This is not a nice place

Gegen Hegemonie im IG-Farben Haus


Seit dem Sommersemester 2001 ist der Großteil der Geistes- und Kulturwissenschaften im IG Farben Haus untergebracht. In den Monaten des Um- und Einzugs wurde an diesem Gebäude noch herumgemäkelt: Dass es Seminarräume ohne Fenster gibt, Lagerräume in Seminarräume umgewandelt werden, weil es bereits von Anfang an eine Überbelegung gibt, dass Institute massenweise Bücher aussortieren mussten, weil die Räume der neuen Bibliotheken nicht stabil genug aber denkmalgeschützt sind und nicht umgebaut werden dürfen. Das war eine eher langweilige Kritik. Aus linker Sicht gibt es viel interessantere und wichtigere Kritik an dem IG Farben Haus und der Politik, die dort gemacht wird.

Hier hatte der IG Farben Konzern, deren Tochterfirma u.a. das Gas herstellte, mit denen in den Konzentrationslagern Millionen von Menschen vergast wurden, seinen Hauptsitz. Im Vorfeld des Umzugs gab es noch Debatten darüber, wie damit umzugehen sei. Seit der offiziellen Eröffnung im Oktober 2001 ist Schluss damit: Eine Ausstellung ist installiert und der Gedenkstein eingelassen (beides wurde gegen den Willen der Uni-Leitung durchgesetzt). Den Opfern der IG Farben hat man nun genug gedacht und endlich kann man sich dem schnellen und zukunftsfähigen Studium widmen, mit dem guten Gewissen einer bewältigten Vergangenheit. Konsequent also, dass die Uni-Leitung den Sprachgebrauch von ‹‹IG Farben Haus›› in ‹‹Campus Westend›› durchsetzt, sich an diverse Versprechen gegenüber den überlebenden ZwangsarbeiterInnen der IG Farben nicht erinnert und mit enormer Geschwindigkeit in die neoliberale Zukunft rennt. Es ist eben nicht nur die Adresse, die sich mit dem Umzug von traditionell eher linken Fachbereiche geändert hat. Im IG Farben Haus ist die Zukunft der Uni immer ein bisschen eher da, weil man sich hier mehr Mühe gibt.


Volle Kraft voraus

Uni-Präsident Steinberg redet stolz vom neuen Campus: ‹‹Wir bauen die modernste Universität Europas›› und ‹‹Die europäische Metropole Frankfurt/Rhein-Main braucht eine erstklassige Universität››. Wenig überraschend ist die Tendenz, die Uni zum Standortfaktor zu machen, an dem nach marktwirtschaftlichen Kriterien studiert werden soll: Output-orientiert, effizient, schnell; im ‹‹erstklassig›› klingt auch etwas Elitäres mit. Das ist nichts Außergewöhnliches, jedoch gelingt es im IG Farben Haus besser als in Bockenheim, die Uni auf eine Reproduktionsanstalt angeblich nützlichen Wissens zu beschränken. Errungenschaften (nicht nur) der 68er, die im alten Gebäude nach und nach abgebaut werden, wurden gar nicht erst eingerichtet. Außer Uni gibt es auf dem Campus und in der Nähe nichts, außer Studieren ist hier nichts möglich.

Hier kommt die Architektur der Politik entgegen: Bei der Restauration des IG Farben Hauses wurde Wert darauf gelegt, den Original-Zustand wieder herzustellen und bauliche Veränderungen, die die Verwaltung der amerikanischen Alliierten vorgenommen hatte – etwa mehr Farbe und Zwischendecks – wurden rückgängig gemacht. Verlässt man dem Seminarraum, wird man direkt auf dem Gang ausgespuckt, der keine Aufenthaltsmöglichkeit bietet um z.B. bei einer Zigarette in Ruhe über das Seminar zu diskutieren. Ständig wollen Leute vorbei und hinsetzen kann man sich auch nicht, weil aus Brandschutzgründen Sitzmöbel nicht erlaubt sind (außerdem besteht ein generelles Rauchverbot). Dazu muss man schon in die Rotunde gehen, die besonders im Winter und bei Regen laut und voll ist und schon hat man die nachhängenden Gedanken aus dem Sinn und die KommilitonInnen aus den Augen verloren. In zehn Minuten fängt auch schon das nächste Seminar an.


Raummarketing von CampuSERVICE

Im Grunde ist nichts dagegen zu sagen, wenn eine zentrale Koordinationsstelle für alle Veranstaltungen an der Uni, welche die Hörsaalverwaltung entlastet, eingerichtet wird. Doch die 2001 gegründete CampuSERVICE GmbH ist als privater Dienstleister nur dem Unipräsidenten unterstellt und somit nicht rechenschaftspflichtig gegenüber Studierenden oder Fachbereichen. Zudem ist CampuSERVICE vor allem dazu da, externe OrganisatorInnen zu betreuen, die in der Regel repräsentative und kommerzielle Großevents veranstalten und Geld in die Kasse der Uni (und von CampuSERVICE) bringen sollen. Diese Ausrichtung führt beizeiten dazu, dass Institute für Konferenzen keine Räume mehr im IG Farben Haus bekommen, weil sie an einen Career-Monitoring-Challenge-Kick-Off oder an die Deutsche Bank vermietet sind.

Dies hat zur Folge, dass kleinere, Uni-interne und vor allem nichtkommerzielle außeruniversitäre oder studentische Aktivitäten wie Fachschaftspartys unter die Räder kommen. Veranstaltungsräume länger als bis 22.00 Uhr zu beantragen ist ein großer bürokratischer Akt und manchmal bekommt man die Räume auch nicht, wenn sie frei sind. Selbst kulturelle Projekte von Studierenden der Uni Frankfurt wie redpark müssen Miete für Räume bezahlen. Nach 20.00 Uhr kann nur das Gelände betreten, wer von den PförtnerInnen des Sicherheitsdienstes auf das umzäunte Gebiet gelassen wird. FachschaftsvertreterInnen werden dazu genötigt, für Partys einen Vertrag zu unterschreiben und persönlich zu haften. Dieser Vertrag umfasst unter anderem, Gäste ggf. nach Drogen zu überprüfen und Sicherheits-, Ordnungs- und Sanitätspersonal zu stellen. Musik ist nur in Zimmerlautstärke bis 22 Uhr erlaubt. Dieser Campus ist eben zum Studieren und Repräsentieren, nicht aber zum Diskutieren, Reflektieren, Abhängen und Feiern da. Auf dem alten Campus Bockenheim, wo die Geisteswissenschaften in separaten Häusern untergebracht waren, genügte eine mündliche Absprache mit dem Hausmeister, und schon durften die Plattenteller abdrehen...


Grüße vom ‹‹monumentalen Tummelplatz der geistigen Reflexionen›› (Steinberg)

Neben den im (alten) Hochschulrahmengesetz vorgeschriebenen Fachschaftsräumen gibt es keinen festen Raum für studentische Projekte oder Veranstaltungen. Das Flugblatt-Verteilen in der Mensa ist untersagt bzw. nur mit Genehmigung erlaubt – was nicht heißt, dass man sich daran halten würde – es verhindert aber, dass Politik in den Unialltag selbstverständlich dazugehört. Aufkleber und Sprüche an der Klotür werden binnen zwei Stunden entfernt und Auslagen von Fensterbänken täglich weggeworfen. Das durchgesetzte Plakatierverbot bedeutet das Verdrängen von außeruniversitärem Leben, Politik und Gesellschaft aus dem Blick der Forschung.

Aushänge gibt es trotzdem: an den dafür vorgesehenen Plätzen werden die kommerziellen Konferenzen beworben. Info-Stände gibt es auch: Allerdings nicht zur Solidaritätsarbeit in Nicaragua. Auf dem Weg in die Mensa kommt man an irgendwelchen Promotion-Ständen vorbei, die einem Abos, Verträge, Versicherungen und Karrieremanager verkaufen. Vom eingezäunten und bewachten Gelände wird das nicht-effiziente Außen der Uni ausgeschlossen; die Uni soll nicht Teil des Stadtteils und für vorbeiziehende Menschen oder AnwohnerInnen begehbar werden. Wer es auf das Gelände schafft, gehört zur (Bildungs-) Elite. Willkommen in der exklusiven Universitätscommunity. Lediglich die Anwesenheit des stets unfreundlichen, vermutlich untertariflich bezahlten privaten Sicherheitsdienstes zeugt davon, dass dieses Unikonzept von Elite und Ausschluss mit Gewalt durchgesetzt werden muss.

Hoffnungen darauf, dass die Linken an der Uni besser zusammenkommen, weil sie nicht einzeln und verstreut in abgelegenen Institutsgebäuden vor sich hinsauern sind nicht aufgegangen. Nicht, dass es keine kritischen Veranstaltungen gibt: Einige linke DozentInnen nahmen den Umzug ins IG Farben Gebäude zum Anlass, antifaschistische Seminare anzubieten und natürlich sind nicht alle kritischen Menschen beim Umzug verloren gegangen – obwohl: wahrscheinlich sind es gerade sie, die sich wegen der Herrschafts-Architektur des Gebäudes und seiner Geschichte hier nicht wohl fühlen und auch keinen Frieden mit ihm schließen wollen - man bekommt jedoch schwieriger von ihnen mit.

Erst im Streik im Wintersemester 2003/04 wurde durch die anerkannte Proteststimmung das Streikcafé im Foyer des IG Farben Hauses geduldet; zum ersten Mal gab es einen für längere Zeit sichtbaren Anlaufpunkt oder überhaupt einen wahrnehmbaren Ort, an dem man bei billigem Kaffee ungezwungen abhängen, einhalten und über Aktionen plaudern konnte.


Raummarketing II

Der neuste Clou ist, dass Fachbereiche ihre Räume von der Uni anmieten und wenn sie ‹‹zuviel Platz›› haben, diesen selbst bezahlen oder untervermieten müssen. Fachbereiche werden also als KundInnen der Uni entworfen und nicht etwa als Teil von ihr. Der Standort Uni gibt das Logo, mit denen die Fachbereiche in produktiver Konkurrenz untereinander am Wissensstandort teilhaben. Schließlich könnten die Institute ja Drittmittel eintreiben, um ihre Miete zu bezahlen. So werden DozentInnen zu ManagerInnen ihrer Forschungsgebiete.

Da die Räume aber aufgrund des Denkmalschutzes in ihrer Größe nicht änderbar sind, führt es entweder dazu, dass MitarbeiterInnen der Institute in kleinen Räumen des Gebäudes zerstreut sein werden oder sie zusammenrücken müssen und sich so beim Arbeiten behindern. Bei dem geforderten Quadratmeterpreis würde es für eine Professorin, ihre HiWi und ihre Assistentin billiger sein, in ein nahegelegenes Bürogebäude umzuziehen und Sprechstunden in der Cafeteria abzuhalten. Dort könnte man im Übrigen auch nach 22.00 und sonntags problemlos Zugang zu den Räumen erhalten, ohne sich beim Pförtner dafür zu rechtfertigen, warum man das schmucke Gelände nun betreten wolle.

Die Preisfrage lautet: was passiert mit den so freigewordenen Räumen? a) Er wird studentischen Initiativen zugänglich gemacht b) gar nichts, weil die Fachbereicht und Institute sich gegen diese Praxis geschlossen wehren werden c) Es soll für repräsentative Institute Platz gemacht werden d) Niemand Gedanken zu gemacht, der Beschluss führt zu Leerstand in einem überbelegten Gebäude.


Umzug der Uni auf das ‹‹Westend-Areal››

Das ‹‹Westend-Areal››, auf dem sich bislang nur das ‹‹Poelzig Ensemble›› (IG Farben Haus und Mensa) befinden, soll langfristig alle Fachbereiche außer Medizin und Naturwissenschaften beheimaten. So richtig weiß noch niemand, wie der Neubau der Institutsgebäude finanziert werden soll, aber Pläne für den Umzug gibt es schon: Zuerst sollen die repräsentativen Fachbereiche auf den repräsentativen Campus (Wirtschaftswissenschaften, Jura und ein neugegründetes und zum Teil gesponsertes House of Finance). Verlieren werden die Turmfachbereiche: Sie sollen aus dem brandgefährdeten Turm in das Juridicum umziehen, um dann ein paar Jahre später nochmals umzuziehen. Lehren und Forschen für die Zeit des Umzugs und des provisorischen Zwischenstopps im Juridicum wird sehr erschwert, wenn nicht verunmöglicht.


Gegen Hegemonie, für Gegenhegemonie

Im Namen von ‹‹den Studierenden›› etwas zu kritisieren funktioniert weniger denn je. Die durchschnittlichen StudentInnen finden nämlich einfach alles toll: Das Besteck in der Mensa sei nun sauber, die Paternoster lustig, die Architektur insgesamt beeidruckend und die Wiese schön; es sei ja auch nett, dass nicht alles so heruntergekommen ist und keine Obdachlosen und Junkies beim Studieren die heile Welt durchkreuzen. Kleinkriegen zwischen Ortsansässigen, die ihre Präsenzbibliothek nutzen und BWLerInnen und Jura-Studierenden über die wenigen freien Arbeitsplätze fehlt ebenfalls die emanzipatorische Komponente.

Ja, die andere Seite hat gewonnen, das muss man einmal sagen. Aber das heißt nicht, dass man ihnen den Sieg schenkt oder nicht streitig macht. Kritik an der Haus- und Unipolitik ist viel subtiler geworden; dass überhaupt Aushandlungsprozesse stattfinden und einzelne Leute versuchen, gegen diese Hegemonie anzutreten, ist kaum wahrnehmbar.

Der Kampf auf verlorenem Posten kann nicht heißen, zu allen Gremiensitzungen zu gehen und minimale Veränderungen zu bewirken, die man sich als große Errungenschaften einredet. Aber man wird auch nicht gänzlich drumherum kommen, sich auf die unsäglichen Gegebenheiten zu beziehen und sich damit erst einmal darauf einzulassen: Linke Politik geht heute zum Grossteil davon aus, dass sie Nischen aus vorigen Zeiten nutzt, verteidigt und von ihnen aus agiert. Eine Tradition linker Politik gibt es im neuen Gebäude nicht. Den Status quo verteidigen hieße gar nichts zu verteidigen. Alles muss sich neu erkämpft werden, in einem Rahmen, in dem Aushandlungsprozesse eigentlich schon gelaufen sind.