Lars Kohlmorgen hat ein ambitioniertes Werk vorgelegt. Ziel seiner Arbeit ist nicht weniger als die »Entwicklung eines integralen regulationstheoretischen Ansatzes zur Untersuchung kapitalistischer Gesellschaften unter der kategorialen Berücksichtigung des Klassen- und Geschlechterverhältnisses.« (12) Er konstatiert zurecht, dass in fast allen vorliegenden regulationstheoretischen Arbeiten die Reproduktion der Arbeitskraft und Formen der Hausarbeit zwar erwähnt und für relevant erachtet werden, diese jedoch nicht systematisch in die Theorieansätze integriert werden. Ohne den »Anspruch zu formulieren, die Regulationstheorie solle alle Facetten des Geschlechterverhältnisses erklären, können im Rahmen des Regulationsansatzes Erklärungsansätze präsentiert werden, die beschreiben, wie einerseits in einer historisch konkreten Phase, im modernen Kapitalismus, das Geschlechterverhältnis konstituiert wird und wie andererseits die patriarchale Geschlechterordnung zum gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess und zur Bestandsfähigkeit, aber auch zur Krise der kapitalistischen Gesellschaftsformation beiträgt und weiter, wie sie die Abfolge der historischen Formation beeinflusst.« (ebd.)

Zuvor legt der Autor in verständlicher Weise die Grundlagen der aus Frankreich kommenden Regulationstheorie dar, die auch Anfängerinnen in diesem Bereich einen guten Einstieg in die Debatte ermöglicht. Ausgehend von der zentralen regulationstheoretischen Fragestellung, wie und weshalb der Kapitalismus trotz seiner immanenten Widersprüche, Konflikte und Krisen bestandsfähig ist und welche gesellschaftlichen Kräfte durch diese Prozesse hindurch eine Gesellschaftsformation transformieren, bezieht sich Kohlmorgen auf die von Robert Boyer und Alain Lipietz entwickelten fünf institutionellen Formen, die zur Regulation – die, um es hier nur kurz anzumerken, nicht missverstanden werden darf als bewusste Regulierung - kapitalistischer Gesellschaften beitragen:

  • Das Lohnverhältnis
  • Das Waren- und Geldverhältnis
  • Das Konkurrenzverhältnis
  • Die Form der Artikulation des Raumes
  • Formen der Staatlichkeit

Ganz grundlegend verweist Kohlmorgen in einem weiteren Schritt ausgehend von Marx und unter Bezugnahme auf Jürgen Ritsert, Erik Olin Wright u.a. darauf, dass der zentrale Aspekt des Austauschverhältnisses im Kapitalismus »die Aneignung der Mehrarbeit zur Schaffung eines Mehrwerts durch die Kapitalistinnen (ist). Somit ist der Verkauf der Arbeitskraft zwischen Arbeiterinnen und Eigentümerinnen der Produktionsmittel ... als Ausbeutungsverhältnis zu betrachten. In diesem Ausbeutungsverhältnis liegt ein Antagonismus zwischen Klassen begründet.« (29) Dieser grundlegende Sachverhalt, der auch heute noch ein zentrales Strukturprinzip bestehender Gesellschaften sei, lasse es gerechtfertigt erscheinen, weiter an dem Begriff der Klasse festzuhalten. (10) Gleichwohl müssen, so Kohlmorgen, Erweiterungen vorgenommen werden. Zum einen hinsichtlich des Sachverhalts, dass in diesem antagonistischen Verhältnis »direkte Gewalt oftmals lediglich eine latente Rolle spielt«, und die Aufrechterhaltung der Gewaltlosigkeit »und der freiwilligen Unterwerfung der Lohnabhängigen unter das Ausbeutungsverhältnis ... einen permanenten Prozess der Integration in die bürgerliche Gesellschaft (erfordert), der sich politisch, sozial und kulturell, durch staatliche Aktivitäten, Werte, Normen und kulturelle Praxen äußert.« (31) Insofern ist mit Wright festzuhalten, dass zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten ein Interdependenzverhältnis besteht, was auch bedeutet, dass die Verwertung der Arbeitskraft »immer ein prekärer und problematischer Prozess ist, der eine Mischung aus Zugeständnissen und Repression/Sanktionierung zu seiner relativ stabilen Reproduktion erfordert.« (30) Insofern können, so der Autor unter Rückgriff auf Nicos Poulantzas und Alex Demirovic, »(n)icht nur die offenen Auseinandersetzungen, sondern auch die verfestigten Kompromisse ... als Klassenkampf bezeichnet werden – als geronnener, verfestigter Klassenkampf.« (31)

Weiterhin verweist die gängige These einer unendlichen Ausdifferenzierung von Lebensstilen und Klassenlagen, die somit auch die Gültigkeit des Fortbestands einer Klassengesellschaft bestreitet, auf ein objektives Problem: eine Differenzierung zwischen Klassenstrukturierung und Klassenformierung vornehmen zu müssen. Entgegen der Annahme, dass mit dieser Unterscheidung lediglich die von Marx geprägte Unterscheidung der ›Klasse an sich‹ und der ›Klasse für sich‹ neu aufgewärmt werden soll, argumentiert Kohlmorgen, dass die Annahme einer Klassenformierung »nicht zwangsläufig ein intentionaler, sich selbst bewusster Prozess ist, sondern dass vielmehr eine Klassenformierung immer korrespondierend mit der Klassenstruktur stattfindet, also unabhängig von dem Prozess der Entstehung einer Klasse für sich. Eine Klasse für sich kann, muss aber nicht ein Kennzeichen einer Klassenformierung sein.« (33)

Den theoretischen Teil zu Klassen abschließend legt der Autor im Anschluss u.a. an Max Koch und Ben Diettrich ein Modell sozialer Klassen der kapitalistischen Produktionsweise vor, das sich aus aktueller Perspektive dem Problem der klassentheoretischen Bestimmung der Mittelklassen stellt. Zentrales Bindeglied zwischen diesen klassentheoretischen Überlegungen zu denen hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses ist die zentrale regulationstheoretische Feststellung, dass der kapitalistische Akkumulationsprozess nicht in der Lage ist, die Arbeitskräfte aus sich selbst heraus zu reproduzieren. »Der kapitalistische Akkumulationsprozess ist auf unbezahlte Reproduktionsarbeit angewiesen, auf die Trennung von bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit.« (38) Gleichzeitig, so Kohlmorgen im Anschluss an Gisela Dörr weiter, »wurde Haus- und Familienarbeit aber in der spezifischen kapitalistischen Form erst durch den Kapitalismus hervorgebracht, so dass sie zugleich ›Resultat und Bedingung der kapitalistischen Produktionsweise‹ ist.« (39) Kohlmorgen schlägt im weiteren vor, das regulationstheoretische Konzept eines Akkumulationsregimes nicht nur als Artikulation und Verknüpfung der dominierenden kapitalistischen Produktionsweise mit verschiedenen nicht-kapitalistischen Produktionsweisen zu fassen, sondern eben auch als Verknüpfung mit der Reproduktionsweise. Hierdurch ließen sich dann Produktion und Reproduktion als zentrale Elemente eines somit weiter gefassten Akkumulationsregimes definieren.

Allerdings, so der Autor weiter, sind Produktion und Reproduktion keine ›gleich gewichteten‹ Elemente der Akkumulation, »da die kapitalistische Produktionsweise die Gesellschaftsformation dominiert, so dass die Reproduktion ihr untergeordnet ist und die Reproduktionsarbeit den Bedingungen der kapitalistischen Produktion unterworfen bleibt.« (40) Die strukturelle Abhängigkeit des Kapitalismus von unbezahlter Arbeit zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft, wie sie sich in der Trennung von Heim und Arbeitsplatz ausdrückt, verweist darauf, »dass das patriarchale Geschlechterverhältnis mit der kapitalistischen Struktur eine Verbindung einging.« (ebd.) Daraus folgt aber nicht, dass aus dem Akkumulationsprozess an sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung abgeleitet werden kann. Das geschlechtsneutrale Akkumulationsregime wird durch den Prozess der Regulation vergeschlechtlicht.« (45) Als Ergebnis seiner theoretischen Überlegungen schlägt Kohlmorgen vor, »die Haushaltsform als eigenständige institutionelle Form zu definieren und den in Anlehnung an Boyer festgelegten fünf institutionellen Formen hinzuzufügen.« (59) Denn ohne die Familien- und Haushaltsform, in der in der Regel der Zusammenhang der Geschlechter und der Geschlechterideologie hergestellt wird, wäre das kapitalistische Lohnverhältnis gar nicht möglich.

Nach einer Diskussion des Artikulationsverhältnisses zwischen den genannten institutionellen Formen wendet Kohlmorgen sich - vermittelt über Bourdieus Habituskonzept und Gramscis Überlegungen zu Hegemonie - dem vielfach beklagten handlungstheoretischen Defizit der Regulationstheorie zu. Der daran anschließende sehr umfangreiche Teil zum historisch-empirischen Wandel der Klassenstruktur vom Fordismus hin zum Postfordismus nimmt den größten Teil der Arbeit ein. Prägnant lassen sich die Differenzen hinsichtlich der Regulation des Klassen- und Geschlechterverhältnisses zwischen Fordismus und Postfordismus in zwei Thesen zusammenfassen: Im Fordismus, so Kohlmorgen, »ging, wie Antonio Gramscis einprägsame Formulierung besagt, die Hegemonie von den Fabriken aus. Da zugleich die Haushaltsform der Kleinfamilie eine entscheidende Grundlage der fordistischen Vergesellschaftungsform und Geschlechterordnung war, kann ergänzt werden: Im Fordismus geht die Hegemonie sowohl von der Fabrik als auch von der Familie aus.« (120)

Die deutsche Gesellschaftsformation im Postfordismus hingegen, »kann mit ihrer modifiziert weiter bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, ihren leicht veränderten geschlechtlichen Hierarchien, der diese Differenzen und Ungleichheiten in neuer Form festschreibenden Regulation sowie den offenen und latenten Geschlechtsrollenmustern als modernisiert-patriarchale Geschlechterordnung mit weniger konservativen Elementen als im Fordismus beschrieben werden.« (294)

John Kannankulam

 

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Lars Kohlmorgen (2004): Regulation, Klasse, Geschlecht. Die Konstituierung der Sozialstruktur im Fordismus und Postfordismus. Münster: Westfälisches Dampfboot. 358 Seiten. 29,80 Euro.