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    VORWORT

Technomusik ist nach wie vor ein Phänomen, das stets Kontroversen auslöst: nur zu gut kennt man erhitzte Debatten, in denen die verbreitete Rede von der seelenlosen Maschinenmusik, in der das Humane verschwindet und die Menschlichkeit abgeschafft ist, geführt wird.
Meist belassen es diese Positionen dabei, die Sache abzukanzeln und sie dann schnell zu den Akten zu legen.
Für jeden, der sich für Techno interessiert und Techno mag, was selbstverständlich auch für mich gilt, führen derartige Äußerungen allenfalls zu einem Schmunzeln, weil da mal wieder jemand überhaupt nichts verstanden hat, und man das so eigentlich ganz okay findet. Denn ändern tut das ohnehin nichts.
Diese Einschäzung zur Mentalitätsfrage kann nach zahlreichen Stunden der teilnehmenden Beobachtung mit ziemlicher Gewißheit gegeben werden.

"Techno hat mit vielem gebrochen. Techno schließt ein und aus. Entweder du fährst ab oder nicht." (ANM: Walder/Anz, Vorwort zu Techno, S. 7)

Trotz akzeptierter Massenveranstaltungen wie der 'Love Parade': Techno scheint ein Ort zu sein, an den sich das Prinzip Jugendkultur verzogen hat, um mal wieder alle, die nicht bereit sind mitzumachen, vor den Kopf zu stoßen. Denn Techno erweckt den Eindruck, nur schwer in die Geschichte der sich auf Popmusiken beziehenden und sich über Popmusik definierenden Jugendkulturen einbezogen werden zu können. Während im nur einige Jahre zuvor populär gewordenen Hiphop unablässig geredet wird und sich das Politische auch ohne detektivische Energie in jedem zweiten Satz aufspüren läßt, fragt man sich bei Techno stets, was an dieser Jugendkultur denn noch rebellisch, widerständig und opponierend ist.

Diedrich Diederichsen beschreibt Techno darauf bezugnehmend als "die erste Jugendkultur, die nicht intentional ist, die nicht mehr etwas abschaffen, einführen, kritisieren, ironisieren, überwinden will, das außerhalb von ihr selbst liegt. In ihr ist die glückliche Kleinfamilie zur großen Riesenfamilie geworden, zu der jeder Zutritt hat, der nichts anderes will, als dieses Glück. Das hat den Vorteil, daß der Macht jede Zuschreibung, jedes selbst angegegebene Ziel, das sie braucht, um einen Kult verwaltbar zu machen, vorenthalten wird. Es hat den Nachteil, daß die Idee der Politik, der Öffentlichkeit, der Wirkung, des Gewinnens einer Wirklichkeit damit endgültig aufgegeben worden zu sein scheint." (ANM: Diederichsen, Lost in Music, S. 32)

Die von Diederichsen aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit von Politik, scheint mir im wesentlichen auf die beiden Aspekte des Subjekts, als vorausgesetzter Kategorie der Möglichkeit von Politik, und der Sprache, als bevorzugtes Medium, in dem sich das Politische äußert, zuspitzbar. Vor diesem Hintergrund kann die vorliegende Arbeit auch als Versuch angesehen werden, der Argumente liefern will, mit denen allzu voreiligen Abkanzlungen von Techno entgegengewirkt werden kann.
Für die oft zitierte Sprachverweigerung, hinsichtlich der Techno immer wieder interpretiert wird, kann es auch andere Gründe als Hedonismus und plumpe Angepaßtheit geben.
Es gibt nun einmal Momente, in denen es klüger und angebrachter ist, den Mund zu halten und zu schweigen. Was derart im Alltag den Status einer Binsenweisheit besitzt, kann durchaus auch unter politischen Vorzeichen eine brauchbare Strategie abgegeben.

Andererseits beinhalten solche Gedanken auch wieder problematische Aspekte. Ist man also bereit, der Techno-Kultur durchaus politische Aspekte zu unterstellen, stellt sich sofort die Frage, weswegen man dies dann ausprechen und in Worte formulieren soll. Schließlich wäre das kaum im Sinne des Erfinders und der wird sich schon etwas dabei gedacht haben.

Mir fallen jedenfalls zu dem Problemkomplex immer die folgenden Worte ein:

"Meistens, wenn ich eine Frage gestellt bekomme (selbst wenn sie mich berührt), wird mir klar, daß ich absolut nichts zu sagen habe. (...) Ein Problem (eine Problemstellung) wird erfunden, bevor eine Lösung gefunden ist. Nichts dergleichen geschieht jedoch im Interview, im Dialog, in der Diskussion. Nicht einmal die Reflexion - allein, zu zweit oder zu mehreren - reicht da aus, ja gerade sie nicht. Noch schlimmer ist es mit Einwänden. Wann immer man mir mit einem Einwand kommt, möchte ich am liebsten sagen: Einverstanden, einverstanden, gehen wir weiter ..." (ANM: Deleuze/Parnet, Dialoge, S. 9)

Mit dem assoziativen Einflechten des Namens Gilles Deleuze ist auch bereits der zweite Aspekt dieser Arbeit angerissen: die Auseinandersetzung mit zahlreichen Texten des französischen Poststrukturalismus. Von den unter diesem Oberbegriff gruppierten Autoren werden vor allem die Arbeiten Michel Foucaults zu den Aspekten der Analyse von Diskursen und der Formierung von Subjekten einen permanenten - und wie ich hoffe produktiven - Orientierungsfaktor in der vorliegenden Untersuchung bilden. Darüber hinaus finden Texte und Aussagen von Jean-Francois Lyotard, Roland Barthes und Gilles Deleuze Verwendung, die allerdings nicht in vergleichbarem Umfang herangezogen werden.

Die Arbeitsweise kann vielleicht grob damit beschrieben werden, daß mit poststrukturalistischen Denkansätzen die Techno-Kultur untersucht werden soll. Neben meiner unbestreitbaren perönlichen Präferenz für dieses Denken, fand ich in den vergangenen Jahren immer wieder Anzeichen, die darauf hindeuteten, daß durchaus ein Bezug zwischen den beiden Aspekten besteht oder hergestellt werden kann. So existiert beispielsweise seit einigen Jahren eine Plattenfirma, die nur Techno-Musik veröffentlicht, und die sich an das bekannte Buch von Gilles Deleuze und Felix Guattari angelehnt "Mille Plateaux" nennt. Zwar kann die dort veröffentlichte Musik kaum als standardisierter Techno bezeichnet werden, da es sich weitgehend um Gehversuche von Technomusikern im Feld elektronisch-experimenteller E-Musik handelt, dennoch ließ mich der Zusammenhang aufhorchen.
Die Möglichkeit, poststrukturalistisches Denken und die Techno-Kultur miteinander in Bezug zu setzen, einmal eröffnet, fanden sich im Laufe der Zeit weitere Indizien, die auf Querverbindungen schließen ließen.

Vor diesem Gesamthintergrund fiel die Wahl dann auf das vorliegende Thema. Insgesamt handelt es sich daher in der Arbeit um eine doppelt verwickelte Perspektive, aus der heraus die Untersuchung vorgenommen wird.