Demokratische oder autokratische Hochschule

Zum Entwurf der Neufassung des Hessischen Hochschulgesetzes


Wir leben in einer Demokratie. Später einmal wird man fragen, ob wir an die Demokratie glaubten – so wie wir heute fragen, ob die Griechen an ihre Götter glaubten. Welche Bedeutung haben wohl solche Überzeugungsformeln wie Demokratie, die wir wie eine Monstranz vor uns hertragen? Wo ist die Demokratie? Nicht in den Unternehmen, ein wenig in den Parteien, gering in den Fraktionen des Parlaments, nicht in der Regierung, der Verwaltung, der Polizei, der Bundeswehr. Nicht in den Schulen, auch nicht in den Universitäten, dem Ort der modernen Gesellschaft, wo aufgrund grundgesetzlicher Verbürgung Freiheit, Meinungsäußerung, Kritik institutionalisiert sein sollen. Nun belehrt der Entwurf zu einem neuen hessischen Hochschulgesetz auch diejenigen eines besseren, die vielleicht noch Illusionen gehabt haben mochten. Illusionen, die sich einstellen konnten, nachdem durch die studentische Protestbewegung der 1960er Jahre die damaligen technokratischen Hochschulreformbemühungen aufgehalten worden waren und ein leichtes Lüftchen demokratischen Engagements und wissenschaftlicher Innovation die Rockschöße der Talare ein wenig anhob. So konnte eine kurze, unerwartete Öffnung und Demokratisierung der Hochschulen stattfinden, die sich gegenwärtig so sehr bemühen, ihrem Gravitationsgesetz zu entsprechen und wieder zu den Förderanstalten willfährigen Untertanengeists zu werden, die sie so viele Jahrzehnte während des 19. und 20. Jahrhunderts waren.

Ohne Zweifel, die Lage der Hochschulen schreit nach Reformen, denn die weniger als halbherzige Öffnung und Demokratisierung der Hochschulen hat eigene negative Folgen hervorgebracht. Zu beklagen ist das numerische Missverhältnis zwischen Lehrenden und den Studierenden, dass dadurch entstanden ist, dass die Zahl der Hochschullehrer nur in ganz geringem Maß mit der Zahl der Studierenden gewachsen ist. Die Lehrenden ersticken unter den Belastungen von Gremienarbeit, Verwaltung, Prüfung, Betreuung, Einwerbung von Drittmitteln, überfüllten Seminaren. Eine gründliche Vorbereitung der Lehrveranstaltungen ist kaum noch möglich, eigene wissenschaftliche Arbeit wird zur Utopie, die sich erst mit der Rente wird verwirklichen lassen. Die Studierenden können zufrieden sein, wenn sie im Laufe mehrerer Semester ein kurzes Gespräch mit den Dozierenden haben oder schließlich einen Prüfer finden. Sie sind nicht geliebt: den HochschullehrerInnen sind sie einfach lästig, weil es so viele sind; sie sollen arbeiten und Geld verdienen, gleichzeitig gut und möglichst kurz studieren; dauert es dann etwas länger, werden sie endgültig eine Belastung des Steuerzahlers: eine Überlast, die es abzubauen und zu bekämpfen gilt, weil hier wie überall der gefährliche »Sozialschmarotzer« lauert, der das Semesterticket oder die Krankenversicherung in Anspruch nehmen will. Die Öffnung der Hochschulen war eine gegen den offensichtlichen Widerstand der Institution. Der Anteil der Studierenden am Altersjahrgang ist in Deutschland mit knapp über 30 Prozent ohnehin geringer als in anderen vergleichbaren Ländern. Darüber hinaus sind die Enttäuschungen unter den Studierenden groß, etwa ein Viertel von ihnen bricht das Studium ab. Die Selektionen finden nicht nur vor der Toren der Universität statt, sondern auch durch die materiellen Zwänge des Erwerbs und durch die Studienmodalitäten, die wenig Freude aufkommen lassen und die Erfahrung der fröhlichen Wissenschaft kaum ermöglichen, ja, nicht einmal dulden. Deswegen freut man sich, wenn es zu öffentlichen Diskussionen über die Entwicklung der Hochschulen kommt – was viel zu wenig geschieht, so als sei das Schicksal der Hochschulen einer an Innovation und Wissen orientierten Gesellschaft gar nicht wichtig. Jeder demokratische Politiker müsste dankbar für eine solche Aufgabe sein, die Reformen an den Hochschulen voranzubringen und sie wieder zu einem Ort der Wissenschaften und der wissenschaftlichen Ausbildung zu machen – gehört es doch zu seinem Metier, die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ergebnis seines politischen Handelns zu sehen. Erfreulich ist deswegen, wenn Bundes- und Landesregierungen sowie die Gesetzgeber sich dieses Problems annehmen, Strukturreformen vornehmen und die finanzielle Situation verbessern. Allerdings fallen die Lösungen, die den Politikern einfallen, in hohem Maße inkompetent aus; von mal zu mal wäre man enttäuscht worden – hätte man überhaupt die Erwartung auf gute Lösungen durch die Politik.

Nun möchte die hessische Landesregierung das seit 31. Juli 2000 geltende Hessische Hochschulgesetz (HHG) verändern. Mit einer Verabschiedung des vorliegenden Entwurfs der Änderungen würde der Gesetzgeber auf zweierlei verzichten. Er verzichtete für die Geltungsdauer des Gesetzes auf die Möglichkeit, die Hochschulen unter demokratischer Kontrolle politisch zu lenken. Denn das demokratische Organ, das Parlament, würde sich entscheiden, einen weiteren Teil seiner Kontrollmacht an die Hochschulen abzutreten. Anstatt also die demokratische Verantwortung zu übernehmen, wird gerade dann, nachdem die Universitäten in ein Desaster hineinregiert wurden, von der Politik in Unverantwortlichkeit geflüchtet. Es heißt Autonomie, aber letztlich sollen die Hochschulen einfach selbst sehen, wie sie zurecht kommen. So wird, zweitens, die Misere verwaltet, indem sie der Hochschulbürokratie überantwortet wird. Denn die Gesetzesänderungen zielen nicht darauf, die Demokratie an den Hochschulen, ihre Handlungsautonomie und ihre Wissenschaftlichkeit zu stärken. Vielmehr verbreitet das Gesetz einen derart undemokratischen, ja antidemokratischen Geist, dass man sich fragen muss, ob das Parlament sich nicht selbst aufgäbe, wenn es einem solchen Entwurf Gesetzesrang gewähren würde.

Erinnern wir uns kurz, was laut HHG in der bestehenden und auch zukünftig gelten sollenden Fassung das Ziel der Hochschulen ist: Pflege und Entwicklung der Wissenschaften und Künste sowie Verwirklichung des Rechts auf Bildung durch Forschung, künstlerisches Schaffen, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat; Vermittlung einer wissenschaftlichen Ausbildung, mithin der Erwerb der Fähigkeit zur selbständigen Anwendung und Entwicklung von wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen, eines wissenschaftlich-kritischen Denkens mit fachübergreifenden Bezügen; Vorbereitung auf berufliche Aufgaben, bei denen diese Fähigkeit erforderlich oder nützlich ist; darüber hinaus sollen Hochschulen auch an der sozialen Förderung der Studierenden mitwirken.

Der Bezug der wissenschaftlichen Arbeit in Lehre, Forschung und Studium auf den freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat ist also klar und deutlich hergestellt. Selbständiges und kritisches Denken soll gefördert werden. Nun stellt sich die Frage, ob die Hochschulen dies überhaupt können, ob sie als Organisationen und die einzelnen, die hier arbeiten, solche Fähigkeiten vermitteln können. Das HHG beruft sich selbstverständlich auf Artikel 5 des Grundgesetzes, auf die Regelung, dass Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei seien. Doch diese Freiheit nimmt im Detail des Gesetzestextes die eigenartige Gestalt einer besonderen Wissenschaftsauffassung an. WissenschaftlerInnen seien frei, Gegenstand und Methode der Forschung zu bestimmen. Dies wird präzisiert, wenn es heißt, die Freiheit der Forschung umfasst insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung. Als Wissenschaftler stutzt man und fragt sich, wie viel Freiheit durch eine solche Regelung wirklich möglich sein wird. So weiß man ja, dass Bewertung innerhalb der Wissenschaften nach dem Postulat der Wertfreiheit durchaus der Selbstzensur der Disziplinen untersteht. Indem der Gesetzgeber die Freiheiten der Gegenstandswahl und der Methoden einräumt, schützt er wohl einzelne Bereiche wissenschaftlicher Arbeit vor staatlichem Zugriff, isoliert sie aber innerhalb des wissenschaftlichen Gesamtprozesses als einzelne Freiheiten und privilegiert damit bestimmte Wissenschaftsauffassungen und -instanzen, die dann gerade durch solche Unterscheidungen ihre Macht entfalten können. Andere Wissenschaftsverständnisse, die – wie die kritische Gesellschaftstheorie – Methode, Gegenstand, inhaltliche Einsicht und Bewertung nicht trennen wollen, könnten schnell zur Ideologie erklärt werden, für die die Freiheitsgarantie der Wissenschaft dann gar nicht gilt.

Kommen wir zurück zum Wortlaut des Gesetzes. Wenn hier gleichsam unterstrichen wird, dass »insbesondere« Fragestellung, methodische Prinzipien und Bewertung frei sind, wird man sich als Wissenschaftler sofort skeptisch fragen, welche Freiheiten durch diese euphemisierende Hervorhebung des »Insbesonderen« eingeschränkt werden sollen. Das ist der Prozess der Forschungs- und Lehrtätigkeit als ganzer, und es sind vor allem die konkreten Inhalte, die Erkenntnisse, also das, was die WissenschaftlerInnen eigentlich am meisten interessieren sollte. Beides, die wissenschaftliche Bemühung und die Erkenntnisinhalte, kommt dort zusammen, wo das Gesetz von der Organisation spricht. Die Hochschulorgane haben das Recht zu Eingriffen in die Forschung, wo es sich um die Organisation des Forschungsbetriebs, die Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben und um die Bildung von Forschungsschwerpunkten handelt. Diese Eingriffsrechte berühren genau genommen das Wesentliche der Freiheit der Wissenschaft. Denn wenn man frei ist bei der Wahl des Gegenstands und der Methode, dann müssen die WissenschaftlerInnen auch darüber entscheiden dürfen, wie der Forschungs- und Erkenntnisprozess beschaffen ist, der es ihnen erlaubt, auf der Grundlage des gewählten Gegenstands und der Methoden zu wissenschaftlichen Inhalten zu gelangen. Die inhaltliche Wahrheit ihrer Forschung liegt ja nicht im Gegenstand, den man nur einfach einmal richtig – mit der richtigen Brille – betrachten muss. Die inhaltliche Arbeit ist selbst ein langer Prozess von Nachdenken, Einsicht, Diskussion, Publikation. Die wissenschaftlichen Inhalte ihrer Arbeit sind den Wissenschaftlern ja nicht äußerlich oder gar gleichgültig, sie werden sich ihnen in vielen Hinsichten ihres täglichen Lebens, ihres Denkens und Fühlens verpflichtet fühlen. Sollte ihnen das alles egal sein, dann würde man wohl kaum annehmen dürfen, dass die Hochschule ihrem gesetzesmäßigen Zweck entspräche, nämlich zum Recht auf Bildung durch Forschung beizutragen. Dann wären auch Zweifel an der Qualität der wissenschaftlichen Einsichten erlaubt – und die lassen sich in der Tat haben, weil so viele Wissenschaftler tatsächlich kaum diesen Titel verdienen.

Betrachten wir den Sachverhalt so, dann hängt alles am Charakter der Hochschulgremien, die in die Forschungsorganisation eingreifen dürfen. Solche Eingriffe wären dann legitim, wenn es sich um Selbsteinwirkungen handelte, wenn also die an der Forschung und Lehre Beteiligten (als Hochschullehrer, Mitarbeiter und Studierende) sich bemühten, für ihre Arbeit eine bessere Organisationsform zu finden. Das entspräche dem Bemühen der Wissenschaften, in Forschung und Lehre fachübergreifend kritisch und selbstständig zu denken und ein solches Denken zu fördern. Damit würde aus dem Innern wissenschaftlicher Erfordernisse zudem auch dem Selbstverständnis des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates entsprochen: es würden nämlich die Hochschulen sich freiheitlich und demokratisch selbst bestimmen. Dazu bräuchte es stärkere Entscheidungs- und Kontrollorgane als den Senat mit seinen 17 Mitgliedern, von denen neun Hochschullehrer sind. Denkbar wäre eine Versammlung von Fachbereichsvertretungen. Dort, wo die Gremien von WissenschaftlerInnen nur partikulare Interessen vertreten würden, dort, wo die Forschung eine autoritäre und antidemokratische Richtung annehmen würde, könnten ein Hochschulrat – der nicht nach aufgrund des Vorschlags des Präsidiums ausgewählt würde, dessen Aufgabe nicht nur auf die Artikulation der Erwartungen der Berufswelt an die Hochschulen begrenzt wäre, und in dem Personen aus allen gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert wären – sowie MitarbeiterInnen und vor allem Studierende als Korrektur wirken, die mit den Hochschulen nur kurzzeitig verbunden sind. Diese Mitspracherechte der Studierenden als ein wesentliches Element einer demokratischen Hochschulverfassung wurde leider durch die Rechtsprechung verhindert. Ebenso ist auch die Vorstellung, Studierende könnten durch eine Evaluation die Qualität der Lehre und Forschung beeinflussen, zweckentfremdet worden, indem sich die Evaluationsdiskussion in eine ganz andere Richtung entwickelt hat. Evaluiert wird nicht die einzelne Tätigkeit der Hochschullehrer durch die betroffenen Studierenden, sondern die Durchlaufquote von Studiengängen, die Zahl der Abschlüsse, der Umfang der eingeworbenen Drittmittel, die Zahl der Veröffentlichungen von Hochschullehrern. Es entsteht eine gewaltige Evaluierungsbürokratie, die viel Zeit und Geld kostet. Viele Hochschullehrer sind damit befasst, dass sie ständig neu evaluiert werden oder andere evaluieren. Dort, wo die Evaluierung an private Einrichtungen übergeht, wird damit sehr viel Geld verdient, das den Wissenschaften genommen und ihnen fehlen wird.

Die Freiheit von Forschung und Lehre hängt also an der Organisation der Hochschulen, und diese Organisation hängt an den Hochschulgremien. Deswegen ist es wichtig, auf die Hochschulgremien einzugehen. Sie stehen im Zentrum des Entwurfs des HHG. In der Begründung des Entwurfs wird der tragende Gedanke klar ausgesprochen. Der Gesetzesentwurf habe zum Ziel, das Hochschulpräsidium und die Dekanate als die operativen Organe der Hochschule zu stärken. Dies sei für den Wettbewerb und das Erfordernis der Profilbildung der Hochschulen erforderlich.

Die entscheidende Rolle kommt dem Präsidium zu. Es leite die Hochschule und fördere mit den anderen Organen, den Fachbereichen und ihren Mitgliedern ihre zeitgerechte innere und äußere Entwicklung. Was zeitgerecht ist, wird – wie deutlich wurde – nicht autonom durch die WissenschaftlerInnen bestimmt, sondern durch das Gesetz: Wettbewerb und Profilbildung. Das Gesetz überschreitet seine Kompetenz, es nimmt den Hochschulen ihre Autonomie in dem Augenblick, in dem es sie ihnen verspricht und zwingt zu einer bestimmten Ausrichtung, die mit wissenschaftlichen Inhalten nicht viel zu tun hat. Zu diesem Zweck, aber eben nur zu diesem, bekommt das Präsidium das Recht, über die Entwicklungsplanung der Hochschule zu entscheiden, Zielvereinbarungen abzuschließen, Budgets zuzuweisen und den Strukturplänen der Fachbereiche zuzustimmen. Im Präsidium hat der Präsident die Richtlinienkompetenz. Er hat aber darüber hinaus auch deswegen eine stärkere Position, weil er eine Amtszeit von sechs Jahren hat, die Vizepräsidenten nur für fünf. Gewählt werden diese zudem aufgrund des Vorschlags des Präsidenten. Der Präsident kann sich demnach nach seinen Vorstellungen ein ihm genehmes Entscheidungsgremium zusammenstellen. Er entscheidet am Ende unkontrolliert und ohne institutionelle Gegengewichte über das, was als profiliert, was als wettbewerbsfähig gilt.

War die Entwicklungsplanung bislang noch eng an den Senat gebunden, dem gegenüber der Präsident einmal im Jahr rechenschaftspflichtig ist – und der ihn abwählen könnte, was aber wenig wahrscheinlich ist –, so wird dies nun geändert. Denn bislang schlug das Präsidium dem Senat die Einführung und Aufhebung von Studiengängen vor. Dies darf es nun aus eigener Machtvollkommenheit: »Das Präsidium entscheidet nach Anhörung oder auf Vorschlag der Fachbereiche und nach Stellungnahme des Senats über die Einführung und Aufhebung von Studiengängen. « (Entwurf HHG § 42 Abs. 5) Das Präsidium und der Präsident werden ermutigt zu entscheiden. Sie sollen sicherlich vorher noch konsultieren. Doch im Prinzip können sie, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, Studiengänge errichten oder beseitigen. Das aber bedeutet, dass die Freiheit der Wissenschaft in einem ganz grundlegenden Sinn durch Organisation und Verwaltung eingeschränkt, wenn nicht beseitigt wird. Denn der Studiengang ist ja der konkrete Ort, an dem sich die Freiheit der Lehre und Forschung vollziehen muss. Was nutzt es den WissenschaftlerInnen, wenn sie ihren Gegenstand frei wählen können, dieser aber aufgrund veränderter Profilierungsstrategien des Präsidenten organisatorisch nicht mehr gewünscht wird. Damit dies noch reibungsloser möglich ist, wird das Gewicht der fachlichen Gesichtspunkte bei der Wahl eines neuen Professors verringert. Denn die Berufungskommission, die im Prinzip nach fachlichen Gesichtspunkten entscheiden sollte, wird nun nicht mehr von den Dekanaten der einzelnen Fachbereiche allein, sondern »im Einvernehmen mit dem Präsidenten« eingesetzt. Der Präsident kann nun also durch die Auswahl der Kommissionsmitglieder steuern, welche inhaltlichen Schwerpunkte und wissenschaftlichen Kriterien besondere Relevanz erlangen. Die Rangeleien und Intrigen unter den Wissenschaftlern, die ohnehin irrational genug sind, können nun noch überlagert werden durch die Machtbestrebungen des Präsidenten und die Liebedienerei nach oben. Die Dekane ihrerseits werden wahrscheinlich dem Wunsch des Präsidenten keinen großen Widerstand entgegensetzen, denn der Dekan wird in Zukunft »auf Vorschlag des Präsidenten oder der Präsidentin« aus dem Kreis der dem Fachbereich angehörenden ProfessorInnen gewählt. Der Präsident, hier wird es ausdrücklich gesagt, erhält also die enorme Kompetenz, noch bis in den für die wissenschaftliche Autonomie sensibelsten Bereich, die Berufung und damit die faktische Wissenschafts- und Forschungsentwicklung, administrativ hineinzuregieren. Über den von ihm abhängigen Dekan und im Einvernehmen mit diesem kann der Präsident unmittelbar auf die personelle Zusammensetzung einer Kommission Einfluss nehmen und damit sicher stellen, dass von vornherein keine ihm möglicherweise missliebigen Kandidaten aufgestellt werden. Sollte eine Kommission aufgrund fachlicher Überlegung einen Wissenschaftler auswählen, der dem Präsidenten nicht als zeitgerecht erscheint, also als jemand, der nicht in das Profil passt, das er für seine Hochschule vorgesehen hat, dann hat er das letzte Wort der Entscheidung. Denn das Recht zur Berufung eines Professors wird in Zukunft nicht mehr beim demokratisch gewählten und kontrollierten Minister, sondern beim Präsidenten liegen, der weder öffentlich noch in der Hochschule kontrolliert ist. Schließlich öffnet ihm noch eine weitere Regelung ein erhebliches Maß an Recht und Willkür. Das Präsidium entscheidet über die Leistungsbezüge der Professorinnen und Professoren. Dies aber bedeutet, dass die Präsidenten am Ende mit dem Mittel des Geldes signalisieren können, wen sie im Interesse der Universität für wichtig oder wenig wichtig halten. Dass dies schnell zu Mobbing oder Gesinnungsterror führen kann, indem Präsidenten die Höhe der Einkommen von Professoren als ein Instrument zur Regulierung von deren Willfahrigkeit nutzen, liegt auf der Hand.

Die neuen Regelungen der Organisation der Hochschulen ändert ihre Struktur und das Wissenschaftsklima grundlegend. Alle relevanten, das Wissenschaftsleben betreffenden Entscheidungen werden von einer zentralen Stelle aus getroffen. Es handelt sich um ein Top-down-Modell, das die Mitsprache von Wissenschaftlern nicht mehr vorsieht. Dies gilt auch und vor allem für den Bereich, der ihre Arbeit unmittelbar berührt. Organisationsveränderungen, die aus dem wissenschaftlichen Prozess, aus der wissenschaftlichen Diskussion angestoßen werden könnten, sind nahezu undenkbar. Verstärkt wir dies zum einen durch die Modularisierung der Studiengänge und zum anderen durch Leistungsverträge zwischen den HochschullehrerInnen und Präsidien. Entscheidend wird der Wille einer Person, des Präsidenten, der seinerseits vom Gesetzesentwurf auf im wesentlichen unwissenschaftliche Kriterien verpflichtet wird: Zeitgerechtheit und Wettbewerb. Doch in der Unbestimmtheit dieser Kriterien, die keiner demokratischen Kontrolle und keiner Diskussion unterliegen, sondern wie ein Naturgesetz die Politik, die Öffentlichkeit und nun auch noch die Wissenschaften beherrschen, kann sich der Opportunismus gegenüber herrschenden Trends und Moden, die Willkür und die Infamie kleingeistiger und despotischer Hochschulleitungen entfalten. Die Hochschulen werden zu Modellen praktizierten Autoritarismus, zu öffentlich finanzierten Einrichtungen, denen übergreifendes, kritisches Denken, denen die demokratische Haltung ausgetrieben wird. Jeder auf wissenschaftliche Argumente gestützte Dissens hinsichtlich der Gliederung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre muss sofort mit einer Serie von Sanktionen rechnen: Aberkennung von Leistung oder gar Beseitigung von Studiengängen, mithin also des eigenen Fachgebiets. Das ist der Einzug der Autokratie in eine öffentliche Einrichtung, die als Teil des demokratischen Rechtsstaats selbst auf demokratische Prinzipien verpflichtet sein sollte. Das ist die Beseitigung von Wissenschaftlichkeit im Namen des Wettbewerbs.

Das alles sind keine vagen Befürchtungen für die Zukunft, sondern wird schon praktiziert. Hier wird es gesetzesförmig ausbuchstabiert. Missliebige, randständige, für irrelevant gehaltene Studiengänge werden geschwächt oder geschlossen, weil sie angeblich nicht ins Profil einer wettbewerbsorientierten Hochschule passen, die Leistungen von Hochschullehrern oder Fachbereichen bei der Einwerbung von Drittmitteln werden von den Universitätsleitungen einfach manipulatorisch ignoriert. Nun könnte man ja einwenden, dass die Hochschulen sich dank der Initiative des Gesetzgebers selbst lenken werden, weil die Hochschulleitung aus Wissenschaftlern besteht, die doch sicherlich das Beste wollen. Das ist allerdings gar nicht sicher, weil ja die Stelle des Präsidenten öffentlich ausgeschrieben werden kann. Dabei ist nicht vorgesehen, dass es sich bei den Bewerbern um Wissenschaftler handeln muss. Darüber hinaus muss man auch die Wirkungen vor Augen haben, die die Logik des Amtes auf die Amtsträger haben. Werden es solche sein, die mit großem Weitblick, gelehrsamer Neugierde und Diskussionsbereitschaft, wissenschaftlicher Liberalität und persönlicher Großzügigkeit für die Sache der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre eintreten werden? Werden es jene Leader sein, die nach den neuen Managementmethoden nicht mehr autoritativ befehlen wollen, sondern in Netzwerken agieren, die Diskussion suchen und mit Visionen durch Konsens führen und Initiative anregen? Wenn es schon keine Demokratie an den Hochschulen gibt, dann möchte man wenigstens an den guten und kompetenten Herrscher glauben. Aber wie schon auf anderen Feldern wird eine solche Hoffnung wohl auch an den Hochschulen enttäuscht werden. Solche nahezu unkontrollierten Machtbefugnisse schaffen sich in der Regel ihr eigenes »Menschenmaterial« – wie es Max Weber genannt hätte. Die Machtfülle muss jeden überfordern und korrumpieren und zu der Raserei und dem Wahn führen, alles durchzusetzen, was der eigene Wille und die Laune eingibt. Die Erfahrungen mit einigen Hochschulen zeigen, dass Präsidenten oder Rektoren bereits jetzt, wo Machtkompetenz noch nicht so groß ist, die Neigung haben, sich von den Gremien, den Kollegen und der eigenen Verwaltung abzukoppeln und ihre Hochschulen absolutistisch wie Duodezfürstentümer zu leiten. Durch kein Organ wirklich der Kontrolle unterworfen oder korrigiert, können sie es sich leisten, das Ohr nur noch Schmeichlern, Intriganten, Kratzfüßlern zu öffnen. Der neue Sozialcharakter, der dem erwarteten Führungsstil entspricht, zeichnet sich bereits ab: es ist der hartleibige, schneidige Dezisionist, der von sich selbst übermäßig überzeugte, dem Cäsarenwahn verfallende, dem bürokratischen Geist und dem Dünkel der Allkompetenz verhaftete Potentat, der jeden sachlich-kritischen Einwand als Unbotmäßigkeit betrachtet und hinter der Maske höflicher Verbindlichkeit mit kaltem Durchsetzungswillen beantwortet, der anerkennungssüchtig den Großen dieser Welt hinterher läuft, von denen er gebraucht und gleichzeitig wegen seines Eifers belächelt wird. Der Präsident ist alles, die Wissenschaften sind nichts. Der demokratische Gesetzgeber würde also, indem er die Hochschulleitungen derart ermächtigte, nicht nur die Demokratie schwächen. Ebenso schlimm ist, dass auch etwas so Empfindliches wie die kreative und innovative wissenschaftliche Arbeit, die ohnehin an den Hochschulen so sehr bedroht und verhindert wird, durch die zu erwartende Reorganisation der Hochschulen weiteren und nachhaltigen Schaden nehmen würde. Nicht Hoffnung auf die guten Hochschulleiter, sondern Hoffnung auf die Rationalität der Wissenschaften bleibt, dass sie nämlich, die schon so viele autoritäre Zumutungen überstanden und überwunden haben, sich auch gegen diese behaupten werden.