Platten unter der Kategorie Vergangenheit und akzentuiert so den aktualisierenden und performativen Aspekt des Mixens stärker: "Durch neue Strukturierung der Vergangenheit immer wieder üerraschende, wichtige und neue Elemente entstehen zu lassen. Im Vergleich zu Jeff Mills muten die vielgerühmten Fähigkeiten perfekten Angleichens oder schlüssiger Musikwahl einfach lächerlich an. Es geht eher darum, die Materie gleichzeitig zu bändigen und zu beschleunigen, Brüche in Intensitäten aufzulösen und der Vergangenheit Drive zu geben." (ANM: Sascha Kösch, Jeff Mills, S. 53/54, Jeff Mills ist ein DJ, der bekannt dafür ist, die Platten, die er abspielt nur äußerst kurz laufen zu lassen)Es stellt sich die Frage, wem nun genau das Funktionieren einer Party und das Zustandekommen des nicht-diskursiven Tanz-Ereignisses als Verantwortlichem zukommt, wem also die Rolle des Autors zugesprochen werden kann..
Westbam kommentiert die Frage wie folgt: "Ich bin nicht der Meinung, (...) man solle den Charakter der Musik nicht verändern. Warum denn nicht? Warum die Arbeit eines DJ so gering schätzen, warum die eigene Autorität derjenigen des Komponisten unterordnen: Ein Mix, der sich komplett vom zugrundegelegten Musikstück emanzipiert, wird zur eigenen Komposition, der DJ wird zum Komponisten (...)" (ANM: Westbam, Worum geht es beim Mixen, S.56) Für Westbam nimmt also der Mix eines DJs und nicht die jeweils gespielten Platten die Stelle der grundlegenden musikalischen Einheit beim Deejayen ein.
Dennoch bleibt auch die Variante denkbar, die verwendeten Platten und damit deren Produzenten für das Gelingen einer Party verantwortlich zu machen. Will man unbedingt am Gedanken eines am Ursprung der zu hörenden Musik verantwortlich zeichnenden Autor-Subjekts festhalten, bietet sich Ulf Poschardts polykausale Beschreibungsvariante an: "Das >>Ich<< des DJs ist in den Plattenkisten verstreut. Je nach Situation auf dem Plattenteller und je nach Plazierung des Schiebereglers am Mischpult ist das Schöpfer-Ich von anderer Konsistenz, gespeist von den Werken anderer Schöpfer-Ichs, die vom DJ in eine neue Kunst-Einheit überführt werden. Aus der Vergewaltigung und Enteignung entsteht ein neues Stück Kunst." (ANM: Ulf Poschardt, DJ-Culture, S.371) Insgesamt kann also die Frage nach dem Äquivalent des Autors der Musik einer Party nicht eindeutig beantwortet werden. Es können diesbezüglich sowohl die Produzenten der gespielten Platten, als auch der diese ineinander mischende DJ angeführt werden. Dem Deejayen sind sowohl reproduzierende als auch performative Aspekte zueigen.
4.2.5. Die Zerstreuung der Autorfunktion in der Techno-Kultur
"Du sollst keinen Star haben neben der Musik" (ANM: Tobias Thomas, Mythos DJ, in: Groove 48, Oktober 1997, S.27)
Zusammengefaßt ergeben sich also eine ganze Reihe von Punkten, an denen die eindeutige Identifizierbarkeit des jeweiligen Autors im Sinne des schöpferischen und Neues hervorbringenden Künstler-Subjekts nicht gegeben ist.Neben gängigen Verschleierungsmechanismen wie der Verwendung einer Vielzahl von Pseudonymen, konnten diesbezüglich zwei grundlegende Elemente der Produktionsweise von Techno-Musik, Sampling-Technologie und die Remix-Technik, angegeben werden. Als weiteres Indiz konnte die Strukturiertheit des Raums einer Techno-Party ausgewiesen werden, die nicht auf eine zentrale Stelle im Raum, wie etwa eine Bühne oder den DJ hin strukturiert ist, sondern wenn, dann allenfalls die Tanzfläche zum Zentrum hat. Die gleiche Tendenz ließ sich in der Untersuchung von Plattencovern ausmachen, auf denen kaum Versuche gefunden wurden, den jeweiligen Musikproduzenten als dem Autor vergleichbare Figur zu konstruieren und sichtbar zu machen. Darüber hinaus fand sich, daß die Zuweisung der konkret gespielten Musik auf einer Party an eine dem Autor vergleichbare individuelle Einheit ebenfalls Schwierigkeiten aufwarf und nicht eindeutig getroffen werden konnte.
Für Ulf Poschardt hat die DJ-Culture damit "die Funktion Autor dekonstruiert." Für ihn "ist der Autor zum einen hinter den Schaltplänen der Beatboxen und Sampler verschwunden, zum anderen verweigerte er mit seiner wilden Nutzung fremder Werke jeglichen Respekt vor der Funktion Autor." (ANM: Ulf Poschardt, DJ-Culture, S.371)
Zusammengefaßt kann darauf geschlossen werden, daß den Produktions- und Präsentationsweisen von Techno-Musik eine allgemeine Tendenz zueigen ist, die Autor-Funktion, verstanden im Sinne der Möglichkeit der eindeutigen Kl"rung eines Urhebers und eines verantwortlichen schöpferisch-produzierenden Subjekts, aufzulösen. Der Versuch, die Autorfunktion durch Zuordnung zur Gültigkeit zu bringen, - also in Sinne dessen, was Foucault als Gruppierung von Texten um die Funktion Autor beschreibt - steht regelmäßig vor dem Problem, daß mehrere hierfür infragekommende Individuen oder Strukturzusammenhänge existieren. Insofern kann zumindest von einer aus diesen Produktions- und Präsentationsweisen hervorgehenden und daher prinzipiellen Vervielfältigung der potentiellen Autor-Subjekte gesprochen werden. In der Techno-Kultur existiert daher "die Idee des einen Schöpfer-Gottes zuerst einmal nicht. Die Plattenkiste ist voller Schöpfer-Götter und diese Tatsache relativiert jede Form des Monotheismus." (ANM: Ulf Poschardt, DJ-Culture, S.375)