kleine texte zur rassismuserfahrung




hanoi in berlin

In einem Schuhgeschäft auf dem Ku´damm sprach mich ein Mann um die vierzig an. Er saß auf einem Stuhl. Eine Frau kniete vor ihm, um bei seiner Schuhauswahl behilflich zu sein. Er schien sehr erregt, als er mich erblickte. Er sprach mich an, doch verstand ich kein Wort. »Entschuldigung?«, erwiderte ich verunsichert. Er adressierte mich erneut, diesmal klang es nach einer anderen Sprache. Doch auch jetzt wusste ich nicht, wie mir geschah. Erst im dritten Anlauf offenbarte sich der Fremde in seiner Erstsprache: »Sind Sie kein Chinese?«, fragte er beinahe ungläubig. Ich schüttelte den Kopf. Bevor ich jedoch etwas zu sagen wusste, trat er einen weiten Schritt auf mich zu und redete wieder drauf los, ohne dass ich folgen konnte. »Sie sprechen auch kein japanisch?«, stellte er enttäuscht fest, während die Frau zu seinen Füßen zur Seite ging. »Na, woher stammen Sie denn nun?« Es drängte den Mann nach Auflösung des Rätsels. Wahrheitsgemäß und in der Hoffnung, endlich in Ruhe gelassen zu werden, antwortete ich: »Hanau«. Daraufhin fasste er sich an den Kopf, als hätte er doch selber darauf kommen müssen und sagte erleichtert: »Ah, natürlich! Hanoi!«

Chris Tedjasukmana


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»performing ethnicity«

Mit Ämtern verbindet eine(n) im Laufe der Zeit ja doch immer eine Beziehung. Nur das BAföG-Amt wollte mit mir so gar keine Liaison eingehen – dabei hatte ich mich bestens auf Sachlichkeit, Nüchternheit und vor allem die Bewahrung eines kühlen Kopfes für den Umgang mit Antragsregelungsbürokratie und ausführenden Vertreter / innen vorbereitet. Das half nichts, letztlich lief es »anders«. Aber von vorn.

Ich hatte ein Studium begonnen und beantragte BAföG. Da ich vorher jedoch schon mal in einer andere Stadt, Uni und Fachrichtung (ohne BAföG) eingeschrieben war, wusste ich, dass ich meinen »Fachwechsel« begründen müsste. Eine relativ gewöhnliche Situation. Ich argumentierte also sachlich und schrieb über die Änderung meiner Interessen. Der Bescheid, eine Absage, kam relativ schnell. Anlauf zwei: Ich erkundigte mich bei Studierenden der »ehemaligen« Uni über das Studium, das ich nie angetreten hatte, um meine Argumentation zu verbessern. Ich schrieb einen Bericht untermauert von trockenen Fakten, was ich gemacht hätte, worin ich nicht gut war, was mich warum nicht weiterbrachte – kurz: warum das Fach aber auch so gar nichts für mich war. Die immer noch negative Antwort ließ diesmal drei Monate auf sich warten.

Inzwischen hatte ich meinen kühlen Kopf verloren und war einigermaßen zerknirscht, als mich jemand fragte, ob ich es schon mal über die Schiene meiner undeutschen Herkunft probiert hätte. Mmh ... ein emotionalisierter Bericht über ein traditionelles und islamisches Elternhaus, also über meine »gemeinen türkischen Eltern«, die so gar nicht sind, als Trumpfkarte meiner »Selbst-Ethnisierungs-Strategie« ... und ich als zwischen den »kulturellen Stühlen« sitzendes, zerrissenes Subjekt, das nur über das BAföG-unterstützte Studium in die aufgeklärte Moderne entfliehen kann? Also, genau das schreiben, was die Leute immer hören wollen, ein Abziehbild ihrer eigenen stereotypen Bilder? Auch wenn ich mich gegenüber meinen Eltern bis heute dafür schäme: das war Versuch 3, das Amt für eine Beziehung zu erwärmen. Diesmal erhielt ich Antwort in kürzester Zeit: positiv. Gut, dass so multikulturalistisch geschulte Expert / innen in BAföG-Ämtern sitzen...?

emka


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ius sanguinis: »mein persönlicher arier-nachweis«

Den deutschen Pass zu haben, hat, bei aller Abneigung gegen den Adler auf roten Grund, einige Vorteile. Man kann in fast jedes Land der Welt reisen oder das Dokument auch als taktisches Werkzeug benutzen, um zum Beispiel den Aufenthalt von anderen hier zu sichern. Bei aller Abneigung gegen die Institution Ehe ist sie eines der wenigen taktischen Werkzeuge, um das Grenzregime auszuhebeln: so kam es auch zu meiner Heirat. Nachdem ich mit der mir Angetrauten einige glückliche Ehejahre verbrachte, eröffnete sich nun die Möglichkeit, ihren Aufenthalt über die Ehe hinaus abzusichern, durch einen Antrag auf Einbürgerung. Was mir dabei nicht so klar war, war, dass ich als Kartoffel von Geburt an fast genauso viele Papiere anschleppen musste wie meine Gattin, die Kartoffel werden wollte. Seit meinem ersten Schrei galt ich – und die Standesämter sind schnell mit der Erfassung von Daten der nationalen und geschlechtlichen Eindeutigkeit – als Deutscher, ohne jemals dazu gefragt worden zu sein. Mit dieser Selbstverständlichkeit schleppt man sich dann so durchs Leben, bis plötzlich in einem Teil des Einbürgerungsantrags auch der Gatte nach der Legitimation seines Blutes befragt wird und zur eifrigen Ahnenforschung angeregt wird. So verlangte das Standesamt von mir Papiere meiner Eltern und Großeltern (Geburts- und Heiratsurkunden), die allerdings kaum noch zu beschaffen waren. Bisher hatte ich mit solcher Ahnenkunde reichlich wenig am Hut (wahrscheinlich auch mit der Vorahnung, dort mehr Nazis als Kommunisten ausfindig zu machen). Vorteil war für mich in diesem Fall, dass sich das deutsche Amt nur für die patrilineare Abstammung interessierte, denn wer weiß, ob die Mutterlinie gereicht hätte für den Nachweis deutschen Blutes, war mein Opa doch Georgier und blieb bis zu seinem Tode staatenlos, ansonsten einige zerstreute Hugenotten. Väterlicherseits gab es allerdings kaum Papiere, denn als Sudentendeutsche waren die entweder im zweiten Weltkrieg verloren gegangen oder wären heute bei tschechischen Behörden anzufragen gewesen. Allerdings besaß meine Großmutter noch eine Kopie des so genannten »Arierbuches« (Ahnentafel zum Nachweis der arischen Abstammung) mit Einträgen bis ins 18. Jahrhundert. Und ehrlich gesagt, machte es mir in meiner Aufregung über diese sinnlose Hinterher-Rennerei nach alten Dokumenten (kost’ auch Geld) dann besondere Freude, dem Standesbeamten ausgerechnet dieses pikante Schriftstück mit ordentlich Hakenkreuzstempel als Beweis für die Heirat von Großvater und Großmutter vorzulegen. Ihm war’s schon peinlich, aber er reagierte halt, wie Beamte in Deutschland immer reagieren ... Ja, es ist halt blöd, müssen wir aber machen, die Gesetze, sie wissen schon und so ...

Scheinbar war ich Ihnen damit deutsch genug und bekam nun schon wieder ein Dokument zugeschickt. Ein Din A 4-Blatt in toilettengelb mit der Aufschrift »Staatsangehörigkeitsausweis«: Dieser besagt nun, dass ich deutscher Staatsanghöriger bin und gilt zehn Jahre bis 2010. Nur was dann? Die Einbürgerung meiner Gattin schien mir bis dahin eher einer virtuellen Bluttransfusion zu gleichen. Meine Ex-Ehefrau hat damals jedenfalls ihren deutschen Pass bekommen, wir sind mittlerweile glücklich geschieden und sie hat inzwischen ein eigenes Restaurant eröffnet. Das Einbürgerungsverfahren wurde in den letzten Jahren verändert, wahrscheinlich muss man bestimmte Papiere nicht mehr anschleppen, Einbürgerungen sind auch nach kürzerer Ehezeit oder auch unabhängig davon möglich, dafür sind Sprachtests mittlerweile obligatorisch geworden, und man spricht den frisch Eingebürgerten heute gerne die ersten Verse der Verfassung vor.

zwen


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seit dem zwölften

Der Staat ist eine Frau, zumindest jetzt und hier. Er ist Anfang zwanzig und blond, hört FFH und teilt mit, dass die Unterlagen nun vollständig seien. Wir sind zwei, er Staatsbürger hier, sie anderswo. Wir haben einen Bund fürs Leben, nur nicht so lange, und einen Antrag gestellt, dass sie, obwohl von anderswo, weiter hier leben darf. So lange sie will.

Sechs Monate vergingen, Wohnung, Geld, Zeugnis unseres Bundes – alles da, alles vom jungen blonden Kopf des Staates abgenickt. Nur eines nicht: Schreiben von LKA und Verfassungsschutz, dass sie von anderswo keine Terroristin ist, nicht hier, nicht dort, nirgendwo und nicht mal verdächtig. Diese Sicherheitsabfrage ist neu, sagt der blonde Staat, Folge des »12. September«.

Der 12. September. Vielleicht hat sich der Staat versprochen, eine Fehlleistung. Oder 12 - 9 ist eine Chiffre für den Tag nach dem Tag, an dem passierte, was ab dem Tag drauf alles anders machte, oder verschob oder beschleunigte, verhärtete, eindickte. Oder viel bedeutete, aber nichts veränderte. Jedenfalls der Tag, in dessen Folge (dem »12. September«) LKA und Verfassungsschutz bei allem und jeder gefragt werden. Sicherheit jetzt. Jetzt haben beide geantwortet, der LKA-Staat und der Verfassungsschutz-Staat (Geschlecht: unbestimmt): negativer Befund. Sie von anderswo darf bleiben, so lange sie will. Gut.

Wir ziehen sofort weiter zum nächsten Staat, wieder eine Frau, aber älter. Neuer Antrag: Staatsbürgerin werden, hier, nicht mehr anderswo. Wieder der Auftrag: Papiere besorgen. Okay. Aber dann: Wieder sechs Monate warten, einer Sicherheitsabfrage wegen. Sicherheitsabfrage? Die gleiche. Schon wieder. Absurd. Bösartig. Bürokratie. Schikane. Sicherheit. Das sei so, »seit dem 11. September«, sagt der Staat hier, dabei Ereignis und Folgen verwechselnd. Egal. Seit dem 11 / 12 - 9 dauert alles sechs Monate.

can


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a real life soapy

Anlässlich 100 Jahre Herero-Aufstand bereitete Antje Schuhmann 2004 einen Vortrag über die koloniale Vergangenheit Deutschlands für den Kongress »1904 - 2004. Decontaminating the Namibian past – a commemorative conference« in Windhoek / Namibia vor. Im Zuge ihrer Recherchen stieß sie vor allem auf eines: die fehlende Berichterstattung und Reflexion über den Jahrestag.

Noch vor ein paar Jahren war es tatsächlich eine weit verbreitete Annahme, dass Deutschland eine explizit nicht-multikulturelle Gesellschaft sei und bis heute kann von einer weitreichenden »kolonialen Amnesie« (Domenic Johnson) gesprochen werden. Postkoloniale Debatten, Theorien und Praktiken sind offenbar kein Thema, das die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt – außer in einigen wenigen akademischen Elfenbeintürmen, marginalisierten linken antirassistischen Gruppen oder so genannten Dritte-Welt-Solidaritätsnetzwerken gibt es fast kein gesellschaftliches Wissen über Deutschland als Kolonialmacht. Wie weit die totale Verleugnung dieser spezifischen deutschen Vergangenheit und deren Einflüsse bis in die heutige Zeit geht, zeigt diese Erzählung.

Eines abends, als ich gerade aus dem Kino kam, sprang mir das Schaufenster des bekannten deutschen Möbelhauses »Segmüller« ins Auge. Ich glaubte, im falschen Film zu sein, als ich die Dekoration in den Schaufenstern sah, auf denen das Motto »Colonial Style – Sonderschau« prangte. Gleich am nächsten Tag besorgte ich mit einer Freundin ein paar der Bilder und Broschüren, darin: Eine Couch namens Sheila, »afrikanische« Skulpturen, »asiatische« Göttinnen, Kisten und Koffer aus Übersee, garniert mit Büchern über Mozart und Geschichten aus 1001 Nacht - Enthnopluralismus von seiner schönsten Seite. Eine Prise Asien, eine Prise Afrika und eine Prise Lateinamerika und die davon inspirierten Phantasien zum »Colonial Style« zusammen zu mixen ... ein lifestyle, der dir ein »besseres Leben« verspricht?

Doch was erzählt uns dieses Schaufenster über deutsche Wünsche oder Sehnsüchte? Ist der Kolonialismus tatsächlich ein nicht existierender Diskurs, ein Tabu? Ist er nicht zur gleichen Zeit auch die grundlegende und kontinuierliche Folie, auf der in Überschneidungen immer wieder auf facettenreiche Art und Weise »neu« die Ansichten des Weiß-Seins und des Deutschtums bestätigt werden, als ultimativer, privilegierter, weißer Ethnozentrismus? Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mit dem Verkaufsmanager sprach, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich eine Geschichte finden könnte, die noch besser ausdrücken könnte, wie postkolonial Deutschland dieser Tage ist.

V: Sie machen Fotos – gefallen Ihnen unsere Möbel? Kann ich Ihnen helfen, junge Frau?

A: Oh ja, natürlich. Wissen Sie, ich habe gerade über den Slogan Ihrer Dekoration nachgedacht und mich gefragt, ob Sie darin möglicherweise Bezug nehmen auf das Jahr 2004 und das Gedächtnis an den vor 100 Jahren in Namibia von deutschen Soldaten verübten Genozid?

V: Oh ... ähmmm – ich bedaure – ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wissen Sie, wir sind nicht politisch oder so. ... Ich meine, hier geht es einfach um Möbel. Diese sind halt im Kolonialstil und das ist es, mehr gibt es da nicht. [Ich realisiere, dass ich meine Strategie ändern muss]

A: Hmmm ... ahja, Sie haben ein paar wirklich schöne Stücke hier. Ich hätte nichts dagegen, ein paar mit nach Hause zu nehmen, wenn ich sie mir leisten könnte. Aber ich wundere mich doch, dass Sie sich trauen, alle diese Möbel mit kolonialistischen Bezügen zu bewerben – ich meine, es ist allgemein bekannt, dass Kolonialismus nicht Nettes und Schönes war, viele Menschen litten und sind gestorben ...

V: Oh; aber wissen Sie, wir haben viele Kunden, besonders junge Leute, denen dieser Style sehr gefällt. Niemand hat sich bisher beschwert – Sie sind, ehrlich gesagt, die Erste.

A: Ich vermute, das ist genau der Aspekt des Problems, den ich untersuche – Sie wissen ja, Namibia war eine deutsche Kolonie und die Deutschen ermordeten dort rund 80.000 Menschen vor genau 100 Jahren. Nochmal, ich finde ihre Möbel nicht unschön, aber ... [ich werde immer hilfloser] ...

Ich meine, niemand in England würde es wagen, so unverfroren mit Kolonialismus zu werben.

V: Aber junge Frau, es ist ein Stil, es ist nur/lediglich ein Stil ... wie, wie Rokoko oder Empire ...

A: Nein! Es ist viel mehr als ein Stil, ist es Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass das ein moralisches Problem ist? Sehen Sie – [jetzt werde ich sehr fundamental und ziehe politisch dubiose Analogien, um meinen Punkt klarzumachen] Sehen Sie – niemand in Deutschland würde mit so was wie ... wie ... wie z. B. Konzentrationslager-Stil werben, und genau deswegen ...

V: [unterbricht] Ja, natürlich nicht, junge Frau, weil sie da auch keine Möbel hatten.

[An diesem Punkt kann ich nur noch völlig sprachlos lachen.]

Natürlich war ich schockiert, aber immerhin wusste ich nun, was ich mit meinen Vortrag machen sollte. Ich entschied, die Abwesenheit eines breiteren öffentlichen Diskurses über Deutschlands spezielle Rolle in Namibia und Imperialpolitik allgemein zu untersuchen. Deutschlands existierendes oder vielmehr nicht-existierendes kollektives Gedächtnis bezüglich seiner kolonialen Vergangenheit ist vielleicht besser zu verstehen, wenn es in die aktuellen Diskurse und deren nahezu offen gelegten kolonialen Traditionen wie diesen Einrichtungsstil eingebettet wird. Wenn koloniale Erfahrungen und Normen stilistisch so präsent sind, macht sie das doch zur gleichen Zeit scheinbar umso unsichtbarer.

Antje Schuhmann


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der obligate koffer: migration museal

Sozialgeschichtliche Ansätze in der Museumspädagogik bauen ihr Programm auf die Prämisse »Geschichte durch Erleben kennen lernen« auf; seit den Siebzigern hat das eine breite Menge von Erlebnismuseen gezeitigt. So versuchen diverse Museen der Arbeit, vergangene Arbeitswelten von Handwerk über Manufaktur zur Industrialisierung soweit als möglich vor Hand, Hirn, Muskel der Besucherinnen auferstehen zu lassen, oder auch Regionalmuseen, das bäuerliche Leben mitsamt seinen ärmlichen Widrigkeiten nachzustellen usw. Der politische Einsatz dieser Konzeption, nämlich Wissen über vergangenes (Alltags)Leben nicht nur zu speichern und zu archivieren, sondern bewusst zu machen, sollte zu einer Haltung zur eigenen Herkunft führen – in den Siebzigern mehr, später weniger klassenkämpfer-idealistisch. Es hat natürlich seine eigenen Gesetze, authentisch gelebten »Alltag« in mehr oder weniger geeigneten Räumlichkeiten nachzustellen: bei Bauernmuseen kippt der sozialgeschichtliche Ansatz bisweilen ins Nostalgisch-Verklärende. Debatten über die Güte der Unternehmung ziehen sich tatsächlich schon immer durch die Geschichte der Arbeitsmuseen, auch wenn sich die Kritikpunkte meist an der Authentizität (oder auch der Nachvollziehbarkeit) der Darstellung fest machten: wer könne, so die Kritikerin, wenn er einmal selbst Wäsche mit der Hand gewaschen, Papier geschöpft oder eine Blechpresse bedient hat, die Regelmäßigkeit oder Monotonie dieser Arbeit ganz ermessen, die ja über Jahre hinweg fortdauernd getan wurde? Wo das Problem des korrekten Nachfühlens sich bei handwerklichen Tätigkeiten als ein peripheres zeigt, wiegt es schwerer, den Menschen und ihrem Alltag in keinster Weise gerecht zu werden.

Wenn dann noch der »Alltag« von Teilen der Bevölkerung in eine Ausstellung gepfercht wird, nimmt das wohlwollende? Ganze groteske, wenn nicht erschreckende Züge an. Zur Zeit gibt es eine wachsende Anzahl von Ausstellungen, die sich der Geschichte und Gegenwart von Migration in Deutschland annehmen. Ein wesentlicher Vorreiter ist dabei der Verein DoMiT in Köln, der 1998 zusammen mit dem Ruhrlandmuseum die große Ausstellung »Fremde Heimat« (!) zur Migration aus der Türkei organisierte; im letzen Jahr gab es drei Ausstellungen in Berlin, Hamburg und Niedersachsen. Meist wird sich auf die lokale bzw. regionale Perspektive beschränkt, die anhand von Texten, Fotos und Objekten und medial in ZeitzeugInneninterviews dargestellt werden.

Wie behandeln diese Unternehmungen nun das »Sujet Migration«? Das Museum Europäischer Kulturen in Berlin nahm sich des Themas unter der Prämisse »Migration und Arbeit« an und zeigte Einwanderung in ihre historischen und ökonomischen Zusammenhänge eingebettet. Es beginnt bei der ersten Station, dem »im 19. Jahrhundert italienisch beherrschten (!) Drehorgelbau in Berlin« (who would have ever known?); weitere Objekte beschäftigen sich mit 'Anwerbung und Ankunft der Gastarbeiterinnen und später der »beruflichen Selbständigkeit von Migrantinnen am Beispiel der ›Döner-Industrie‹«. Kokosfaser-Blumenerde aus Sri Lanka war auch ein Ausstellungsgegenstand (Beweis für die transnationalen Handelsbeziehungen, in deren Mittelpunkt manche Migrantinnen zu stehen scheinen). Außerdem Probleme mit der »alltäglichen Religionsdarstellung am Arbeitsplatz«, der »Konflikt mit anderen Traditionen am Beispiel von Kopftüchern« und schließlich »Versuche der Gemeinschaftsbildung und Identifikation mit dem Wohnort in Form von Nachbarschaftsprojekten«. Klasse – Sozialarbeit zeitigt Happy End des Migrationsproblemes!

Die Zitate stammen aus einer sehr wohlwollenden Rezension, ich hingegen kotze. Kein Sinn mehr darin, zu hinterfragen, wie gut die Ausstellung ihrem Ziel gerecht wird: schon die Einzelunterschriften zeigen, wie hier gedacht wird, wo das Ziel liegt: sozialarbeiterisch begründete Assimilierung. Immerhin: lebende Menschen und ihre fast zeitgenössische Geschichte in eine Ausstellung zu bringen, dazu bedarf es schon eines gewissen Mutes zu scheitern, die Darstellung von »Konflikt mit anderen Traditionen« und die »Versuche der Gemeinschaftsbildung» schreien geradezu nach Widerspruch. Im Kuriositätenkabinett des musealen (Nach-)Erlebens drücken sich leider gerade die mehrheitsgesellschaftlichen MultiKulti- oder auch Assimilationsforderungen ab; so auch bei meinem Lieblingsrezensenten, der lobt: »Die Objekte zusammen mit den weitestgehend gut verständlichen Texten ergaben ein spannendes, vielfältiges Bild, das weniger auf Probleme, sondern mehr auf die Leistungen und Möglichkeiten von Migrantinnen hinwies. Eine Videostation mit kurzen Einführungen und Interview-Einspielern zu den Bereichen Ankommen, Heimat, Altern in der Migration und nachkommende Generationen rundete die gelungene Schau ab.« Immerhin, so fand er wohl mit den Berliner Ausstellungsmacherinnen, wenn sie uns schon bereichert haben, dann dürfen sie auch hier alt werden.

Das Hamburger Museum der Arbeit setzt sich mit seiner Ausstellung »Geteilte Welten« im Titel bewusst vom Essener Ausstellungstitel »Fremde Welten« (1998) ab (immerhin!). Ergänzt werden Exponate zu Arbeit und Wohnen mit Überlegungen über Leben im öffentlichen Raum und einen Abschnitt über soziale und politische Arbeit, der vor allem das Engagement für Migrantinnen behandelt – »inklusive nachvollziehbarer Kritik an der Ausländerpolitik des seit 2001 regierenden konservativen Senats«, so mein Lieblingsrezensent. »Hamburger und Hamburgerinnen« demonstrieren auch hier »die Vielfalt ihrer Identitäten oder Kulturen in der gemeinsamen Stadt mit weiteren Objekten und einer Fotoportraitreihe«. Neben einer Vielzahl von Objekten, die zu einem erheblichen Teil von Migranten zur Verfügung gestellt worden sind (bezahlt?), über die ganze Ausstellung verteilen sich Audio- und Videostationen, an denen die Ausstellungsmacher auf das Material zurückgreifen, das sie mit der Sammlung lebensgeschichtlicher Interviews erfasst haben. Die Interviews sind nicht nur zur Illustration der Ausstellung gemacht worden, sondern haben das Ziel, im Rahmen der Werkstatt für Migrationsgeschichten »dem Einwanderungsgedächtnis der Stadt möglichst viele Gesichter und Stimmen – oder Gestalt« zu geben. Sie kommen aus dem bewussten Ansatz, die Ausstellung nicht über, sondern mit und für Migrantinnen zu gestalten. Als Zeugnisse von Zeitzeuginnen sollen sie ebenso wie bei anderen Ausstellungsprojekten langfristig erhalten werden, um dazu beizutragen, »die Sammlungen bundesdeutscher Museen um den Aspekt Migration zu ergänzen«. Ein Hoffnungsschimmer? – gängige museale Praxis: so zum Beispiel im Projekt »Bibliothek der Alten« des Historischen Museums Frankfurt von Sigrid Sigurdsson. Die Konzeption in Hannover arbeitete wieder stärker atmosphärisch und »verdichtete die Exponate zu Erinnerungsorten oder Entdeckungsinseln«. Mein Rezensent lobt die »reizvollen Inszenierungen, die mit entsprechendem Mobiliar für die jeweilige Gruppe (von Migrantinnen) eine wiederzuerkennende Atmosphäre schaffen (Wohnzimmer einer Flüchtlingsfamilie, Werkbank eines Arbeitsmigranten, Durchgangslager für Aussiedler, Containerunterkunft von Asylbewerbern)«. Was soll mensch da noch sagen? Ab in den Zoo!

bern

MigrationsGeschichte(n) in Berlin, Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin, 11. Juli 2003 - 1. Februar 2004

Geteilte Welten – Einwanderer in Hamburg, Ausstellung im Museum der Arbeit Hamburg, 31. Oktober 2003 - 31. Mai 2004

hier geblieben – Zuwanderung und Integration in Niedersachsen 1945 bis heute, Wanderausstellung der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Historischen Museum Hannover, 23. Oktober 2002 - 16. Februar 2003.


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ABM migration

»Wir können froh sein, dass wir eine Rot-Grüne Regierung haben«. Mit wir sind die Migrantinnen einer Textilschule in Frankfurt gemeint. Während einer Schulstunde entwickelte sich ein Gespräch über die derzeitige Politiklandschaft in Deutschland und den damit verbundenen Befürchtungen, das eigne Leben betreffend. Von 35 Schülerinnen sind 30 migrantischer Herkunft. Alle waren einstimmig der Meinung, dass es ein Glück sei, dass Fischer und Schröder das Land regierten. »Denn im Falle eines Stoibers als Bundeskanzler müssten wir ja alle weg, wo anders hin. Aber wie dumm! Stellen sie sich mal vor, Frau Lehrerin, sie mit 5 Mädchen hier! Dann wären sie ja arbeitslos«.

sebara


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die pfandflaschenverschwörung

Im Nachtzug von Berlin nach Frankfurt habe ich einen rechtsradikalen Koch kennen gelernt. Dass er ein rechtsradikaler Koch ist, weiß ich noch nicht, als er anfängt, sich mit mir zu unterhalten, und er wird es auch noch nicht wissen, wenn er aufhört, sich mit mir zu unterhalten. Er ist nämlich in Wirklichkeit ein netter Kerl, der eigentlich keine Feinde hat, dafür aber ein paar beste Freunde, die Skinheads sind. Das sind aber auch ganz nette Kerle, die keiner Fliege was zuleide tun würden, ehrlich, auch wenn sie sich zuweilen gerne raufen. Er ist eben tolerant und einige seiner Freunde sind Skinheads und andere Jugoslawen. Gegen die er nichts hat, solange sie uns nicht ausbeuten und ihm nicht sein Fahrrad klauen. Seine besten Freunde, die Skinheads, wählen die NPD, aber aus Protest, und er würde, wenn er die NPD wählen würde, was er nicht tut, weil er nicht wählt, das auch nur aus Protest tun. Aus Protest gegen was, frage ich ihn, und so entwickelt sich ein Gespräch, das mich in die paradoxe Situation bringt, ihn davon zu überzeugen, dass er die NPD, wenn er sie wählen würde, nicht aus Protest, sondern aus vollster Überzeugung wählen würde. Bis ich das Gespräch beende oder »leider beenden muss«, weil ich mit Rassisten nicht rede. Dafür hat wiederum er vollstes Verständnis, ohne irgendetwas zu verstehen, und zweimal erkundigt er sich noch herzzerreißend, ob er mich denn persönlich verletzt habe, denn das habe er nicht gewollt, er sei ja ein netter Kerl.

Und das ist er auch: Ein Mann von der Sorte, die gutgläubige Menschen für ausgestorben halten, und von einer Freundlichkeit, wie sie nur Schwiegersöhne haben können. Tolerant ist er, jawohl, er hat sogar Freunde vom anderen Ufer. Davon will ich, die ich zu Beginn unseres Gespräches noch nicht weiß, dass dieser Koch ein rechtsradikaler Koch ist, nun wirklich nichts wissen, und da ich gerade feststellen musste, dass die 3:30 auf meinem Fahrplan nicht die Fahrtdauer, sondern die Ankunftszeit anzeigt, versuche ich das Gespräch in unverfänglichere Richtung zu lenken. Für einen Moment klappt das ganz gut und wir unterhalten uns über die kreolische Küche, über die Schwierigkeit nach der BSE-Krise ein gutes Kalbsbries zu erstehen und über die Berufsmöglichkeiten für Köche. Die sind in Berlin aussichtslos schlecht, dafür aber in Südafrika, in Australien sehr gut, und da dieser Mann ein Mann von Welt ist, fasst er all diese Möglichkeiten realistisch ins Auge, für einen Job würde er überall hingehen, selbst nach Frankfurt. Frankfurt! - mein Versuch, ein unverfängliches Thema zu wählen, scheitert schnell, denn nach Frankfurt würde er, »bei Lichte betrachtet, doch nicht gehen, wegen der hohen Kriminalität, vor allem: der Ausländerkriminalität«. Dass die Kriminalitätsstatistik vor allem Auskunft über die (rassistische) Ermittlungstätigkeit der Polizei gibt und im besonderen Fall etwas mit dem Flughafen und seinen Ausländergesetzen zu tun hat, versuche ich ihn zu überzeugen. Aber ein bisschen versteht er mich falsch:

»Ja, warum haben die denn mehr Rechte als wir?«

»Ich weiß nicht, wen du mit ›wir‹ meinst, aber das sind keine Rechte, sondern Gesetze. Je mehr Gesetze es für jemanden gibt, umso mehr kann er auch übertreten, das geht ganz einfach, bei manchen, wie der Residenzpflicht, sogar zu Fuß.«

»Das ist zur Abschreckung. Die sollen hier gar nicht herkommen.«

»Aber du willst doch auch verreisen und in Afrika arbeiten.«

»Die wollen doch gar nicht arbeiten. Die kommen hier her, um uns auszunutzen und Deutschland die Arbeitsplätze wegzunehmen.«

»Deutschland sollte es gar nicht geben, das hätten die Alliierten ‘45 kaputt bomben müssen!«, rutscht es mir etwas zu laut und ein wenig ungeschickt heraus. Aber das kann ihn auch nicht verwirren, diese Toleranzmaschine lässt sich von keiner antideutschen Provokation seine ausgezeichnete Stimmung beeinträchtigen. Und auf meinen Vorschlag, doch wieder das Thema zu wechseln, lässt er sich erst recht nicht ein. Er lässt sich das nicht nehmen, seine Meinung zu sagen und sie der ganzen Welt mitzuteilen, von der jetzt, da alle schlafen, leider nur ich übrig geblieben bin. Und da ich bereits erklärt habe, mich zu seiner Welt, zu seinem deutschen Wir, nicht zugehörig zu fühlen, handelt es sich um eine Angelegenheit von geradezu internationalem Ausmaß. Ein Blatt vor den Mund nehmen wird er also nicht, obwohl das bei der körperlichen Nähe, die sich im Abteil nicht vermeiden lässt, und bei seiner feuchten Aussprache, die aber weniger von Bier als von Pfefferminzbonbon etwas hat, sicherlich sinnvoll wäre. Er hat etwas zu sagen, und seine Geschichte handelt nicht – wie in verwandten Fällen – von einem Fahrrad, dessen Diebstahl er einmal beobachtet hatte und dessen Dieb nicht nur äußerst brutal gegenüber dem Schloss, sondern auch noch Türke gewesen war, weswegen er heute mit diesen Typen, oder denen, die er dafür hält, verständlicherweise Schwierigkeiten habe, nein, seine Geschichte ist von einem ganz anderen Kaliber, er hat einen juristischen Skandal aufzudecken, einen Skandal, in den ganz hohe Tiere, bis in die Spitzen der Regierung verwickelt sind. »Warum also haben Ausländer mehr Rechte als wir?« Die Frage steht immer noch im Raum, und da er sich mit meinen Antworten nicht zufrieden geben will, beschließe ich auf- und ihm die Frage zurückzugeben, mit Bitte um Antwort von ihm, der es ja schließlich wissen muss, denn er war ja dabei.

»Nun?«

»Warum die mehr Rechte haben?«

»Ja.«

»Das musste die da oben fragen.«

»Von denen ist aber gerade keiner da.«

»Aber die werden schon wissen, was sie tun.«

Das ist lustig, erst legt er eine so ungebetene Geschwätzigkeit an den Tag, und jetzt, wo es an sein großes Geheimnis geht, will er auf einmal seine Quellen nicht aufdecken und seine Informanten schützen. Ich lenke ein und versuche es einen Level tiefer nochmal.

»Ist ja auch egal, warum. Aber woher weißt du das denn überhaupt, dass die Ausländer mehr Rechte haben als ihr?«

»Weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe.« Also doch! »Und was genau hast du gesehen?«

»Das weißt du wahrscheinlich gar nicht, aber der Staat gibt den Asylanten Lebensmittelmarken«, die er den Deutschen bekanntlich nicht gibt, und da fängt die Ungerechtigkeit schon an. Aber dort hört sie noch lange nicht auf. Nein, der Koch hatte noch mehr gesehen: »Mit diesen Lebensmittelmarken, das habe ich selbst gesehen, kaufen sich die Asylanten Getränke« als gäbe es in ihren Luxusheimen nicht genug Wasserleitungen, aber, hört, hört: »die Asylanten wollen die Getränke gar nicht trinken.«

»Nein?«

»Nein. Sie gehen mit den Getränkeflaschen hinter den Supermarkt und schütten sie dort aus.« Man denke nur an die Umwelt! Aber das ist nicht alles, nein, der eigentliche Skandal kommt erst jetzt: »Und dann bringen sie die Pfandflaschen wieder in den Supermarkt zurück - um an Bares ranzukommen!«

Und mit diesem Ausländer-Sonderrecht, Pfandflaschen gegen Pfand zu tauschen, ziehen die dem Staat, und das sind wir alle, das Geld aus der Tasche. Kein Wunder, dass unser Koch mit dem Zug nach Basel, zu seinem Arbeitsplatz, weiterfährt. Als Ausländer hat er in der Schweiz nämlich mehr Rechte, und mit dem vielen Glas, das er sich von seinem Gehalt kaufen kann, wird er dort ganz schnell zum Millionär werden.

bini