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> >> Vom Täter zum Wohltäter –
Deutschland beschließt seineVergangenheit
17. 12. 1999: Eine Woche vor dem letzten Weihnachtsfest vor dem 2000. Geburtstag des Christkindes, schenkte Deutschland der Welt die Stiftung: »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«: Stiftungsfond der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates für ehemalige NS-Zwangs- und SklavenarbeiterInnen. Was von außen wie eine späte Geste von Ausgleichsgerechtigkeit aussehen mag, wird im Inland als »abschließendes Zeichen zur Diskussion über die Mitschuld deutscher Unternehmen« beschlossen (Gesetzesvorlage der rot-grünen Bundesregierung): unter dem Schluss-Strich stehen 10 Milliarden DM. Bundeskanzler Schröder sprach zum Neujahr konsequent nur noch im Plusquamperfekt von der Deutschen Schuld, die er durch den deutschen Kriegseinsatz im Kosovo schon »verblassen« gesehen hatte: Deutschland wiedergutgemacht! »Krieg im Kosovo – Frieden mit Auschwitz«. Unter diesem Motto fand letzten Sommer in Berlin eine Konferenz statt, die maßgeblich vom »Bündnis gegen I. G. Farben« organisiert worden war, das jahrelang bundesweit gegen die Aktionärsversammlung von I. G. Farben i. A. (in Abwicklung) in Frankfurt mobilisiert hatte.
Am 16. 12. 1999 fand in Frankfurt die einzige bundes-weite Demonstration zur sofortigen Entschädigung der NS-ZwangsarbeiterInnen statt, mit 500 Menschen, leider ohne den US-Anwalt Hausfeldt, der sein Kommen ange-kündigt hatte, nun aber auf dem Weg nach Berlin war, um die letzten Details für die »außergerichtliche Eini-gung« zu klären. Markgraf v. Lambsdorff, der früher für die Amnestie von NS-Kriegsverbrechern stritt, erstreitet nun die finanzielle Amnestie für die Deutschland AG und hat seine Sache gut gemacht: Deutschland wiedergutgemacht! Konsequent berichtete die FR nicht mal im Lokal-teil über die Demonstration, von der Bilder um die ganze Welt gingen, um am nächsten Tag auf Titelseiten von ausländischen Tageszeitungen aufzutauchen. Diese Desinformation, dieses plötzliche Desinteresse nahm die auf der Berliner Tagung gegründete »Gruppe 3« zum Anlass, um zusammen mit dem AStA der Uni Frankfurt und der Anti-faschistischen Gruppe Frankfurt die Veranstaltungsreihe »Vom Täter zum Wohltäter – Deutschland beschließt seine Vergangenheit« zu organisieren.
»Wir verstehen den Lärm nicht, der um diese Sache gemacht wird; wir haben ihnen Essen gegeben, wir haben ihnen Kleidung gegeben und eine Unterkunft und die Tatsache, dass sie überlebt haben ist ein Zeugnis davon, wie gut sie behandelt wurden« (deutsches Delegationsmitglied, September 1999 in Bonn). Gnade statt Recht: nur eine »moralische Verantwortung« wird eingeräumt, die Rechtsansprüche der Überlebenden werden kategorisch verneint: »Individuelle Rechtsansprüche bestehen nicht ...« Mit dem Gestus von Gutsherren werden Almosen gnädig gewährt. Das Endergebnis, das in Deutschland als »würdiges Angebot« verkauft wurde, ist eine materielle Gestalt des Phänomens, das Adorno als »erpresste Versöhnung« bezeichnete. Die vereinbarte Summe ist ein Hohn: den Überlebenden stünden als Lohnnach-zahlungen ein Betrag von 180 Milliarden DM zu (ohne Zins und Zinseszins, ohne Schmerzensgeld und Teilkompensationen). Nicht einmal einklagbar sollen die Zahlungen sein, die Stiftung sichert sich gegen alle Rechtsansprüche der Überlebenden ab. Die Täter verlangen Rechtssicherheit vor den Opfern. Die Überlebenden werden gezwungen, mit ihrer Unterschrift ein für alle Mal auf ihre Ansprüche zu verzichten – auch gegenüber den Unternehmen, die überhaupt nicht zahlen werden. Dafür ist die Bundesregierung auch bereit, das Grundgesetz zu brechen, das eine solche Zwangsmaßnahme ausschließt (GG Artikel 19: »verbotenes Maßnahmegesetz«) – und besiegelt ist Deutschlands »Rechtsfrieden« mit der Vergangenheit.
Die Entschädigungsdebatte
Wie sehr das »Stiftengehen« dem Kalkül der
Unternehmen nutzt zeigt das Beispiel IG Farben i.A. (im Aufbau?), dem einzigen Konzern gegen den das Liquidierungsgebot der Alliierten nicht aufgegeben wurde. Der Aprilscherz 2000, dem 67. Jahrestages des »Deutsche wehrt Euch!-Judenboykotts«, ist die geplante Fusion der I. G. Farben-Nachfolger im Textilfarbenbereich zum 1. 4. 2000: ein klarer Verstoß gegen die Auflagen der Alliierten! Gleichzeitig traten die »Liquidatoren« an die Überlebenden heran, damit sie eine Petition unterzeichnen, mit deren Hilfe sie an die 4 Milliarden DM kommen, die von der Schweizer UBS Bank zu holen seien. Dafür boten sie den Überlebenden: 3 Millionen. Von den versprochenen 10 000 DM als Zuschuss für die benötigten 30 Millionen, um die Rampe in Auschwitz zu erhalten, ist bisher noch gar nichts zu sehen gewesen. Herr Jachmann berichtete bei der ersten Veranstaltung, dass er auf die Anfrage, ob die I. G. das Überlebendentreffen im I. G. Farben Gebäude im Oktober 1998 mittragen wolle, nicht mal eine Antwort erhalten habe. Dafür wurden bei den Aktionärsversammlungen regelmäßig der »kritische Aktionär« und »I. G. Auschwitz« Überlebende Hans Frankenthal, dessen Andenken die Veranstaltungsreihe gewidmet war, von der Bühne gezerrt. Überlebende, die noch nicht tot sind, werden mundtot gemacht. Lieber laden die Herren tendenziöse Historiker ein, die die I. G. vom Täterprofiteur zu einem Opfer der NS-Faschisten umstilisieren.
Ressentiments und Rancune
»Durch die Entschädigungsdebatte droht ein neuer Antisemitismus«, verkündeten der Haushistoriker der Deutschen Bank Dr. Pohl und Die Welt. Fragt sich, wer da mit Antisemitismus droht: In der Debatte wimmelt es von antisemitischen Stereotypen, die zum Teil unbewusst reproduziert, z. T. aber auch bewusst angespielt werden, so beispielsweise in Lambsdorffs Aschermittwochserklärung: »die Ju… – äh: Claims Conference«.
In der Veranstaltung der »Gruppe 3« ging es um Kontinuitäten, Brüche und Verschiebungen der Ressentiments, um tradierte Formen, v. a. in der »Stillen Post« (G. Jacob) der »intergenerationell« weitergegebenen Assoziationsketten, um kollektives »Metapherngedächtnis« und die neuen Codes, die »Dunkelmänner«, die »ambulance-chaser« Class-Action-Lawyer aus USA, gegen die der »brave deutsche Hausjurist« wehrlos ist. Die Spannbreite geht von der bekannten »Ahasver«-Figur (sie »irrlichtern« durch die Weltgeschichte, um Überlebende-Mandanten aufzukaufen), dem »wurzellosen Wucherer« bis hin zu Szenarien, die den hinterletzten Weltverschwörungstheorien paranoides Futter geben: die »Rächer von Zion«.
Was da seit der Goldhagen-Debatte nach oben schwappt, Schlag auf Schlag nach Raubgold- und Zwangsarbeiter-, Walser-, Kosovo-Krieg, Sloterdijk- und Entschädigungsdebatte hat Adorno als »Kryptoantisemitismus« und Bubis als »latenten Antisemitismus« bezeichnet, der auf der Basis von »blossem Meinen« und Gerüchten funktioniert und volksvergemeinschaftend wirkt, hinter-der-Hand gesprochene, flüsterwitzartige Kommunikation von einer sich heimlich und wahrhaft fühlenden, »von der Gesellschaft unterdrückten« Gemeinschaft: Walsers World. »Die Juden melden sich überall zu Wort, wo die Kasse klingelt.« Für diesen Satz hat CSU-Fellner sich in den 1980ern öffentlich entschuldigen müssen, heute ist das der common sense der common people. »Die« Juden erscheinen darin als »Feinde der neuen nationalen Normalität« (Lars Rensmann).
Deutschland erinnert sich
»Hinsehen macht frei!« (Die Zeit). Günther Jacob hat am Beispiel der Wehrmachtsausstellung beschrieben, wie eine neue Form der »Vergangenheitsbewältigung« betrieben wird, die ihren Namen verdient: bewältigt wird nicht durch »wegschauen« und »wegdenken« à la Walser, sondern durch Hinschauen, dokumentieren, historisieren: vom verstehen zum verzeihen. Vernichtungskrieg, Zwangsarbeit und Shoah werden zur Erzählung einer deutschen Familientragödie: die Versöhnung mit der Tätergeneration als deutsche Katharsis, aus der das »Wir« gereinigt hervorgeht, inszeniert in Stadttheatern, in Frankfurt in der Paulskirche bis hin zum Bundestag, in dem flennende Grüne mit einem Mal Zugang zu Dreggers Landserseele finden – vom Täter zum Zeitzeugen. Sind wir nicht alle ein bißchen Opfer? Gefragt wird: »Wie konntet ihr da nur reinrutschen?« statt: »Wie konntet ihr so etwas tun?« Ziel ist die Versöhnung mit der Vergangenheit, die »Versohnung«. Diese Vorgänge der »intergenerationellen Weitergabe«, des Erbens kann man vielleicht nur mit der ethnologischen Kategorie des »Tausches« verstehen: getauscht wird Mahnmal gegen Reichstag, Bekenntnis zu Auschwitz gegen neue deutsche Militärmacht, die Wahrheit über den Vernichtungskrieg mit dem Kriegseinsatz im Kosovo. Nach gelungener Operation war dann auch die Reemtsma-Posse zum Abschuss freigegeben: was dem Focus nicht gelungen war, konnte die FAZ auf einmal im Nu umsetzen.
Schließlich haben auch die weitgehensten Versöhnungsangebote von Hannes Heer den Tätervätern gegenüber deren entfachten Leugner-Zorn nicht abmildern können, während die Neonazis mobilisieren unter dem Motto: »Unsere Großväter waren keine Mörder!« Die Alten könnten die Geschichte auch auf sich beruhen lassen, sie treten bald ab, aber die Jungen haben ein Problem damit, sie treten das Erbe an und das muss vorher bereinigt werden. Deswegen passt es auch ins Bild, dass es ein Grüner war, der die deutsche Forderung nach »Rechtsfrieden« formuliert hat.
Doch wird diese alte Schluss-Strich-Leier wieder scheitern. Die Erben der Opfer werden sich mit dem billigen Trick, die »Arisierungen« gleich mit abzuwi-ckeln nicht abwürgen lassen. Wie die Auseinandersetzung mit denen verlaufen wird, die – wie Jörg Lau in Die Zeit schreibt – »keine Nummer auf den Arm haben«, darüber braucht man sich keine Illusionen machen. Man muss seine Solidaritäten vorher klar kriegen. Die Tatsache, dass die Frankfurter Veranstaltungsreihe bundesweit die einzige dieser Art war und bisher geblieben ist, ist nicht ermutigend.
A. K. für die »Gruppe 3«
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