> diskus 1.03

Soziale Uni - Uni sozial?

Der Turm – unendliche geistige Weiten – oder auch nur der materielle Ort geisteswissenschaftlicher Produktion in Frankfurt: Auf dem Weg zum Seminar erklimmt ein Student in Zeiten chronisch überlasteter oder ausgefallener Aufzüge das zweite Stockwerk. Das Flair der 70er Jahre: orangene Türen, angegraute, gelblich gestrichene Wände, welche derzeit von den Zeichen vergangener studentischer Aneignungen, Plakaten und gesprühten Sprüchen befreit werden. Oben angekommen Lärm und Tumult im sonst eher ruhigen Stockwerk: Ein junger Mann brüllt Unverständliches, Rangelei, Schläge werden ausgetauscht. Der Mann bedrängt einen anderen, der Angegriffene wehrt sich. Das Ganze wird umringt von einer handvoll »nicht-deutschen« Frauen und Männern. Als der Student auf der Bildfläche auftaucht, beruhigt sich die Situation. Der angegriffene Mann wendet sich an ihn. Er scheint ein Vorgesetzter zu sein und behauptet, der Angreifer habe angefangen und seine Arbeit nicht gemacht. Schnell stellt sich heraus, dass der Grund der Auseinandersetzung ein nicht ausbezahlter Lohn für eine Reinigungskraft ist. Der angreifende junge Mann ist entlassen worden. Der Student schaut ein wenig verwundert und fragt sich, wie er sich verhalten soll. Die Bullen rufen? Der Angegriffene, etwas älter und gesetzter, hat jetzt das Handy am Ohr und telefoniert offensichtlich mit seinem Chef. Die Lage scheint sich beruhigt zu haben, der Student geht zögernd weiter in sein Seminar. [1]

Was sich hier abgespielt hat, ist kein Einzelfall, sondern eine – wenn nicht die – neue Form, die Arbeitskämpfe im und um den Sozialstaat derzeit annehmen. Als Einzelner steht der junge Migrant vor seinem Vorarbeiter, der seinen Arbeitgeber repräsentiert. Er ist bereits entlassen und ob er nun seine Arbeit tatsächlich nicht oder schlecht gemacht hat, spielt keine Rolle mehr. Wahrscheinlich wird die Arbeit schon von einem anderen erledigt. Er scheint jedoch zu hoffen, in der körperlichen Auseinandersetzung seine Lohnnachforderungen noch durchsetzen zu können. Der Kampf um Entlohnung und Arbeitsrechte findet hier, weit ab vom Kern der Institutionen, seinen Ausdruck. Im Vergleich zu den 70er Jahren erscheint der Kampf als individueller, als Kampf von einzelnen »Privatpersonen« um ihren Lohn. Was sich oben als etwas merkwürdige Situation und Einzelfall darstellt, repräsentiert und symbolisiert die Arbeitsverhältnisse der prekarisiert Beschäftigten.

Sozialstaat


In der derzeitigen Debatte wird der Sozialstaat oft nur als Institution verstanden, die unmittelbare soziale Leistungen an bed ürftige BürgerInnen wie Arbeitslose oder SozialhilfeempfängerInnen auszahlt. Dieses Verständnis greift jedoch zu kurz und verhindert, Kämpfe wie den obigen zu verstehen.

In den Debatten der 60er und 70er Jahre wurde der Sozialstaat noch viel umfassender konzipiert. Die ökonomische Entwicklung galt grundsätzlich als steuer- und beherrschbar. Die Theorie des Keynesian-ismus versprach, dass mit kontrazyklischen Interventionen des Staates die wirtschaftliche Entwicklung in gleichmäßige Bahnen gelenkt werden könne. Staat-liche Verschuldung finanzierte die Investitionen und Ausgaben, die in der ökonomischen Krise die private und unternehmerische Nachfrage anregen sollten. Tatsächlich war die Zeit bis zum Ende der 70er Jahre von einer relativ starken Konjunktur geprägt, so dass man annahm, auch weiterhin die wachsenden staatlichen Schulden später aus den ebenso wachsenden Steuereinnahmen bezahlen zu können.

Die gesellschaftliche Steuerung durch den Staat wurde jedoch nicht als allein ökonomische Anpassung der Nachfrage an die Produktion verstanden. Der Staat sollte allen seinen BürgerInnen Zugang zum erwirtschafteten Wohlstand gewähren können. Dies sollte nicht nur durch staatliche Umverteilung und Steuerung der Rahmenbedingungen geschehen (wie die den Korporatismus ermöglichende Tarifgesetzgebung oder der Aufbau eines breiten Bildungsapparates), sondern auch durch die Vorbildfunktion und Maßstabssetzung im wachsenden staatlichen Sektor. Arbeitszeitregelungen, ArbeitnehmerInnenrechte, Aus- und Fortbildung etc. wurden erkämpft, aber auch von oben gewährt. Die Einhaltung erkämpfter ArbeitnehmerInnenrechte wurde durch die breite gewerkschaftliche Organisation »überwacht«. Auch dies war integraler Bestandteil sozialstaatlicher Organisation.

Das erweiterte Verständnis des Sozialstaates spielt in der heutigen Debatte allerdings keine Rolle mehr. In der derzeitigen Reorganisation wird Arbeit nur noch unter dem Kostengesichtspunkt betrachtet. In den Auseinandersetzungen werden massiv Löhne gesenkt oder (wettbewerbliche) Mechanismen zur Lohnsenkung eingebaut. In der Folge werden die Arbeitskämpfe der Beschäftigten im öffentlichen Dienst vor allem als rücksichtslose Verteidigung von Besitzständen der Beschäftigten auf Kosten der Allgemeinheit verstanden und nicht als Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Gestaltung von Arbeitsverhältnissen insgesamt. Wird in einigen Bereichen dieser Kampf noch in fordistischen Formen der Tarifauseinandersetzung offen ausgetragen, so hat sich in anderen, wie in der eingangs beschriebenen Auseinandersetzung, schon ein Wandel vollzogen.

Umbau der Uni

Gegen 17. 30 Uhr kommt immer dieselbe Putzfrau [2] von der Reinigungsfirma ins Büro, grüßt zurückhaltend, leert die Mülleimer, wischt über die Tische und alle paar Tage saugt sie den Teppich. Letzte Weihnachten hatte die Mitarbeiterin, die das Büro nutzt, ihr eine Kleinigkeit geschenkt und immer wieder versucht ein paar Sätze mit ihr zu wechseln. Ein schwieriges Unterfangen, da die Frau kaum ein Wort Deutsch spricht und sich auch sonst keine gemeinsame Sprache findet. Die Mitarbeiterin fühlt sich immer wieder unwohl, wenn dieser stille Geist in ihr Büro kommt, manchmal springt sie auf und reicht ihr den Mülleimer. War es nicht komisch, dass sie sich fast jeden Tag sahen und nichts voneinander wussten? Deswegen die vielleicht etwas hilflosen Versuche einer Kommunikation.
Doch an diesem Tag ist es anders. Die Frau kommt ins Büro und reagiert auf den Gruß nicht wie sonst mit einem zurückhaltenden Lächeln sondern fängt an zu weinen. Sie sei entlassen worden, da ihre Firma keine Aufträge mehr an der Universität habe und ihr Chef sie deswegen nicht mehr bezahlen könne.

Wurde lange Zeit die Reinigung der universitären Gebäude von Angestellten der Universität und damit des Staates selbst vorgenommen, hat sich dies entscheidend gewandelt. Heute sind die alten universitären Reinigungskräfte längst in Rente und die Reinigungsleistungen werden von der Universitätsverwaltung öffentlich ausgeschrieben. Private Reinigungsfirmen erbringen die Leistung. Dazu wird zunächst der Umfang der Reinigungsleistungen in einem Ausschreibungskatalog durch die Universitätsverwaltung bestimmt. Diese werden dann für eine bestimmte Zeit – an der Uni für ein Jahr – öffentlich ausgeschrieben. Der billigste private Anbieter der Leistung erhält den Zuschlag. Dieses Verfahren soll in Zeiten knapper öffentlicher Kassen die als ineffizient ausgemachte Leistungserbringung des Staates durch die effizientere privatwirtschaftliche – wettbewerbsorientierte – Erstellung der Reinigungsleistung ablösen – so zumindest die neoliberale Vorstellung der »Modernisierer«. Was im Neusprech Effizienzsteigerung und Aufbrechen verkrusteter staatlicher Strukturen genannt wird, bedeutet jedoch, dass die Beschäftigungsverhältnisse sowohl im Sektor der Gebäudereinigung als auch in anderen Niedriglohnbereichen bei unveränderten Aufgaben aus den Regelungen des öffentlichen Dienstes und damit den vormaligen sozialen »Maßstäben« bewusst heraus genommen werden. Diese sind somit keine »Normalarbeitsverhältnisse« mehr, sondern werden in viele kleine »geringfügige« Beschäftigungsverhältnisse in privaten Unternehmen aufgeteilt. Zwar verkünden die Protagonisten des staatlich inszenierten (Ausschreibungs)Wettbewerbs, dass soziale Standards wie Tariflohn und Rechte der Beschäftigten etc. in die Ausschreibungskataloge aufgenommen werden könnten. Immer wieder zeigt sich jedoch, dass sie entweder nicht enthalten sind oder wenn doch, von den Unternehmen nicht eingehalten werden.

Effiziente Arbeit

Da Reinigungsleistungen im wesentlichen aus direkter menschlicher (Hand-)Arbeit und nur zu einem geringen Teil aus dem Einsatz technischer Geräte bestehen, wird der Ausschreibungswettbewerb zu einem Wettbewerb um die geringsten Personalkosten. Das erzeugt einen enormen Druck auf die Löhne aber auch auf die ArbeitnehmerInnen während der Arbeit selbst. Zum einen sehen sich diese mit der Anforderung konfrontiert, immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit erledigen zu müssen. Einzelnen ArbeitnehmerInnen werden bestimmte Aufgaben oder ein Objekt (z. B. ein Gebäude oder Gebäudeteil) übertragen, wofür sie eine bestimmte Anzahl von Stunden bezahlt werden. Meist sind aber die Aufgaben nicht in der vorgesehenen Zeit zu schaffen, so dass dies durch unentlohnte Mehrarbeit von den Reinigungskräften aufgefangen werden muss, wenn sie den Job behalten wollen.

Zum anderen führt ein Mechanismus, den man »Beschwerdeprinzip« nennen könnte, zu starkem Druck auf die Reinigungskräfte. Bei diesem Mechanismus ist das maßgebliche Kriterium, ob und wie oft ein Bereich gereinigt wird, faktisch nicht vom Ausschreibungskatalog abhängig, sondern von den Beschwerden der NutzerInnen des jeweiligen Bereiches. Wird sich häufig und von in der Wahrnehmung der Reinigungskräfte hoch stehenden Personen beschwert, wird entsprechend häufig und gründlich gereinigt. Die übrigen Bereiche werden hingegen nicht mehr so häufig oder nur noch oberflächlich gereinigt. Da die Reinigungskräfte meist direkt mit den Beschwerden konfrontiert werden, übernehmen sie unfreiwillig eine Vermittlerposition zwischen den Ansprüchen der Auftraggeber und den Reinigungsunternehmen. Dabei erhöhen die Beschwerden den Druck auf die ArbeitnehmerInnen, da sie auch hier fürchten müssen, ihren Job zu verlieren, wenn zunächst nur ihnen gegenüber geäußerte Beschwerden auf »offiziellem« Weg die Reinigungsfirma erreichen. Oft wird versucht, solche »offiziellen« Beschwerden durch Mehrarbeit zu verhindern, ohne dass dies vom Unternehmen direkt eingefordert werden müsste.

Beide Mechanismen, sowohl unbezahlte Mehrarbeit zu erzwingen, als auch die »Optimierung« durch das Beschwerdeprinzip, erzeugen hohen Druck auf die ArbeitnehmerInnen und intensivieren die Arbeit immer wieder neu. Sie werden zum einen durch die Ausschreibungen strukturell erzeugt und zum anderen von den Reinigungsunternehmen bewusst einkalkuliert.

Unsichtbar

Abhängig von Jobs in Reinigungsfirmen sind in der Regel MigrantInnen, oft mit ungesicherter Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Einerseits ermöglichen die mangelnden Kontrollen und Überwachung von Arbeitsrechten das Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis, andererseits sind besonders rassistische und sexistische Diskriminierungen bei der Einstellung und während der Arbeit Realität. Die konkrete Situation der Beschäftigten zu erforschen, gestaltet sich aber besonders schwierig, weil diese Arbeitsverhältnisse auch und gerade an der Universität systematisch unsichtbar gemacht werden. Für die Gebäudereinigung ist allein eine zentrale Verwaltungseinheit der Universität zuständig, die weit weg und kaum zu erreichen ist. Informationen zu den Vergaberichtlinien werden von ihr auf Nachfrage wie Geheimnisse behandelt und nicht ohne weiteres weiter gegeben, der Namen der beauftragten Firmen taucht im universitären Alltag nicht auf. Folglich ziehen für die meisten NutzerInnen irgendwelche Unbekannten am frühen Abend oder Morgen durch den Turm und beseitigen die schmutzigen Hinterlassenschaften des Studierens, Lehrens und Forschens. So hat die im Turmgebäude stattfindende geisteswissenschaftliche Produktion strukturell und systematisch nichts mit der Realität ihrer manuellen Voraussetzungen wie der Reinigung zu tun. Wenn sie trotzdem versucht, sich mit diesen Bedingungen in ein Verhältnis zusetzen, dann bleibt dies oft ein nachträglich abstrakter Versuch. Die Arbeitsverhältnisse und die Menschen in ihnen werden erst in einem nachträglichen Akt sichtbar gemacht, anstatt sie von vorn herein mitzudenken. Deswegen wissen wir über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen von Reinigungskräften nur wenig bis gar nichts und es gibt nur sehr wenige Untersuchungen zu diesem Thema. Eine Diplomarbeit von 2002 kann trotz der geringen vorhandenen Literatur sowie dem schwierigen Zugang zu diesem Gebiet von Arbeitsverhältnissen einige Ergebnisse vorweisen. [3] Zwar ist der Zugang zu den so genannten »schwarzen Schafen« der Branche bei Recherchen so gut wie unmöglich und es gibt fast nur Informationen über solche Reinigungskräfte, die nach arbeitsrechtlichen Standards beschäftigt werden, doch auch in diesen Unternehmen wirken die oben genannten Mechanismen von unbezahlter Mehrarbeit durch Verkürzung der bezahlten Stunden bei gleich bleibender Arbeit.

Öffentlich / Privat einmal anders

Öffentliche Auftraggeber machen in der Ausschreibung durchaus bestimmte Mindestbedingungen für ArbeitnehmerInnen in den Vergaberichtlinien zu Vertragsbedingungen. Die Einhaltung wird jedoch so gut wie nie überprüft, was zu systematischer Missachtung führt. Ein Beleg mehr dafür, dass sich die Vorgaben der öffentlichen Einrichtungen – auf der einen Seite arbeitsrechtliche Standards einhalten zu müssen, auf der anderen Seite das günstigste Angebot annehmen zu müssen – grundlegend widersprechen und ohne Kontrollen zu Ungunsten der Beschäftigten allein in eine Richtung entschieden werden. Es zeigt sich, dass öffentliche Auftraggeber nicht mehr wie früher eine wie auch immer geartete Vorbildfunktion für Beschäftigungsverhältnisse abgeben oder Maßstabscharakter für die private Wirtschaft haben, sondern dass das Gegenteil Realität ist. So entsteht eine Situation in der private Auftraggeber bereit sind, in bestimmten Bereichen mehr zu zahlen und öffentliche Aufträge von manchen Reinigungsunternehmen nicht mehr angenommen werden, da ihre Kalkulation oft zu knapp wird.

Vormals wurden von staatlichen Einrichtungen Reinigungstätigkeiten höher entlohnt als von privatwirtschaftlichen Unternehmen und die Beschäftigten fanden bessere Arbeitsbedingungen vor, weil die öffentliche Hand nicht nach Kosten-Nutzen-Kalkülen rechnete, sondern nach notwendigem Aufwand bei vorgegebenen Arbeitsverhältnissen. Heute sind es gerade die staatlichen Institutionen, die jede Tätigkeit allein unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung organisieren, während eine Orientierung am Ergebnis vollständig entfällt. Systematisch wird zum einen die verschärfte Ausbeutung vor allem prekärer migrantischer Arbeit und die Verschlechterung der Reinigung in Kauf genommen (wenn z. B. Bereiche nach einer Beschwerde weniger oder nicht mehr gereinigt werden). Dagegen können private Unternehmen Dienstleistungen besser honorieren, sofern sie sich positive Effekte für das Unternehmen davon erhoffen. So gibt es in der »bösen« freien Wirtschaft oft (aber nicht immer) bessere Arbeitsverhältnisse als in den restrukturierten staatlichen Institutionen.

Arbeitsverhältnisse

So einfach kann es ja nicht gehen. Mühsam versucht die Mitarbeiterin der Putzfrau zu verstehen zu geben, dass ihr Chef sie nicht so ohne weiteres nach Wegfall eines Auftrags kündigen kann. Wenn es andere Arbeit gäbe, müsste er sie weiter beschäftigen. Sie gibt ihr ihre Telefonnummer mit. Einen Tag später ruft die Tochter der Putzfrau an. Was sie denn nun ihrer Mutter hätte sagen wollen. Die Mitarbeiterin wiederholt alles und gibt noch die Nummer eines befreundeten Anwaltsbüros weiter. Es geschieht ein paar Tage nichts. Als sie später nachfragt, erfährt sie, dass die Reinigungsfirma der Frau, nachdem sie die Kündigung nicht akzeptiert hatte und der Anwalt einen entsprechenden Brief geschrieben hatte, einen Job weit weg von ihrem Wohnort angeboten hat. Sie habe sich aber schon beim Studentenwerk beworben, doch bisher noch keine Antwort bekommen. Die Mitarbeiterin ruft kurzerhand beim Studentenwerk an und fragt nach. Die Antwort ist ernüchternd: Man gedenke nicht, die Frau anzustellen, denn von ihren Kolleginnen habe man gehört, sie sei aufmüpfig. Noch dazu sei sie viel zu dick für den Arbeitsplatz am Fließband zum Abräumen der Essenstabletts in der Mensa.

Lange schon sind die Reinigungskräfte in der Mehrzahl nur noch »geringfügig beschäftigt«, das heißt geringer Kündigungsschutz, keine Arbeitslosenversicherung, zum Überleben mehrere kleine Jobs etc. Viele haben weder Arbeitsverträge noch eine geregelte Arbeitszeit. Deswegen laufen oft gut gemeinte formale Forderungen, die die arbeitsrechtliche Lage der Reinigungskräfte verbessern sollen, ins Leere. Nun kann man/frau dies beklagen und scharfe (staatliche) Kontrollen«fordern, die Wirkungslosigkeit rechtlicher Regelungen hat jedoch zwei Seiten: Zum einen ermöglicht sie eine besonders effiziente Ausbeutung der Arbeitskraft und verschärft die Konkurrenz unter den ArbeitnehmerInnen, zum anderen aber ermöglicht sie MigrantInnen ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis überhaupt erst, einem bezahlten Job nachzugehen. Damit ist die Gruppe der Reinigungskräfte gespalten in diejenigen mit Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis und diejenigen ohne. Eine Betrachtung allein aus der Perspektive rechtlich und tariflich geregelter Arbeitsverhältnisse kann diese Verhältnisse nicht erfassen.

Rechte können hier oft nur diejenigen einfordern, welche darum überhaupt wissen und einen gesicherten Status besitzen. Obwohl dies nun wirklich kein Geheimnis ist, gibt es keine nachhaltige (mehrsprachige) Informationspflicht für die ArbeitgeberInnen oder Institutionen, die entsprechende Information und Beratung anbieten. Offiziell sind keine Institutionen vorgesehen, die vor allem migrantischen prekär Beschäftigten auch materiell in die Lage versetzen, entsprechende auf dem Papier stehende Rechte auch real durch zu setzen. Meist helfen bestehende staat-liche Stellen oder der sogenannte Rechtsweg nicht nur kein Stück weiter, sondern wirken genau gegenteilig. Wenn migrantische Arbeitskräfte ihre Rechte einfordern wollen, laufen sie ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis immer Gefahr, behördlich erfasst und anschließend abgeschoben zu werden oder anderen Repressionen ausgesetzt zu sein. Zwar können Rechte auch von Personen ohne Aufenthaltserlaubnis gerichtlich eingefordert werden, diese bleiben aber trotzdem relativ wirkungslos, weil über einen möglichen Prozess Informationen an andere Behörden gehen, die dann zu Abschiebungen führen können. »Nicht auffallen« ist deswegen unmittelbare Notwendigkeit. Viele arbeiten deswegen bewusst ohne Arbeitsverträge. Andere sind durchaus im Besitz von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis aber kennen noch nicht einmal den Inhalt ihrer Arbeitsverträge. So wird beispielsweise der Lohn in der Praxis als Stundenlohn verstanden. Bei Krankheit und Urlaub wird nichts ausgezahlt, obwohl dies den ArbeitnehmerInnen zusteht. Da Kündigungsschutz vielen unbekannt ist, werden die Menschen flexibel je nach Auftragslage eingestellt und gekündigt. Da die meisten ArbeitnehmerInnen in diesem Sektor extrem auf ihr Einkommen angewiesen sind, wirkt der ständig drohende Jobverlust wahre »Wunder«. Zu den ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen gehört daneben oft der ungeschützte Umgang mit gesundheitsschädlichen (Reinigungs-)Chemikalien. Hier führt die von den Reinigungsunternehmen bewusst in Kauf genommene Unwissenheit oft zu Gesundheitsschäden, die erst spät wirksam werden und mit der Beschäftigung nicht mehr in Verbindung gebracht werden können.

Die ebenfalls entlassenen KollegInnen der Frau aus dem oben angeführten Beispiel haben ihre Rechte nicht eingeklagt, da das Wissen darüber von einem zufälligen Kontakt mit der arbeitsrechtlich fitten wissenschaftlichen Mitarbeiterin und damit dem Einsatz einer Einzelperson abhing. Das scheint der momentane Stand der Kämpfe zu sein. Ansätze wie in Frankreich, die die Prekarisierung aller Lebensverhältnisse zum Ausgangspunkt haben und so auch die Forderungen der sans papiers in den Blick nehmen, sind hierzulande Mangelware (vgl. den Artikel zu linksgewerkschaftlichen Ansätzen von Stefanie Hürtgen in diesem Heft). Solange beruht die Weitergabe von Wissen über Rechte auf individuellen Kontakten, da allgemeinzugängliche Informationsstellen selten sind oder eingespart werden.

Neue Kämpfe

Wie ließe sich nun die Situation im Bereich der prekären Beschäftigung verbessern ohne dabei die unterschiedliche Situation der Arbeitskräfte auszublenden? Zunächst könnten sich Forderungen darauf richten, auch für diese Arbeitsverhältnisse Mindeststandards zu etablieren. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge an private Firmen wird derzeit ein bundesweites Vergabegesetz diskutiert, dass die tariflichen Arbeitsstandards garantieren und auch auf die Gebäudereinigung angewandt werden soll. In diesem Bereich ließe sich auch ein Engagement der Gewerkschaften vorstellen. Bezüglich der Vergaberichtlinien ließe sich eine Perspektive für herkömmliche Arbeitskämpfe entwickeln: Einwirken auf die Gewerkschaften, entsprechende Vergaberichtlinien zum Kern ihrer Forderungen zu machen, Drängen auf die Kontrolle und Überprüfungen der Vergaberichtlinien, Organisierung und Aufklärung der ArbeitnehmerInnen. Als wichtige und entscheidende Tarifrechte der Beschäftigten, die in den Ausschreibungsbedingungen der Einrichtung enthalten sein sollten, seien folgende konkrete Ansprüche aufgezählt: ein schriftlicher Arbeitsvertrag, Bezahlung nach Tariflohn, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Jahresurlaub (30 Tage), Ausgleich für Mehrarbeitsstunden, regelmäßige Gehaltsabrechnung und Jahressonderzahlungen (Urlaubs- / Weihnachtsgeld). Erweitern könnte man die Forderungen nach mehrsprachigen Arbeitsverträgen. Dabei muss gewährleistet werden, dass diese Rechte auch praktisch eingefordert werden können. Für die in den prekärsten Verhältnissen lebenden MigrantInnen ohne Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung dürfte klar die Forderung nach genereller Legalisierung erhoben werden, mittelfristig könnte für Rechtsverfahren zur Durchsetzung von Arbeitstandards und Lohnforderungen ein Bleiberecht die Lage erleichtern. Warum nicht bei erfolgreicher Durchsetzung ein dauerhaftes Bleiberecht auf Kosten der beklagten Firma fordern? Natürlich müssten gerade bei Firmen im Auftrag öffentlicher Institutionen die Ansprüche der ArbeitnehmerInnen im Insolvenzfall oder ähnlichem gegen die staatliche Stelle bestehen bleiben.

Und noch mal Uni

Die Grundlagen der Wissensproduktion in der Universität haben sich geändert: Beruhten Forschung und Lehre nach ihrem massiven Ausbau in den 70ern auf einer spezifischen inneren Arbeitsteilung in KopfarbeiterInnen und HandarbeiterInnen, haben sich mit der korporatistisch-keynesianischen Reorganisation auch Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen verändert. Sie sind in einer neuen Form rassistisch, vergleichbar mit der Struktur z.B. einer rein weißen Siedlung in den USA: Die BewohnerInnen mögen behaupten, jeder für sich nicht rassistisch zu sein, aber allein die Existenz der »weißen Wohnsiedlungen« zeugt von (ihrem) gesellschaftlichem Rassismus. Sicher gibt es einen »bewussten« Rassismus unter Studierenden und Lehrenden, aber die (Kopf-)Arbeit selbst derjenigen, die individuell weitgehend frei von solchem menschenverachtenden Tun und Denken sind, beruht auf dieser strukturell rassistischen Arbeitsteilung. Dieser, in der Struktur angelegte Rassismus, verhindert eine Solidarisierung von Menschen, die von den gleichen neoliberalen (Prekarisierungs-)Tendenzen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – betroffen und bedroht sind. Diese Tendenzen – Ausrichtung von Forschung und Lehre auf ihre unmittelbare ökonomische Verwertbarkeit und wettbewerbliche »Effizienzsteigerung« der manuellen Voraussetzungen der Kopfarbeit – überschneiden sich auf engstem Raum, ohne dass ihr Zusammenhang sichtbar wird. Beides wirkt auf die Betroffenen als Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse. Die WissensarbeiterInnen leben dabei allerdings noch immer in privilegierteren Verhältnissen. In Zeiten von budgetierten Universitätshaushalten führen ihre Forderungen und das Weiterbestehen von Arbeitsverhältnissen auf Lebenszeit (z. B. für ProfessorInnen) zu einem weiteren Druck zur Kostenreduktion in anderen Bereichen wie beispielsweise der Gebäudereinigung. Der Gedanke, dass sich die jeweiligen Kämpfe verknüpfen oder unterstützen ließen, scheint jedoch nicht präsent zu sein, was wesentlich in der Theorie selbst begründet liegt, die die KopfarbeiterInnen erst nachträglich zu der manuellen (Reinigungs-)Arbeit in ein Verhältnis setzt. Dagegen wäre eine Unterstützung in Rechtsfragen oder Übersetzungsmöglichkeiten möglich. Aber warum nicht auch mal die Reinigungskräfte hinsichtlich ihrer Selbstorganisierung unterstützen? Die Mindestanforderung ist jedoch, die jeweils anderen Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen in den eigenen Kämpfen mitzudenken.

Putzen macht sauber, Effizienz macht hässlich.


tapete75 und nico hausmeister

 

Adressen
Für alle tarifrechtlichen Fragen ist bei der IG BAU zuständig: Alexandra Münch, Gewerkschaftssekretärin IG BAU, Bezirksverband Rhein-Main Büro, Graf-Folke-Bernadotte-Str. 23, 63263 Neu-Isenburg. Telefon: 06102 / 79928-19. E-Mail: alexandra.muench@igbau.de

Darüber hinaus sind viele Arbeitsbedingungen in den Arbeitsschutzgesetzen geregelt (Umgang mit Gefahrenstoffen, Unfallvermeidung, Hilfsmittel, Pausen-/Arbeitszeiten, Mutterschutz ...). Ansprechpartner bei Problemen ist: Axel Paul, Regierungspräsidium Darmstadt Abt. Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik, Rudolfstr. 22-24, 60327 Frankfurt Telefon: 069 / 27 211-151 a.paul@afas-f.hessen.de (www.rpda.de)

Kampagne für die Legalisierung aller sogenannten Illegalen: www.rechtauflegalisierung.de

 

>notes<
>1< Die in diesem Artikel angeführten Situationen be-ruhen auf tatsächlichen Begebenheiten.
>2< Obwohl wir den Begriff »Putzfrau« als stark diskriminierend empfinden, soll er bei der Schilderung einer Alltagssituation benutzt werden, weil er im Alltag präsenter ist als »Reinigungskraft«. Zugleich prägt der im Alltag benutzte Begriff unsere Wahrnehmung von den Personen, die wir damit bezeichnen. Dies soll mitgedacht werden, wenn der Begriff »Putzfrau« verwendet wird.
>3< Schroth, Heidi: Na, sauber!? Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Gebäude-Innenreinigung. Diplomarbeit am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2002.