Von der Verhinderung kritischer Wissenschaft

– das Berufungsverfahren zur Ritsert-Nachfolge #1#


Aus dem Verfahren zur Neubesetzung der Ritsert-Stelle am FB Gesellschaftswissenschaften lässt sich einiges darüber lernen, wie es um die Universitäten derzeit bestellt ist. (...)Die Hochschule war immer auch ein Ort, in dem eine linke Theoriebildung vorangetrieben werden konnte. Und diese Rolle wird sie wohl auch in Zukunft nicht völlig verlieren, auch wenn der Wandel derzeit dramatische Ausmaße annimmt. (...) Der gegenwärtige Umbruchprozess geht tiefer. Und er bedroht keineswegs nur eine linke Theoriebildung. Vielmehr geht es beim Umbau der Hochschulen zu einem postfordistischen Dienstleistungsunternehmen, das Ausbildung verkauft, um die Frage, ob sie überhaupt noch ein Ort von Theoriebildung sind. (...) Auf der anderen Seite ist die Verhinderung der Berufung von Alex Demirovic auf diese Stelle aber auch nichts völlig Neues, sondern steht in der Kontinuität von ähnlichen Verfahren aus der Vergangenheit. Dieses Verfahren weist zwar einige besondere Merkmale auf, auf die ich im Folgenden in aller Kürze hinweisen möchte. Aber für sich allein genommen würden diese noch nicht das Urteil einer Abwicklung kritische Theorie in Frankfurt nahe legen. Auch andere Verfahren in der Vergangenheit waren ähnlich desaströs im Hinblick auf die Weiterentwicklung kritischer Theorie ausgegangen. Ich verweise nur auf die Schell-Nachfolge und die Kampagne gegen Margit Mayer Mitte der 1980er Jahre. (...) Auf eine Abwicklung kritischer Theorie deutet allerdings einmal die ideologisch motivierte Energie hin, die in die Verhinderung einer Person deshalb gesteckt wurde, weil sie eine aktuelle Variante kritische Theorie repräsentiert. Und zudem kann man in Verbindung mit dem oben skizzierten Umbruchprozess von einem Umschlag der Quantität in Qualität sprechen: Irgendwann sind die verbliebenen Lehrenden, die sich noch einer Variante kritische Theorie verpflichtet fühlen, so ausgedünnt, dass man zum Studium dieser Theorie wohl besser einen anderen Ort – vielleicht auch außerhalb der Hochschulen – wählen muss.

Diese Befürchtung speist sich aus der Tatsache, dass Lehre immer noch von Personen vertreten wird. Es geht bei allem also nicht nur um Inhalte und Strukturen, um Theorien und Institutionen, sondern es geht auch um die Weitervermittlung von Denkansätzen durch Individuen (...)

Unendliche Geschichten gehen nicht immer gut aus

Gemessen an den normalen Besetzungsverfahren zeichnete sich dieses Verfahren zunächst durch seine Länge aus. Fast vier Jahre sind seit der Verabschiedung des Ausschreibungstextes und der Einsetzung der Berufungskommission (BRK) und dem Ende des Verfahrens vergangen (ohne dass zwischendurch eine Neuausschreibung erfolgt wäre). Eine BRK setzt sich aus ProfessorInnen, MitarbeiterInnen und Studierenden zusammen (zzgl. Frauenrat und ggflls. weiteren beratenden, d.h. nicht stimmberechtigten Mitgliedern), wobei allerdings die ProfessorInnen die Stimmenmehrheit haben. Dieser Kommission obliegt die Auswahl der KandidatInnen, die in die engere Wahl gezogen werden, die Einladung ausgewählter BewerberInnen zu einem Hearing, die Bestellung auswärtiger Gutachten und letztlich die Erstellung einer (in der Regel mit drei Personen) besetzten und in der Reihung gewichteten Liste, die dann an den Fachbereichsrat (FBR) und von da aus an den Senat weitergeleitet wird.

Die Verzögerungen ergaben sich allein aus den Hindernissen im Verfahren selbst und den taktischen Versuchen, sie zu umgehen. Dabei gab es – wie immer – schon um die Ansiedlung, den Ausschreibungstext und die Ausrichtung der Stelle Konflikte, die allerdings für das weitere Verfahren nicht weiter relevant waren. Wichtig ist nur: keine/r der BewerberInnen erfüllte alle genannten objektiven Kriterien – Logik der Sozialwissenschaften, Sozialphilosophie und Wissenschaftstheorie – optimal (zumal auch eine gewisse Erfahrung mit empirischer Sozialforschung wünschenswert war). Allerdings geht es in solchen Verfahren nie allein um inhaltliche Kriterien, sondern immer auch um Personen, die eine bestimmte Form von Theorie inhaltlich ausgestalten. Und hier kristallisierte sich sehr schnell der spätere Listenerste Alex Demirovic als der Kandidat heraus, auf den sich die Kommission – nach meinem begrenzten Eindruck – im Laufe des Verfahrens immer eindeutiger als Favorit einigen konnte. Allerdings war es ein langer Weg, bis es tatsächlich zu einer endgültigen Liste kam, die nach Wiesbaden weitergeleitet wurde.

Aufgrund der erwähnten Hindernisse verschiedenster Art fanden nämlich mehrere Anhörungstermine statt. Nach einer ersten Anhörung von fünf BewerberInnen kam es aufgrund eines Konfliktes mit dem Frauenrat zu einer Nacheinladung von zwei Kandidatinnen. Erst danach (und nach dem Eingang mehrerer Gutachten; dazu später mehr), wurde Ende Sommersemester 2002 eine erste Liste von der Kommission verabschiedet, die zu Beginn des Wintersemesters 2002/03 auch vom FBR verabschiedet wurde. Gegen diese Liste erhob jedoch der Präsident Einspruch, dem allerdings eine Intervention aus dem FB bzw. eines Mitglieds des FBR vorausging. Richtete sich diese Intervention in Form eines Briefes gegen inhaltliche Entscheidungen der Kommission – u.a. wurde fälschlicherweise die Nichtberücksichtigung eines Kandidaten moniert, der seine Bewerbung längst zurückgezogen hatte – brachte Präsident Steinberg den «Hausberufungsvorbehalt» gegen Alex Demirovic ins Spiel (zudem hatte der Listenzweite zwischenzeitlich eine C4-Professur angenommen und stand nicht mehr zur Verfügung – was allerdings nicht gerade gegen die Liste spricht). Dieser Vorbehalt wird uns noch weiter beschäftigen. Denn hier bewegen wir uns in einer juristischen Grauzone, die auslegungsbedürftig ist. Ursprünglich war dieser Vorbehalt, oft auch als «Hausberufungsverbot» dramatisiert, dazu gedacht, die Klüngelbildung an den Universitäten zu verhindern: Wer Mitglied einer Universität ist bzw. sich dort habilitiert hat, kann nur unter bestimmten Bedingungen berufen werden (letztlich der Ruf an eine andere Universität; allerdings gelten auch schon auswärtige Listenplätze und damit die Berufungsfähigkeit als ausreichend). So weit, so gut. Allerdings ist der Begriff «Hausberufung» nicht eindeutig geklärt. Damit gibt er aber der Willkür, sprich den jeweiligen Machtverhältnissen freien Raum. Immer wieder kommt es vor, dass «stärkere», d.h. vom Wohlwollen der Unileitung begleitete Fachbereiche völlig zweifelhafte Listen (mit nur einer Person besetzt, die zudem nicht nur im Verdacht der Hausberufung steht) ohne Probleme durch den Senat kommen, während dieser Vorbehalt in anderen Fällen als Instrument genutzt wird, um unliebsame Listen abzuschmettern oder unbeliebte FB abzustrafen. Die Behandlung der Liste «Ritsert-Nachfolge» ist so gesehen nichts Ungewöhnliches. Formal war in diesem Falle der Vorbehalt gegen Alex Demirovic aus dem Spiel, denn er stand zu diesem Zeitpunkt auf zwei anderen Listen an vorderer Stelle (zweimal Platz zwei), was seine Berufungsfähigkeit an andere Hochschulen unter Beweis stellt. Daher argumentierte der Präsident mit einer «materialen» Interpretation dieses Hausberufungsvorbehalts. Ich muss an dieser Stelle offen lassen, ob die Unterscheidung formal – material, die der Präsident (immerhin ein Jurist!?) überhaupt haltbar ist, denn eine materiale Auslegung von Gesetzen ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unproblematisch. Nun sah die Sache «material» aber nicht anders aus als «formal»: Alex Demirovic hatte mehrere Jahre an anderen Hochschulen Vertretungen ausgeübt; zuletzt allein 4 Jahre an der Universität Wuppertal. Damit gehörte er in «materialer» Betrachtung schon lange dem FB 03 nicht mehr an, auch wenn er sich dort einmal habilitiert hatte. Um seine Ablehnung der Liste zu begründen brachte der Präsident daher noch ein anderes Argument ins Spiel: die angebliche fehlende «Exzellenz» des Kandidaten. Dieser Vorwurf stützte sich auf eine äußerst selektive Interpretation der vorliegenden Gutachten; und er muss als willkürlicher Eingriff in die Kompetenz der Kommission gewertet werden, denn wer, wenn nicht die Kommission, kann die wissenschaftliche «Exzellenz» eines/r KandidatenIn beurteilen. Ein sachfremder Jurist jedenfalls nicht. Doch das war erst der Anfang. Denn letztlich ging es Steinberg – das wurde aus seinen schriftlichen wie mündlichen Stellungnahmen völlig klar – um die Ausrichtung von Demirovic an der kritische Theorie und damit um die Verhinderung einer solchen Theorievariante auf dieser Stelle.

Zu diesem Zeitpunkt kam es noch zu einem Kompromiss zwischen FB bzw. BRK und Präsidenten. Um die nach Ansicht von Steinberg im Ganzen schwache Liste zu stärken – neben dem Listenzweiten, der nicht mehr zur Verfügung stand, war die Drittplatzierte noch nicht habilitiert –, sollten neue BewerberInnen eingeladen und die Liste ergänzt werden. So kam es zu einer dritten Anhörungsrunde, zur Bestellung neuer Gutachten und letztlich zu einer neuen Liste. Diese Liste, die auf Platz eins wiederum von Alex Demirovic angeführt wurde, wurde sowohl von der BRK als auch vom FBR einstimmig angenommen. Das stellt meines Wissens ein Novum in der Geschichte der FB 03 dar (wobei allerdings unklar ist, ob hinter den Kulissen auch tatsächlich alle Mitglieder des FB hinter der Liste standen und sie nicht still und heimlich torpedierten). Doch selbst die Einmütigkeit, so sie denn wirklich bestand, konnte nicht helfen. Schon im Senat kam es zu einer harten und knappen Auseinandersetzung; und in Wiesbaden war inzwischen von Seiten der Unileitung derartig vorgearbeitet worden, dass die Berufung des Zweitplazierten letztlich zu erwarten war. Um zu verstehen, wie es dazu kam und was diese Entscheidung bedeutet, muss man etwas tiefer in die Details gehen.


Gremienarbeit als ABM-Maßnahme

Noch auf einer Veranstaltung im Oktober 2003 behauptete Präsident Steinberg auf Nachfrage, er würde einer neuen, ihm damals noch gar nicht als BRK-Bericht vorliegenden, weil noch gar nicht beschlossenen Liste, unvoreingenommen gegenüberzustehen und sie ausgangsoffen prüfen wollen. In Wirklichkeit hatte er zu diesem Zeitpunkt schon damit begonnen, die Instrumente zum Abschießen der Liste zu schmieden, ob auf eigene Faust oder mit Anschub aus dem FB mag offen bleiben. Zu diesem Zweck hatte er nämlich schon Anfang Oktober 2003 drei Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben. So muss man diese nämlich nennen – vielleicht besser noch: «so genannte Gutachten». Denn er bestellte von drei Fachvertretern, die man mit den Namen Kollegen sicher nicht mehr ansprechen kann, Gutachten, die in keiner Weise den Standards wissenschaftlicher, gar vergleichender Gutachter in einem Berufungsverfahren entsprechen. Diese drei «Gutachter» erhielten weder die vollständigen Unterlagen noch verglichen sie wenigstens alle zur Platzierung vorgesehenen Kandidaten mit allen eingereichten Schriften. Statt dessen bezogen sie sich äußerst selektiv lediglich auf eine nicht repräsentative Auswahl und nahmen einen äußerst fraglichen Vergleich vor. Mehr noch: Einer der Gutachter war befangen (weil einer seiner Sprösslinge im Verfahren war) und einer hatte – erklärtermaßen!! – von der Materie keine Ahnung und erklärte sich für nicht zuständig. Eigentlich waren diese «Gutachten» auch gar kein Bestandteil des Verfahrens, sondern wenn überhaupt nur Teil der privaten Meinungsbildung des Präsidenten. Legal, Illegal, Scheißegal: Letztlich spielten sie im weiteren Verfahren eine entscheidende Rolle. Mit ihrer Hilfe wurde aus dem Bericht über die Kommissionsarbeit, d.h. über eine Arbeit, an der mehr als ein Dutzend sachkundiger FachvertreterInnen über mehrere Jahren hinweg mitgewirkt hatten, ein äußerst kostspielig und zeitaufwendig erstelltes Klopapier.

Diese Entwertung ereignete sich schon bei der Behandlung der Liste im Senat. Obwohl nach Aussage des Präsidenten kein Bestandteil des Verfahrens, begründete der Senatsbeauftragte, der eigentlich nur das formal richtige Zustandekommen dieser Liste begutachten sollte, seine inhaltlichen Bedenken gegen diese Liste (wovon er, weil Fachfremd, eigentlich keine Ahnung hatte) mit Voten aus diesen «Gutachten». Trotzdem war die Attacke auf die Liste nicht erfolgreich. Der Präsident scheiterte mit seinem Antrag, die Liste an den FB zurückzugeben (sprich: die Stelle neu auszuschreiben). Allerdings scheiterte auch der umgekehrte Antrag, die Liste mit Zustimmung des Senats an das Ministerium weiterzuleiten, da unter den anwesenden und stimmberechtigten Mitgliedern des Senats ein Patt herrschte.

Hatte der Präsident damit sein Ziel, die Liste abzuschmettern und an den FB zurückzugeben, eigentlich verfehlt, dann war sie nun gleichwohl entscheidend geschwächt worden. Doch der FB entschied sich dafür, die Liste auch ohne Senatsvotum an das Ministerium weiterzureichen. Angesichts der Situation war dies die einzige Möglichkeit, wollte man nicht das Verfahren für gescheitert erklären und die Stelle neu ausschreiben. Die (zugegeben nur geringe) Hoffnung bestand darin, in Wiesbaden mit den besseren Argumenten den ideologisch motivierten Widerstand des Präsidenten auszuhebeln. Doch man musste wieder einmal erfahren, was man eigentlich auch vorher wusste: Macht zeigt sich ignorant gegen die Logik der Argumente. Trotz Intervention von Studierenden, die es immerhin erreichten, dass das Verfahren überhaupt noch mal ernsthaft geprüft wurde, spielten letztlich Kriterien bei der Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle, die man nur noch staunend zur Kenntnis nehmen kann. Da sind zunächst die Gutachten und die so genannten «Gutachten». Im Laufe des Verfahrens waren schon eine ganze Reihe vergleichender Gutachten erstellt worden, so für die erste Liste vier auswärtige Gutachten. Da einer dieser Gutachter sich inzwischen selbst auf eine Stelle am FB 03 beworben hatte, kamen diese für die Erstellung der zweiten Liste nicht mehr in Frage. Um eine möglichst große Unparteilichkeit zu gewährleisten, wurden dann für die zweite Liste gleich zwei ausländische Gutachter beauftragt, die sich beide völlig eindeutig für den Kandidaten Demirovic auf Platz 1 aussprachen. Nicht zuletzt sein unvergleichlich klareres Profil im Hinblick auf die Ausschreibungskriterien, seine breite internationale Reputation und auch seine Erfahrungen mit empirischer Sozialforschung (die er als einziger vorzuweisen hatte) sprachen für ihn.

Doch neben diesen wirklichen Gutachten gab es ja noch die «so genannten», die ja eigentlich gar nicht Bestandteil des Verfahrens waren und trotzdem in Wiesbaden vorlagen. Doch es kam noch besser. Um seine Entscheidung zu fundieren, zog der Ministerialbeamte letztlich eine Rezension der Habilschrift von Alex Demirovic aus einer Fachzeitschrift heran, wobei er offensichtlich noch nicht einmal in der Lage war, diese Rezension richtig zu deuten. So übersah er völlig, dass allein schon die Länge dieser Rezension ein Indiz für die Bedeutung dieses Buches war (die durch eine Vielzahl von anderen Rezensionen bestätigt wurde), auch wenn inhaltlich daran Kritik geübt wurde – man suche einmal eine umfassende Rezension ohne Kritik!? Worauf es ihm aber offenkundig nicht mehr ankam, dass war das fundierte Urteil der vergleichenden Gutachten wie des Kommissionsberichts. Letztlich handelt es sich um eine ideologisch motivierte Willkürentscheidung. Egal, welche fachlichen Kriterien auch zu berücksichtigen wären, ging es nur noch um die Verhinderung einer Person mit einer klaren Ausrichtung auf die kritische Theorie. Eine besondere Pointe dabei ist, dass immer wieder eine Passage aus einem Gutachten zitiert (und dabei aus dem Zusammenhang gerissen) wurde, die Alex Demirovic als Vertreter einer orthodoxen Variante der «Frankfurter Schule» hinstellte. Dabei wurde ignoriert, dass ausgerechnet dieser Gutachter ihm vorwarf, gerade nicht orthodox in dieser Tradition zu stehen, sondern sie aus einer anderen theoretischen Sicht zu betrachten und dabei (nach Ansicht des Gutachters) zu verfehlen.

Nun muss man in Rechnung stellen, dass die Arbeit von BRK immer kompliziert und unberechenbar ist und diese Kommissionen nicht gerade einen Idealtypus an Verfahrensrationalität repräsentieren, da sie oft von einer unberechenbaren Gruppendynamik geprägt wird. Immerhin stellt sie überhaupt den Typ eines geregelten Verfahrens mit klaren Abläufen und Kompetenzen dar, bei der sowohl die Fachkompetenz als auch formale Chancen auf Gleichbehandlung und Transparenz im Prinzip, d.h., wenn sie nicht unterlaufen werden, berücksichtigt werden. Deswegen sind für die auch nur die vergleichenden Gutachten rechtlich verwertbar, die im Laufe dieses Verfahrens nach strengen Regeln eingeholt worden sind, und nicht irgendwelche anderen «so genannten». Angesichts sonstiger Erfahrungen aus BRK, die oft mit lebenslangen Feindschaften enden, war es schon erstaunlich, dass die Konflikte in diesem Fall gerade nicht innerhalb der Kommission, von Einzelfällen abgesehen noch nicht mal im FB, sondern auf den darüber liegenden Ebenen aufbrachen. Gerade dieses Verfahren hat denn auch die Grenzen von Gremienarbeit deutlich gemacht. Denn genau dieses halbwegs rationale Verfahren, wird durch zwei Verwaltungsbeamte konterkariert, durch einen Universitätspräsidenten und einen Ministerialbeamten, die keinerlei inhaltliche Kompetenz besitzen (wie auch als Fachfremde), sondern lediglich kontrollieren sollen, ob alles formal mit rechten Dingen zugegangen ist – und die diese Prüfung als Ermächtigung zur eigenen Willkürentscheidung missbrauchen.

Wenn die Arbeit dieser Kommission, die eine Unmenge an Zeit und Energie verschlungen hat, die letztlich von einem ideologisch motivierten Präsidenten und einem inkompetenten Ministerialbeamten vom Tisch gefegt wurde, dann ist daran besonders interessant, dass es letztlich doch ein hierarchisch, staatlich verankertes Entscheidungsverfahren war, dass hier den Ausschlag gegeben hat (was nebenbei bei Kolleginnen aus dem angelsächsischen Raum, die sich seit Jahren um eine marktförmige Profilbildung ihrer Departments bemühen müssen, nur verständnisloses Kopfschütteln auslöst). Daran kann man dann noch einiges über den Zustand und die Entwicklungstendenz der deutschen Universitäten lernen.


Die Addition der Nachteile

– das Zusammenspiel von Markt/Profilbildung und Staat/Bürokratie

Als postfordistischen Dienstleistungsunternehmen sucht die Universität Frankfurt/M. ihre corporate identity aufzufrischen. Ein neues corporate design soll her – Stichwort: «Goethe aus dem Kasten befreien», trivialer gesagt: einen neuen Briefkopf entwerfen – und ein neues Logo wird kreiert: «Hier wird Wissen Wirklichkeit». In der Tat! Um einen Buchtitel eines ehemaligen Kollegen (L.Hack) zu zitieren: «Die Wirklichkeit, die Wissen schafft». Hier schafft sich der neoliberal gewendete Postfordismus seine ihm eigene Form von Wissenschaft. Diesen Prozess kann man an diesem Verfahren etwas genauer kennen lernen. Da ist zunächst der normale Aberwitz der Verhältnisse. Ausgerechnet der Präsident, der im Uni-Intern 2/04 einen Aufruf startet, ein «Bild der Geschlossenheit» nach Außen hin zu präsentieren, inszeniert gegen einen Bewerber für eine Stelle, gegen einen FB der eigenen Universität und letztlich gegen eine wissenschaftliche Denkrichtung, die im In- und Ausland mit dieser Universität zu aller erst assoziiert wird, eine regelrechte Mobbingkampagne. Doch dieser Irrwitz hat durchaus System. Entgegen allen Verlautbarungen, es käme auf Profilbildung im Wettbewerb der Hochschulen an, also um eine bessere Marktposition in der Konkurrenz, dominiert in diesem Fall letztlich doch ein staatlich-hierarchischer Entscheidungsprozess und ideologisch motiviertes Kriterium, dominierte, streng in der deutschen Tradition, die staatliche Bürokratie. Dahinter steckt jedoch eine klare Botschaft. Kritische Theorie ist für das kritiklose Hinnehmen neoliberaler Standortpolitik, für das Verinnerlichen des Glaubens an die Sachzwänge des Marktes und der Globalisierung eben nicht förderlich. Daher will man sie nicht – unabhängig davon, ob sie wissenschaftlichen Kriterien oder gar der eigenen Marktlogik der Profilbildung entspricht. Würde man an die eigene Logik glauben, dann wäre die Tradition der »Frankfurter Schule« ein Aushängeschild für eine Universität, die dafür doch in fast aller Welt bekannt ist und immer noch aus aller Welt Studierende anzieht. Zumal der FB 03, bei allem was man sonst über ihn sagen und schreiben kann (und ob er eigentlich noch was mit dieser »Frankfurter Schule« gemein hat), gerade nach konventionellen Kriterien (Drittmittel, Publikationen, Auslastung etc.) ein starkes Standing hat.Doch das spielt letztlich keine Rolle. Noch nicht einmal das »Bild der Geschlossenheit« wird formal aufrechterhalten, wird doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit der vermeintlich verstaubte, von »Alt-68ern« geprägte FB 03 runtergeputzt. (...) Auch das postfordistische Dienstleistungsunternehmen »Hochschule« bleibt ein Teil der ideologischen Staatsapparate und muss zuallererst seine Funktion in der ideologischen Reproduktion des globalisierten Kapitalismus erfüllen. Daher ist die Verve gegen kritische Theorie so gesehen durchaus verständlich, wurde doch die Funktion dieser Institution in diesem Verfahren mal wieder zur Kenntlichkeit gebracht. Als Teil dieser Staatsapparate ist es von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen geprägt, die sich (nach den Worten von Nicos Poulantzas) in ihm »verdichten«. Dies impliziert, dass die Neuausrichtung der Universitäten von den hegemonialen Denkmustern neoliberaler Provenienz entscheidend geprägt ist. Wenn dabei Verwertungsgesichtspunkten dominieren, dann auch deshalb, weil sich anders als zu früheren Zeiten kaum Gegenkräfte artikulieren, die dieser Ausrichtung etwas anderes entgegensetzen können. Daher wird es immer schwieriger, wenigsten noch Nischen kritischen Denkens offen zu halten oder gar alternative Entwürfe universitärer Praxis zu formulieren. Vielleicht wäre es in Zukunft deshalb immer wichtiger, sich an die Kritikstrategie der »Frankfurter« wieder zu erinnern und in aller Schärfe die negative Tendenz auszusprechen, die sich im Umbau der Hochschulen artikuliert – nicht um damit angesichts dieser Tendenz zu resignieren, sondern um gerade durch die Schärfe der Kritik die Notwendigkeit einer radikalen Veränderung zu betonen. (...)


Christoph Görg

#1# Von der Redaktion gekürzter Beitrag zur Veranstaltung: Kritische Theorie in Abwicklung. Ist die Hochschule (noch) Ort linker Theoriebildung?