aphasie b007
commerziale, Klasse II


Die tumbste Weise, wie Diskurs zu produzieren sei.

Profane Textvariante gleich Kulturkritik. Es trifft eine Drum´n´Bass Platte.

Seit geraumer Zeit pfeifen es die Spatzen von den Discodächern: Drum´n´Bass ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Doch leider können in die Jahre gekommene Musikstile bei ersten Krisenanzeichen nicht flugs den Trainer wechseln oder unrentable Aktienpakete mal eben so abstossen. Die bösen dunklen Sounds führten leider irgendwie in die Sackgasse und was liegt da näher, als nun zunächst einmal etwas Archäologie zu betreiben.
Trifft sich doch ausgezeichnet, dass Paul Pesce alias Peshay jetzt endlich nach zwei Jahren doch noch seine neue Platte fertigbekommen hat. Peshay kontextualisiert Drum´n´Bass im Rahmen dessen, was man grosskotzig-ethnifizierend "die schwarze Musikgeschichte" nennen könnte. Der Seniore aus Turin ist letztlich ein alter Jazzfreak – das konnte man schon seinen Releases auf Reinforced und Metalheadz anhören. Auf "Miles from Home" (ziemlich plumpes Wortspiel) erhöht er nun einfach die Jazz-Dosis und nimmt das Tempo raus. Die Soul-, Funk- und Hiphop-Geschichte kommt ebenfalls ausgiebig zu Wort und es gibt nur einen einzigen prinzipiell fürchterlich abgedroschenen Begriff, um diese Musik zu beschreiben: Style. Die Drum´n´Bass-Krise wird so zwar bestimmt nicht gelöst, aber das will diese Platte ohnehin nicht. Hier geht es um gepflegte Kultiviertheit. Warum soll man sich überhaupt mit solch tiefschürfenden Dingen beschäftigen? Wenn ihr wie ich gerade eine neue Wohnung bezogen habt, dort womöglich ein Zimmer auserkoren habt, ein kleines bisschen Salonkultur in euer tristes Leben zu bringen, dann legt euch unbedingt dieses Machwerk zu. Peshay hat Stil, weil er Stil haben will. "Miles from Home" ist einfach nur angenehm relaxt und will es auch sein. Zurückhaltend und kühl wird ein Querschnitt durch die Historie sogenannter schwarzer Musik serviert – eigentlich eine Frechheit sondersgleichen. So viel dick aufgetragene Open-Mindedness habe ich nicht mehr erlebt, seit ich der Hippie-Goa-Clique, mit der ich früher um die Häuser zog, die Freundschaft aufgekündigt habe. .

Aber das hier ist anders. Traut euch, macht ein gepflegtes Fläschchen Rotwein dazu auf, darf heute ruhig mal mehr als 10 Mark kosten. Rückt dazu die blauen MEW-Bände im Ikea-Bücherregel nach vorne, dreht eine rote Glühbirne in die Stehlampe und lasst die todschicken "New Balance"-Turnschuhe von den Füssen gleiten. Dann lehnt euch zurück, nippt am Glas und es wird euch mit "Miles from Home" gut gehen.

Peshay, "Miles from Home". CD/LP auf Mercury.