2. KLEINE EINFÜHRUNG DER UND IN DIE TECHNO-KULTUR

 

 

2.1. Was ist Techno-Musik und wie funktioniert sie?
Techno-Musik und ihre Vorraussetzungen

Als zu Beginn der 90er-Jahre Techno-Musik populärer wurde, nahm man zunächst häufig den Demokratisierungseffekt wahr, als der sie auf das Musik-Machen wirkte. Man verstand diese neue Musik als Polemik gegen auch im Pop-Bereich virulente Reflexionsfiguren wie "die Musiker beherrschen ihre Instrumente gut" und ähnliche. Handwerkliches Können wurde scheinbar in seiner Funktion als der Musik vorausgehende Vorbedingung dieser suspendiert. Dazu passte es nur zu gut, daß sich jeder die notwendigen Computer-Geräte einfach kaufen und dann im Wohnzimmer munter loslegen konnte.

Meist vergaá man hinzuzufügen, daß diese Geräte ein paar tausend Mark kosteten und die Computer auch erst einmal bedient werden mussten. Es existieren also nach wie vor sozial und ökonomisch selektierende Faktoren, die das Musik-Machen eine, wenn auch modifiziert gelagerte, exklusive Angelegenheit bleiben lassen.

Dennoch kann verallgemeinert werden, daá der in obigem Mythos beschriebene Weg, zunächst einmal prinzipiell allen offensteht und keineswegs die ungewöhnlichste Variante darstellt, wie Techno-Platten entstehen.

 

Was ist Techno-Musik?

 

Techno-Musik wird ausschließlich mit Computern hergestellt, arbeitet dabei häufig mit Mustern der Atonalität und basiert fast ausschließlich auf repetetiven Rhythmen. "In der Technomusik heißen die einzelnen Stücke Tracks und nicht länger Songs: Melodien, Harmonien und (Sprech-)Gesang sind in ihnen bis zur Unkenntlichkeit reduziert oder vollständig abgeschafft. Stattdessen sind Rhythmus und Sound die zentralen Elemente von Techno, die meist im periodischen Viervierteltakt vielfältig übereinander geschichtet werden. Bei der Ausarbeitung der Tracks werden disparate Klangfolgen an Computern (Sampler, Sequenzer, Synthesizer, Rhythmusmaschine) ohne Notation durch Ausprobieren zusammengemischt. Durch die Verwendung der Sampling-Technologie ist es für den Technomusiker prinzipiell möglich, jeden irgendwann einmal auf einem Tonträger aufgenommenen Klang ohne merkbaren Qualitätsverlust zu bearbeiten." (ANM: Christof Meueler, Auf Montage im Techno-Land, in: SPoKK (Hrsg.), Kursbuch Jugendkultur, S. 243)

Diese skizzenhafte Beschreibung der Musik kann als allgemeines Raster genommen werden, dessen konkrete Ausgestaltung die einzelnen Stile, die unter dem Oberbegriff "Techno-Musik" zusammengefasst werden, jeweils spezifisch ausdifferenzieren. Von den unzähligen Techno-Stilen sind als wichtigste House, Gabber, Ambient, Drum'n'Bass/Jungle, Goa/Trance, Electro und Techno selbst zu nennen.

 

 

Schallplatten und ihr Vertrieb

 

Die Musik ist primär auf Vinyl-Platten erhältlich, die für 15 - 20,- DM in spezialisierten Läden verkauft werden. Das Vinyl-Format ist meist auch das einzige, das DJ's verwenden. Das CD-Format bleibt in der Regel wenigen kommerziell erfolgreicheren Musikproduzenten vorbehalten oder aber es handelt sich um Compilations, d.h. Zusammenstellungen von Musikstücken verschiedener Künstler.

Darüber hinaus existieren einzelne Versuche, Technomusik auf dem CD-ROM-Format oder im Internet abrufbar zu machen, was jedoch Avantgarde-Projekte mit Ausnahmestatus sind, die hier vernachlässigt werden können.

Die Infrastuktur von Produktion und Vertrieb der Platten besteht in einem nach lokalen, stilistischen und kommerziellen Gesichtspunkten gegliederten und breit gefächerten Netz an kleinen Plattenfirmen, sogenannten Labels, die sich auf Herstellung und Vertrieb von Technomusik spezialisiert haben. Daß Techno-Musik auf einer Major-Firma (ANM: Multinationale Großkonzerne wie EMI, Sony, Warner Bros. etc) erscheint, stellt immer noch eher eine Ausnahme dar.

 

 

Wer hört wo, wie und wann Techno-Musik?

 

Dementsprechend besteht die Zielgruppe der veröffentlichten Platten zuvorderst aus den DJ`s. Luke Slater, britischer Techno-Musiker, bringt es auf den Punkt: "Techno wird immer Clubmusik bleiben, denn da gehört Techno hin. Mit Techno verbinde ich Ausgehen, Spaß haben, Tanzen und eine Party machen." (ANM: DE:BUG. 05:1197, S. 11) Im Vergleich zu anderen jugend- und subkulturgebundenen Populärmusiken ist es eher unüblich, sich Techno-Musik zuhause anzuhören - die Anzahl der potentiellen Plattenkäufer bleibt so relativ klein. Mit der Produktion von Techno-Musik lässt sich folglich kaum der Lebensunterhalt bestreiten. Selbst namhafte Techno-Musiker reproduzieren sich ökonomisch in erster Linie durch ihre Engagements als DJ's auf Raves oder in Discotheken.

Das primäre Setting, innerhalb dessen Techno-Musik gehört wird, ist also der Rahmen einer Party. Für die dortige Musik ist der DJ zuständig, der die Platten auflegt. Die Arbeit des DJ's, das sogenannte Deejayen, besteht darin, die Schallplatten hinter- und ineinander zu mischen (mixen). Der DJ Westbam beschreibt dies als "musikalische Tätigkeit (...), die die Musik spannender machen soll (...), bei der es darum geht, musikalische Strukturen aufzugreifen und zu verändern, bei der Spannungen zwischen gerade artfremden, aber auch ähnlichen Stücken aufgebaut und aufgelöst werden sollen. Mixen sollte ein bestimmtes Miteinander, Nacheinander und Gegeneinander von Takten und Harmonien sein und keine Reduktion auf beats per minute." (ANM: Westbam, Worum geht es beim Mixen?, S. 56) Zum Mixen braucht man in der Regel nicht mehr als zwei Plattenspieler mit Geschwindigkeitsreglern (Pitches) und ein Mischpult mit einem Überblendregler (Cross-Fader). Damit können beliebig Stücke ineinander gemischt werden.

 

2.2. Zur PartykulturAls primäre Kulturform der Techno-Kultur können fraglos Parties angegeben werden. Einziges Kriterium einer Party ist, daß sich Leute an einem Ort zusammenfinden, um gemeinsam zu feiern.

 

 

Ökonomische Aspekte

 

Parties sind in der Regel kommerzielle Veranstaltungen: es kostet Eintritt und es werden Getränke verkauft. Die Veranstalter wollen entweder nur die Unkosten einspielen oder auch selbst an der Party verdienen. Techno-Parties existieren in allen vorstellbaren Schattierungen. Neben der Differenzierung durch die verschiedenen Musikstile können sie nach ökonomischen Gesichtspunkten unterschieden werden.

Formal kann zunächst einmal jedes Individuum Gast und damit auch Kunde einer Techno-Party sein. Eine diesbezügliche Selektion findet vor allem durch die Mittel der Preis- und Tür-Politik statt. Unter Preis-Politik versteht man, daß ein bestimmtes Preisniveau selektierend auf den Kreis der potentiellen Partygäste wirkt. Nicht jeder ist bereit oder in der Lage, zwanzig Mark Eintritt und knapp zehn Mark pro Getränk zu zahlen, wie das in vielen Techno-Discos der Fall ist. Unter Tür-Politik versteht man die sprichwörtliche Selektion durch sogenannte Türsteher, die entscheiden, wer hinein darf und wer nicht.

 

 

Spezifika von Techno-Parties

 

Techno-Partys finden in der Nacht statt, man geht kaum vor Mitternacht zu einer, sie können jedoch beliebig in den nächsten Tag oder sogar über diesen hinaus verlängert werden. Häufig findet man sich danach noch in kleinerem Kreis zur techno-spezifischen sogenannten After-Hour, also der Party nach der Party. Meist in privaten Wohnungen, gibt es aber auch einige Discotheken, die Atferhours anbieten und dafür am Vormittag öffnen.

 

Üblicherweise ist der Party-Raum derart gegliedert, daß es mindestens eine oder aber mehrere Tanzflächen (Dancefloors) gibt, auf denen verschiedene Musik-Stile gespielt werden. Hinzu kommen Getränkestände und manchmal auch Garderoben. Spezifikum der Techno-Kultur ist es, neben den Tanzflächen auch sogenannte recreation areas oder Chill out-Räumlichkeiten anzubieten. Diese haben die Funktion, den Tanzenden die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen und sich zu unterhalten.

Weite Teile der sozialen Praxen der Techno-Kultur finden sich schon in der Disco-Kultur der 70er-Jahre. Die Elemente des exzessiven Tanzens, des Drogengebrauchs und des seltsam banalen Phänomens des `Lange-Aufbleibens' können hier genannt werden.

Auf Parties tanzen die Einzelnen oft pausenlos mehrere Stunden hintereinander. Bezüglich des Tanzstils und der Bewegungsmuster gibt es zunächst einmal keine genaueren Vorgaben. Das Verhältnis zum Tanzen ist im Vergleich zu anderen Popmusiken insofern verändert, als man nicht auf bestimmte Songs/Tracks wartet, die gefallen und gekannt werden, sondern sich, aufgrund des permanent gleichbleibenden Beats, irgendwann entscheidet, zu tanzen und dann tanzt, bis man keine Lust mehr hat, einem die Musik nicht mehr gefällt oder man einfach zu erschöpft ist. In der einschlägigen Literatur werden die angenommenen psychischen und physischen Wirkungen stundenlangen Tanzens immer wieder mit dem Schlagwort Trancezustand und rituellen Stammestänzen afrikanischer, südamerikanischer oder asiatischer Völker verglichen, (ANM: vgl. Abschnitt 4.3.) was allerdings den Rahmen der überprüfbaren und daher verwendbaren Aussagen sprengt.

 

 

Techno-Parties als Ereigniskultur

 

Die Techno-Kultur kann zweifellos als eine Kultur des Ereignisses bezeichnet werden. An Reizen und von den beteiligten Individuen zu verarbeitenden Informationen kann es im Prinzip gar nicht genug geben. Als relevanteste materielle Ebenen dieser Ereigniskultur sind zu nennen:

 

a) Die Musik

Techno-Musik funktioniert rhythmisch primär über die Struktur der Repetetion. Häufig liegen in der Musik jedoch noch andere Tonspuren über der quasi die Basis bildenden repetetiven Rhythmusspur. Dabei handelt es sich entweder um Takt-Spuren, die bisweilen ihre Struktur verändern, manchmal kurzzeitig verstummen oder in sich kollabieren. Weiter finden oft gesampelte Geräusche aller Art ihre Verwendung. Im steten Fluß der rhythmischen Musik stellen dies quasi Sound-Ereignisse dar.

Die Musik wird auf Parties unglaublich laut abgespielt, Gespräche sind daher kaum führbar. Insbesondere die Vibrationen der lauten Bassfrequenzen führen oft dazu, daß die Musik nicht nur akustisch gehört, sondern auch körperlich gefühlt werden kann. Diese körperliche Dimension des Konsums von Musik muß als Stimulierung einer im Alltag kaum auftretenden sensuellen Ebene menschlicher Wahrnehmung angesehen werden und stützt daher die These von der Ereigniskultur.

 

b) Auswahl und visuelle Gestaltung des Party-Ortes

Techno-Parties können prinzipiell zunächst einmal überall stattfinden. Neben den regulären Veranstaltungen in Discotheken und Clubs finden immer wieder ein- oder mehrmahlige Parties in anderen Räumlichkeiten statt. Häufig ist dabei die Auswahl der Location bereits Teil des ästhetischen Konzepts der Party. Häufig feiert man in stillgelegten Industrieanlagen und im Sommer finden viele Parties im Freien statt. Darüber hinaus werden die Locations meist mit besonderen Dekorationen versehen. Diese Dekorationen variieren von Party zu Party, sind von der jeweiligen (musik-)stilistischen Ausrichtung abhängig und können prinzipiell aus allen vorstellbaren Materialien bestehen. Oft findet sich auf den die Party ankündigenden Flyern neben dem Ort, der Zeit und den DJ`s auch die Information, wer die Dekoration der betreffenden Party besorgt.

 

c) Licht, Visuals, Videos

Neben üblicher Discothekenbeleuchtung wie bunten Scheinwerfern und aufwendigen Licht-Projektionen, finden auf Techno-Parties vor allem Stroboskop und Nebelmaschine häufige Verwendung. Darüber hinaus werden oft weitere visuelle Formen wie Dia- und Videoprojektion hinzugezogen. Der Inhalt letzterer ist mehr oder weniger beliebig, hier kann prinzipiell alles, von den eigenen Urlaubsfotos über Farbkleckse bis zu aufgezeichneten TV-Sendungen verwendet werden.

 

d) Drogen

Fraglos werden auf Techno-Parties illegale Drogen konsumiert. Als die Droge der Techno-Kultur schlechthin gilt dabei im allgemeinen Ecstasy (MDMA). Auch Speed (Amphetamine), Haschisch/Marihuana/Cannabis, LSD und Kokain können hier genannt werden.

Die sozialen Konsequenzen des ausgeprägten Drogenkonsums in der Techno-Kultur können nur sehr grob und spekulativ umrissen werden. Fürs Erste mag es genügen, von der großen Verbreitung und Akzeptanz des Drogengebrauchs darauf zu schließen, daß die sozialen Praxen und Verhaltensweisen der Einzelnen im Rahmen Techno-Kultur maßgeblich von dieser Drogen-Kultur zumindest mit-beeinflusst werden. Darüber hinaus kann, ohne in schwärmerische Diskurse der Apologie des Drogenkonsums einzustimmen, davon ausgegangen werden, daß die enorme Verbreitung und Akzeptanz von Drogen die These von der Techno-Kultur als einer Ereigniskultur stützt und noch einmal unterstreicht.

 

 

2.3. Popmusik und assoziierte Jugendkulturen in den 90ern

 

Spätestens seit der Entstehung von Rock'n'Roll in den 50ern präsentieren sich die Geschichte der Popmusiken und die Geschichte der populären Jugendkulturen als ineinander verschränkte Phänomene. Das Verhältnis von Jugendkulturen und Popmusiken kann daher als reziprok bezeichnet werden.

 

 

Segmentarisierung und selbsternannte Minderheiten

 

In der aktuellen Situation fällt es dabei schwer, eine zentrale und dominante Popmusik auszumachen. Tom Holert und Mark Terkessidis konstatieren, daß sich seit Beginn der 90er in der Popmusik ein Prozeß der Segmentarisierung vollzieht, als dessen Ergebnis momentan mehrere vorliegende Popmusiken von verschiedenen Jugendkulturen als Bezugsrahmen verwendet werden. (ANM: Vgl. Tom Holert/Mark Terkessidis, Einführung in den Mainstream der Minderheiten) Die drei wichtigsten Varianten sind derzeit Alternative Rock, Hiphop und die Techno- und Rave-Musik.

Abgeleitet von Gilles Deleuze's Überlegungen zum Übergang von den Disziplinar- zu den Kontrollgesellschaften, ergibt sich dieses uneinheitliche Dispositiv. Deleuze notiert die allgemeine Krise der Institutionen und Einschließungsmilieus, gleichbedeutend mit dem "fortschreitenden und gestreuten Aufbau einer neuen Herrschaftsform".(ANM: Gilles Deleuze, Postskrpitum zu den Kontrollgesellschaften, S. 262) Die Segmentarisierungsthese kann also auch also Tendenz zur Pluralisierung aktueller Popmusiken verstanden werden.

Neben der Segmentarisierung sehen Holert/Terkessidis ein zweites Ergebnis dieser Entwicklung in der inzwischen gängigen Selbstinszenierung populärer Jugendkulturen als Minderheiten.

Mit der Selbst-Konstruktion einer Minderheit ist auch stets der Entwurf und die Konstruktion eines sich formierenden und dadurch emanzipierenden Subjekts verbunden. Neben dem konstruierten Kollektiv-Subjekt der Minderheit als ganzer, implizieren derartige Strategien gleichfalls die, oftmals suggestiv bleibende, Konstruktion eines individuellen Subjekt-Entwurfs; mit anderen Worten eine Stilfigur eines Individuums aus dieser Minderheit. Unter diesem Aspekt betrachtet, stellt die Segmentarisierung der mit Jugendkulturen verknüpften Popmusiken auch eine Vervielfältigung der in Popmusik konstruierten und enthaltenen individuellen Subjektentwürfe dar.

 

 

Subjektentwürfe in Rock und Hiphop

 

In den Diskursen über Popmusik und Jugendkulturen wird seit dem massiven Auftauchen der Hiphop-Kultur in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die Pop- und vor allem Rock-Geschichte als diesbezüglich von der Stilfigur des jungen, weißen Mannes mit der Gitarre dominierte diskutiert. Wenn man so will, fungiert diese Stilfigur als vorherrschender unbewußter und suggestiver Entwurf individueller Subjektivität innerhalb des Referenzrahmens Rockmusik und der ihm assoziierten Jugendkulturen.

Heute kann davon ausgegangen werden, daß diese Figur im aus der Independent-Musik der 80er hervorgegeangenen Alternative-Rock eine neue Heimat gefunden hat. An ihre Seite ist via Hiphop der sich organisierende, Sprechpositionen in der Gesellschaft reklamierende und sich durch diese Praxen zu einer formal vergleichbaren Stilfigur entwickelnde junge schwarze Mann getreten. Darüber hinaus können weitere Variationen des Konzepts angegeben werden: Die Riot Grrls beispielsweise als Versuch, Rock- und Punkmusik vom Frauenstandpunkt aus zu codieren (ANM: Vgl. Tom Holert/Mark Terkessidis, Einführung in den Mainstream der Minderheiten, S. 8) oder aber auch die partielle Verwobenheit von House-Musik und gay culture. In jedem Fall scheint es so, daß die derzeit gängigen Formationsregeln musikalisch geprägter Jugendkulturen bevorzugt über die Konstruktion eines identitären Subjekt-Entwurfs funktionieren.

 

 

Das Paradigma der Identität in den Diskursen über Popmusik

 

Im Zuge der skizzierten Entwicklung spezifizierte sich der Focus der Diskurse über Popmusik in den letzten Jahren zunehmend auf die Frage nach assoziierten Subjektivierungsmustern und den in den sozialen und künstlerischen Kontexten der Musik enthaltenen Subjekt-Stilfiguren. Zu einem zentralen Bestandteil dieser Diskurse wurde so das Thema der mit Popmusiken vermittelten und konstruierten Identitätsentwürfe.

 

Als historische Ursachen hierfür können zwei Aspekte angeführt werden: einerseits fällt die skizzierte Entwicklung von Hiphop zu einer relevanten Popmusik und -kultur, insbesondere unter dem Aspekt der durch Hiphop und die in dessen Rahmen getroffenen Aussagen forcierten Auseinandersetzung über Subjektfiguren in der Musik, ins Gewicht.

Andererseits können die spätestens seit Beginn der 90er Jahre in den Blick der Öffentlichkeit gerückten zahlreichen und insgesamt heterogenen neo-nationalistischen Tendenzen in aller Welt, jedoch insbesondere in der bundesrepublikanischen Gesellschaft angeführt werden. In diesem Kontext tauchten nun auch verstärkt jugend- und subkulturelle Organisationsformen auf und mit Nazirock wurde eine originäre Popmusik dieses Neo-Nationalismus entdeckt. (ANM: Vgl. zu diesem Thema ausführlich den von Max Annas und Ralph Christoph herausgegebenen Sammelband "Neue Soundtracks für den Volksempfänger", Edition ID-Archiv, Berlin 1993)

 

Die beiden Pole Hiphop und die Neo-Nationalismen der 90er Jahre führten so zu einer tendenziellen Politisierung der Diskurse über Popmusik in den letzten Jahren, innerhalb derer die Kategorie der Identität eine zentrale Rolle als Reflexions- und Beschreibungsfigur einnimmt.

Exemplarisch kann dafür der bekannte Popjournalist Diedrich Diederichsen genommen werden, der in seinem seit 1992 mehrfach überarbeitet erschienenen Aufsatz "The Kids are not alright" (ANM: Erschienen in: a) "Spex" 11-92, S. __; b) "Max Annas/Ralph Christoph (Hrsg.), Neue Soundtracks für dern Volksempfänger, S. 11-28; c) Diedrich Diederichsen, Freiheit macht arm, S. 253-283) das Identitätsthema an die zentrale Stelle der Analyse von Popmusik und ihr assoziierter Jugendkulturen gerückt hat. Diederichsen analysiert dort die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992, bei denen er via TV feststellt, daß einer der rassistischen Aggressoren eine aus dem Hiphop bekannte Baseball-Mütze mit dem Malcolm X-Zeichen trägt.

 

Diederichsen bestimmt die begriffliche Ausgangslage des neuen, sich aus Elementen von Popmusik, Jugendkultur und Politik zuammensetzenden Dispositivs anhand Hiphop wie folgt: "Rasse wie Jugend - werden sowohl als Zuschreibung, Entmündigung und Zwang eingesetzt, als auch, um im Moment des mit einem Fuß in der Tür Stehens, Forderungen zu formulieren, beide leisten das, was Identitäten leisten können: Sie sind wie Baseballschläger und werden in der Regel von der Macht benutzt". (ANM: Diedrich Diederichsen, The Kids are not alright, S. 264)

 

Die Kategorie der Identität wird also vor allem als politische oder zumindest sich politisch auswirkende Identität verwendet.

Deren Kriterien und Attribute leiten sich daher gleichfalls aus dem Spektrum des Politischen oder besser formuliert des politisch Codierten ab. Als allgemeines Orientierungsmuster, innerhalb dessen sich die Erörterung von Identität in der Regel formiert, können Diskurse um die drei Schlagworte Rasse, Klasse, Geschlecht gegeben werden, zu denen noch der Begriff der nationalen Identität hinzukommt, der zweifellos seit Beginn der 90er Jahre Hochkonjunktur hat.

 

"Identität betrachte ich als Waffe" (ANM: Diedrich Diederichsen, The kids are not alright, S. 265), definiert daher Diederichsen und "wer ohne primäre Not Identität verlangt, stiftet oder verehrt, ist ein Faschist." (ANM: ebd. 268)

Die Identitätskategorie wird hier also als politische Organisationform individueller oder kollektiver Subjekte verstanden. Häufig werden Pop- und Jugendkulturen daraufhin als "Nations, Tribes and Families" (ANM: Anette Weber, Miniaturstaat Rave-Nation, S. 46) beschrieben oder inszenieren sich gleich selbst als solche. (ANM: Man vergleiche den Begriff der "black nation", der im Hiphop eine große Rolle spielt.) Derart gefasst resultieren aus den identitären Beschreibungsweisen Bewertungskriterien für Popmusiken und sich auf sie beziehender Jugendkulturen.

 

 

 

2.4. Einordnung der Techno-Kultur in die skizzierte Situation und Darstellung des Forschungsvorhabens

 

 

Subjekt- und Identitätsentwürfe im Techno

 

Den Referenzrahmen Techno-Kultur in dieses Dispositiv einzuordnen fällt zunächst äußerst schwer. Einen verallgemeinerbaren Entwurf von Subjektivität, der sich obendrein auf eine dergestalte identitäre Stilfigur reduzieren ließe, scheint es kaum zu geben. Zwar existieren Versuche, den Akteur DJ zu einer solchen zu stilisieren (ANM: insbesondere Ulf Poschardt ist hier zu nennen, was später zu diskutieren sein wird, siehe Abschnitt 4.3.3.), doch bezweifle ich massiv, daá dies der Techno-Kultur gerecht wird.

Zwar kursieren desöfteren Parolen wie 'Jeder ist ein DJ', dennoch bleibt das Faktum, daß DJ's - seien es professionell arbeitende oder sogenannte Home-DJ's - nur einen verschwindend geringen Anteil der Leute ausmachen, die sich auf die Techno-Kultur beziehen und auf Techno-Parties gehen.

 

Gleichfalls fällt es schwer, der Techno-Kultur eine assoziierte Minderheit zuzuordnen. Zwar findet sich auch hier die Verwendung von Termen wie "Nations, Tribes and Families" (ANM: insbesondere die jeweiligen Motti solcher Großveranstaltungen wie der "Love Parade" oder des halbjährlich stattfindenden Riesen-Raves "Mayday" müssen hier genannt werden. Deren Titel lauten beispielsweise "We are one family" oder "One Nation under one Groove"), doch muß bezweifelt werden, daß dies über den Status bloßer Parolen hinausgeht.

 

Für eine sinnvolle und haltbare Diskussion auf der Basis des Identitätsparadigmas scheinen keine der in Frage kommenden Kriterien gegeben. Gesellschaftliche Ausschließungsmechanismen, die sich anhand der Begriffe Rasse, Klasse und Geschlecht oder vergleichbaren herleiten ließen und dadurch eine homogene Gruppe oder gar Minderheit konstituieren, existieren im Fall der Techno-Kultur wohl kaum.

Für Ulf Poschardt markiert die Techno-Kultur daher "einen entscheidenden Bruch. Während die Referenzkulturen von Disco, House und Hiphop aus den Ghettos kamen, ist die europäische DJ Culture überwiegend Produkt der mittelständischen Jugend." (ANM: Ulf Poschardt, Denn Kunst heißt neue Kunst, S. 146)

Formen politischer oder politisch codierbarer Identitätsentwürfe, die den aus Hiphop und Neo-Nationalismen abgeleiteten Begrifflichkeiten, vergleichbar wären und die eine über den Status bloßer Parolen hinausgehende Selbstinszenierung als Minderheit erlauben, existieren demnach wohl kaum in der Techno-Kultur.

 

Insgesamt scheint der Rahmen Techno-Kultur beim ersten Hinsehen also eher derart strukturiert, daß er sich den in den 90er Jahren gängigen Mustern identifikationsstiftender Stilfiguren und politisch codierbarer identitärer Subjektivitäten versperrt oder sich doch zumindest anders organisiert.

 

 

Zur Entstehung der Idee dieser Diplomarbeit

 

Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zu dieser Untersuchung.

Wichtig ist hierfür die Einsch"tzung, daß mir die skizzierte, am Paradigma der primär politisch codierten Identität orientierte Herangehensweise im Falle Techno-Kultur wenig brauchbar erscheint.

Als Beispiel hierfür kann Anette Webers Essay "Miniaturstaat Rave-Nation" angeführt werden. Weber analysiert dort mit dem anhand Diederichsen illustrierten Identitätsbegriff und kommt zu vernichtenden Ergebnissen. "So bezeichnet sich die Techno-Community als Nation. Gerade die Subalternen versuchten immer wieder, Begriffe wie Nation umgekehrt zu besetzen, um sich für einen Augenblick mit der Macht auf eine Stufe stellen zu können: Die prominentesten Beispiele sind sicher die verschiedenen Versionen von Black Mationalism. Die Techno-Nation agiert allerdings nicht von unten gegen eine Mehrheit und nutzt dabei deren Konzepte, sondern sie passt sich der Form real existierender Mehrheitsnationen an." (ANM: Anette Weber, Miniaturstaat Rave-Nation, S. 47)

Meine These ist, daß solche Herangehensweisen mit ziemlicher Zwangsläufigkeit derart vernichtende Urteile nach sich ziehen und daher kaum in der Lage sind, zum Thema Techno-Kultur brauchbare Aussagen zu formulieren.

Konterkarieren kann man Webers Argumentation mit Auszügen aus einem Gespr"ch zwischen Rainald Goetz und Sven Väth, in dem sie prinzipiell ein ähnliches Thema diskutieren:

"Sven: ... Was ich aber generell ablehne, das sind Parolen. So Sachen wie ´Forward ever, backwards never´ oder ´No more fucking Rock'n'Roll´. Wo ich denke, der Spruch ist eigentlich geil, aber als Parole ist das Quatsch.

R.: Ich verstehe die Parolen von Low Spirit eher als Punk, als Witz.

Sven: Für mich ist das Rock'n'Roll.

R.: Das macht ja nichts. Ich will das trennen: was die Leute sagen über ihre Sachen und wie das wirklich abgeht, wirkt und funktioniert. ... so ist die Gefahr bei Low Spirit vielleicht, plötzlich wirklich allen Ernstes im gesellschaftlichen Diskurs politisch was sagen zu wollen." (ANM: Rainald Goetz/Michi Kern, Sven Väth - Maniac Love. The Tokyo Tapes, in: Tempo September 94, S.72/73)

 

Sowohl Anette Weber als auch Sven Väth und Rainald Goetz diskutieren vorliegende Parolen aus der Techno-Kultur. Die diesen gegenüber eingenomme Haltung unterscheidet sich jedoch enorm. Weber nimmt den Aussageinhalt der Parolen sehr ernst und unterstellt ihm, er würde für oder im Namen von Techno sprechen. Sie behandelt die Parolen als repräsentative Sprechakte, die implizite Aussagen über die Organisationsweise und Verfasstheit der Techno-Kultur beinhalten, welche auf ihre gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen hin befragt werden können. Demgegenüber bestimmen Väth/Goetz derartige Parolen übereinstimmend als "Quatsch" und "Witz", da sie nichts mit Techno zu tun haben.

 

Genau diese Diskrepanz in der Herangehensweise scheint mir auf ein Grundproblem zu verweisen, das sich stets aufbaut, wenn versucht wird, sich mit Techno analytisch und wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

Für die Techno-Kultur scheint es einen äußerst spezifischen Umgang mit Sprache und eine hieraus resultierende genauso spezifische Funktion dieser zu geben. Zunächst kann vermutet werden, daß es sich hierbei um eine deutliche geringere Bedeutung von Sprache handeln könnte. Der weitgehende Verzicht von Techno-Musik auf Sprache und der im Väth/Goetz-Zitat anschaulich dargestellte vergleichsweise laxe Umgang mit ansonsten bedeutungsvollen Begriffen zeigen dies an.

 

 

Das Forschungsvorhaben

 

Mit den beiden Stichworten Sprache und identitäre Subjektentwürfe sind die beiden folgenden Untersuchungsfelder bereits grob umrissen. Die beiden Aspekte geben ziemlich genau die Komplexe an, welche die Techno-Kultur von anderen vergleichbaren Pop- und Jugendkulturen vordergründig unterscheiden.

 

Das Forschungsvorhaben kann also auf die übergeordnete Frage zugespitzt werden:

Welche Rolle spielen die Kategorien der Sprache und der Identität im Rahmen der Techno-Kultur.

 

 

Erläuterung der Vorgehensweise

 

Im ersten Hauptteil soll ausführlich die Frage nach der Funktion und der Funktionsweise der Sprache in der Techno-Kultur gestellt werden. Dies erklärt sich auch vor dem Hintergrund, daß Techno immer wieder gerne als sprachlose Kulturform bezeichnet wird. Diese Behauptung scheint mir zwar vordergründig nachvollziehbar, dennoch darf nicht vergessen werden, daß auf Techno-Parties natürlich auch gesprochen wird.

 

Die Untersuchung der Funktion von Sprache wird sich konkret in fünf Teile gliedern. Nach den einleitenden Vorbemerkungen schließt sich eine Auseinandersetzung mit dem vielleicht offensichtlichsten Anzeichen der besonderen Funktion der Sprache an: der Tatsache, daß in Techno-Musik in der Regel nicht gesprochen wird.

Im darauffolgenden Teil wird die Frage gestellt, welche Schwierigkeiten (offenbar stets, wie sich zeigen wird) auftauchen, wenn versucht wird, über Techno in essayistischer, wissenschaftlicher und literarischer Form zu sprechen. Hieraus können erste weiterführende Ableitungen zur Situation der Sprache in der Techno-Kultur gewonnen werden.

Im vierten Teil werden ausführlich die vorliegenden Techno-Zeitschriften und die in ihnen enthaltenen Diskurse analysiert. Das Vorgehen stützt sich dort vor allem auf Foucaults Konzept der Diskursanalyse. Dieser Ansatz abstrahiert weitgehend vom Wahrheits- und Bedeutungsanspruch der untersuchten Aussagen und entwickelt eine Analyseform, die sich auf den spezifischen Bereich des Diskursiven beschränkt. (ANM: vgl. Abschnitt 3.4.1.) Dies erscheint insofern hilfreich, als aufgrund des bereits angedeuteten 'laxen Umgangs mit der Sprache' in der Techno-Kultur sich nach meiner Recherche eine Situation darstellt, daß mit in Techno-Zeitschriften enthaltenen Aussagen prinzipiell so gut wie jede inhaltliche Konstruktion belegt werden kann.

Die Ergebnisse dieser Teile werden schließlich im fünften Abschnitt zusammenfassend diskutiert. Dabei wird die Frage nach dem vorliegenden Diskurstyp geklärt.

 

Der zweite Hauptteil wird hinsichtlich der Frage nach Konzepten von Subjekt und Identität in der Techno-Kultur ausgerichtet.

Zu Beginn steht dabei eine ausführliche Thematisierung der theoretischen Eingepasstheit der beiden Kategorien in das Denken des Poststrukturalismus und der Postmoderne, die als Basis der weiteren Untersuchung dient. Es schließt sich die Auseinandersetzung mit der Existenzweise der Autorkategorie an, verstanden als spezifische Form eines identifizierbaren Subjekts. In einem dritten Teil wird gesondert die Funktion und Eingebundenheit des Körpers in die Alltagspraktiken der Techno-Kultur diskutiert, woraus sich erste Ableitungen zur Frage der spezifischen Verfaßtheit von Identität ergeben. Im abschließenden vierten Teil soll schließlich die Frage nach der vorliegenden Art und Weise der Identitätsformation im Rahmen Techno-Kultur zusammengefaßt und beantwortet werden.

 

 

Die Untersuchung wird sich, was das Material aus der Techno-Kultur anbelangt, weitgehend auf umfangreich vorliegende Techno-Zeitschriften stützen. Die vorliegende Literatur im Feld wissenschaftlicher und analytisch-reflexiver Auseinandersetzungen mit dem Thema ist dagegen eher rar gesät. Hier sind besonders "Techno", das von Philip Anz und Patrick Walder herausgegeben wurde und Ulf Poschardts "DJ-Culture" zu nennen, auf die ich im Laufe der Arbeit immer wieder zurückgreifen werde.