»gender makes the world go around«

geschlecht und globalisierung

Aus den aktuellen globalen Restrukturierungsprozessen resultiert die Transformation des Politischen und des Verhältnisses von Ökonomie und Politik bzw. Staat. Die oftmals geschlechtsneutrale Präsentation von Globalisierungsdiskursen erfordert eine geschlechterkritische Analyse des neoliberalen Globalisierungsprojektes, seiner Dynamik und seiner Folgen für die Handlungsmöglichkeiten von Frauen. In »Gender makes the world go around. Globale Restrukturierung und Geschlecht« fokussiert Birgit Sauer auf regimespezifische Muster der Restrukturierung von Geschlechterverhältnissen und Geschlechteridentitäten u . a. anhand der mit neoliberaler Sachzwanglogik gerechtfertigten Begrenzungen wohlfahrtsstaatlicher Standards. Sozialabbau wird hierbei nicht als Zeichen für nationalstaatlichen Steuerungsverlust, sondern für Verzicht bzw. Verlagerung von Steuerung betrachtet. Aus der Neuformatierung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse ergeben sich Fragen nach den Handlungschancen und Handlungsräumen feministischer bzw. emanzipatorischer Politik. Der nachfolgende Artikel ist das leicht gekürzte und bearbeitete Schlusskapitel von Sauers Text, der gerade erschienen ist in: Scharenberg, Albert / Schmidtke, Oliver (Hg.): Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen. Westfälisches Dampfboot, Münster 2003

Feministische Kritik und Politik geraten angesichts der sozialstaatlichen Restrukturierungen in eine dilemmatische Situation, werden sie doch zu Verteidigerinnen des Sozial- und Gleichberechtigungsstaats, der bisher einmütig als patriarchal kritisiert und in Frage gestellt wurde. Nun erscheint er angesichts globaler Marktbarbarei gleichsam als nationale feministische Ultima Ratio. Dabei war der Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsjahre keineswegs ein an sich frauenfreundliches Projekt, vielmehr bewahrte der bundesdeutsche Staat seine männerbündische Tradition. Frauenförderung war einerseits »Nebenprodukt« keynesianischer ökonomischer und politischer Regulierung und andererseits Ergebnis einer politischen Handlungserweiterung der Frauenbewegung, also politischer Kämpfe, sowie einer Frauenöffentlichkeit, die Probleme thematisieren und auf die politische Agenda setzen konnte. Androzentrische Hegemonie wurde damit immerhin rissig, und der maskulinistische Staat wurde »geschlechterparadox«.

Die Handlungschancen von Frauen und Frauenbewegungen in den aktuellen Transformationen abzuschätzen, heißt nun nicht zuletzt, die strukturellen Bedingungen des politischen Raums zu vermessen. Die Politik neoliberaler Restrukturierung ist eine »politische Revolution«, weil sie die Koordinaten des Politischen, wie sie im Keynesianischen Wohlfahrtsstaat bestanden, neu bestimmt. Politische Räume werden neu verhandelt, ja, wir sind ZeugInnen eines neuerlichen Kampfes um die Grenzen des Politischen. Diese Revolutionierung muss nun nicht automatisch die Konditionen für feministische Politik verschlechtern, sie muss nicht automatisch politische Handlungsräume verschließen und politische Öffentlichkeit maskulinisieren, sie birgt möglicherweise neue Chancen für Frauen und für Geschlechterpolitik, sicher aber Veränderungen für Frauenpolitik und Frauenbewegungen. Wir haben es also nicht mit dem Ende oder dem Niedergang der Frauenbewegung zu tun, sondern mit einer radikalen Transformation ihres Handlungskontextes, deren Parameter noch nicht wirklich deutlich sind.

Neoliberalismus bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Definition des »Privaten«: Der Markt expandiert, öffentlich-staatliche Räume schrumpfen und werden zur Unkenntlichkeit privatisiert bzw. dereguliert, während Familie und Privatheit zugleich entgrenzt werden. Durch den Rückzug des Staates und die Mobilisierung familiärer Sicherungssysteme wird die Privatsphäre erweitert und vergrößert – und den Frauen aufgelastet.


Die Neudefinition des »Privaten«

Vier Privatisierungsdiskurse sind relevant für die Transformation des Geschlechterpolitischen.

Erstens. Das Terrain für nationale und internationale Frauenpolitik wird durch die Ökonomisierung von Politik, und mithin deren »Privatisierung«, abgesteckt. Diese Grenzverschiebungen zugunsten des Marktes schränken den Raum des politisch Gestaltbaren ein und minimieren die Möglichkeiten demokratischer Gestaltung der eigenen Lebenspraxis. Neoliberalismus als neuer Politikstil der Einengung des Politischen depolitisiert auch den weiblichen Alltag, denn dieser wird erneut als privat eingehegt. Geschlechtergleichheit zählt nicht (mehr) zum Allgemeinwohl, und die Frauenbewegung wird deshalb als »Interessengruppe«, die Spezialinteressen durchsetzen will, verunglimpft.

Dem Neoliberalismus ist ein zweiter Privatisierungsdiskurs immanent, der soziale Staatsbürgerschaft redefiniert, indem er ihren Umfang sukzessive zurücknimmt. Der politische Subjektstatus verändert sich in dem Maße, wie soziale Rechte abgebaut werden: Staatsbürgerschaft soll aus dem »individuell«, »autonom« und vor allem ökonomisch definierten Lebenszusammenhang entstehen und kein kollektives Gut mehr sein, das auf Umverteilung und Verteilungsgerechtigkeit zielt und Gerechtigkeit auch zur Voraussetzung hat. Politische Staatsbürgerschaft wird individualisiert und hängt zunehmend von Faktoren wie Bildung, Einkommen und Region bzw. Mobilität ab – Ressourcen, die nicht zuletzt entlang einer Geschlechterlinie verteilt sind. Effektivität und Konkurrenz sind mehr denn je gefragt. Die neue »Normalbürgerin« und der neue »Normalbürger« sollen keine sozialen Rechte mehr vom Staat einfordern, sie gelten vielmehr als selbstverantwortliche Individuen. Anders formuliert: Soziale Ansprüche wie gleicher Bildungszugang, öffentliche Kinderbetreuung oder soziale Absicherung, die Voraussetzungen für politisches Handeln darstellen, werden nicht mehr als (staatlich garantierte) Rechte formuliert. Diese Reformulierung von StaatsbürgerInnenschaft definiert auch politische Partizipation und demokratische Legitimation neu. Demokratiequalität wird weniger an der möglichst großen und gleichen Beteiligung aller BürgerInnen, sondern am Output politischer Institutionen und deren »Anpassungsleistungen« an veränderte ökonomische Bedingungen gemessen. Teilhabe möglichst Vieler am Wohlstand der Gesellschaft wird gleichzeitig durch das Angebot potentieller Teilhabe (durch staatlich vermittelte Chancengleichheit) verdrängt.

Drittens. Eine weitere Form der Privatisierung ist die Informalisierung von Politik in den Substrukturen von Verhandlungsrunden und -netzwerken des vorparlamentarischen Raums. Staatliche Institutionen sind nur noch Vermittler, aber nicht mehr die einzigen oder gar privilegierten Akteure im Politikprozess. Vivien Schmidt spricht in »The New World Order, Incorporated« von »Asymmetrien« staatlicher Macht, weil dadurch die Macht der Exekutive gegenüber der Legislative gestärkt wird. Im »Verhandlungsstaat« verlieren demokratisch legitimierte Institutionen ihr Monopol auf politische Problemdefinition, auf das Agenda-Setting, auf Problemlösungsstrategien und entscheidungen an korporatistische Netzwerke zwischen staatlicher Administration, gesellschaftlichen Gruppen wie Industrie und Gewerkschaften, Kirchen, Medizin und Wissenschaft. Das interinstitutionelle Verhandlungsgeflecht schwächt also Repräsentationsorgane und Aushandlungsprozesse wie beispielsweise Parlamente, in die sich Frauen einen quotierten Zugang erkämpft haben.

Erste Untersuchungen legen für diesen Prozess der Entstaatlichung und Privatisierung von Politik nahe, mit geschlechterpolitischen Ambivalenzen zu rechnen: Die nationalen und internationalen Verhandlungsregime ziehen Entdemokratisierung und Remaskulinisierung nach sich. Die Entscheidungsfindung in Verhandlungssystemen erfolgt in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Privatisierung heißt dann, dass Politik einer kontrollierenden Öffentlichkeit tendenziell entzogen bleibt. Diese Entöffentlichung hat zur Folge, dass Entscheidungen durch männerbündische Entscheidungsstrukturen getroffen werden, weil in diesen Verhandlungsnetzwerken fast nur Männer in entscheidenden Positionen agieren. Mit einer Arkanisierung bzw. Geheimhaltung von Politik ist in der Regel auch eine Homogenisierung des Geheimgehaltenen verbunden – eben auch eine Geschlechtshomogenisierung, weil die Abkapselung einer Führungsgruppe nach außen das Bedürfnis nach innerer Reproduktion »des Gleichen« hervorruft, im politischen Feld oft die Rekrutierung von Männern durch Männer. Die intensivere Form der informellen Verflechtung zwischen Interessenverbänden, Bürokratie und privaten Akteuren erhöht also tendenziell den Männereinfluss und erschwert erfolgreiche Interventionen institutioneller Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Viertens. Die politische Neuvermessung impliziert eine weitere spezifische Form der Begrenzung und Privatisierung des Staates. Es war – trotz aller Exklusionsmechanismen – der Nationalstaat, in dessen Rahmen im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts Demokratisierungsprozesse stattfanden, und der eine partielle Inklusion aller Staatsangehörigen in die StaatsbürgerInnenschaft ermöglichte. Der fundamentale Bruch in den ökonomischen, sozialen und politischen Repräsentationsformen zerstört traditionelle Orte und Formen von Frauenpolitik. So ist beispielsweise die finanzielle Absicherung von Frauenprojekten gefährdet, Gleichstellungspolitik und Frauenförderung werden in einem diffusen Diskurs um »Gender Mainstreaming« delegitimiert und Ungleichheit qua Geschlecht wird zunehmend desartikuliert. Der Nationalstaat soll nicht länger Ansprechpartner frauenpolitischer Intervention sein, und eine Strategie der Integration in den Staat durch Gleichstellungspolitik wird immer schwieriger. Es ist anzunehmen, dass sich zwar der Bedarf an gezielter Frauenförderung aufgrund der Einschnitte ins soziale Netz

erhöhen wird, dass synchron dazu aber gerade diese Förderinstrumente unter Spar- und Legitimationsdruck geraten. Die Privatisierung und Ökonomisierung staatlicher Verwaltungen setzt perspektivisch Frauen als Angestellte dieser Verwaltungen frei, bringt aber auch Frauen- und Gleichstellungspolitik in Bedrängnis, weil der »schlanke Staat« Gleichstellungsmaßnahmen – als »bürokratische« Maßregeln diffamiert – abspeckt. Unter den drei Überschriften: Anreiz, Dezentralisierung und Wettbewerb sollen bürokratische Musterungen und hierarchische Regelförmigkeiten staatlicher Verwaltungen aufgebrochen werden. Allerdings wird damit die maskulinistische Kernstruktur der Bürokratie nicht beseitigt, sondern neu institutionalisiert: Bürokratische Männlichkeitsmuster werden durch maskulinistische Ideale des Wettbewerbs ersetzt. Gleichstellungspolitik degeneriert zur Schadensbegrenzung, damit Frauen im Zuge der ökonomischen und sozialen Umstrukturierungen bereits errungene Positionen nicht wieder verlieren. Aktive feministische Struktur- und Gesellschaftspolitik verschwindet dann freilich aus dem Denk- und Handlungshorizont. Auch semi-autonome Frauenprojekte geraten dadurch an den Rand ihrer finanziellen Existenz.


Neuorientierung frauenpolitischer Intervention

Diese »harte« Zeichnung geschlechterpolitischer Transformationen will auf die Notwendigkeit einer Neu-Erfindung des Raums frauenbewegter Intervention hinweisen. Wir befinden uns nicht in postpatriarchalen Zeiten, wenn damit gemeint ist, dass Ungleichheit qua Geschlecht zunehmend unbedeutend oder von anderen Differenzen gleichsam »abgelöst« wird. Vielmehr wird das in den letzten 200 Jahren gültige und erfolgreich institutionalisierte hierarchische und ausbeutende Geschlechterregime restrukturiert. Vergeschlechtlichung ist nach wie vor eine probate staatliche Strategie zur »Lösung« sozialer und ökonomischer Probleme, d. h. hierarchische Zweigeschlechtlichkeit bleibt eine Ressource der politischen und ökonomischen Transformation. Deshalb bedarf es weiterhin »vergeschlechtlichter« Antworten, d. h. der Politisierung und Mobilisierung von »Geschlecht« für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern.

Es ist davon auszugehen, dass die politische Dynamik der Geschlechterordnung durch Krisen in der Legitimierung patriarchaler Strukturen, im System der Arbeitsteilung aufgrund der Integration von Frauen in den Erwerbsbereich sowie durch Krisen in der sozialen Organisation von Sexualität entsteht. Die derzeitigen Transformationen von Nationalstaaten und die Erosion der Erwerbsgesellschaft öffnen möglicherweise Räume für neue politische Identitäten und Praxen jenseits der Erwerbsgesellschaft und patriarchaler Politikmuster und erweitern somit den potenziellen politischen Handlungsspielraum für Frauen, freilich nicht automatisch. Frauenpolitik muss sich vielmehr als aktiver Faktor im globalen Wandel erst definieren. Dazu vier Hinweise.

Erstens. Auch in Zeiten globalisierter Umstrukturierung ist der (nationale und internationale) Staat kein einheitlicher und stabiler Akteur, sondern ein strategisches Handlungsfeld, in dem um die Herausbildung und Durchsetzung von Interessen gerungen wird. Beispielsweise müssen neue nationale wie

internationale sozialstaatliche Arrangements unter postfordistischen Bedingungen wieder neu ausgehandelt werden. Streiks und Demonstrationen gegen arbeitsmarkt-, sozial- und finanzpolitische Maßnahmen sind Aspekte dieses neuen Klassenkampfs und neuer staatlicher Aushandlungsprozesse. Auch der Geschlechterkonflikt kann und muss wieder gegen-hegemonial politisiert werden. Frauenpolitik muss sich beispielsweise an den zahlreichen Aushandlungsorten eines neuen Sozialstaatskompromisses einmischen. Freilich werden die Sozialstaatsdebatten hegemonial männlich geführt, wie die Renten- bzw. Pensionsdiskussionen zeigen, doch Frauenbewegung, Frauenpolitik und feministische Wissenschaft sind die einzigen Instanzen, die diese Debatten gegenhegemonial vergeschlechtlichen können.

In der »Paradoxie« des Staates liegen nun Handlungschancen für eine Politik, die auf Geschlechtergerechtigkeit zielt. Teile des »widersprüchlichen« Staates können durchaus als Bündnispartner gegen ökonomische Hegemonie genutzt werden. Somit erfordert gesellschaftliche Demokratisierung eine gleichsam paradoxe Intervention: nämlich Frauenpolitik »mit dem« Staatsapparat »gegen den« Staatsapparat zu machen, d. h. sich gegen eine Ökonomisierung der Politik und gegen die Dominanz der Ökonomie zur Wehr zu setzen. Gleichstellungsinstitutionen sind Verhandlungspositionen innerhalb dieses staatlichen Aushandlungsprozesses, die genutzt werden sollten, auch wenn diese Positionen im Verhandlungsstaat herrschaftlich besetzt sind.

Zweitens. Notwendig ist ein strategischer frauenpolitischer Wechsel hin zu neuen Bündnissen und neuen Handlungsformen. Geschlechtergerechte Demokratisierung scheint in einem Bündnis mit solchen Gruppen möglich, die einem neoliberalen oder neo-korporatistischen Umbau des (Sozial-)Staates ebenfalls skeptisch gegenüberstehen. Dies sind nicht allein Frauen, sondern möglicherweise auch die Vielzahl aus dem Erwerbsleben hinausgeworfener Männer sowie Migrantinnen und Migranten.

Drittens. Die Auflösung geschlechterspezifischer Zuschreibungen hat zur Folge, dass ein Sprechen von der »Frau« immer schwieriger wird. Frauenbewegung und staatliche Gleichstellungspolitik müssen deshalb Ungleichheiten zwischen Frauen als politisches Faktum begreifen und differenzierte Strategien entwerfen, insbesondere für Frauen, die nicht in Positionen sind, von denen aus sie »gefördert« werden können – vor allem Migrantinnen. Diese Erweiterung aus nationalstaatlicher Enge heraus scheint mir die große Herausforderung für demokratische Politik und Frauenbewegungen. Frauen- und Gleichstellungspolitik wie auch Frauenbewegung müssen darüber hinaus auch deutlicher die »soziale Frage« stellen. Die vielfach zur feministischen Floskel verkommene Forderung nach der Integration von Differenzen, von Klasse und kulturellem Hintergrund in die Frauenpolitik kann und muss hier eingefordert und realisiert werden. Ein neuer Geschlechtervertrag hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die sozialen und kulturellen Differenzen, die derzeit hegemonial politisiert werden, ins feministische Kalkül gezogen werden, d. h. wenn sie in einem feministischen Diskurs zu Elementen des politischen Universum werden.

Viertens. Die zeitgleiche Globalisierung und Lokalisierung, bietet die Möglichkeit, dezentrale, kleinräumige Bewegungsnetze zu aktivieren. Der Staat löst sich nicht auf, sondern präsentiert sich verändert und angepasst in einer Vielzahl von Formen und gesellschaftlich-räumlichen Ebenen. Insbesondere die lokale bzw. städtische Ebene wird »zu einem bevorzugten postfordistischen Experimentierfeld« (Roth, 109). In dem Maße, wie sich der Nationalstaat der Verantwortung für soziale Umverteilung entledigt, erhält der subnationale Staat diesbezüglich mehr Gestaltungsmöglichkeiten – allerdings auch mehr finanzielle Bürden wie z. B. im Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Ausbildungsbereich. Projekte wie neue Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle können dann aber auf lokaler Ebene – an Runden Tischen mit Beteiligung lokaler Industrien, Gewerkschaften und Gleichstellungsbeauftragten – kurzfristiger und kreativer geschaffen werden als durch eine nationalstaatliche oder supranationale Bürokratie. Eine Garantie, dass sich solche neuen Handlungskorridore öffnen, gibt es freilich nicht, vielmehr ist auch hier ein paradoxer Gegentrend festzustellen: Es scheint nämlich, als ob mit den bislang erprobten direktdemokratischen Verfahren auf lokaler Ebene die »Entscheidungslosigkeit« demokratisiert wird: Die Zivilgesellschaft debattiert lokal, aber entschieden wird an anderen Orten.

Frauenpolitik sollte allerdings nicht übersehen, dass es gerade Teil des neoliberalen Diskurses ist, existierende politische resp. frauenpolitische Zusammenhänge, Widerstände und Widerständigkeiten zu negieren und zu desartikulieren. Die Neuvermessung des politischen Raums bedeutet gerade nicht, dass weibliche politische Praxen verschwinden, sie werden vielmehr diskursiv zum Verschwinden gebracht. Nach wie vor aber ist der weibliche Alltag Quelle des Widerspruchs und des Widersprechens. Davon können Frauenbewegungen des Südens ein lautes Lied singen. Frauenbewegung und Frauenpolitik des Nordens sind vielleicht aus der »heilen« Welt des Keynesianismus gefallen – aber nicht aus der Welt des Politischen. Feministische Handlungsperspektive kann es sein, diese widersprüchlichen weiblichen Alltagspraxen, die Lücken und Brüche, die die neoliberale Restrukturierung dort hinterlässt, sichtbar zu machen, zu politisieren und zu verändern. Diese »Küchenpolitik« (Elson) ist nach wie vor ein Weg zu mehr Demokratie.

Birgit Sauer

>texte<

<-> Bakker, Isabella (1997): Geschlechterverhältnisse im Prozess der globalen Umstrukturierung. In: Braun/Jung (Hg.): Globale Gerechtigkeit? Feministische Debatte zur Krise des Sozialstaats. Hamburg, 66-73

<-> Brodie, Janine (1994): Shifting Boundaries. Gender and the Politics of Restructuring. In: Bakker (Hg.): The Strategic Silence. Gender and Economic Policy. London, 46-60

<-> Elson, Diane (2002): International Financial Architecture. A View from the Kitchen. In: feminia politica, H.1, 26-37

<-> Roth, Roland (1998): Postfordistische Politik. Regulationstheoretische Perspektiven zur Zukunft des Politischen. In: Görg/Roth (Hg.): Kein Staat zu machen. Zur Kritik der Sozialwissenschaften. Münster, 95-118

<-> Schmidt, Vivian (1995): The New World Order, Incorporated. The Rise of the Business and the Decline of the State. In: What Future for the State?, Daedalus Vol. 124, H. 2